ALICE COOPER und BLACK MIRRORS - Nürnberg
05.07.2024 | 14:0501.07.2024, Stadionpark
Wer ist hier "cringe"?
Das hat ja schon beinahe Gruppentherapie-Charakter, was wir in Sachen ALICE COOPER hier für auch aufbieten können! Daher möchte ich als "Erstlektüre" dringend auf den Text von Kollege Stefan Rosenthal verweisen, der in vortrefflicher, sachlich-detaillierter Manier sprachlich wunderbar vor euch ausbreitet, was letzten Endes auch Andre und ich in Nürnberg erleben durften.
Letzterer bat mich, doch zu seinen Bildern ein paar Zeilen über das Konzert in der Lebkuchenstadt zu verfassen, was ich (Timo Reiser) sehr gerne übernehme. Da Stefan so toll vorgelegt hat, kann ich hier dankenswerterweise jetzt etwas emotionaler schwelgen und humorvolle Seitenhiebe in Richtung seines Textes ausführen. Während der Lektüre könnt ihr abermals über die Fotokunst von Andre Schnittker staunen, die sehr gut darstellt, was wir drei in Northeim und eben Nürnberg sahen.
Nach dem Viertelfinalwochenende geht der Freizeitspaß quasi des Montagabends noch in die Verlängerung, und nach etwa 90-minütiger Autofahrt parke ich mein Gefährt neben dem Nürnberger "Stadionbad". Weitere 30 Minuten später, und mit imaginär leicht angeschwollenen "Ansteh-Nervensträngen", betrete ich endlich den neu angelegten "Stadionpark" hinter dem "Max-Morlock-Stadion".
Andre hat schon ein Bild mit seinem Standort geschickt, ist aber nicht anzutreffen. Auf eine Nachricht wo er ist, kommt prompt zurück: "Im Graben". Dort schiesst er die Fotos von BLACK MIRRORS, deren Rock/Grunge/Blues-Mixtur mir der Soundtrack zur ersten Inaugenscheinnahme dieses neuen, schicken mittelgroßen Open-Air-Geländes in Nürnberg ist. Ich schlendere also über die zwei länglichen Ebenen der linken Seite des Stadionparks, auf der die Catering-Stände untergebracht sind, und versorge mich mit Pizza und einem Hotdog mit Goldüberzug. Zumindest hätte die Größe der Speisen im Verhältnis zum Preis diesen gerechtfertigt. Geschmeckt hat es jedenfalls. Die ganze Anlage wirkt ein wenig wie eine Planung dieser "Beet-Brüder"-Heinis aus dem Reality-Fernsehen: Viel Rasen, viele Flächen, alles sauber und vermutlich schnell verbaut. Der Schwerpunkt Benutzerfreundlichkeit wurde angepeilt, das merkt man auch an Stellmöglichkeiten für Bierbänke, richtig "schön" geht aber anders. Das gucke ich mir als Sohn eines Gartengestalters beim nächsten Besuch dort nochmal genauer an...
Klowägen für Männlein und Weiblein sind auf der hinteren, anderen Seite des Geländes zu finden, und man wird dort nicht einmal genötigt ein Trinkgeld zu geben, obwohl alles tip top sauber ist! Ich groove so zur Mucke der an meinem Standort hinter dem Mischpult etwas leisen BLACK MIRRORS vor mich hin. Als ich gerade das Merch begutachte, whappt Andre und zwei Minuten später treffen wir uns vorne links neben der Bühne und klönen bei Kaltgetränken, während wir noch den gut ins Ohr gehenden Rock der Belgier mit der wohltönenden Frontfrau goutieren.
Setliste BLACK MIRRORS: Günther Kimmich; Funky Queen; The Mess; Tears To Share; Lay My Burden Down; Burning Warriors
ALICE COOPERs Live-Konzerte lasse ich, wenn möglich, seit einigen Jahren nicht mehr aus. Auch dieses Mal werde ich für die Anfahrt und den Kostenaufwand belohnt und erfreue mich an der allseits bekannten, in etlichen Details und Abläufen bei jeder Tour aufs neue leicht veränderten Show. Die begehbaren Aufbauten sind diesmal fahrbar konstruiert und stehen dabei an den Seiten der Bühne, hinter der Band hat Herr COOPER nun, wie die anderen "Großen", ebenfalls alles "digitalisiert", sozusagen. Vor allem in der zweiten Hälfte der Show, hinter dem "Vorhang der Nacht" wird die typische ALICE COOPER-70er Jahre "Wandertheater"-Horror Show markant mit der modernen Screen-Technik aufgewertet.
