ANATHEMA - Distant Satellites
Auch im Soundcheck: Soundcheck 05/2014
Mehr über Anathema
- Genre:
- Artrock
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- K Scope (Edel)
- Release:
- 06.06.2014
- The Lost Song Part 1
- The Lost Song Part 2
- Dusk (Dark Is Descending)
- Ariel
- The Lost Song Part 3
- Anathema
- You're Not Alone
- Firelight
- Distant Satellites
- Take Shelter
Schönheit.
Bei vielen Bands, die es bereits zu etwas gebracht haben, kommt oftmals irgendwann der Punkt, an dem man den Eindruck bekommt, sie wären mit sich im Reinen und absolut zufrieden: Einfach glücklich. Im Metal geht das häufig mit einer geringeren Härte einher, bei anderen wird das Songmaterial etwas geradliniger (oder beliebiger), wieder andere werden von der Stimmung her einfach positiver. Ob die Briten von ANATHEMA zu dieser Kategorie gehören, vermag ich nicht endgültig einzuschätzen. Festhalten kann man jedenfalls, dass die Metal-Tage lange vorbei und die traurig-nachdenklichen Zeiten ebenfalls schon etwas her sind. Denn seit "We're Here Because We're Here" strahlt die Band. Nicht trivial, nicht eindimensional, nicht ohne ihren eigenen Sound, aber sie strahlt; ganz leise, so für sich. Und das steht ihr verdammt gut zu Gesicht.
Auf dem aktuellen Output wird dies deutlicher denn je - man betrachte nur einmal das Artwork. Der Sound ANATHEMAs wirkt reduzierter, kompakter, reiner. Man könnte den Eindruck bekommen, dass die Essenz des Bandklanges herausgefiltert wurde, um diese dann auf "Distant Satllites" in Vollendung zum Ausdruck kommen zu lassen. Das hat zur Folge, dass die ein oder andere entrückte Passage, die bisher durchaus ANATHEMA-typisch war, hier nicht mehr zu finden ist. Stattdessen scheint der Band eine Menge daran zu liegen, den Kern der Emotionen so unverschleiert wie nur eben möglich offenzulegen.
Ein gefährliches Unterfangen, möchte ich meinen, da man so schnell in das Unverbindliche und Oberflächliche abrutschen kann. Doch wer das Eröffnungsdoppel 'The Lost Song Part 1' und 'The Lost Song Part 2' (ein dritter Teil folgt an fünfter Stelle) gehört hat, der wird sich entspannt zurückzulehnen, die Augen schließen und das genießen, was ANATHEMA am besten kann: Wunderschöne Musik. Die Worte sagen mir, dass Angst nur eine Illusion ist. Und ich glaube ihnen.
Dabei ist das Rezept hinter den meisten Nummern von "Distant Satellites" denkbar einfach: Man nehme einen "schönen" instrumentalen Unterbau, setze (abwechselnd oder gleichzeitig) seine beiden grandiosen Sänger (einmal männlich, einmal weiblich) darüber und bringe in jeden Song eine gewisse, meist sich steigernde Dynamik. Dass dies jedoch immer und immer wieder so großartig funktioniert und für ein breites Gefühl von Wärme sorgt, ohne jemals Langeweile aufkommen zu lassen, das ist die wahre Leistung ANATHEMAs, die diese Band einzigartig macht und die dafür sorgt, dass ich diese Briten nie mehr missen möchte. 'Ariel' ist ein tolles Beispiel für all diese Qualitäten.
Mein persönliches Highlight dieser durchgängig fantastischen Platte lautet jedoch ohne Zweifel 'Anathema'. Wenn eine Band, die es schon so lange gibt, die schon so viele großartige Songs veröffentlicht hat, einen Titel nach sich selbst benennt, dann ist das einfach eine Ansage. Es steckt jedoch noch viel mehr dahinter, als man meinen könnte. Der Beginn lässt einen an eine Fortsetzung der Über-Ballade 'One Last Goodbye' denken, womit man grundsätzlich auf einem guten Pfad ist, doch sobald Vincent Cavanagh seine Stimmbänder nach 90 Sekunden das erste Mal so richtig schwingen lässt, schaltet man seinen Kopf aus und lässt sich fallen. Tief, ganz tief. Wie emotional, wie authentisch und doch auch wie zerbrechlich einzelne Worte/Töne hier inszeniert werden, das spottet jeder Beschreibung. Man bekommt das Gefühl, dass es diesen großartigen Sänger jeden Moment zerreißt. Das instrumentale Drumherum ist ein einziges, großes Crescendo, das sich von ruhigem Piano-Beginn bis zu einem Orkan des Gesamtsounds ANATHEMAs entwickelt. In 'Anathema' scheint mir all das, wofür die meisten Menschen die Band so sehr lieben, in Perfektion auf den Punkt gebracht worden zu sein.
Das sich anschließende 'You're Not Alone' ist dann der einzige kleine "Störfaktor" auf einer ansonsten sehr homogenen Platte, klingt er doch stark nach einer heftigen Version von 'Closer'. In den fast drei Minuten des folgenden 'Firelight' passiert nahezu nichts, außer dass einen Keyboard-Flächen wieder in die ANATHEMA-typische Sphäre zurückholen. Im Titeltrack wird dann großteils elektronisch gearbeitet, was Vincent Cavanaghs Gesang jedoch nicht minder gut zur Geltung kommen lässt, bevor 'Take Shelter' mit der gleichen Stilistik ein "Happy End"-Finale zaubert. Bei den letzten Tönen möchte ich irgendjemanden oder irgendetwas umarmen - und wenn es nur die etwas stachelige Palme auf der Fensterbank ist. Das Wohlgefühl ist einfach zu groß, um es verkommen zu lassen.
ANATHEMA steht anno 2014 (auch textlich) mehr denn je für die Schönheit um ihrer selbst Willen; das bekommt keine andere Band besser hin. Die Höchstnote gibt es an dieser Stelle lediglich aus dem Grund nicht, weil die Diskographie bereits 10er parat hat, an die "Distant Satellites" nicht ganz heranreicht. Das ändert jedoch nichts daran, dass ich überglücklich bin und Leute, die etwas mit den letzten Platten anfangen konnten (oder einfach auf "konventionelle Schönheit" stehen), von den Cavanaghs & Co. garantiert nicht enttäuscht sein werden. ANATHEMA ist und bleibt der Inbegriff für tolle, ergreifende und sehr herzliche Musik. Danke dafür.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Oliver Paßgang