20 Jahre Exile On Mainstream - Das Festival - Leipzig

23.05.2019 | 17:25

04.04.2019, UT Connewitz

Das Festival zum Jubiläum: Querköpfe und Sprödlinge.

Nachdem wir uns eindrücklich mit Labelmacher Andreas Kohl über seine Ideen, Rückschläge und Erfolge unterhalten haben, durften wir zum Frühlingsanfang dem EOM-Festival zum 20. Geburtstag beiwohnen.

Was passiert, wenn du nach 30 Jahren immer noch eine brennende Leidenschaft für Musik ausentwickelt hast, dir schon als Teenie die Radio-Schlager-Suppe gehörig auf die Locken geht und du beschließt, erst darüber zu schreiben, dann selbst ein wenig zu musizieren und dann ein Label gründest, auf das du nur die Querköpfe holst, mit denen du gut kannst und deren Musik du von vorn bis hinten mitpfeifen kannst? Vielleicht das: Du merkst 20 Jahre später, dass sich an deiner Leidenschaft nichts verändert hast, du dich immer noch in schummrigen, kaltrauchigen Kellern wohlfühlst, Gästelisten diskutierst, hier- und dorthin rast, um verstreute Mucker einzusammeln, rastlos bist und dann vor deinem Werk stehst, den Kopf erhoben in die Scheinwerfer hältst, die von der Bühne mit dir auf diejenigen strahlen, mit denen du dich über die Jahre verbunden fühlst.

EOM-LABEL

Irgendwo in der Provinz, an einem dieser Abende, wo Leute sich bedanken und von dir zum Bandshirt noch einen Sticker eines Noiserock-Duos geschenkt bekommen, weil ihre Augen leuchten, da kommt dir der Gedanke: Du müsstest mal Geburtstag feiern, ein Zwanziger ist ja auch schick, schon zwei Jahre über der Volljährigkeit. Andreas Kohl vom Exile On Mainstream-Musikverlag ist genau das passiert, Anfang April 2019, und die Fete hat er in Kirchen, Clubs, Gespräche in Danksagungen und Beglückwünschungen verlegt. Kurz nachdem der EOM-ZUG am ersten April-Wochenende durch Leipzig fegte, dröhnte, verhalten anhielt, um wieder furios zu beschleunigen, schnaubte und schraubte er sich beim Roadburn-Festival in weitere Höhen. Und an die zum Teil sehr euphorischen Reaktionen darauf möchte ich mich ebenfalls anschließen. Nicht nur, dass die von mir hochverehrten Bands OSTINATO und PAYOLA wiedervereinigt auftraten, auch VOLT mal zu erleben, ist eine Erfahrung gewesen, die ich nicht missen möchte.

Bellrope

Konkret beschrieben beginne ich an einem wunderbaren Leipziger Nachmittag in der Richtung Südstadt, mit weiteren treuen EOM-Konsumenten smalltaken wir schwatzend und Anekdoten austauschend in den spannenden Abend. Ich kann erzählen, dass an den beiden Vortagen bereits eindrucksvolle Konzerte liefen. Am Donnerstag in der Paul-Gerhardt-Kirche, in der zwei soundstarke Bands des Labels ihre zugegebenermaßen spröde Musik mit Leben füllen konnten. Freitag dann trumpften die österreichischen Musik-Extremisten von BULBUL auf, die Potsdamer THE ANTIKAROSHI bewiesen ihre Komponistenstärke und OBELYSKKH wummste das UT mit Schwerbrei zu. Die Reaktionen der Anwesenden deckten das Spektrum von überrascht bis beindruckt ab. Das war ja eine Steilvorlage für den Samstag, dem - in meinen Augen und Ohren - Höhepunkt des Festes.

Wir starten nach Abendsonnenaufladung mit dem französischen Paar GRAND FINAL aus Le Havre. Die sind schon schnell eine auffällige Erscheinung, so wie die beiden die Bühne ausfüllen. Und nicht, weil sie besonders füllig sind, nein, der Sound der beiden flutet den noch jungfräulichen Raum des UT. Ist ein spannendes Set, werde ich mir zukünftig mehrmalig zu Gemüte führen. Der Noise Rock enthält auch sehr melodiöse Parts und ist daher als Geheimtipp durchaus ernstzunehmen.

Gaaaaaaaanz etwaaaaaaas aaaaaanderes nun als nächstes: BELLROPE, die Band, die sich aus den Trümmern von BLACK SHAPE OF NEXUS zusammensetzt und eine ähnliche undurchdringliche Sludgedoombreitwand aufzieht. Da wird die Lautstärke gesegnet, genau wie das Lachen und das Leid. Das Album heißt ja nicht umsonst "You Must Relax". Vier sehr präsente clubreisengeprägte Männer mit der Aufgabe, den anderen "alten weißen Männern" zu zeigen, wie man richtig und sinnhaft seine Zeit verbringt. Inklusive einer Schreiorgie auf der Bühne, die hiermit den Blöffköppen dieser Welt empfohlen wird. Danach geht es einem nämlich besser, wenn sich die eigene Aggressivität in dunkler Ästhetik ergossen hat und man dafür sogar noch bejubelt wird. Die sehr laute Band aus Mannheim heimst nämlich viel Jubel und Zuspruch ein. Und das sehr verdient.

