ANATHEMA - Köln
30.11.2014 | 16:4311.11.2014, Bürgerhaus Stollwerck
Warmes, Ergreifendes und Bedächtiges am Tag der Narren.
"Welcher Veranstalter ist auf diese großartige Idee gekommen, eine Band wie ANATHEMA am 11.11. nach Köln einzuladen? Als nächstes dann bitte Rosenmontag oder gleich Heiligabend!" spottete ich schon so vor mich hin und malte mir dabei aus, wie das Konzert einer meiner beiden Lieblingsbands im Klamauk unterzugehen scheint. "Distant Satellites" hat mich (wie fast die gesamte Redaktion) mal wieder vollends mitgerissen, so dass die Vorfreude auf den Auftritt dieser fantastische Gruppe einzig durch diese etwas unglückliche Terminierung gedämpft wurde. Als ich am besagten Abend um Punkt 0:00 Uhr das Bürgerhaus Stollwerck verlasse, kommen mir meine Sorgen absurd, gar lächerlich vor. Doch eins nach dem anderen.
MOTHER'S CAKE heißt die Vorband, die ich mir nicht ansehe. Teils aus Zeitgründen, teils aus Desinteresse. Heute Abend ist ANATHEMA. Da kommt zumindest mir alles andere nicht weiter wichtig vor. Das Bürgerhaus Stollwerck ist ausverkauft und ich erblicke wider Erwarten nur einen Verkleideten (einen grün-grünen Iren – schick umgesetzt!), der offensichtlich schon gut gefeiert hat, sich dieses Erlebnis jedoch ebenfalls nicht nehmen lassen möchte. Stattdessen hat sich scheinbar die Death-Metal-Gemeinde Kölns versammelt: Ohne es darauf anzulegen, habe ich zwei NAPALM DEATH-, zwei BOLT THROWER-, ein MISERY INDEX- und ein DYING FETUS-Shirt wahrgenommen. Auch Todesmetaller brauchen Streicheleinheiten – oder Möglichkeiten, mit ihrer Freundin gemeinsam ein Konzert zu besuchen. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen und für beide Beweggründe sollten sie heute auf ihre Kosten kommen. Wie alle anderen Besucher im Übrigen auch.
Die meisten dürften sich bereits nach vier Songs (jeweils das 'The Lost Song'- und 'Untouchable'-Doppel) gedacht haben, dass die Entscheidung, heute anstelle von Karneval lieber mit ANATHEMA zu feiern, die absolut richtige war. Dann nämlich haben Vincent Cavanaghs und Lee Douglas' leise schleichend-ergreifende Gesänge, dann hat die kuschelig-warme Decke des ANATHEMA-Klanges und haben immer wieder kleine Farbtupfer, die einen aufhorchen lassen, bereits ihre einnehmende Wirkung entfaltet. Aus der Außensicht könnte sich Faszination einstellen, aber in diese Perspektive gelangt man einfach nicht; zu sehr ist man drin, gefangen in der Musik, im Hier und Jetzt. Also alles wie immer. Wie immer ganz wunderbar. Manchmal ist ein einzelner, leiser Ton nämlich lauter als zehn krachende. Wer 'Ariel' live erlebt, wird verstehen.
Die Songauswahl beschränkt sich heute fast ausschließlich auf die letzten drei Veröffentlichungen. Man spürt, dass sich ANATHEMA als eine aktuelle, relevante Band versteht. Das Fehlen vieler großer Nummern älterer Tage stört jedoch nur kurz und auch nicht stark – vielleicht ist dies das beste Zeugnis, was man einer Gruppe ausstellen kann. Die Verbindung zum Publikum ist wie immer direkt und freundlich. Große Worte gibt es dabei keine, aber dies passt zum latenten Understatement, welches ANATHEMA so unglaublich gut steht. Die Musik sagt ohnehin mehr, als reine Sätze es jemals könnten.
Da wären die sonnengefluteten Lieder von "We're Here Because We're Here" ('Thin Air', 'Universal'), die manchmal etwas entrückten Stücke von "Weather Systems" ('The Storm Before The Calm', 'The Beginning And The End'), das neue, sich vom ganz Leisen ins Extreme steigernde Material ('Anathema') und alles zwischen, um und mit diesen Eckpfeilern. Alles unverkennbar aus einer Hand und doch so abwechslungsreich.
