Children Of Bodom/Cannibal Corpse - Berlin
04.02.2009 | 11:3230.01.2009, Huxleys
CHILDREN OF BODOM und CANNIBAL CORPSE auf einer Tour? Das klingt wie ein Experiment. In Berlin zeigt sich, dass die Idee offenbar nicht wirklich funktioniert.
Selbst Peter Tätgren ist da. Der Frontmann von HYPOCRISY steht an jenem Freitag plötzlich in der Schar der Zuschauer, die zum ersten Gig der CHILDREN OF BODOM/CANNIBAL CORPSE-Tour ins Berliner Huxleys gekommen sind. Warum auch nicht, schließlich beginnt Peters eigene Band PAIN zwei Tage später selber ihre Konzertreise mit einem Gig im Berliner Knaack. Das Verwunderliche an seinem Erscheinen ist eher, dass er so leicht zu finden ist: Denn die Zahl der Zuschauer in dem Saal überschreitet anfangs kaum die Fünfhundertermarke - und auch später werden es nicht bahnbrechend mehr. Dabei passen locker 1200 Menschen in diese Halle.
[Henri Kramer]
Die Zuschauer an diesem Abend zu beobachten, macht besonders viel Spaß, denn die Mischung der drei Bands ist ja zumindest extravagant. Die Mehrheit des erwartungsvollen Publikums ist wahrscheinlich gerade einmal volljährig, und sie sieht dabei nicht gerade aus wie Zuschauer, die man bei einer Band wie CANNIBAL CORPSE erwartet. Viele kleine Mädchen und Jungs mit den typischen breit kajalgeschwärzten Augen, ebenso viele in schwarzen engen Röhrenjeans oder Gruftiklamotten. Zumindest finden sich aber auch einige Besucher in der Menge, die schon einige Jährchen mehr hinter sich haben und wohl von Anfang an CORPSE-Fans sein dürften.
Den Auftakt machen DIABLO aus Finnland. Das Intro erklingt vom Band wie auch viele andere zusätzlichen Klänge ihres Konzerts. Nervosität ist den vier Musikern nicht anzumerken. Dem Publikum gefällt die druckvolle Musik, spätestens ab dem zweiten Song sind sie dabei und feuern die Band nahezu euphorisch an. Typische finnische Flüche dürfen natürlich auch nicht fehlen. Und auch nicht 'Living Dead Superstar', das streckenweise wie eine Hommage an den Hauptact des Abends, CHILDREN OF BODOM, klingt, weil natürlich auch ein ausgedehntes Gitarrensolo nicht fehlen darf. Ein weiteres Lied, das im Ohr hängen bleibt, ist das scheinbar von SENTENCED inspirierte 'Read My Scars', das leicht schleppend durch Keyboardsounds vom Band untermalt daherkommt und einen sehr eingängigen Charakter hat. Alles in allem eine solide Show, nach der man der Band wünscht, dass sie als Support von zwei so bedeutenden Acts den Durchbruch schafft. Weiter geht es mit irgendwie aufregender, wenn auch seltsamer Pausenmusik.
[Gastautorin Yvonne Daseking]
In der Tat sind die Wechsel in der Pausenmusik - sogar so eine Art-Pop kommt da - äußerst interessant. Passt aber auch zum Programm des Abends. Denn nach den Open-Minded-Thrashern von DIABLO kommt das Voll-in-die-Fresse-Hackprogramm von CANNIBAL CORPSE. Keine Sekunde lang zögern die Florida-Veteranen: Mit 'The Time To Kill Is Now', 'Death Walking Terror', 'Disfigured' und dem Titeltrack des neuen Albums "Evisceration Plague" starten sie ihre ganz eigene Vorstellung eines Konzerts zum Feierabend. Wie eh und je gehen die Jungs um Frontmann George "Corpsegrinder" Fisher bei ihrer Metzelei unglaublich präzise vor. Jeder Takt des Schlagzeug-Infernos und jedes der gefühlt 666 Riffs pro Song sitzen. Und der massige Corpsegrinder besitzt zwar immer noch keinen Hals, aber dafür eine Stimme, die unvergleichlich derbe und angepisst brüllen kann. Viele Fans gehen ab, vor der Bühne bildet sich dann ein doch recht großer Haarschüttel-Pit. Also könnte eigentlich alles perfekt sein, wenn es nicht zu perfekt wirken würde. Denn musikalischen Technik-Overkill zelebrieren CANNIBAL CORPSE schon seit Jahren. So fällt in Berlin vor allem auf, dass die Ansagen auf "Are you ready?"-Niveau nicht besonders ausgefallen oder spontan klingen. So muss es eben allein die Musik zwischen Hits wie 'I Cum Blood' oder 'Fucked With A Knife' richten. Am Ende dürfen sich die Fans noch über den Evergreen 'Hammer Smashed Faced' und das Abschlussmassaker 'Stripped, Raped And Strangled' freuen - und dann überlegen, ob sich die dreißig Euro Eintritt wirklich für die fünfzig Minuten CANNIBAL CORSPE gelohnt haben. Denn gleich nach dem Gig gehen die ersten CORPSE-Fans auch schon wieder. Sie verpassen die eindeutig besseren Entertainer.