Weil ja Stefan die Show bereits ausführlich besprochen hat, möchte ich lediglich ein paar Aspekte noch etwas ausführlicher darstellen. Dabei will ich an allererster Stelle die Großartigkeit dieser irrsinnig geilen Band einmal über den verdammten Grünen Klee loben! Keine, nein, wirklich keine derzeit umhertourende Band füllt derart professionell die Bühne! Alle Musiker, der Chef inklusive, sind äußerst agil und sportlich unterwegs, vor allem den Gitarristen Ryan Roxie und "her majesty", wie ALICE sie später vorstellen wird, Nita Strauss, aber auch Chuck Garric am Bass sieht man an, dass auch abseits der Bühne viel dafür getan wird, um sich so bewegen zu können und so auszusehen. Die Wahnsinnigen halten genau wie der Meister, der übrigens endlich mal ein Bissel was gegen seinen Rundrücken getan zu haben scheint, zu eigentlich jeder Minute Blickkontakt mit dem Publikum, zumindest mit den ersten Reihen, und sind ohne Unterlass dabei, neue, fotogene Formationen um ALICE COOPER herum zu bilden. Aufgrund der, ähnlich den KISS-Shows, zu jedem Zeitpunkt großartigen, perfekten Beleuchtung eines ALICE COOPER-Konzerts, wird man als Handynutzer eigentlich pausenlos zum Fotografieren animiert, was durchaus ein Nachteil für die eigene Konzentration auf die Musik, aber auch für die Sicht der Umstehenden sein kann. Es gilt unbedingt der Leitsatz: Bei ALICE COOPER kann man sich auch als fotografischer Laie, derer ich einer bin, den sprichwörtlichen "Wolf" fotografieren und bekommt ein tolles Bild nach dem anderen zu stande! Profis wie Andre sind bei diesen Verhältnissen dann dazu in der Lage, fotografische Schätze zu erschaffen!
Was die Setliste betrifft, hören wir, soweit ich es richtig verglichen habe, in Nürnberg dieselbe, wie Stefan in Northeim. Ich pflichte ihm bei: Mehr Neues der letzten beiden Alben, vor allem von "Road" hätte der Show sehr gut zu Gesicht gestanden, nicht zuletzt auch, weil jenes Album zum ersten Mal alle Musiker der Live-Band einspielten. Mein Wunsch wäre davon noch 'White Line Frankenstein' gewesen, mal abgesehen davon, dass auch ich es unverständlich finde 'I'm Alice' nicht zu bringen. Da haut er im hohen Alter noch einmal so eine Großartigkeit als Album-Opener raus, und dann wird es nicht live gespielt! Tsss... Auch auf dem Vorgänger-Album "Detroit Stories" hätte man ins Volle greifen können, zum Beispiel mit 'Go Man Go' oder mit der etwas untypischen Genialität am Schluss namens 'Hanging On By A Thread - Don't Give Up'. Bei den Klassikern sehe ich im Gegensatz zu Herrn Rosenthal zudem noch gehörig Luft nach oben, 'Only Women Bleed' und 'House Of Fire' habe ich schon sehr vermisst, da hatte ich im Vorfeld großen Bock drauf gehabt. 'Steven' bleibt heute leider auch unter Verschluss, den gab es vor zwei Jahren in Zwiggau! Mann, war das geil! Dennoch hören wir dieses Mal eine tolle, ausgewogene Setliste, nach acht COOPER- und zwei HOLLYWOOD VAMPIRES-Shows sowie einmal "Rock Meets Classic"- mit dem Meister himself wird man aber ja mal jammern dürfen.
