BANG YOUR HEAD - Balingen
27.07.2017 | 22:4013.07.2017, Messegelände
Die zweiundzwanzigste Auflage des Rocktreffens im Süden!
Die Sonne strahlt, wir auch. Na ja, oder auch nicht, denn tatsächlich ist der Freitag Morgen verregnet. Na ja, es wird ein langer Tag werden und so nehmen wir uns anfangs eine kleine Auszeit, doch Walter hält es nicht lang und so ist er bereits früh am Start:
Nach ausgiebigen Regenschauern bis in die frühen Morgenstunden hat der Wettergott gegen Mittag endlich genug davon und zeigt sich bei BULLET von seiner "Sonnenseite". Dadurch finden sich auch bereits überraschend viele Zuseher vor der Bühne ein um mit den Schweden eine amtliche Metal-Party zu veranstalten. Die Kompetenz dafür hat BULLET in den letzten Jahren immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt, egal ob in kleinen Clubs oder auf riesigen Open-Ai-Bühnen. Kein Wunder also, dass bereits beim Opener 'Storm Of Blades' einiges los ist vor der Bühne. Das Quintett scheint zudem ausreichend Koffein zum Frühstück zu sich genommen zu haben, denn die Musiker machen die gesamte Spielzeit über einen mehr als nur motivierten Eindruck und geben Gas ohne Ende. In 'Rolling Home' versucht die Band dann das erste Mitsing-Spielchen an dem noch jungen Festival-Tag, das auch durchaus mitgemacht wird, jedoch ein wenig verhalten ausfällt. Beim bald darauf folgenden 'Turn It Up Loud' wird dieser "Erstversuch" jedoch hinsichtlich der Intensität der Publikumsreaktionen locker übertroffen. So sehr, dass der Asphalt vor der Bühne förmlich ins Wanken gerät... oder war da doch was anderes im Spiel? Ein wenig eigenwillig mutet danach die überlange Intro-Einspielung für 'Dusk Til Dawn' an, bei der die Musiker plötzlich allesamt kurz von der Bühne verschwinden. Doch als sich "König" Hell Hofer (der sich einmal mehr auch im Umgang mit Werkzeug auf der Bühne als überaus geschickt erweist und für entsprechenden Funkenregen sorgt!) und seine Mannen wieder auf den Brettern einfinden um - offenbar frisch "gestärkt" - 'Stay Wild' und 'Hammer Down' zu intonieren, fragt kein Mensch mehr nach Grund für das offenbar relativ kurzfristig einberaumte "Päuschen" zuvor. Warum BULLET bei diesem Festival immer funktioniert, liegt durch ihre Mucke zwar ohnehin auf der Hand, da kurz vor dem Ende der Show mit dem vom 2006er-Album "Heading For The Top" stammenden 'Bang Your Head' aber auch noch so etwas wie eine inoffizielle Festival-Hymne dargeboten wird, braucht Hell erst gar nicht lange danach fragen, ob die Fans denn bereits dafür wären. Und ob! Mit der daran angeschlossenen Band-Hymne 'Bite The Bullet' endet eine weitere, wunderbar unterhaltsame Metal-Party von und mit BULLET. Diese wird von den ersten "Zugabe"-Rufen des Tages begleitet und hinterlässt ausnahmslos zufriedene Zuschauer. Thumbs Up!