Was am heutigen Abend etwas befremdlich erscheint, ist die Rollenverteilung innerhalb der Band: Daniel Cardoso, bisher eigentlich nur Keyboarder, sitzt den Großteil des Abends am Schlagzeug; seinen Arbeitsplatz dort hat John Douglas gegen ein Percussion-Set eingetauscht (für eine Handvoll Nummern geht er aber wieder hinter die Trommeln); und weil es ja nun an Keyboard-Sounds mangeln würde, gibt Daniel Cavanagh – als müsse er irgendwem etwas beweisen – den Tastenmenschen in Personalunion mit Lead-Gitarristen und zweitem Sänger. Uhm. Was die Band zu diesem Schritt bewegt hat, erschließt sich mir als inzwischen langjährigen Fan ANATHEMAs nicht so richtig. Ganz ohne Grund wird diese Rotation vermutlich nicht stattfinden. Einen wirklichen Gewinn im Live-Klang der Band kann ich jetzt nicht ausmachen, schaden tut es aber genau so wenig.
Zum Ende hin gibt sich die Band der neu gefundenen Liebe für elektronsiche Spielereien hin und präsentiert sowohl 'Distant Satellites' als auch 'Take Shelter', welche sich jedoch vollkommen natürlich in das Set der Briten einfügen und aus meiner Sicht von allen Songs der neuen Platte live noch einmal am deutlichsten an Wirkung zulegen. Das vorletzte Lied trägt anschließend den Titel 'A Natural Disaster', bei welchem Lee Douglas mit ihrer zerreißenden Gesangsdarbietung einen atemberaubenden Höhepunkt setzt. Darauf ist man inzwischen zwar vorbereitet, doch trotz aller Erwartungen trifft diese Nummer natürlich voll ins Ziel. Auf Brusthöhe. Schlusspunkt ist, bleibt und wird für immer 'Fragile Dreams' sein. Mit Recht.
ANATHEMA hat selbst am Tag der Narren mal wieder eine Lehrstunde darin gegeben, wie intensiv, mitreißend und schlichtweg fantastisch solch eingängige, wunderschöne Klänge sein können. Das sieht der Herr im NAPALM DEATH-Shirt vor mir genau so wie ich und überhaupt der Rest des Bürgerhaus Stollwercks. Nebenbei hat man mal wieder erleben dürfen, wie relativ Zeit doch ist - und wie egal. Es zählt das Konzert, der Moment, der einzelne Ton. Ein Abend mit ANATHEMA und man weiß wieder um die Schönheit der Welt, sollte man sie jemals kurzzeitig vergessen haben.
Setlist: The Lost Song (Part 1); The Lost Song (Part 2); Untouchable (Part 1); Untouchable (Part 2); Thin Air; Ariel; The Lost Song (Part 3); Anathema; The Storm Before The Calm; The Beginning And The End; Universal; Closer; Zugabe: Distant Satellites; Take Shelter; A Natural Disaster; Fragile Dreams.
MOTHER'S CAKE heißt die Vorband, die ich mir nicht ansehe. Teils aus Zeitgründen, teils aus Desinteresse. Heute Abend ist ANATHEMA. Da kommt zumindest mir alles andere nicht weiter wichtig vor. Das Bürgerhaus Stollwerck ist ausverkauft und ich erblicke wider Erwarten nur einen Verkleideten (einen grün-grünen Iren – schick umgesetzt!), der offensichtlich schon gut gefeiert hat, sich dieses Erlebnis jedoch ebenfalls nicht nehmen lassen möchte. Stattdessen hat sich scheinbar die Death-Metal-Gemeinde Kölns versammelt: Ohne es darauf anzulegen, habe ich zwei NAPALM DEATH-, zwei BOLT THROWER-, ein MISERY INDEX- und ein DYING FETUS-Shirt wahrgenommen. Auch Todesmetaller brauchen Streicheleinheiten – oder Möglichkeiten, mit ihrer Freundin gemeinsam ein Konzert zu besuchen. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen und für beide Beweggründe sollten sie heute auf ihre Kosten kommen. Wie alle anderen Besucher im Übrigen auch.
Die meisten dürften sich bereits nach vier Songs (jeweils das 'The Lost Song'- und 'Untouchable'-Doppel) gedacht haben, dass die Entscheidung, heute anstelle von Karneval lieber mit ANATHEMA zu feiern, die absolut richtige war. Dann nämlich haben Vincent Cavanaghs und Lee Douglas' leise schleichend-ergreifende Gesänge, dann hat die kuschelig-warme Decke des ANATHEMA-Klanges und haben immer wieder kleine Farbtupfer, die einen aufhorchen lassen, bereits ihre einnehmende Wirkung entfaltet. Aus der Außensicht könnte sich Faszination einstellen, aber in diese Perspektive gelangt man einfach nicht; zu sehr ist man drin, gefangen in der Musik, im Hier und Jetzt. Also alles wie immer. Wie immer ganz wunderbar. Manchmal ist ein einzelner, leiser Ton nämlich lauter als zehn krachende. Wer 'Ariel' live erlebt, wird verstehen.
