Amorphis - New York
03.10.2008 | 18:0729.09.2008, B. B. King Blues Club
Drei Tage zuvor war AMORPHIS-Sprachrohr Tomi Joutsen noch in bester Verfassung. Auf dem ProgPower-Festival in Atlanta präsentierten die Finnen eine gut durchdachte Best-of-Setliste, bei der Tomi nicht nur stimmlich zu überzeugen wusste, sondern die anwesenden weiblichen Fans außerdem mit dem Anblick seines wohl geformten nackten Oberkörpers in Verzückung versetzte. Vielleicht war's ein bisschen kühl so oben ohne, und die in den USA allgegenwärtige Aircondition hat ihn, wie schon viele anderen Sänger vorher auch, quasi eiskalt erwischt. Heute jedenfalls ist von gesanglichen Glanzleistungen keine Rede, und das Sprechen überlässt er lieber Bassist Niclas Etelävuori. Doch trotzdem steht Tomi eine gute Stunde lang auf der Bühne, trinkt zwischen den einzelnen Songs tapfer Wasser und Heißgetränke, und ja, auch das T-Shirt zieht er nach einer kurzen Aufwärmphase allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz aus.
Doch bis es so weit ist, gibt es den hierzulande üblichen musikalischen Stilmix in Form von zwei sehr unterschiedlichen Openern zu begutachten. VIRGIN BLACK machen um Punkt 19 Uhr mit ihrem Gothic-Doom den Anfang. Originell sind die Australier auf alle Fälle, sie kombinieren mal schleppende, mal schwarzmetallische Growls mit klassisch geprägtem Tenor-Gesang. Es gibt durchaus erkennbare Tempovariationen, ein wenig Bombast und eine dezent theatralische Bühnenperformance. Und trotzdem, der Funke will nicht überspringen, was auch an der fehlenden Kommunikation von Sänger/Keyboarder Rowan London mit dem Publikum liegen dürfte. Die Zuschauer bleiben distanziert, wenn auch nicht völlig desinteressiert auf Abstand und spenden nach dreißig irgendwie zähen Minuten bestenfalls höflichen Applaus.
Das sieht bei SAMAEL schon besser aus. Die Schweizer präsentieren sich gewohnt agil, allen voran natürlich der nie still stehende Bassist Mas, dicht gefolgt von Keyboarder/Schlagzeuger Xy, der wie ein Derwisch zwischen seinen beiden Spielzeugen hin und her springt. Es ist bestimmt fünf Jahre her, dass ich die Industrial-Black-Metaller zuletzt gesehen habe, doch geändert hat sich seitdem - bis auf die Haarfarbe von Sänger/Gitarrist Vorph - nicht viel. Blond, fast weiß leuchtet sein Zopf, und die indirekten, von unten nach oben strahlenden Scheinwerfer am Bühnenrand lassen mich kurz befürchten, dass es hier schon ein paar Falten zu verstecken gibt. Doch nein, die schattigen Lichteffekte tragen viel mehr zum surrealen optischen Gesamtbild bei, das durch Stroboskoplicht komplettiert wird und perfekt zum kalten, harten (wenn auch anfangs viel zu breiigen) Sound der Formation zu passen scheint.
Die Setlist reicht von neueren Titeln wie 'Solar Soul' oder 'Reign Of Light' bis hin zu dem mir doch sehr viel vertrauteren "old shit" in Form von 'Rain', 'Into The Pentagram' oder 'My Saviour', und spätestens, als Vorph die Gitarre von sich wirft und energiegeladen über die Bühne tanzt, ist klar, dass SAMAEL - Falten kaschierende Scheinwerfer hin oder her - noch längst nicht zum alten Eisen gehören.
Dagegen kann der um einige Jahre jüngere Tomi Joutsen heute nicht ganz anstinken. Obwohl anfangs noch mit einem wärmenden Leibchen bekleidet, hört man ihm beim Opener 'I Of Crimson Blood' sofort an, dass es um seine Stimmbänder nicht besonders rosig bestimmt ist. AMORPHIS-Tieftöner Niclas ist daher - wie eingangs erwähnt - für die Ansagen zuständig, um Tomi jede unnötige Anstrengung zu ersparen. Und auch die im Vergleich zum Atlanta-Gig sehr old-schoolige Setlist scheint auf Tomis gesundheitliche Lage zugeschnitten zu sein. Das göttliche 'House Of Sleep' schafft er nach einigen Aufwärmübungen zwar einigermaßen ausfallfrei, doch heiser funktioniert Growlen offenbar besser als Singen. Mit dem Ergebnis, dass sich Fans der alten Alben unter anderem über vier "Tales From The Thousand Lakes"-Vertreter freuen dürfen und der Moshpit kaum zur Ruhe kommt. Bei einem Stück - dem mir relativ unbekannten 'Drowned Maid' - erhält Tomi obendrein Verstärkung durch Mikko Kotamäki von SWALLOW THE SUN, dessen Ankündigung bei ca. 99 Prozent der Anwesenden allerdings ratlose Gesichter verursacht ("Mikko wer?"). Und der eigentlich auch keine allzu große Hilfe ist, viel zu spontan war dafür wohl seine Verpflichtung als Gastsänger.
Trotz der eher widrigen Umstände macht der leicht verkürzte Gig aber mächtig Laune, und das nicht nur wegen der ab 'Against Widows' wieder freien Sicht auf Tomis Oberkörper. Denn auch nonverbal weiß der Sympathikus mit strahlendem Lächeln für sich einzunehmen und bedankt sich eben händeschüttelnd bei den vorderen Reihen, während Niclas sichtlich Vergnügen daran hat, zwischen den Songs das Wort zu führen. Und so geht, denke ich, nach dem unvermeidlichen Rausschmeißer 'Black Winter Day' doch jeder mit dem Gefühl nach Hause, eine gewohnt gute Show gesehen zu haben.
I Of Crimson Blood
Leaves Scar
Against Widows
Into Hiding
House Of Sleep
Towards And Against
The Smoke
Sign From The North Side
My Kantele
Drowned Maid
The Castaway
Black Winter Day
- Redakteur:
- Elke Huber