Ganz unabhängig davon, welche musikalischen Präferenzen man hat, ist das erfreulichste Ereignis des heurigen Bang Your Head-Festivals fraglos der Auftritt von GRIM REAPER, denn vor kaum mehr als einem halben Jahr kämpfte Frontmann Steve Grimmett noch um sein Leben, als er auf Tour in Südamerika von einer heimtückischen Infektion heimgesucht wurde und in der Folge sein rechtes Bein verlor. Eine beispiellose Sympathie- und Unterstützungswelle rollte durch die Szene, und heute ist Steve Grimmett nach einer Signing-Session beim KIT mit seiner Band nach Balingen gekommen, um den deutschen Fans nochmals zu danken, und vor allem, um sich zurück zu melden. So kurz nach seiner schweren Operation kommt er zwar im Rollstuhl auf die Bühne, steht jedoch sogleich auf und liefert mit Beinprothese und Krücken einen Auftritt ab, der dem Publikum allen Respekt der Welt abringt. Steve hält es offenbar für die beste Therapie, sich wieder ins Getümmel zu stürzen, denn er trägt seine Prothese, die durch seine kurze Hose gut sichtbar ist, stolz und mit Würde. Wo sich andere zurückziehen, da gibt Steve den Fans so viel zurück, und am Funkeln in seinen Augen sieht man genauso wie an seinem doch recht lässigen Spiel mit den Krücken, und seinem brennenden Engagement, wie viel Freude es ihm bereitet, jetzt hier sein und abrocken zu können. Steve singt zudem klasse und mit seiner aktuellen Band, der außer ihm zwar keine Originalmitglieder von GRIM REAPER mehr angehören, jedoch gerade mit seinen langjährigen Mitstreitern Paul White und Ian Nash sowie Basser Mart Trail eine mehr als adäquate Truppe. In Sachen Songauswahl kann eine Band wie GRIM REAPER nicht allzu viel falsch machen, denn mit Hits wie 'Rock You To Hell', 'Night Of The Vampire', 'Lust For Freedom', 'Fear No Evil' oder 'Rock Me Till I Die' bringt man fast jede traditionelle Metalsause zum Brodeln. Bemerkenswert ist indes, dass auch die locker eingestreuten Stücke des neuen Albums "Walking In The Shadows" das Energielevel gut halten und super angenommen werden, bis am Ende das Ganze mit dem tollen, Ronnie gewidmeten DIO-Cover 'Don't Talk To Strangers' und natürlich mit dem Oberklassiker 'See You In Hell' explodiert. Danke Steve, danke GRIM REAPER! Schön, dass ihr wieder am Start seid!
Setliste: Wings Of Angels, Rock You To Hell, Night Of The Vampire, Lust For Freedom, Walking In The Shadows, Fear No Evil, Temptation, Rock Me Till I Die, Don't Talk To Strangers (DIO-Cover), See You In Hell
Lee Aaron ist sicherlich für viele hier ein eher unbeschriebenes Blatt und in Europa hatte sie auch nie den ganz großen Erfolg, abgesehen natürlich von dem stilprägenden Album "Metal Queen", das sie lange stilistisch festlegte, aber letztes Jahr ist ihr achtes Album erschienen mit dem Titel "Fire And Gasoline", das wirklich mehr als ordentlich rockt. Dennoch ist die Frage, was man erwarten darf von der nicht mehr ganz jungen Rocklady. Doch tatsächlich betritt die Kanadierin mit ihrer Band lässig und selbstsicher die Bühne, vor der sich eine beachtliche Menge Neugieriger versammelt hat. Die Größe der Bühne, die der einen oder anderen Band vielleicht Respekt einflößt, scheint gerade angemessen, denn die Präsenz der ganzen Band und das Charisma der Frontdame nehmen sofort alle und alles in Beschlag. Und rocken wollen sie auch! Denn Lee hat neben Alterative auch schon Jazz gesungen und hat natürlich auch genug Auswahl, aber heute klingt sie zeitlos hardrockend und nimmt alle Aufmerksamkeit in Beschlag. Wieso habe ich eigentlich nur ein Lee Aaron-Album? 'Powerline' ist ja ein echter Killer und der Titelsong ihres aktuellen Albums kommt live noch um einiges besser als auf Scheibe. Mittlerweile spielt Lee auch wieder 'Metal Queen', was natürlich beim Publikum gut ankommt und alle zum Mitsingen bringt. Dazu spielt die Saitenfraktion sich gehörig den Hintern ab! Eindeutig ist dieser Fünfer eine der großen Überraschungen des Tages. Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte, aber ich bekomme eine starke Performance, tolle Lieder und eine Sängerin in guter Form und bester Rocklaune. Lee Aaron ist heute ganz sicher eine Bereicherung für das Bang Your Head, die ich gerne öfter in Deutschland sehen würde.
