ALCEST, KÆLAN MIKLA, BIRDS IN ROW - Leipzig

01.03.2020 | 19:07

12.02.2020, Täubchenthal

Ein traumhaft verträumter Abend.

Die französische Band ALCEST hat im Oktober vergangenen Jahres ihr neues Studioalbum "Spiritual Instinct" veröffentlicht, welches mit großen Erwartungen verknüpft war. Die eigene musikalische Messlatte hatten die Franzosen mit dem recht eingängigen Vorgängerwerk "Kodama" zum einen ziemlich hoch angelegt, zum anderen fand ein Labelwechsel von Prophecy Productions zu Nuclear Blast statt. Für ihre Headliner-Tour hat sich die Band KÆLAN MIKLA und BIRDS IN ROW eingeladen, um die Zuschauer zu verzaubern. Ob das auch für das neue Material gilt?

Etwas entzaubert werden die Besucher zu Beginn des Abends im Täubchenthal, denn das isländische Damen-Trio KÆLAN MIKLA beginnt ihr Konzert bereits gegen halb acht und somit eine halbe Stunde früher als geplant beziehungsweise angekündigt. Da das Publikum in Leipzig meist auf den letzten Drücker erscheint, sind noch nicht so viele Gäste in der Halle. Die Damen lassen sich davon aber nicht beirren und verzaubern auf ihre eigene Art das Publikum. Vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein, denn die Klangwelt der Isländerinnen ist nicht immer einfach, geschweige denn leichte Kost. Der Grat zwischen eingängigen Coldwave-Klängen und exzessiven Schreipassagen ist durchaus schmal. Das führt dann aber auch zu verhaltenen Applaus am Ende eines entsprechenden Stückes. Doch die Musikerinnen können damit versiert umgehen, sodass die musikalische Qualität des Gigs nicht darunter leiden muss. Aus ihrem aktuellem Album "Nótt Eftir Nótt" aus dem Jahre 2018 erklingt neben 'Nornalagið' auch 'Skuggadans'. Zum Abschluss des Konzertes fällt der Beifall wesentlich größer aus und somit sind alle zufrieden. Birds In RowSpäter haben die Mädels noch gut am Merch-Stand zu tun und konnten wohl an diesem Abend viele neue Fans dazu gewinnen.

Ob das im Anschluss auch den Jungs von BIRDS IN ROW gelingt, ist durchaus fraglich, denn ihr Sound passt von der Sache her nicht so wirklich zu diesem Konzertabend. Hardcore-Punk soll es sein, was die Franzosen da auf der Bühne kredenzen. Unbestritten ist, dass ihr Gig eine unheimliche Wucht und Energie ausstrahlt, die durchaus ihresgleichen sucht. Und auch in den Songs kommt viel Wut über politische Missstände zum Ausdruck, so zum Beispiel bei 'Love Is Political'. Allerdings sind viele Besucher damit überfordert, beziehungsweise ist es einfach nicht ihr Geschmack. Und da fasst ALCEST schon einen großen Querschnitt an Musikliebhabern ab. Auf der anderen Seite ist das für mich eher eine schicke Metalcore-Darbietung, bei der ich den angepriesenen Punk noch immer suche. Neben dem bereits erwähnten Song haben auch sie noch weitere Stücke aus ihrem aktuellen Album "We Already Lost The World" im Gepäck, die sie dem Leipziger Publikum vorstellen. Da die Truppe sehr sympathisch rüberkommt, ist der Beifall entsprechend groß, was auch gut so ist, denn an der musikalischen Leistung gibt es absolut nichts zu meckern. Es passt nur eben nicht wirklich zum Hauptact. So geht es für viele mit gemischten Gefühlen in die Umbaupause.

Als das Licht auf der Bühne ausgeht, setzt der Applaus für ALCEST ein. Die Bandmitglieder kommen nach und nach auf die Bühne und los geht es auch gleich mit dem Album-Opener 'Les Jardins De Minuit', der dafür einfach nur perfekt ist. Mit dem langen Intro kann jeder der Anwesenden erst einmal in die ALCEST-Klangwelt eintauchen und sicher dort ankommen, ehe Neige seinen Gesang anstimmt und das Publikum gebannt an seinen Lippen klebt. Bereits beim ersten Song ist zu spüren, dass das neue Material wieder etwas Black-Metal-lastiger geworden ist und natürlich auch rauer. Dem gegenüber steht während der Songpausen ein verschüchtert wirkender Sänger im TYPE O NEGATIVE-Shirt, der zu tun hat, ein paar Worte an sein Publikum zu richten. Die Begeisterungsstürme, die ihm entgegen fliegen, scheinen ihm regelrecht peinlich zu sein. Doch sobald er in seinem Element ist, sind diese Phrasen völlig weg. Vor und auf der Bühne versinken alle in der Musik. Es ist schon sehr beeindruckend, wie der ALCEST-SOUND die unterschiedlichsten Menschen verbinden kann. Warum das gerade so hervorragend bei den Franzosen funktioniert, das wird wohl ewig ein Mysterium Alcestbleiben. Kein Mysterium dagegen ist das neue 'Protection'. Schwermut zieht durch das Täubchenthal und legt sich auf die Fans, die innehalten, um den neuen Song regelrecht aufzusaugen. Doch dieser Zustand wird durch das flottere 'Oiseaux De Proie' unterbrochen, denn er lädt im Anschluss zum Bewegen und Haare schütteln ein.