[Henri Kramer]
Nach jahrelanger Abstinenz als Headliner auf europäischen Hallenbühnen und einer zusätzlich scheinbar endlosen Umbaupause sind nun CHILDREN OF BODOM dran. Das Intro dröhnt aus den Boxen, das CORPSE-Banner, das gerade noch im Hintergrund hing, fällt herab und Drummer Jaska betritt als Erster die Bühne. Seine Kollegen folgen. Keyboarder Janne erklimmt schon leicht wackelig die kleine Treppe zu seinem Keyboard. Die Bühnendekoration ist wie auf ihrer "Chaos Ridden Years"-Live-DVD eher schlicht gehalten. Der erste Song ist 'Hellhounds On My Trail' vom im vergangenen Jahr erschienenen "Blooddrunk"-Album. Als nächstes an der Reihe ist 'Living Dead Beat' vom Vorgänger.
Das Publikum wirkt zu dieser Zeit noch etwas verhalten, weiß scheinbar nicht so recht, wie es agieren soll. Noch ist der Funke nicht übergesprungen. Das allerdings ändert sich schlagartig mit dem 2003er Stück 'Sixpounder' von "Hate Crew Deathroll". Das Tempo dieses Titels ist stellenweise etwas langsamer, und nachdem die Leute durch die ersten beiden Lieder erst mal ordentlich wachgerüttelt sind, wirken sie nun dankbar für etwas weniger Schnelligkeit zugunsten von mehr Intensität.
Es folgt neben Klassikern wie 'Silent Night, Bodom Night', 'Children Of Decadence' und 'Follow The Reaper' auch das neue 'Banned From Heaven'. Das eröffnet Frontmann Alexi mit einer Ansage "Let's slow down a little bit". Beim vorläufigen Höhepunkt des Konzerts verschwindet zunächst Bassist Henkka, der sein völlig verschwitztes Shirt zum Leid aller weiblichen Fans nur austauscht und nicht ganz weglässt - und da beginnt schon 'Hate Me!'. Einfach großartig. Mit diesem Song schaffen sie es auch immer wieder. Alexi vollzieht die als Steve-Vai-Move berühmt gewordene Gitarristenpose, indem er seinem Instrument Schwung verpasst und sie um seinen Körper schleudert, um dann einfach weiterzuzocken.
Schmerzlich wird nun bewusst, dass das Konzert nicht mehr lange dauern wird. CHILDREN OF BODOM stimmen noch 'Blooddrunk', 'In Your Face' und 'Angels Don't Kill' an, um dann das Konzert mit 'Lake Bodom' und 'Downfall' zu beenden. Aber das Publikum hat noch nicht genug und grölt und schreit solange, bis die Herren sich noch für zwei Zugaben zurück auf die Bühne bequemen. Und was macht Janne? Er ist jetzt schon wirklich gut betankt und erscheint mit Roopes Gitarre auf der Bühne, woraufhin Alexi mild lächelt und ihn auffordert, doch wieder an seine Keyboards zu gehen. Netter Scherz - oder zumindest Versuch. Doch sind während eines CHILDREN OF BODOM-Konzerts gewöhnlich mehr kleine Neckereien zwischen Key- oder "Gay"-boarder Janne und Alexi zu erleben. Und so kann auch das gloriose, aber vorhersehbare Ende mit 'Hate Crew Deathroll' nicht über den etwas bitteren Beigeschmack täuschen, dass vieles bei dem Gig so zu erwarten war: die mit relativ wenigen Mitteln sehr effektreiche Lichtshow, viele einstudierte Posen wie der tiefe Ausfallschritt von Henkka, hin und wieder das Tauschen der Bühnenpositionen sowie Alexis Besuche bei Janne, um die Soli gemeinsam zu zelebrieren.
Ein wirklich guter Auftritt - aber vielleicht wirken CHILDREN OF BODOM noch etwas lebendiger, wenn sie sich etwas mehr "in die Tour" hineingespielt haben.
[Gastautorin Yvonne Daseking]
Das ist denn wohl auch der Makel eines Tourauftakts. Die Leichtigkeit des Musikerseins lässt sich aber im Verlauf einer Reise finden. Indes ist die Zusammenstellung einer Tour nicht mehr zu korrigieren. Denn ob die Zuschauerzahlen der anderen Gigs nennenswert höher liegen, darf bezweifelt werden. Zwei so ungleiche Größen auf eine Tour zu schicken, ist ein Wagnis, das gut überlegt sein will, weil gerade Metalfans sich auch schnell verprellt fühlen, im extremen Metal noch mehr. Und da stehen CANNIBAL CORPSE eher noch für tödlichen Ernst statt eben für fluffig-flotte Melodien, permanente Alkoholverherrlichung, weites Spucken und die Ansagen mit den meisten "Fucks" der Welt.
[Henri Kramer]
- Redakteur:
- Henri Kramer