Eine metallische Konstante war RIOT V, damals noch ohne das "V",bereits seit Ende der Siebziger und hat durchgehend gute bis sehr gute Alben produziert, von denen das letzte, aufgenommen nach dem Tod von Bandleader Mark Reale vor fünf Jahren, auch bereits wieder drei Jahre zurückliegt. So darf man heute sicher auch nichts anderes erwarten als eine schwermetallische Vollbedienung, und tatsächlich stürmt die Band die Bühne wie die von ihnen auf "Privilege of Power" besungenen Tore der Hölle. Wobei es natürlich wieder ein Unding ist, dass von diesem großartigen Album kein Song gespielt wird. In der Tat konzentriert sich RIOT hauptsächlich auf die klassischen Phase, die Michael Todd Hall, der seit 2012 am Mikro steht, aber gut zu interpretieren weiß, egal ob es 'Road Racin'', 'Don't Hold Back' oder 'Swords And Tequila' ist. Überhaupt dominiert das Durchbruchsalbum "Fire Down Under" die Setliste. Natürlich darf auch das mittlerweile obligatorische 'Thunder Steel' nicht fehlen. Dazu posen die beiden Gitarristen, was das Zeug hält, und überhaupt klingt die Band eingespielt und locker und vermag so einige im Publikum mitzureißen, obwohl es doch noch recht früh am Tage ist. Wenn ich etwas zu mosern hätte, dann die Tatsache, dass von den meisten der insgesamt fünfzehn Alben der Band nichts gespielt wurde, stattdessen wieder die gleichen Klassiker, die man nun doch schon häufig gehört hat. Die Phase mit Mike DiMeo war nicht so schlecht, dass man sie ignorieren muss. Das ist der einzige Punkt, an den ich noch Verbesserugspotential sehe, ansonsten war das eine amtliche Vollbedienung
Ich werde sicher nie verstehen, warum MAGNUM es nie bis zum Headliner gebracht hat: Achtzehn Alben, davon mit "Rock Art" nur eines, das negativ auffällt, und sonst durchgehend großartige Alben, oder zumindest Werke, die nie weniger als drei Lieder enthalten, die als Band-Klassiker durchgehen. Trotzdem spielt die Band irgendwo in der Mitte des Billings mit nur sechzig Minuten Spielzeit. Unfair? Sicher, aber das Leben ist leider nicht immer gerecht. Das macht den Briten aber offensichtlich nicht viel aus, denn routiniert und gut aufgelegt verlassen sie sich nicht nur auf ihre Klassiker, sondern liefern mit dem grandiosen 'Sacred Blood Divine Lies', Titelstück des letzten Studioalbums, 'Crazy Old Mothers' vom gleichen Album, sowie 'Unwritten Sacrifice' vom 2014er "Escape From The Shadow Garden" drei Stücke neueren Datums, die beim Publikum sehr überzeugende Reaktionen auslösen. Dabei muss man Bob Catley lobend erwähnen, der auch in fortgeschrittenem Alter, schließlich wird er in diesem Jahr noch siebzig Jahre alt werden, ausgesprochen gut bei Stimme ist. Übrigens, Gitarrist Tony Clarkin hat diese Schwelle bereits genommen. Aber natürlich feiern die Fans die älteren Lieder mehr ab. 'Soldier Of The Line' als Opener war schon auf der letzten Tour so platziert und wirkt als Beginn einer langen Show besser als hier auf einem Festival, ist aber natürlich immer ein großer Song. Dass ein besonderer Schwerpunkt auf dem Diskographie-Highlight "On A Stroyteller's Night" liegt und nicht weniger als vier Lieder davon gespielt werden, ist keine Überraschung. Das Titelstück, 'How Far Jerusalem', 'Les Morts Dansant' und 'All England's Eyes' erweisen dem Album angemessen Ehre, wobei ich letzteres Lied weniger erwartet habe, wenn schon dann eher 'Just Like An Arrow', aber die Band versteht es, immer mal wieder abzuwechseln. Dabei hat die Band ganz offensichtlich Spaß. Catley wedelt wieder seltsam mit der Hand in der Luft herum und singt stark, wenn auch nicht fehlerfrei, aber diese Scharte wetzen die Publikumschöre locker aus, und Clarkin hält sich wie immer im Hintergrund und ist so frei von Staranwandlungen, dass man kaum glauben mag, dass er eigentlich MAGNUM ist, da er alle Songs schreibt und schrieb. Dazu Grinsekatze Al Barrow am Bass und im Hintergrund Drummer Harry James, der auch bei THUNDER an den Kesseln rührt, und der neue Keyboarder Rick Benton, der den überraschend während der letzten Tour ausgestiegenen Mark Stanway, MAGNUM-Urgestein seit 1980, ersetzt. Das ist makellos und obwohl der geringen Spielzeit geschuldet natürlich zahlreiche weitere Klassiker fehlen, darunter auch das eigentlich gesetzte 'Kingdom of Madness', sodass mit 'Vigilante' Schluss ist, kann ich nur attestieren: MAGNUM hat geliefert. Und ich würde diese Band gerne als Headliner sehen.
