CLEMMONS, DAVID JUDSON - Everything A War
Mehr über Clemmons, David Judson
- Genre:
- Alternative Progressive Rock
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- 7 People Records
- Release:
- 28.03.2025
- Learn To Resist
- Drones & Satellites
- No Fear, No Love, No Lie
- The Caves Below
- Truce
- Songs In The Key Of You
- The Old World Is Gone
Lyrische und musikalische Melancholie in höchster Vollendung, das Licht am Ende des Tunnels aber immer in Sichtweite. Ein Meisterwerk!
Das neue Werk von DAVID JUDSON CLEMMONS hat seinen Weg ein wenig zufällig zu mir gefunden. Mit dem Namen konnte ich nämlich (Schande auf mein Haupt) anfangs nicht wirklich viel anfangen, war aber von den bereits vorliegenden Vorab-Tracks 'Learn To Resist' und 'Songs In The Key Of You' dermaßen angetan und ergriffen, dass ich die Rezension hierzu unbedingt machen wollte. Erst in der darauffolgenden Erstrecherche fiel es mir dann wie Schuppen von den Augen. Das ist ja der ehemalige Sänger und Gitarrist von den genialen DAMN THE MACHINE, die 1993 ein total abgefahrenes Prog-Album veröffentlicht hatten und die ich im Anschluss daran noch live erleben durfte. Als Support einer Band, die sich seinerzeit anschickte, erstmals den großen Teich Richtung Europa zu überqueren: Die Rede ist von DREAM THEATER.
Die Hauptband sollte es im weiteren Verlauf bekanntlich noch zu einigem Ruhm und großer Berühmtheit bringen, DAMN THE MACHINE hingegen sollte sich nach diesem einen Geniestreich nur einige Jahre später wieder auflösen. Dass man vor einigen Jahren dann im sehr verspäteten Nachgang noch einmal zwei Kompilationen mit alten Demosongs beziehungsweise alternativen Versionen bereits vorhandener Stücke veröffentlichte, hatte ich noch zur Kenntnis genommen. Dass Clemmons darüber hinaus aber auch in all den Jahren noch musikalisch sehr schaffensfreudig gewesen ist (Solo, JUD, THE FULBLISS), lief hingegen aber sowas von total an mir vorbei, dass ich mich jetzt noch wundere, wie so viel außergewöhnlich gute Musik all die Zeit unbemerkt an mir vorbeiziehen konnte.
Einerseits ärgerlich bis unverständlich, anderseits aber eben auch durchaus als Segen zu begreifen. So konnte ich mir auf diese Weise doch noch einmal den kompletten Backkatalog des Amerikaners, der seine Wahlheimat übrigens seit vielen Jahren bereits in das Berliner Umland gelegt hat, in aller Ruhe und mit der dafür gebotenen Aufmerksamkeit zu eigen machen.
Immerhin, ich hätte mir wohl keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können, meinen kleinen Dekadenschlaf genau jetzt zur neuen Platte "Everything A War" zu beenden, denn, es handelt sich hierbei um nicht weniger als eine der besten und intensivsten Scheiben, die der Künstler in seiner ganzen Karriere produziert hat. Sieben traumhafte und geniale Songs in einer guten dreiviertel Stunde, jedes Stück an die dafür korrekte Stelle des Albums gesetzt, da viele Bands/Künstler im Zeitalter digitaler Veröffentlichungen leider ein wenig verlernt haben, wie man das Konstrukt 'Album' diesbezüglich optimal angeht. Natürlich gilt das aber nicht für einen alten Hasen wie Clemmons.