Themenwechsel, Genrewechsel, Gemütswechsel. Exile On Manistream, sagt die Legende, wurde eigentlich als Verlag gegründet, der die Hannoveraner/Berliner Band PAYOLA herausbringen sollte. Die Ur-Band also. Mit vielen Besetzungswechseln, stilistischen Neuerfindungen und Konzerten, die unterschiedlicher nicht sein können. Ich darf sagen, ich war so um die zehn Mal anwesend. Heute tritt die Band in der letztmöglichen Kombination auf mit Nico Kozik (einem der besten Sänger, die wir in Deutschland haben, da wiederhole ich mich gern oft und öfters) als Zorro, der Drummer ist ein Häuptling, einzig die drei Gitarrenbediener zeigen sich so, wie sie auch draußen nachher rauchen. Die Spielfreude der lange schlafend liegenden Band wächst mit jeder Minute, diejenigen, die die Werke des Fünfers kennen, wippstimmen mit ein und können sich an dieser einmaligen Reunion hocherfreuen. Ich also. Faszinierend, wie die Musiker nach so langer Zeit wieder zusammenfinden und die Rockstücke, die zum Besten des deutschen Rocks der letzten Jahrzehnte gehören, intonieren. Auffällig auch die spürbare Herangehensweise, dass die Stücke, die sich auf fünf Alben verteilen, immer auf Riffideen der beiden Köpfe PAYOLAS aufbauen. Besser geht es nicht. Experiment geglückt. Ich bin beseelt.

Payola

Und überrascht, was danach losbricht: VOLT. Ein Trio, das ich bisher nur vom Namen kannte oder wahrscheinlich schon einmal irgendwo gesehen oder gehört habe, zumindest schraubt sich ganz da hinten im Erinnerungsvermögen ein dunkelblaues Deja vú hinauf. Die Bude ist schlagartig mit dem ersten Ton proppevoll und nun ist richtig Bewegung drin. Andrei, im Hauptberuf Klampfer und Sänger des Avantgarde-Core-Duos DYSE, rammt uns mit Raunen, Geschrei und Herzschmerz einen Zweiminüter nach dem anderen in die Magengruben. Ich muss mich erst mal sammeln, um dann mit ins wilde Getümmel einzusteigen. Der Dreier fährt die Linie zwischen Hardcore, Noise Rock und Jazz ziemlich konsequent mit Seitenhieben und ich bin zufrieden, weil es eine dieser Stunden ist, wofür Konzerte eigentlich erfunden wurden. Herzhaft, unvorhersehbar und unerhört intensiv. Das war Vollbedienung.

Und dann ganz eine andere Nummer, ganz anderer Hof, ganz andere Vorerfahrung. OSTINATO ist auch zu dritt, im Vergleich zur Offensive der VOLTäre aber geradezu zurückhaltend, introvertiert, fast schüchtern. Den Post Rock der Alben habe ich schon seit Jahren aufgesogen, 'Jagganath' ist für mich eine Szenehymne. Nachdem ich Drummer Matthew Koblitz draußen fast abwesend herumschleichen sah, bin ich auf die Präsentation gespannt. Und die Band liefert Formidables ab. So gut, dass ich mich nach all den Eindrücken so entspannt durch die Nacht bewege, wie ich es schon lange nach Auftritten nicht mehr war. Im Grunde kann ich nur sagen, dass ich mich von Beginn an in diese Töne und Stimmungen lege, auch das Hineintreten einer Geigerin in die Formation sehr begüße und das gesamte Set staunend bewundere. Also. Ich gebe offen zu: Wenn OSTINATO und PAYOLA mal wieder Lust auf neue Musik haben... dann staune ich schon vorher.

Der Sonntag dann klingt mit der Liedermacherstrecke des Labels aus: der Eigenbrötlerdäne Kristian Harting mit seiner morbiden Ehrlichkeit, Conny Ochs mit seinem immer besser werdenden Doom Folk und Friedemann, der sich nach dem Split von C.O.R. ebenfalls auf seine weitgreifenden und zumeist hochpolitischen Gedanken konzentriert.

Ich nehme an, diese Labelschau hat Unterstützer, Freunde und Neugierige zusammengebracht, ich wünsche mir, dass Andreas Kohl weiterhin diese so wichtige und wuchtige Labelarbeit vollziehen kann. Mindestens noch zehn Jahre. Oder?

Redakteur:
Mathias Freiesleben

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