Auch wenn sich im Vorfeld so manch‘ kritische Stimme zur Verpflichtung der eidgenössischen Rocker KROKUS geäußert hat, stellen die Herrschaften eindrucksvoll unter Beweis, dass sie in Sachen traditioneller Rock-Sounds immer noch mit zu den ganz großen der Zunft zu zählen sind. Auch, dass die sechs Herren im Verlauf der zur Verfügung stehenden 70 Minuten Spielzeit dermaßen häufig auf Fremdmaterial zurückzugegreifen, könnte man ihnen als "Nummer Sicher" (oder noch missmutiger...) ankreiden, am Umstand, dass KROKUS im Endeffekt für die am lautstärksten bejubelte und stimmungsmäßig größte Show sorgt, ändert das aber auch nichts. Zudem sei erwähnt, dass so manche Cover-Version, wie etwa 'American Woman' oder auch 'Keep On Rockin‘ In The Free World' dermaßen "krokusized" (Band-eigene Bezeichnung) dargeboten wird, dass man durchaus auf eigenes Material tippen kann. Da sämtliche Cover-Tunes obendrein perfekt in die ausschließlich Hits (vom eröffnenden 'Long Stick Goes Boom', in das ein kurz angespieltes, unwiderstehliches 'Pinball Wizard' eingeflochten wird, über 'Easy Rocker' bis hin zu 'Headhunter') umfassende Setlist eingebettet sind und das mehr als gut aufeinander eingespielte, von Mandy Meyer, der in 'Fire' als Solist seinen großen Auftritt hat, angeführte Triumvirat an den Sechssaitigen für knackigen Rock-Sound zu sorgen weiß, dürfte wohl auch die schärfsten Kritiker im Nachhinein dazu veranlassen ihre Meinungen zu revidieren. Die Band weiß die großartige Stimmung am Gelände zu nutzen, integriert zum Schlusspunkt 'Quinn The Eskimo' (inklusive einem freundschaftlichen Verweis an die Landsleute von GOTTHARD sowie einem Besuch von SLAUGHTER/VINCE NEIL-Basser Dana Strum) ein letztes Mal das Publikum ins Geschehen und darf (nein, MUSS!) im Nachhinein mit zu den absoluten Gewinnern des Festivals gezählt werden. Auch, weil Marc Storace eine verdammt guten Tag hat und nicht nur gesanglich sein Bestes gibt, sondern sich auch als Entertainer vor dem Herrn zeigt und selbst das offenbar zum einen Festival-Sport gewordene "Kutten auf die Bühne-Schleudern" mit einer geballten Dosis Humor mitmacht. Besten Dank, für etwas mehr als eine Stunde gepflegtes Rock-Entertainment, in dieser Form nehmen wir so etwas immer wieder gerne!
Die Formation zählt zu den absoluten Legenden im Rock-Business und zudem durchaus auch als sogenannte "Konsens-Band" der Bang Your Head-Besucher. Klar doch, auf diese "Rock-Rüpel" kann man sich jederzeit einigen, selbst wenn die musikalischen Vorlieben ansonsten weit auseinander liegen. Nicht zuletzt deshalb wird der einzige Festival-Auftritt von ROSE TATTOO in dieser Saison in Europa vom Publikum auch entsprechend sehnsüchtig erwartet. Das zeigt sich bereits beim Begrüßungsapplaus mit dem die Herren empfangen werden, als sie mit 'Out Of This Place' loslegen. Angeführt von einem wie immer redseligen Angry Anderson ackert sich die Formation (neben Angry zählen Drummer Peter Heckenberg, Bassist Dario Bortolin sowie die beiden Gitarristen Dai Pritchard und Joel McDonald zum Line-Up) engagiert und motiviert durch die zur Verfügung stehende Spielzeit von 70 Minuten. Soundtechnisch ist alles im Lot, vor allem die Gitarren braten in lässig-dreckiger Form und lassen immer wieder an den Esprit der