COVEN und IRON WALRUS - Kassel

28.11.2022 | 16:30

09.11.2022, Goldgrube

Eine kleine, feine okkulte Geschichtsstunde

Es gibt Bands, deren musikhistorische Bedeutung ist deutlich größer als es der Breite der Musikkonsumenten bewusst ist und es sich anhand von typischen kommerziellen Parametern ablesen lässt. Genau um eine solche Band handelt es sich bei COVEN und ihrer Sängerin Ester "Jinx" Dawson. Gegründet 1967 wurde direkt mit dem Debütalbum "Witchcraft: Destroys Minds & Reaps Souls" ohne Zweifel das begründet, was wir heutzutage unter Okkult Rock verstehen. Diese Inspirationsquelle beeinflusste nicht nur direkte Weggefährten wie BLACK SABBATH oder BLACK WIDOW, sondern auch deutlich später namenhafte Metal-Künstler, wie zum Beispiel KING DIAMOND. Im Rahmen der Okkult-Rock-Renaissance mit unzähligen Bands wie THE DEVILS BLOOD, CASTLE, BLOOD CEREMONY, GHOST usw. tauchte nun COVEN wieder auf der Bildfläche auf und machte 2018 auch erstmalig Deutschland unsicher. Da ich zu den damaligen Terminen verhindert war und sich auch die treusten Okkultisten an Corona-Regeln zu halten haben und somit die nächste Deutschlandreise unter dem Namen "The Magickal Chaos Tour" erst jetzt umgesetzt werden konnte, ist es nun im November 2022 Zeit für eine amtliche Reise in die Rock-Historie.

Ort der satanischen Messe ist die Goldgrube. Ein kleiner, hundsgemütlicher Underground-Club im Herzen Kassels, welcher für eine solche Veranstaltung geradezu prädestiniert ist. Ein Blick auf die kommenden Bookings zeugt auch davon, dass die Betreiber ein sicheres Händchen für die richtigen Bands für eine solche Location haben – wobei man auch spüren kann, dass dieser Tag schon etwas Besonderes ist. Also ein paar Bierchen mit meinem Kumpel Holsten verzehrt und endlich die okkulte T-Shirt-Sammlung um COVEN-Shirts erweitert.

Viel Zeit bleibt auch nicht, da der Support IRON WALRUS ziemlich pünktlich in die Vollen geht. Und die Jungs aus Osnabrück liefern all den Fans, die den Weg wegen typischem Okkult Rock nach Kassel genommen haben, direkt mal eine kleine Aufgabe. Klar ist das auch düster – aber hier regieren Sludge, Doom Metal und Noise in Reinkultur. Da ist der Weg zu JEFFERSON AIRPLANE und Co. dann doch schon weiter entfernt, als es einigen Anwesenden lieb gewesen wäre. Hier regiert ein brutal dumpfer Sound, der sich hauptsächlich in lärmendem Krach äußert und ohne Zweifel ein gewissen Level an grundsätzlicher Akzeptanz dieser Form von Musik einfordert. Ohne Vorkenntnis des Songmaterials und dem gewissen Maß an Konzentration ist es nicht einfach sich in die repetitiven Grooves fallen zu lassen. Spätestens bei 'Take Care' bin aber auch ich überzeugt und kann der Truppe um Frontgrunzer Aufi genug abgewinnen. Sicherlich keine musikalische Offenbarung, aber ein vollkommen solider Gig. Unsicher bin ich mir indes noch, ob die Maskierung mit Sturmhauben mit ergänzenden Walross-Zähnen ein Fremdschäm-Faktor oder doch eventuell eine großartige Aktion ist, um das Konzept mit geringen finanziellen Mitteln auf die Bühne zu bringen.