Wie bei jedem perfekt konzipierten Album ergibt ein detailliertes Eingehen auf die einzelnen Songs gar nicht so viel Sinn, offenbart sich der komplette wunderbare Zauber des Langspielers doch erst gänzlich aus dem gesamten Fluss der einzelnen Stücke. Bereits die einleitenden melancholischen und dramatischen Streicherarrangements (Anne de Wolff) sowie die darauffolgenden ersten clean vorgetragenen Gitarrentöne im Opener 'Learn To Resist' lassen bereits den musikalischen Grundcharakter der Platte erkennen und keinerlei Zweifel aufkommen: Es ist diese ganz einzigartige Art von Album, die den Hörer mit ausgestreckter Hand ganz tief im Inneren abholt und ihn dann mit auf eine ausgedehnte und hoch emotionale Tour de Force einlädt. Was den textlichen Aspekt betrifft, so erörtert Clemmons hier die Widerstände und Widrigkeiten, an denen wir Menschen uns im Kleinen wie im Großen im (all-)täglichen Leben nahezu täglich abarbeiten, mahnt zur Selbstreflexion und appelliert an uns, den Glauben und die Hoffnung an ein besseres Leben nicht aufzugeben. Es liegt aber freilich an jedem einzelnen von uns, den Hintern hier hochzukriegen und notwendige Veränderungen herbeizuführen.
Alle Stücke sind durchdrungen von dieser eigentümlichen Wechselwirkung von tief melancholischen und Hoffnung aufkeimenden Momenten, ohne sich hierbei jedoch jemals in naheliegendem theatralem Pathos zu verlieren. Verankert in der Tradition anderer musikalischer Freigeister und kreativer Freestylisten wie Gerry Nestler (u.a. CIVIL DEFIANCE, PHILM), Robin Proper-Sheppard (THE GOD MACHINE), John Feula (RHED ASPHALT) oder KENN NARDI (ANACRUSIS) ist und bleibt Clemmons ein ewig Forschender und Suchender sowohl in musikalischer als auch textlicher Hinsicht. Auch wenn er das für ihn einengende progressive Metal-Korsett bereits vor langer Zeit abgestreift hat, in einigen wenigen Momenten fühle ich mich dann doch noch immer ein wenig an Glanztaten von Bands wie IN THE NAME und VAUXDVIHL erinnert, auch wenn Clemmons hier in Summe natürlich viel besonnener und gefasster zu Werke geht. Wo der gute Mann allerdings immer all die Ideen für diese auserlesene Anzahl an betörenden Melodien hernimmt, die er wahlweise entweder gleich selbst singt oder dies in verschiedenen Interpretationen seine Gitarre übernehmen lässt, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Aber jene sagenhaften Melodylines sind auf dem neuen Werk so reichhaltig und zuhauf vorhanden, dass ein jeder neuer Hördurchlauf ein neues Hochgefühl in den Ohren des Lauschenden verursacht.
Denn ganz gleich, ob der Künstler seine Gitarre akustisch umgarnt, solierend brilliert oder auch mal Post und Indie Rock-beeinflusst in die Saiten greift, stets scheint er aus hunderten möglichen Optionen die songwriterisch exakt richtige Lösung aus dem Hut zu zaubern. Wenn er dann auch noch seine 16-jährige Tochter Maisha Judith Clemmons in 'No Fear, No Love, No Lie' zum Gastgesang bittet, den die junge Dame beängstigend perfekt meistert, es in 'The Caves Below' ein wenig country-lastig angehen lässt oder in 'Songs In The Key Of You' wundervoll hymnenhaft unterwegs ist, wird klar: Auch für Überraschungen und kleine Stilbrüche ist sich der Meister nach wie vor nicht zu schade. Denn über die Jahre hat der Kalifornier sich bekanntlich mehrfach selbst erfunden und dabei unterschiedliche, aber immer faszinierende und geschmackvolle musikalische Welten erkundet. Er bleibt ganz einfach seinem kompromisslosen Weg treu und pfeift damit auch weiterhin auf alle (ungeschriebenen) Gesetze, die Plattenfirmen, Promo- und Marketingagenturen ihren Künstlern für gemeinhin so mit auf den Weg geben.
So also auch hier. Obwohl Clemmons im Laufe seiner Karriere bereits so manch atemberaubendes und berührendes Album veröffentlicht hat, ist ihm mit "Everything A War" hier nun eindeutig sein Magnus Opus gelungen. Ein in absolut jeder Hinsicht monumentales, detailfreudiges und fesselndes Meisterwerk, welches in jede qualitätsbewusste Sammlung anspruchsvoller und dunkelschöner Rockmusik gehört!
Anspieltipps: Learn To Resist, Songs In The Key Of You
Ein Interview mit dem Musiker folgt in Bälde. Stay tuned...
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Stephan Lenze