unvergessenen, ehemaligen Band-Mitglieder Pete Wells und Mick Cocks denken. Dargeboten wird eine gut sortierte Auswahl der bekanntesten Nummern, wobei im ersten Teil der Show 'Assault & Battery' und 'Who’s Got The Cash' die lautstärksten Publikumschöre entfachen. Für Entertainment ist aber auch zwischen den Tracks gesorgt, denn Angry versteht es immer wieder mit wenigen Worten für Unterhaltung zu sorgen, verweist mehrfach auf die eigentliche Intention ein "Rock’n’Roller" zu sein und verzichtet auch auf seinen urtypischen Zynismus nicht. So vergeht die Spielzeit wie im Flug und ehe man sich versieht und zu 'Rock’n’Roll Outlaw', 'The Butcher And Fast Eddy' oder 'Bad Boy For Love' mitsingt, mittanzt und in Erinnerungen (bzw. darüber philosophiert, wann man die Band denn nun zuletzt gesehen hat) schwelgt, droht der Auftritt auch schon wieder zu Ende zu gehen. Zuvor jedoch zeigt sich Angry aber noch von seiner besonders freundlichen Seite, bedankt sich höflich bei den deutschen Fans und stellt zudem klar, dass bereits 2018 mit den nächsten ROSE TATTOO-Gigs bei uns in Europa zu rechnen. Durch diese Vorfreude weiterhin euphorisiert, dreht das Publikum zu 'Scarred For Life' und 'We Can’t Be Beaten' noch ein wenig intensiver am Rad und liefert sich mit Angry im abschließenden 'Nice Boys' ein letztes, lautstarkes Gesangsduell. So - und nicht anders - MUSS eine Rock ’n’ Roll-Show sein!
Alles Schlechte muss ein Ende haben. Unter diesem Motto stand die Abschlusstour vom MÖTLEY CRÜE vor zwei Jahren, bei dem die Band und auch ihr Frontmann Vince Neil eine sehr ordentliche und unterhaltsame Show abgeliefert hatten (wir berichteten aus Stuttgart). Als dann Mr. Neil als Headliner des Bang Your Head 2017 bestätigt wurde, war ich guter Dinge. Ja, andere Musiker, okay, aber eigentlich trauere ich da höchstens Basser Nikki Sixx nach. Tommy Lee an den Drums machet Show, aber das ist nichts Unverzichtbares, und Gitarrist Mick ist physisch etwas beeinträchtigt, sodass am Ende eben Nikki und Vince die Show machten. Der Frontmann allein sollte doch dann für eine unterhaltsame MÖTLEY CRÜE-Party gut sein, oder?
Na, ja, eher oder. Doch zunächst war alles im Lot. Das Publikum wartete gespannt auf den Star, der sich natürlich standesgemäß fünfzehn Minuten verspätete, und dann aber loslegte wie die Feuerwehr! 'Dr. Feelgood' als Opener ist ein Hammer, und dann gleich zwei alte Smasher, die zwar nie Hits waren, aber zu den großen Stücken zählen. Um genau zu sein, ich finde ja eh die ersten beiden Alben am besten, also die vor den Hitsingles. Auch deswegen ist das Doppel aus 'Piece of Your Action' und 'Looks That Kill' klasse. Dazu springt Vince Neil behend über die Bühne und seine junge Kapelle spielt sich gehörig den Hintern ab. Klar, der kleine Vince schiebt schon ein gehöriges Wohlstandsbäuchlein vor sich her, dass in dem verwaschen-schwarzen T-Shirt ziemlich gut zur Geltung kommt, und das Gehampel des Schalgzeugers ist auch nur für ein paar Minuten witzig, aber bis dahin ist alles im grünen Bereich. Vor allem Neils Gesang ist sehr gut, es werden Stimmen laut, die ein Playback oder zumindest eine solche Unterstützung vermuten, aber ich meine, von perfekt war es dann doch noch einiges entfernt. Nein, ich glaube, das war echt.
