AMORPHIS - London
21.10.2009 | 21:4910.10.2009, Underworld
AMORPHIS entern die Insel. London Moshing - ab in die Unterwelt!
There's no place like London! Das alternative Herz wird sich besonders in Camden Town wohlfühlen. Von ausgefallenen Chucks bis zu quietschbunten Haarfarben – hier findet jeder etwas, der nicht der Schickimicki-Welt angehören möchte und nach Gleichgesinnten dürstet. Auch wenn es nur ein Stück Pizza ist, welches sich zum Beispiel AMORAL Sänger Ari Koivunen zwischen all dem ausgeflippten Fußvolk gönnt. Denn als ob ein Tag in London nicht schon amazing genug wäre, bot sich uns am 10.10.2009 eine ganz besondere Attraktion in Camden Town an: AMORPHIS! Direkt gegenüber der Underground Station ließen die Herrschaften sich am besagten Tag im Underworld nieder. Für die Londoner Metalfraktion ein absolutes Muss – Sold out – die logische Konsequenz daraus.
19.30 Uhr nach britischer Zeit: Wo sind denn alle hin, ich denke, es ist ausverkauft? Aha, das englische Publikum, welches hier alles andere als ein typisches Klischeebild abgibt, hält sich größtenteils noch an der Bar auf. Da dieser Teil mehr als die Hälfte der ganzen Location einnimmt, folgt daraus, dass sich vor der Bühne nur wenige Metalheads versammeln, als AMORAL versuchen in ihre Vollen zu starten. Doch wie auch in Berlin gelingt es den Finnen wieder nicht, die hier Anwesenden zu begeistern. Zu diesem Zeitpunkt schiebe ich die geringe Teilnahmebereitschaft noch auf das "verkühlte" englische Volk, verwerfe diese Hypothese später aber wieder. Erklären kann ich mir die geringe Anteilnahme dennoch nicht. Die feschen Finnen legen wie schon am vergangenen Mittwoch eine respektable Show hin und geben Songs wie 'Year Of The Suckerpunch', 'Release' und 'Sex N’ Satan' zu ihrem Besten. Melodischer, wuchtiger Death Metal, zornige Growls und faszinierende Lead-Arbeit. Jedoch wirken die Jungs heute noch genervter als bereits am Tourauftakt in Berlin. Fronter Ari wirkt abgekühlter und gelangweilter, auch Bangen ist heute nur selten drin. Wie auch immer, den Engländer interessiert es eher weniger. In meinen Augen schade drum.
Wie groß das Desinteresse an AMORAL war, wird mir jedoch erst bei BEFORE THE DAWN klar: Ein großes Stück des Publikums war bei dem ersten Support noch nicht einmal anwesend! Ganz anders sieht es jetzt bei der zweiten Band aus. Das Underworld ist plötzlich prall gefüllt und der Stock wird prompt aus dem englischen Hintern gezogen. So aggressiv wie Londoner Busfahrer und zugleich einfühlsam wie die örtlichen Schuhverkäufer wird das im Kellergeschoss liegende Underworld noch eine Etage tiefer in den Erdboden gerammt. Melancholic Scandinavian Metal mit kraftvoll packenden Growls und weichen Vocals wird in den frühen Abend gepfeffert. Die Londoner sind völlig aus dem Häuschen. Bandkopf Tuomas Saukkonen, heute gänzlich bekleidet, legt ein spitzbübisches Grinsen auf, Basser Lars Eilkind gibt sich wie der perfekte Schwiegersohn und Gitarrist Juho Räihä schüttelt permanent seine lange Mähne – die Jungs erfreuen sich mit uns gemeinsam bester Laune, welche sofort den Ton angibt und ab jetzt zum Thema des Abends wird. Mit beispielsweise 'Monsters' , 'Dying Sun' oder 'The Black' lassen sie den Putz von den Wänden und alle anfänglichen Spekulationen über das englische Volk bröckeln. Saubere Arbeit!