Setliste: Intro; X Dimensions; I Hate People; Balanced; Dead Spot; Intro – Tales Never Told; Take Care; Under My Skin; Exile // Pay Your Toll


Nach einer kurzen Umbaupause, welche hauptsächlich genutzt wird, um die Bühne mit allerlei kitschigem Gothic-Kram zu schmücken und leider mehr an eine Halloween-Deko-Zweitverwertung erinnert, ertönt dann auch bereits das sehr lange Intro. Als Einstieg wählt COVEN nämlich den letzten "Song" des Debüts 'Satanic Mass' - ein knapp 13-minütiges Ritual, welches 1969 für einige Kontroversen gesorgt hat. Somit wird der Einmarsch der Band (inkl. Sarg) eher zu einer dunklen Prozession als zu einem fulminanten Start. Der folgt aber, als sich der Sargdeckel öffnet und Jinx Dawson mit 'Out Of Look' das reguläre Set eröffnet.

Ab jetzt gibt es wunderbaren Pop-Rock der Spätsechziger auf die Ohren, welcher aufgrund des erneut sehr dumpfen und schwammigen Sounds deutlich härter klingt als es aus meiner Sicht nötig gewesen wäre. Die Band selbst hat mittlerweile nichts mehr mit den Gründungsmitgliedern gemein und besteht aus einer Garde jüngerer Männer, welche solide performen und sich songdienlich im Hintergrund halten. Das hat alles Hand und Fuß. Insbesondere da der Fokus sich hauptsächlich auf "The Mother Of All Evil" richten soll und die Songauswahl jetzt auch nicht zwingend Virtuosen an den jeweiligen Instrumenten benötigt.

Diese Konzentration nur auf die Stimme birgt aber auch die Gefahr, dass das fragile Konstrukt an einem schlechten Tag der Sängerin schnell zusammenbricht. Ob Frau Dawson heute einen schlechten Tag hat, kann ich nicht beurteilen, allerdings merke ich ihr ihre mittlerweile 72 Jahre stimmlich schon deutlich an. Ihr fehlt mittlerweile die Energie und Kraft gegen ihre Mitstreiter anzukommen, so dass insbesondere viele Gesangslinien und feine Harmonien untergehen.

Klar, Hits wie 'Black Swan' und 'White Witch Of Rose Hall' sind immer noch eine Bank, werden aber etwas unter Wert verkauft und bei den nicht ganz so großartigen Songs ist dieser Umstand dann noch bedauerlicher. Somit speist sich meine Begeisterung vor der Bühne eher aus der Möglichkeit eine Band endlich live zu sehen, welche viele meiner Lieblingsbands sehr stark beeinflusst hat und deren Scheiben einen hohen Stellenwert für mich haben. Zudem kann ich mich in einer solchen Situation auch in die 1960er zurückversetzen und vorstellen, wie damals eine solche Show mit dem ganzen okkulten Brimborium und showtechnischen Firlefanz (hier mal ein Schädel, da mal eine Maske) gewirkt hätte und schon wird ein Song wie 'Black Sabbath' (ein Jahr vor dem BLACK SABBATH-Debüt) oder 'For Unlawful Carnal Knowledge' (bekannt als 'FUCK') deutlich fantastischer als es objektiv betrachtet heute in Kassel der Fall ist.

Als Musikkritiker würde ich, mit dieser Erkenntnis, mittlerweile eine COVEN-Covershow von JESS AND THE ANCIENT ONES in allen Belangen vorziehen – aus nostalgischen und emotionalen Gründen möchte ich diese Möglichkeit aber nicht missen, endlich das Original einmal zu erleben. Somit bin ich nach den Klängen von 'Blood On The Snow' trotzdem zufrieden mit dem Erlebten und kann zufrieden die Heimreise antreten.


Setliste:
Intro: Satanic Mass; Out Of Luck; Black Sabbath; Coven In Charing Cross; White Witch Of Rose Hall; Wicked Women; The Crematory; Choke, Thirst, Die; Black Swan; Dignitaries Of Hell; For Unlawful Carnal Knowledge; Epitaph; Blood On The Snow

Redakteur:
Stefan Rosenthal
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