Weiter geht es mit 'Home Sweet Home' und einem weiteren Brecher, 'Shout At The Devil'. Etwas störend sind die doch monoton ausgedehnten Songenden, die die doch kurzen Stücke wenig spannend verlängern, aber na ja, er ist Headliner, er hat ja Zeit. An dieser Stelle sieht Vince zwar von der ständigen Rumwetzerei etwas mitgenommen aus, aber es ist ja zu erwarten gewesen, dass er sich irgendwann mal ein wenig würde beruhigen müssen. Dazu geht er in einer Solosektion seiner übrigens wirklich guten Band mal von der Bühne. Okay, dass Vince Neil auch ein paar Coverversionen spielen würde, ist nicht abwegig, und auch wenn 'Whole Lotta Love' nicht sonderlich originell ist, bleibt es ein guter Song. Erst als Jeff Blando, den wir wie auch Bassist Dana Strumm auch schon mit SLAUGHTER gesehen haben, neben der Gitarre auch den Gesang übernimmt, runzeln sich einige meiner Stirnfalten. Ja, Blando ist gut, keine Frage, aber wir wollen Vince sehen und seine Songs hören, keine Coverband. Aber so geht es weiter, es folgt 'Heaven And Hell' und 'Stairway To Heaven'. Wie lang ist das jetzt schon? 15 Minuten, oder gar 20? Gut sind sie, auch wenn der 'Heaven And Hell'-Version jegliche Magie abhanden gekommen ist, aber das war nicht, was wir alle erwarteten. Und wenn der Trommel-Philip da oben noch einmal seine Tennissocken auf die Drums legt, werfe ich mit irgendwas!
Okay, Vince stürmt wieder auf die Bühne. Wahrscheinlich frisch aus dem Sauerstoffzelt, oder sollte er etwa, ich meine, früher sicher, und wer das Buch "The Dirt" gelesen hat, weiß wovon ich rede, aber... Na ja, jedenfalls legt er wieder mächtig los und bekommt dann zu 'Girls, Girls, Girls' weibliche Vokalunterstützung. Danach 'Wild Side', geht doch. Die Stimmung, die zwischenzeitlich ziemlich zum Erliegen gekommen war, nimmt wieder Fahrt auf und auch die Lärmorgien zum Ende eines jeden Songs und das Schlagzeuggehampel von Zoltan Chaney (ich glaube zumindest, dass er das ist) kann die erneut aufkommende Party nicht nachhaltig trüben. Der einzige, der das vermag, ist der Frontmann, und er tut es dadurch, dass er sich verabschiedet und die Band die Bühne verlässt. Das ist aber unerwartet früh! Das waren gerade einmal acht Songs von MÖTLEY CRÜE und drei Coverversionen. Na klar, die Meute ruft nach Vince, allerdings habe ich schon euphorischere Publikumsansammlungen gesehen und gehört. Aber klar, die Band kommt noch einmal und spielt den besten CRÜE-Song aller Zeiten: 'Live Wire'. Yeah! Und geht wieder. Diesmal endgültig. Das war es. Das war alles. Und das war nicht viel, denn trotz des verspäteten Beginns ist seine theoretische Spielzeit noch lange nicht abgelaufen.
Zum Abschluss kommt Veranstalter Horst Franz auf die Bühne und bittet das Publikum um Entschuldigung. Offensichtlich hatte er auch mehr erwartet. Das ist eine nette Geste, aber natürlich völlig unnötig. Kein Veranstalter kann etwas für die von ihm gebuchten Künstler, und in retrospekt war es auch nicht schlecht. Wenn er noch drei Stücke hinterhergeschmettert hätte, wäre alles gut gewesen. Ich habe fünf meiner Lieblings-MÖTLEY CRÜE-Songs in durchaus energetischen Versionen gehört, und dazu gab es ein bisschen Beilage. Da habe ich schon Schlimmeres erlebt. War alles in allem ganz okay, Horst, ich finde, es war den Versuch wert. Was ein US Amerikanischer Star, der in Las Vegas wohnt, darauf macht, liegt nicht in deiner Hand.
