CYNIC - Köln

15.08.2024 | 22:46

14.08.2024, Club Volta

Das Erbe der Prog-Legende ist in sicheren Händen!

Ich bin ehrlich, lange war ich mir nicht sicher, ob ich mir die neue Version von CYNIC live anschauen oder mich intensiver mit dem neusten Album "Ascension Codes" beschäftigen sollte. Zu groß war die Angst, die Erinnerung an die legendäre Ur-Version der Band zu zerstören, die ich glücklicherweise bei ihrem letzten Konzert vor dem Tod von Sean Reinert und Sean Malone noch einmal erleben durfte. Ja, vor dem Euroblast Festival 2015 war Reinert zwar bereits wegen privater Differenzen ausgestiegen, dennoch war es ein Konzertabend, den wegen der Umstände und auch wegen der nachfolgenden Ereignisse immer eine besondere Aura in meiner Erinnerungen umgab. Als aber die Einladung eintrudelte, über den aktuellen Tourstop von CYNIC in Köln zu berichten, siegte schlussendlich doch die Neugier. Und so finde ich mich heute an einem lauen Sommerabend gemeinsam mit meiner Kollegin Barbara Sopart, die für euch das Konzert wieder einmal in tollen Bildern eingefangen hat, im übrigens sehr schönen Club Volta wieder, der heuer aber nur gut zur Hälfte gefüllt ist.

An der Klasse der Band oder den Bemühungen des Promoters liegt das aber sicher nicht, sondern ist eher der Tatsache geschuldet, dass sich die Metalgemeinde entweder im verdienten Sommerurlaub befindet oder die Woche als Verschnaufpause zwischen zwei Festivals nutzt. Gerade diese One-Off-Tourstops zwischen diversen Festivalkonzerten haben seit Jahren bereits einen schweren Stand und sind oft eine Möglichkeit, auch große Bands in intimerem Setting zu erleben. Beim Besuch am Merchandise-Stand offenbart sich dann die nächste Hiobsbotschaft für die Band, denn auf einem Flug in Europa ist gut die Hälfte der Artikel und das Backdrop der Band verloren gegangen, was auch das heute doch etwas karge Bühnenbild erklärt. Als ob das nicht genug wäre, gab es auch noch Probleme mit der lokalen Supportband und während der Tour war es zeitlich einfach nicht möglich, rechtzeitig einen Ersatz zu organisieren, sodass CYNIC heute ohne Anheizer auf die Bühne muss. Angesichts dieser Umstände würden mir zahlreiche Kollegen einfallen, die in diesem Fall schlichten Dienst nach Vorschrift abliefern und den Abend danach möglichst schnell abhaken und vergessen würden. Paul Masvidal und seine Mitstreiter, die seit der Umstrukturierung nach den eingangs erwähnten Toden, aus Schlagzeuger Matt Lynch, Gitarrist Mike Gilbert und Bassist Brandon Griffin bestehen (Gitarrist und Growler Max Phelps fehlt aktuell aufgrund anderer Verpflichtungen), haben da aber ganz andere Dinge im Sinn. Doch dazu später mehr.