Neben einer gut abgestimmten Lichtshow passiert auf der Bühne nichts weiter, abgesehen von einer perfekt aufeinander abgestimmten Band, die ihre Fans zu bannen weiß. Da bedarf es weder Fragen nach dem Gemütszustand des Publikums, noch diverser Animierungsversuche. Letztere wären sowieso fehl am Platze. So stellt sich die Frage: Kann das noch getoppt werden? Ja, kann es! Und zwar durch 'Autre Temps'. Ein Großteil der Anwesenden genießt die Darbietung mit geschlossenen Augen und wer jetzt keine Gänsehaut hat, dem ist nicht mehr zu helfen. Kollektives Träumen par excellence, das ist durchaus nicht übertrieben. Ein Wechselbad der Gefühle oder, besser gesagt, der Stimmungen hält das knapp zehn Minuten lange 'Écailles De Lune - Part 2' für die Anwesenden bereit. Es schaffen nur wenige Bands, zehn Minuten wie im Flug vergehen zu lassen. ALCEST kann das definitiv. Keine wirklichen Längen, keine Lückenfüller. Einfach nur Musik. Wahrscheinlich ist das auch das Geheimrezept der Jungs, denn anderes ist dieser Rausch der Gäste nicht zu erklären.

Mit dem etwas eingängigeren 'Sapphire' und dem verträumten 'Le Miroir' gibt es nochmals einen schönen Ausflug Alcestin das neue Album. Danach verkündet der Frontmann tatsächlich, dass er den letzten Song spielen möchte und reißt mit dieser Ansage die meisten aus ihren Träumen. Doch noch ist nicht Schluss und mit 'Kodama' erklingt einer der tollsten Tracks von ALCEST, auf denen viele im Publikum gewartet haben. Als dieser zu Ende ist, muss sich die Menge erst einmal sammeln, ehe die Musiker mit viel Beifall bedacht werden. Auch jetzt spürt man wieder, dass es Neige fast unangenehm ist, was da unten passiert. Doch davon lassen sich die Fans nicht beirren und als es auf der Bühne leer wird, erklingen selbstredend die ersten Rufe nach mehr Liedern.

Lange lassen sich die Jungs auch nicht bitten und als sie wieder auf die Bühne kommen, schlägt ihnen wieder tosender Applaus entgegen. Das wunderschöne 'Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles' aus dem 2012er Album "Les Voyages De l'Ame" wird angestimmt und bedarf eigentlich keiner weiteren Worte. Einfach ALCEST hören und fühlen! Als sich der Frontmann im Anschluss bei seinen Fans bedankt und damit nun wirklich das letzte Lied ankündigt, ist auf der einen Seite der Jubel groß. Auf der anderen Seite weht der Wehmut mit, denn dieses tolle Konzert neigt sich seinem ultimativen Ende entgegen. Für das Finale hat die Band 'Délivrance' gewählt. Das rund zehn Minuten lange Stück passt zum Abschluss auch wirklich toll und entlässt gewissermaßen die Besucher aus dem Klangerlebnis.

Die Fans bedanken sich ein letztes Mal mit viel Applaus und während die Musiker langsam von der Bühne gehen, verweilt Neige noch einen Moment mit seiner Gitarre in der Hand am Boden. Die Rufe nach einer weiteren Zugabe bleiben ungehört. Dennoch ist es ein schönes Szenario, das der Frontmann zum Ende abliefert. Das passt natürlich perfekt zum voran gegangenen Konzert und bedarf keiner weiteren Worte.

Setliste: Les Jardins De Minuit; Protection; Oiseaux De Proie; Autre Temps; Écailles De Lune - Part 2; Sapphire; Le Miroir; Kodama; Zugabe: Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles; Délivrance

Redakteur:
Swen Reuter

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