Die Songauswahl beschränkt sich heute fast ausschließlich auf die letzten drei Veröffentlichungen. Man spürt, dass sich ANATHEMA als eine aktuelle, relevante Band versteht. Das Fehlen vieler großer Nummern älterer Tage stört jedoch nur kurz und auch nicht stark – vielleicht ist dies das beste Zeugnis, was man einer Gruppe ausstellen kann. Die Verbindung zum Publikum ist wie immer direkt und freundlich. Große Worte gibt es dabei keine, aber dies passt zum latenten Understatement, welches ANATHEMA so unglaublich gut steht. Die Musik sagt ohnehin mehr, als reine Sätze es jemals könnten.
Da wären die sonnengefluteten Lieder von "We're Here Because We're Here" ('Thin Air', 'Universal'), die manchmal etwas entrückten Stücke von "Weather Systems" ('The Storm Before The Calm', 'The Beginning And The End'), das neue, sich vom ganz Leisen ins Extreme steigernde Material ('Anathema') und alles zwischen, um und mit diesen Eckpfeilern. Alles unverkennbar aus einer Hand und doch so abwechslungsreich.
Was am heutigen Abend etwas befremdlich erscheint, ist die Rollenverteilung innerhalb der Band: Daniel Cardoso, bisher eigentlich nur Keyboarder, sitzt den Großteil des Abends am Schlagzeug; seinen Arbeitsplatz dort hat John Douglas gegen ein Percussion-Set eingetauscht (für eine Handvoll Nummern geht er aber wieder hinter die Trommeln); und weil es ja nun an Keyboard-Sounds mangeln würde, gibt Daniel Cavanagh – als müsse er irgendwem etwas beweisen – den Tastenmenschen in Personalunion mit Lead-Gitarristen und zweitem Sänger. Uhm. Was die Band zu diesem Schritt bewegt hat, erschließt sich mir als inzwischen langjährigen Fan ANATHEMAs nicht so richtig. Ganz ohne Grund wird diese Rotation vermutlich nicht stattfinden. Einen wirklichen Gewinn im Live-Klang der Band kann ich jetzt nicht ausmachen, schaden tut es aber genau so wenig.
Zum Ende hin gibt sich die Band der neu gefundenen Liebe für elektronsiche Spielereien hin und präsentiert sowohl 'Distant Satellites' als auch 'Take Shelter', welche sich jedoch vollkommen natürlich in das Set der Briten einfügen und aus meiner Sicht von allen Songs der neuen Platte live noch einmal am deutlichsten an Wirkung zulegen. Das vorletzte Lied trägt anschließend den Titel 'A Natural Disaster', bei welchem Lee Douglas mit ihrer zerreißenden Gesangsdarbietung einen atemberaubenden Höhepunkt setzt. Darauf ist man inzwischen zwar vorbereitet, doch trotz aller Erwartungen trifft diese Nummer natürlich voll ins Ziel. Auf Brusthöhe. Schlusspunkt ist, bleibt und wird für immer 'Fragile Dreams' sein. Mit Recht.
ANATHEMA hat selbst am Tag der Narren mal wieder eine Lehrstunde darin gegeben, wie intensiv, mitreißend und schlichtweg fantastisch solch eingängige, wunderschöne Klänge sein können. Das sieht der Herr im NAPALM DEATH-Shirt vor mir genau so wie ich und überhaupt der Rest des Bürgerhaus Stollwercks. Nebenbei hat man mal wieder erleben dürfen, wie relativ Zeit doch ist - und wie egal. Es zählt das Konzert, der Moment, der einzelne Ton. Ein Abend mit ANATHEMA und man weiß wieder um die Schönheit der Welt, sollte man sie jemals kurzzeitig vergessen haben.
Setlist: The Lost Song (Part 1); The Lost Song (Part 2); Untouchable (Part 1); Untouchable (Part 2); Thin Air; Ariel; The Lost Song (Part 3); Anathema; The Storm Before The Calm; The Beginning And The End; Universal; Closer; Zugabe: Distant Satellites; Take Shelter; A Natural Disaster; Fragile Dreams.
- Redakteur:
- Oliver Paßgang
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