Setliste: Dr. Feelgood, Piece of Your Action, Looks That Kill, Home Sweet Home, Shout at the Devil, Whole Lotta Love, Heaven and Hell, Stairway to Heaven, Kickstart My Heart, Girls, Girls, Girls, Wild Side; Zugabe: Live Wire
Freitag, 14. Juli - Halle
Der Zar ist wieder da. Victor Smolski bringt noch mal seinen "Tsar", wie das erste Album seiner neuen Band ALMANAC heißt, auf die Bühne. Das wiederum bedeutet Platzprobleme an der Mikrofront, denn drei Frontleute bedeuten erhöhten Koordinationsbedarf, wie man im Verlauf des Gigs mehrfach beobachten darf. Jeannette Marchewka, David Readman und Andy B. Franck kommen sich zwar immer mal wieder ein wenig in die Quere auf der verhältnismäßig kleinen Bühne der Balinger Messehalle, übergehen dann aber immer mit geradezu ansteckender Fröhlichkeit, während Saitenhexer Smolski post, aber auch nicht allzu viel Platz hat, irgendwelche gesonderten Eskapaden zu veranstalten. Die Band berichtet, dass die das zweite Album im Kasten hat, wovon die Anwesenden auch zwei Lieder zu hören bekommen, nämlich 'Losing My Mind' und das zweite hieß, glaube ich, 'Sacred Path'. Ein erster Eindruck ist gut, aber wie gut vermag ich nach einer einzigen Livedarbietung natürlich noch nicht zu sagen. Aber instinktiv würde ich sagen, dass Smolski-Fans nicht enttäuscht werden sollten. Ansonsten hat ALMANAC genug Spielzeit, um einmal quer durch ihr Debüt zu hoppeln und sogar das RAGE-Stück 'Empty Hollow' zu spielen. Andy B. Franck macht mal wieder die Frontsau und feuert die Menge an, spricht mit und zu den Anwesenden und macht auch gerne Quatsch. Dass das Ganze eher spontan stattfindet, merkt man an mehreren Stellen, als Franck noch auf eine Reaktion wartet, die Band aber bereits wieder zu spielen beginnt. Readman und Marchewka harmonieren ausgezeichnet und übernehmen zahlreiche Parts als Duett, während Franck häufig allein singt. In jedem Fall stehen die drei Sänger naturgemäß im Mittelpunkt und machen alle drei eine gute Figur. Leider ist der Sound in der Halle nicht so gut wie draußen, sodass einige Feinheiten untergehen, aber Victors neue Truppe hat auf jeden Fall einen guten Auftritt hingelegt. Hat Spaß gemacht.
Als nächstes stehen die Hamburger PARAGON auf dem Programm. Dank unseres Soundchecks habe ich mich vor ein paar Jahren mit den Herren intensiver auseinander gesetzt und fand die letzten beiden Alben wirklich klasse. Das ist bodenständig zackig und mit einem Augenmerk auf Riffs einfach grundguter Metal. Und was die Jungs auf’s Parkett bringen, erfüllt auch genau diese Erwartungen. Metall und Leder, angemessen farbenfroh in schwarz, Anthrazit und teerfarben. Ich sag ja, wir tragen schwarz, bis jemand etwas Dunkleres erfindet. Dazu messerscharfe Riffs und ein nicht gerade glasklarer aber doch erträglicher Sound, und fertig ist das harte Vollwertgericht. Lecker. Das einzige, was mich abhält, mir die ganze Show anzusehen, ist ROSE TATTOO draußen auf der Hauptbühne. Ich denke, ich bekomme eher Gelegenheit, PARAGON nochmal zu sehen als die Australier. Daher: Sorry, Jungs, ich mag eure Musik gerne, aber in diesem Fall seid ihr zweiter Sieger.
Während auf der Open-Air-Bühne ROSE TATTOO gerade dabei ist eine furiose Show zu Ende zu bringen, rumort es in der "Messehalle" bereits ganz gewaltig. Zahlreiche Fans haben sich eingefunden um sich eine gepflegte Dosis Thrash Metal abzuholen und die besorgt das spanische Quartett ANGELUS APATRIDA auch offenbar von Beginn an sehr ordentlich. Unterhaltsam empfinde ich beim Eintreffen in der Halle, als die Jungs in ihre zweite Nummer einsteigen, zunächst einmal das SEPULTURA-Shirt von Gitarrist Frontmann Guillermo Izquierdo, der meiner Meinung nach dem jungen Max Cavalera ohnehin immer ähnlicher wird. Anzunehmen, dass hier jemand aus Überzeugung "Chaos A.D." zur Schau stellt. Dabei hat sich ANGELUS APATRIDA auf dem letzten Dreher "Hidden Evolution" musikalisch in Richtung einer technischen Gangart hin entwickelt. Die darauf zu vernehmenden MEGADETH-Anleihen kann das Quartett auch live gut rüberbringen. Vor allem