Das Quartett betritt gegen 20:30 Uhr die Bühne und eröffnet das Konzert mit 'Nunc Stans' und dem großartigen 'Evolutionary Sleeper'. Stark. Wer bis hierher noch Zweifel hatte, ob das neue Lineup den technisch wahnsinnig anspruchsvollen Kompositionen gerecht werden kann, dürfte spätestens mit dem Song 'In A Multiverse Where Atoms Sing' eines Besseren belehrt worden sein, denn die Performance aller Bandmitglieder ist schlicht und ergreifend makellos. Gleiches wird die Fangmeinde von der Setliste nicht unbedingt behaupten können, fokussiert diese sich heute doch primär auf "Traced In Air", was sicher auch der Tatsache geschuldet ist, dass ein nomineller Sänger für Growls fehlt und damit eben auch einige Tracks des Katalogs wegfallen. Doch keine Sorge, auch Fans der Überalben "Kindly Bent To Free Us" und "Focus" kommen heute Abend definitiv auf ihre Kosten, was man schon daran erkennt, dass 'Infinite Shapes' früh den lautesten Applaus des Abends erntet. Generell ist das Publikum trotz überschaubarer Anzahl extrem laut und bestens aufgelegt, was auch Paul Masvidal dankend zur Kenntnis nimmt. Inspiriert davon laufen auch die Musiker mit dem "Ascension Codes"-Track '6th Dimensional Archetype', dessen Live-Version übrigens hervorragend funktioniert, und 'Humanoid' zu Hochform auf und gerade Mike und Paul liefern an der Gitarre Dinge ab, bei denen sich mir schon beim Zuschauen die Finger verknoten. Besonders gelobt werden muss aber auch die Rhythmusgruppe die Sean Malone und Sean Reinert gerade in den älteren Tracks alle Ehre macht und ein perfektes Fundament auf die Bretter zaubert, zu dem sich auch bald die ersten Zuhörer und Zuhörerinnen headbangend oder gar tanzend in Bewegung setzen. Auch wenn die neueren Songs live gut funktionieren, kocht die Simmung dennoch zum Ende der Show hin so richtig, wenn "Focus" mit gleich drei Tracks zum Zuge kommt. Gerade 'Textures' und der Klassiker 'How Could I' sorgen dabei für lautstarken Jubel und werden auch in neuer Besetzung in großartigen Versionen dargeboten, die auch endgültig meine eingangs geäußerten Zweifel verfliegen lassen. Oben drauf gibt es dann zum Ende des Sets mit 'Veil Of Maya' eine faustdicke Überraschung, denn seit März fand der "Focus"-Hammer seinen Weg nicht mehr ins Bühnenprogramm und wurde laut der Band auch erst eine Stunde vor Beginn des Konzerts in die Setliste aufgenommen, ohne dass er vorher nochmals geprobt worden wäre. Der Umsetzung hört man diese Spontanität überhaupt nicht an, weswegen der Track auch einen wunderbaren Schlusspunkt hinter ein rundum tolles Konzert setzt. Spontantität ist dabei übrigens auch in Sachen Growls gefragt, denn für die letzten beiden Tracks engagierte die Band kurzerhand einen Gastsänger und eine Gastsängerin aus der Gegend, die ihre Sache an den harschen Vocals dennoch wunderbar machen und sich den lauten Applaus des Publikums redlich verdient haben.

Schluss ist damit aber noch nicht, denn um das doch recht frühe Ende aufgrund der mangelenden Supportacts auszugleichen, veranstaltet die Band kurzerhand von der Bühne aus nach kurzer Unterbrechung eine Fragerunde. Dabei geht es um Anekdoten aus den Anfangstagen und generelle lyrische Konzepte, doch alle vier Musiker stehen auch bereitwillig Antwort, wenn die Fragen in Richtung technischer Details der Liveshow und Studioaufnahmen abzielen. Gerade für mich als Musiker ist das Ganze natürlich unheimlich spannend und informativ, weshalb es auch kein Wunder ist, dass sich der Saal zwischen Konzert und  Q&A-Session nur minimal geleert hat. Noch erstaunlicher ist, nach der durchaus umfangreichen Fragerunde, der Umstand, dass die Musiker allesamt auch danach noch für Fotos, Autogramme und persönliche Gespräche zur Verfügung stehen. Gerade Paul nimmt sich dabei viel Zeit für jeden Fan, was mich wieder einmal hinterfragen lässt, wieso andere Bands eine deutlich unpersönlichere und strikt getaktete Variante dieses besonderen Erlebnisses für teils horrende Preise als VIP-Experience an den Mann und die Frau bringen. Dass es auch anders geht, zeigt der heutige Abend eindrucksvoll.

Und so gehe ich schlussendlich eine Stunde nach Konzertende mit einem breiten Grinsen und in dem Wissen nach Hause, dass ich hier einen ganz besonderen Konzertabend erlebt habe, der mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Dafür möchte ich Paul, Mike, Matt und Brandon auch an dieser Stelle noch einmal danken, denn angesichts der Umstände hätte ich durchaus Verständnis für ein kompaktes Konzert mit Dienst nach Vorschrift gehabt. Dass CYNIC aus den Umstände aber eine so tolle Erfahrung für alle Anwesenden gemacht hat, zeugt von menschlicher Klasse und einer Nähe zum Fan, bei der sich viele Kollegen drei Scheiben abschneiden können. Dass ich ab sofort auch wieder regelmäßiger Gast auf CYNIC-Konzerten sein werde, versteht sich angesichts des Erlebten von selbst, denn das überdimensionale Erbe wird von dieser neuen Gruppe von Musikern mehr als würdig bewahrt!


Setliste CYNIC: Nunc Stans; Evolutionary Sleeper; In A Multiverse Where Atoms Sing; Infinite Shapes; Integral Birth; 6th Dimensional Archetype; Adam's Murmur; Humanoid; Textures; The Space For This; How Could I; Veil Of Maya

Fotos: Barbara Sopart

Redakteur:
Tobias Dahs

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