AKARINDE und DAVID JUDSON CLEMMONS - Hamburg
03.06.2025 | 13:2222.05.2025, Hafenklang (Goldener Salon)
Zwei außerordentliche Vollblutmusiker und Künstler, zwei ganz magische und fantastische Darbietungen.
Kurz vorweg, liebe Leserinnen und Leser. Es handelt sich im Folgenden um einen Artikel, den der geschätzte Kollege Holg und ich aus unseren beiden separaten Berichten zu einem einzigen verwoben haben. Wir hoffen, es ist uns einigermaßen gelungen, unsere beiden Identitäten zu einem schreibenden Alter Ego zusammenzuschweißen.
Es gibt Musiker, mit denen man aus irgendeinem subjektiven Emotionsgrund eine emotionale Verbindung zu haben glaubt. In unserem Fall hört einer auf den Namen DAVID JUDSON CLEMMONS. Wer sich einen Millimeter im Stromgitarrenbereich auskennt, hat diesen Namen sicherlich schon einmal gelesen, denn Dave spielt seit Mitte der 80er Jahre in unterschiedlichsten Formationen. Am bekanntesten dürfte hierbei DAMN THE MACHINE sein, eine Band, mit der er sogar im Vorprogramm von DREAM THEATER deutsche Landen betouren konnte. Aber auch MINISTER OF ANGER und MURDERCAR dürften Thrashfans ein Begriff sein. In jüngerer Vergangenheit agiert Mister Clemmons eher solistisch oder mit eher im Indie-Bereich angesiedelten Bands wie JUD oder THE FULLBLISS.
Wer meine Reviews und Interviews in der letzten Zeit ein wenig verfolgt hat, dem dürfte meine grenzenlose Begeisterung für DAVID JUDSON CLEMMONS und sein aktuelles Soloalbum "Everything A War" vermutlich nicht entgangen sein. Somit stellt es auch keine Überraschung dar, dass wir auch unbedingt vor Ort sein müssen, als einige Clubgigs des Wahl-Berliners anstehen, unter anderem auch im Hafenklang zu Hamburg. Allerdings absolviert er diese nicht allein und als Headliner, sondern als Support eines Künstlers mit dem eigenartigen Namen AKaRINDE. Ihr zuckt fragend mit der Unterlippe? Wir auch, denn auch seine eigentliche Hauptband DŸSE sagte uns im Vorfeld nicht allzu viel. Aber was soll schon schief gehen? Die Location ist smart, Mister Clemmons wird toll werden und wenn uns das restliche Programm nicht gefällt, gehen wir eben irgendwo ein weiteres Bierchen trinken. So der Plan für den Abend.
Meine weibliche bessere Hälfte und ich stehen pünktlich um 19 Uhr am Eingang des Hafenklangs, dessen schwere Eingangstür allerdings verschlossen ist. Da außer uns beiden auch sonst niemand vor Ort ist, macht sich kurz ein wenig Unruhe in uns breit. Ein kurzer Blick in das E-Ticket sorgt für Aufklärung. Die Veranstaltung findet nebenan im kleineren "Goldenen Salon" statt, welcher ebenfalls zum Hafenklang gehört und in der Regel eher für Lesungen und andere Kleinkunst-Veranstaltungen als Spielfläche genutzt wird. Sichtlich erleichtert schlendern wir also die Treppe hoch in den ersten Stock und betreten einen komplett leeren Raum, von drei Personen an der Bar sitzend mal abgesehen, welche allerdings alle zum Hausinventar gehören.Wir sind also die ersten Konzertgäste im weiten Rund, hoffen aber doch sehr auf zeitnahe personelle Verstärkung hier oben. Da bis zwanzig Uhr noch genügend Wasser die Elbe hoch und runter fließt, bestellen wir uns erstmal ein kühles Jever und beschließen, draußen mit wunderbarem Blick auf die Hamburger Hafen-Skyline auf Kollege Holg zu warten, der auch schon bald am Horizont auftaucht und uns gut gelaunt entgegenschlendert. Auch er bewaffnet sich kurzerhand mit einem kühlen Blonden, so dass wir uns die Wartezeit noch mit nettem Klönschnack vertreiben.