die Gitarrenarbeit von Guillermo und seinem Kollegen David G. Álvarez ist im Verlauf der Spielzeit immer wieder ein Leckerbissen. Gut, dass auch der Sound nach der ersten Viertelstunde deutlich ausgewogener auf die Zuhörerschaft niederprasselt. Auch das Stageacting wirkt tadellos, es scheint als ob die erst seit knapp mehr als zehn Jahren bestehende Band bereits über mehr Live-Erfahrung verfügt als so manch‘ alteingesessene Truppe. Voraussetzung, um von der tobenden Meute auf den Brettern etwas mitzubekommen, ist jedoch eine gewisse Ruhe und Muße während der Show, und das ist in der Tat nicht einfach. Im Gegenteil, es ist über weite Strecken völlig unmöglich, die Rübe nicht permanent in Bewegung zu haben, die hier wird mit ansteckender Spielfreude losgebrettert! Und das nicht nur bei den Tracks neueren Datums, wie dem emotionsgeladenen, vielschichtigen Titeltrack des letzten Drehers, oder dem ebenso davon stammenden Knaller 'Serpents on Parade'. Selbstredend gibt es aber auch älteres, deutlich deftigeres und simpleres Zeug zu hören. An den Reaktionen ändert sich deshalb aber nichts, weshalb auch die von Guillermo als "Band-Oldies" betitelten Nummern der ersten beiden Scheiben "Evil Unleashed" und "Give 'Em War" gut aufgenommen werden und der Bereich vor der Bühne einem Tollhaus gleicht. Allen voran 'Give 'Em War', 'Vomitive' und das unmissverständlich betitelte 'Thrash Attack' verlangen den "Mosh-Pit"-Besuchern alles ab. Das sind zwar gegen Ende der Show bei weitem nicht mehr so viele (logo, wenn der eigentliche Headliner längst auf den Brettern steht...) wie zu Beginn der Sause, wer sich jedoch bis zum Ende hin in der Halle befindet, darf sich glücklich schätzen, eine amtliche Ladung Thrash Metal von der unglaublich präzise agierenden und Dampf erzeugenden Formation erhalten zu haben. Und was das mal nichts ist...
Weil schon MÖTLEY CRÜE nie mein Ding war und Vince Neil mit deren Songs heute Abend nicht so recht überzeugen kann, verkrümeln wir uns recht zügig in die Halle, wo wir erst noch die zweite Hälfte des Auftritts von ANGELUS APATRIDA aufschnappen, die es in der Tat in sich hat, doch das hat euch Walter ja schon erzählt. Heute Abend schlägt das Hallenprogramm eindeutig das Headliner-Programm, und so zieht es uns auch in der Umbaupause nicht mehr hinaus zu Vince & Co., denn es steht drinnen noch was Besseres an. Wir reden von Lars-Göran Petrov und ENTOMBED A.D., der Band mit der L-G weitergemacht hat, weil bei ENTOMBED zu viel Sand im Getriebe war. Die Schweden machen dem Publikum, das sich in der Halle doch recht zahlreich versammelt hat, ordentlich Dampf und sie beweisen trotz etwas breiiger Soundverhältnisse die Routine der fast 200 Gigs der vergangenen vier Jahre. Nach dem Einstieg mit dem coolen neuen Stück 'Midas In Reverse' gibt es mit dem Klassiker 'Stranger Aeons' gleich einmal den ersten Vorgeschmack auf das, was folgen wird, doch einen neueren Song namens 'Second To None' sowie das Titelstück des aktuellen A.D.-Albums hat die Krawalltruppe noch im Ärmel, bevor es mit der Klassikerparade losgeht, die im Wesentlichen kreuz und quer durch die ersten drei ENTOMBED-Alben hoppelt und uns allerlei essentielle Hits von "Left Hand Path", "Clandestine" und "Wolverine Blues" serviert, einschließlich der jeweiligen Titelstücke des ersteren und des letzteren am Ende. Apropos ENTOMBED: Hier muss ich nun doch noch einmal eine Lanze für L-G und seine A.D.-Truppe brechen, denn die Band hat sichtlich Spaß in den Backen, L-G kommt freundlich und bodenständig herüber und er und seine Jungs reißen einfach einen herrlichen Schwedendeathgig der ganz alten Schule herunter, so wie das halt sein soll, wenn man ENTOMBED hört. Ob das die reanimierte Konkurrenz unter dem alten Bandnamen noch einmal so hinbekommt, muss sie erst noch beweisen.
Die Photos von ANGELUS APATRIDA, PARAGON und ENTOMBED A.D. wurden uns von Jowita Kaminski zur Verfügung gestellt http://www.jowita-kaminska.com; alle weiteren Photos auf dieser Seite sind von Frank Hameister.
- Redakteur:
- Frank Jaeger