Setlist Before The Dwan:
01. Unbreakable
02. Faithless
03. Dying Sun
04. Disappear
05. Monsters
06. Scar
07. Morning Sun
08. The Black
09. Deadsong
So jetzt bin ich aber mal gespannt wie ein Flitzebogen: Wie wird das englische Publikum wohl auf AMORPHIS reagieren? Die Antwort: Genau so, wie die Finnen es verdient haben! Die Combo wird unter großem Beifall und Gebrüll gefeiert und umjubelt; so wird mit der aktuellen Single vom gigantischen "Skyforger"-Album ein perfekter Auftakt hingelegt. Alle Fesseln werden abgelegt, das Publikum gibt Vollgas. Verschränkte Ellenbogen – gibt es nicht. Ein nicht wippender Fuß – Fehlanzeige. So muss sich das Aufeinandertreffen von Erdplatten ankündigen. Ein nicht durch die Luft wirbelndes Haar – come on!!! Der Bereich vor der Bühne lässt keine Kopfformen mehr erkennen, sondern verwandelt sich in ein einziges, haariges Filzmeer. Apropos Filz: Fronter und Gesangsgott Tomi Joutsen hat sich mit dem Virus infiziert, das auch bei mir für unaufhörliches Grinsen sorgt. Halten wir fest, jeder ist glücklich, heute hier zu sein! Gewohnt, geliebt, verehrt lässt Tomi, der sich heute für kein Shirt entscheiden konnte, seine Dreads zu einer Waffe werden, rotiert diese zwischen den Vocals immer wieder durch die Lüfte und wird zu einem herrlichen Blickfang. Währenddessen verwandelt sich das Underworld immer mehr zu einem Schwitzkasten. Die Luft scheint nur noch aus Schweiß, Haaren und Hormonen zu bestehen - ach ja und zwei weiteren Deutschen, welche direkt neben mir stehen. Ja, ja, nicht nur der Big Ben ist eine Besichtigung wert. AMORPHIS bedienen sich auch heute wieder einer gnadenlosen Auswahl der besten Tracks ihrer meisterhaften Alben. Sicher, die Auswahl ist schwer, doch was hinten rauskommt, muss eigentlich gelingen. So verzaubern uns die Finnen rund um Mastermind Essa Holopainen mit lieblichen Melodien, knackigen Riffs neben wuchtigen Chords und packenden Growls von älteren Stücken wie dem monströsen 'Castaway' (die Nackenmuskeln kommen dabei so was von auf Touren!), dem bebenden 'Against Widows' (gibt es jemanden, der hier überhaupt einmal auf die Bühne geschaut hat?), wie auch brandneuen Titeln wie 'From The Heaven Of My Heart' (engelsgleich!) oder dem überschwinglichen 'The Sky Is Mine'. "This is fucking unbelievable!!!" – Yes Tomi, I totally agree.
Die Haare meiner Nachbarn bleiben in meinen Lippenpiercings hängen - so muss wohl der Metal-Himmel aussehen. Doch was ist das denn? Ein Fan erklimmt die Bühne und springt von dieser in die Massen, weitere tun es ihm gleich - was für ein Anblick. Tomi bedankt sich liebreizend für den Zuspruch der neuen LP bevor er mit 'Black Winter Day' zum letzten Song des Hauptteils ansetzt. Was das bedeutet, muss ich niemandem erklären. Eine regelrechte Hölle bricht aus, die Euphorie und Ekstase kann man förmlich riechen, die Muskeln reißen hören – göttlich. Was jetzt folgt, habe ich so wohl auch noch nicht erlebt: Die Londoner brechen plötzlich in ein lautstarkes Trampelkonzert aus. So hat jedes Volk seine ganz eigenen Methoden, um seine ungestillte Lust und glühendes Verlangen auszudrücken. Mit dem reißenden 'Sign', dem genialen 'House Of Sleep' (ungelogen, die ganze Location schreit aus vollem Halse) und dem liebreizenden 'My Kantele' (Stagediving satt) erfolgt der erste und einzige Zugabenblock, bevor man diesen Gig in sein mentales Album der perfekten Konzerte hinzufügen kann. Wie merkwürdig es auch klingt, doch zum ersten Mal bin ich an dieser Stelle fast schon froh, Abschied von AMORPHIS zu nehmen. Von Zeh bis Haarspitze von körperlicher Pein zerfressen, bin ich jetzt nur noch erleichtert, wieder Frischluft schnappen zu dürfen. So stürzen wir uns nun um 21.50 Uhr (!!!) in ein aufregendes und atemberaubendes Londoner Nachtleben. 100 Punkte an das Londoner Publikum und wie immer 100 Punkte an AMORPHIS!!!
Großen Dank an Tine Kersten für die Bilder und diesen unvergesslichen Abend!
Setlist AMORPHIS:
01. Silver Bride
02. Sampo
03. Towards And Against
04. Castaway
05. Smithereens
06. The Smoke
07. Majestic Beast
08. Alone
09. Silent Waters
10. Against Widows / On Rich And Poor
11. From The Heaven Of My Heart
12. Sky Is Mine
13. Black Winter Day
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14. Sign
15. House Of Sleep
16. My Kantele
(Gastautorin Nadine Ahlig)
- Redakteur:
- Enrico Ahlig