Es gibt wahrlich unvorteilhaftere Orte, an denen man Bier trinkend herumlungern kann. Auch die musikalischen Protagonisten des heutigen Abends, in Gestalt von Clemmons und AKaRINDE-Musikus Andrej Dietrich scheinen dies so zu sehen und genießen in einigen Metern Entfernung das stilechte grautrübe Hamburger Wetter mit noch exklusiverem Blick auf Schiffsbaukran- und Container-Romantik. Uns wird es derweil ein wenig zu frisch hier unten, so dass wir die restliche Zeit lieber drinnen verbringen, da steht nämlich im hinteren Bereich der Venue gleich neben dem Merchstand ein verdammt gemütliches Sofa, in das man sich ganz vortrefflich reinlümmeln kann. Gesagt, getan...
Mit herrlichem Herbstwetter über dem Kopf wieder oben angekommen, gibt es erstmal ein kleines Hallo mit dem nun ebenfalls anwesenden David, ein fluffiges Jever auf die Faust und schon geht sie los, die wilde Fahrt mit etwa zwanzig Minütchen Verspätung. Aber kein Grund zur Panik, denn die mittlerweile immerhin gut zwanzig Anwesenden sind hier alle durchweg tiefenentspannt unterwegs. DAVID JUDSON CLEMMONS ebenfalls, denn ohne musikalische Begleitband lässt man es für gemeinhin natürlich ein wenig gemütlicher angehen. Richtig gehört: Der sympathische Wahl-Berliner ist hier heute allein auf weiter Flur und nur mit einer sechssaitigen Akustischen bewaffnet. Hatten wir jetzt gar nicht mit gerechnet, sind aber ziemlich sicher: Auch das wird hier gut funktionieren.
Und ganz genau so ist es dann auch: Bevor der musikalische Fokus Richtung dem aktuellen 10/10-Opus "Everything A War" wandert, spielt sich der Mann hier erst einmal mit einem älteren Song warm: 'Seven People Paid' vom 2011er-Album "Cold White Earth". Der Rest der Setliste widmet sich ab dann fast ausschließlich den brillanten Stücken des aktuellen Albums. Unser Bauchgefühl soll sich glücklicherweise bewahrheiten. Streicher, Bass und Schlagzeug braucht es hier und heute überhaupt gar nicht, wenn der anwesende Solo-Künstler so unsagbar viel Energie und Kraft in die Songs legt, dass das Fehlen der gewohnten Instrumente hier überhaupt keinerlei Nachteil darstellt.Ein alter (Bühnen-)Hase wie Clemmons ist natürlich viel zu sehr Profi, als dass ihn das Fehlen seiner Mann- und Frauschaft vor irgendwelche Probleme stellen würde, immerhin verdient der Mann seinen Unterhalt unter anderem auch als Gitarrenlehrer. Das sieht man selbst als Laie wie unsereins: Ob er seine Gitarre sanft und liebevoll behandelt oder in die akustischen Saiten haut wie andere thrashmäßig in die elektrischen Saiten ihrer Flying V, immer trifft der sensible Virtuose den genau richtigen Ton und Charakter der Songs. Dave ist vollkommen in seinem Element und schafft es sofort, trotz der minimalen Anzahl an Musikliebhabern, eine Atmosphäre zu schaffen, die alle unwillkürlich erfasst.
Die neuen Songs funktionieren auch in diesen minimalistisch instrumentierten Versionen ganz ausgezeichnet. Das liegt unter anderem an der mächtig sympathischen Ausstrahlung des Künstlers, der eben genau das ist: ein Künstler. Bis in die Zehenspitzen ausgestattet mit Charisma, in den (in perfektem Deutsch vorgetragenen!) Ansagen immer humorvoll und warmherzig und mit allen Beinen tief in den Brettern dieser Bühne verwurzelt. Musik, losgelöst von typischen Bausteinen, voll von lyrischer Emotionalität und genau deshalb so ergreifend. Die Kulisse vor dem Fenster lässt noch ein paar gehäutete Gänse durch den Raum flattern, denn was passt hier besser als sich auftürmende Regenwolken über der Elbe? Eben. Vor 'Learn To Resist', dem Eröffnungstrack der aktuellen Platte, kündigt David den letzten Song an, kommt aber für 'The Loyalty' noch einmal zurück. Als die letzte Note verklungen ist, wissen wir, ein ganz besonderes Konzert erlebt zu haben und holen uns flink ein weiteres grünes Fläschchen, um für den Hauptact gewappnet zu sein.