Die Show betreffend hat es mir vor allem das hintere Drittel nach 'Poison' angetan, als zunehmend die Technik "Vollgas" gibt. Die Lightshow beleuchtet in satten Farben und mit breiten Lichtkegeln in geschmackvollen, teils sehr schnellen und rhythmischen Lichtwechseln das Geschehen um Herrn Furnier herum. Die Videodramatik, die ALICE COOPER auch früher bereits sehr gekonnt genutzt hat, wird bei 'Ballad of Dwight Fry' vom "Love It To Death"-Album auf die Spitze getrieben: Er steht gefesselt in einer Zwangsjacke in der Mitte der Bühne und hinter ihm wird dreidimensional eine, tja, Gummizelle auf der Leinwand filmtechnisch zum Leben erweckt, abgesehen vom tollen Lied, visuell von beeindruckender Wirksamkeit! Was den Thrash-Charakter der Show angeht, hat Stefan teils recht, teils auch nicht: Diese abartige Rasanz in den Szenenfolgen, die durchgängige Kontinuität während des nur mit kleinsten Pausen durchgespielten Sets sieht man bei keiner anderen Band mit Komparsen, beziehungsweise Darstellern auf der Bühne! Hier gibt es sogar noch die Tochter des Maestros, Calico Cooper, wie immer als Kirsche, ähem, Tänzerin in diversen Rollen obendrauf, was will man mehr?
Setliste ALICE COOPER: Lock Me Up; Welcome To The Show; No More Mr. Nice Guy; I'm Eighteen; Under My Wheels; Bed Of Nails; Billion Dollar Babies; He's Back (The Man Behind The Mask); Be My Lover; Lost In America; Hey Stoopid; Welcome To My Nightmare; Cold Ethyl; Go To Hell; Poison; Feed My Frankenstein; Black Widow Jam; Ballad Of Dwight Fry; I Love The Dead (inclusive Killer); Elected; Zugabe: School's Out
Weil unser ebenfalls schon graue Haare und dünner werdendes Haupthaar aufweisender Herr Rosenthal hier schon fast respektlos das Jugendwort des Jahres 2021 namens "cringe" wieder einmal, diesmal eher weniger passend, ausgrub, sehe ich mich gezwungen, mahnend den Finger, jedenfalls verbal, zu erheben, und stelle gespielt echauffiert die Frage: "Wer hat's erfunden, lieber Stefan?". Den Schweizer Akzent müsst ihr halt selbst vor euch hinmurmeln. Die Anwort müsste jedem klar sein: Diese Art von Horror Rockshow, die derzeit wieder vielfach, nur zumeist in viel kleinerem Maßstab kopiert wird, lieber Stefan, ist die Erfindung von ALICE COOPER, ausgebaut und weiterentwickelt seit dem Jahr 1970. Von wegen "laienhafte Umsetzung", da hast du in meinen Augen nicht richtig hingeguckt, werter Kollege! Ich behaupte jetzt einmal, dass ALICE COOPER derzeit wieder, auch von seinen Show-Elementen her betrachtet, aktueller denn je ist. Zu dieser Aussage muss man kommen, wenn man sich DOMINUM live anschaut, oder eben auch ICE NINE KILLS. Jene haben einen Plastik-Requisiten-Overkill auf der Bühne, dass Meister ALICE seine wahre Freude daran hätte. Ich weiß nur nicht ob das Metalcore-Geschrote so seine Sache ist.
Insgesamt vergeht der Abend aufs Neue wie ein Wimpernschlag, da der enorme Unterhaltungswert der großartigen, in allen Belangen atemlose Begeisterung einfordernden Rockshow von ALICE COOPER und seiner überdimensional guten Live-Kapelle 90 Minuten lang im neuen Nürnberger Stadionpark allgegenwärtig ist. Am Ende wackle ich, beseelt von den phänomenalen Melodien, zu meinem Auto und freue mich bereits beim Nach-Hause-Fahren auf mein nächstes ALICE COOPER-Konzert. Vielleicht wird das ja schon was im Oktober mit DORO als Special Guest? Mal schauen...
Text: Timo Reiser
Photo Credit: Andre Schnittker
- Redakteur:
- Andre Schnittker