Setliste: Seven People Paid; Drones & Satellites; The Caves Below; No Fear, No Love, No Lie; Truce; Learn To Resist; Zugabe: The LoyaltyKaum setzt sich Andrej Dietrich AKaRINDE mit seiner Gitarre zwischen Laptop und Bassdrum und schlägt die ersten Akkorde an, während er sich rhythmisch selbst begleitet, sind wir aber erneut gefangen. Holg soll es später kurz und knapp treffend auf den Punkt bringen: nichts erwartet, ALLES bekommen! Der Mensch da auf der Bühne strahlt die gleiche positive Energie aus, die uns schon zuvor so gefesselt hat. Auch wenn das musikalisch jetzt wohl nichts ist, was wir zuhause in den Player schieben würden ("Ich mittlerweile allerdings schon". Lenze), sind wir hier und jetzt komplett am Haken. Als Stromgitarren-Nerds fehlen uns sicherlich die richtigen Vokabeln, um das Gehörte nun adäquat zu beschreiben, aber eigentlich ist die Stilistik hier auch komplett zweitrangig. Viel wichtiger ist der Umstand, dass AKaRINDE uns komplett fasziniert.
Die irre und vertrackte Mischung des Singer/Songwriters, der auch mal ein Orchester als Sample auspackt oder ein Gitarren-Intro des EINSTÜRZENDE-NEUBATEN-Klampfers ('Rolaner'), aus Outlaw-Country, Indie, Akustik-Punk, Noise, Jazz, Hardcore und Elektro ist in dieser Livesituation und mit seinen tollen Ansagen einfach fantastisch. Dass uns beide während der außergewöhnlichen musikalischen Bühnenmesse allerhand Assoziationen zu anderen Künstlern und Bands in den Sinn kommen, spricht für sich gesehen schon einmal für die musikalische Klasse, die der Mann von Haus aus mitbringt. Und, er hat eine Message: Es geht ihm um (inneren) Frieden, alte weiße Männer und (gelegentlich vernachlässigte) Freundschaften, um Miteinander und Aufstehen für das Richtige. Selten geht es gegen etwas (blaue Ausnahmen bestätigen zum Glück diese Regel), somit ist der Raum die ganze Zeit von einem wunderbaren Charisma ausgefüllt.
Zwischen den Songs kann man mitunter die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören. Hier ist das aber mitnichten ein Anzeichen von Desinteresse oder Teilnahmslosigkeit vonseiten des Publikums, ganz im Gegenteil: Auch alle um uns Versammelten sind ob der dargebotenen und intensiven Performance einfach mal nur komplett sprachlos, im positiven Sinne. Manchmal ist kollektives Schweigen einfach der bedeutend lautere und leidenschaftlichere Applaus! Auch David sieht man die Freude hier beim Zuschauen, Erleben und Zuhören ebenfalls sichtlich an. Der Plan, vorzeitig die Location zu wechseln, verkriecht sich in die hinterste Ecke des Gedankenspiels. Nach einer guten Stunde ist aber auch dieser Auftritt leider zu Ende und wir sabbeln noch eine Weile mit den Musikern am Merchandise Stand.Wir können nur jedem raten, sich diese Musiker groß im Kleinhirn einzuritzen, denn sie gehören zu den Menschen, die jeden Raum mit musikalischem Licht erfüllen. Bitte mehr davon!
Setliste: Intro; Blu Tuesday; K.U.R.Z.B.E.F.E.H.L.; Tough Its The Way; High Five; Rolaner; Sichern unter!!!; Mrs.Breathe; Es Ist Wie Es Ist - Welt Verändern; Black Widdow; Fisch
Es war für euch im Einsatz: Holger Lenze aka Stephan Andrae
Fotocredits: Stephan Lenze und Andrej Dietrich
- Redakteur:
- Stephan Lenze