Cryptopsy/Decrepit Birth - Frankfurt

17.06.2008 | 15:20

10.06.2008, Nachtleben

Dem ein oder anderen mag es nicht aufgefallen sein, aber neben dem EM-Fieber gibt es natürlich auch momentan noch die ein oder andere Perle der Abendunterhaltung in netter Gesellschaft. So finde ich mich an einem Dienstag in Frankfurt im Nachtleben ein, um mir ein wunderschön rohes, bluttriefendes Brutal-Death-Gemetzel der Extraklasse einzuverleiben. Irgendwie drängt sich mir dabei langsam der Verdacht auf, die öffentlichen Verkehrsmittel stehen mit mir auf Kriegsfuß. Kam ich beim letzten Konzert (VADER im Steinbruch-Theater in Darmstadt) schon ein paar Minuten zu spät, schaffe ich es diesmal nicht, den Interviewtermin mit CRYPTOPSY-Mastermind und Drumwunder Flo Mounier einzuhalten. Glücklicherweise war dieser aber flexibel genug, um das Interview dann eine Stunde später durchzuführen, weswegen sich in diesem Fall dann doch noch alles zum Guten gewendet hat. Nun, eigentlich nur fast alles, denn mein Fotograf hatte an diesem Tag leider keine Zeit. Daher bitte ich die teilweise schlechte Qualität der Fotos zu entschuldigen, denn ich musste meine Amateurkamera zum Fotografieren verwenden.

Zwei Stunden, ein paar Bier und einer Mahlzeit bei einer einschlägigen Fastfoodkette später stehe ich dann mit etwa sechzig anderen Menschen in dem winzigen Konzertraum des Nachtlebens und warte gespannt auf die Protagonisten des Abends.

Die erste Band auf den Brettern sind die Amerikaner UNMERCIFUL. Und die Jungs haben es wirklich in sich! Mit ihrem absolut kompromisslosen Geknüppel werden nicht nur keine Gefangenen gemacht, sondern schlicht keine identifizierbaren Überreste mehr zurückgelassen. Schon beim ersten Lied entwickelt sich ein Circle-Pit, die unheimliche intensive Aggression der Männer um Schlagzeuger James King muss beim Publikum einfach irgendwie raus. Richtig beeindruckt hat mich dabei Flitzefinger Jeremy Turner. Das Riffing bei UNMERCIFUL ist so was von arschtight und wahnwitzig schnell, unglaublich! Der Mann verfügt über Fähigkeiten an der Gitarre, von der andere Gitarristen nur träumen können. Die ganze Band sprüht vor Energie und Spielfreude und hat sichtlich Spaß bei der Arbeit. Wir hören beispielsweise 'Retribution' oder 'Legion Of Sickness'. Die Meute geht dementsprechend mit und dankt es UNMERCIFUL mit "We want more!"-Chören. Sichtlich überrascht wird uns dieser Wunsch erfüllt und das Publikum sogar noch mit dem Song 'Catatonia' von SUFFOCATION beehrt.

Insgesamt weiß UNMERCIFUL sehr zu gefallen, ich werde mir schleunigst das Debüt "Unmercifully Beaten" der Jungs aus Kansas zulegen. Leider muss die Band anfangs mit einigen Problemen in der Gesangesfraktion kämpfen, scheinbar ist das Mikrofon defekt. So hören wir eines der Lieder ohne Vocals, bis die Techniker das Problem in den Griff bekommen. Abgesehen davon war der Sound bei UNMERICFUL aber solide. Wir bekommen eine Lehrstunde in Sachen brutalem Death Metal vorgesetzt und das Publikum dankt es mit dem größten und ausdauerndsten Pit des Abends, und das, obwohl sich das Nachtleben im Laufe der Veranstaltung sogar noch etwas mehr füllen wird.

Nachdem UNMERCIFUL den Job als Anheizer nicht nur blendend erfüllt, sondern fast übertrieben haben, stehen als zweite Band des Abends die Kalifornier von DECREPIT BIRTH aus Santa Cruz auf der Bühne. Sofort ins Auge sticht uns dabei Bill Robinson, seines Zeichens rastatragende und irgendwie verbraucht aussehende Frontsau bei DECREPIT BIRTH. Im Laufe des Abends wird sich zeigen, dass der Begriff Frontsau tatsächlich gerechtfertigt ist, denn Bill springt gegen Ende des Konzerts einfach selbst ins Publikum und bringt die Leute zum Circle-Pit, nachdem diese 30 Minuten lang seine Aufforderungen zu eben solchem ignoriert haben. Insgesamt scheint mir der gute Mann ein leicht wahnsinniger Zeitgenosse zu sein. Nichtsdestotrotz verfügt er über ein krasses Organ, das sich auch sonst sehr gut in den Brutal-Death-Bombenteppich der Amis einfügt.

DECREPIT BIRTH drücken allerdings, im Gegensatz zu UNMERCIFUL, das Gaspedal nicht pausenlos bis zum Straßenbelag durch, sondern würzen immer wieder mit schon fast groovenden Mosh-Parts. Okay, ich denke, für Anhänger anderer Musikrichtungen klingen die trotzdem wie Blastbeats, aber da wir es ja hier mit Musik jenseits der Schallmauer zu tun haben, ist diese Aussage durchaus gerechtfertigt. Wir hören Songs wie '... And Time Begins' oder 'Condemned To Nothingness', welches Grimassen- und Zappelphilipp Bill mit einem lakonischem "This one is for all the Acid-taking motherfuckers like me!" ankündigt. Hier hätten wir dann eventuell auch die Erklärung, warum das Energiebündel so verbraucht aussieht.

Der Sound ist akzeptabel, aber nicht berauschend. Insgesamt ist das Mixing etwas schlechter als vorher bei UNMERCIFUL. Trotzdem legen DECREPIT BIRTH eine gelungene und wunderbar brutale Show hin und fügen sich perfekt in das Programm des Abends ein.

Das Finale wird dann natürlich von der technischen Präzisionsbombe CRYPTOPSY bestritten. Leider habe ich ja schon im Vorfeld von Stöckchenschwinger Flo Mounier erfahren, dass wir kaum etwas vom umstrittenen "The Unspoken King"-Album hören werden. Flo wirkte auf mich aber trotzdem überzeugt vom neuen Material und versprach mir, auf der nächsten Tour im November dies nachzuholen (nachzulesen im Interview), weswegen ich nicht allzu traurig bin.

CRYPTOPSY betreten zu einem Intro aus "Herr der Ringe" die Bühne und knüppeln das Publikum direkt mit 'Crown Of Horns' zu Boden. Der Sound ist gut und sehr druckvoll, CRYPTOPSY wirken perfekt eingespielt. Auffällig ist natürlich der neue Sänger Matt McGachy, der im Gegensatz zu den verblichenen CRYPTOPSY-Sängern eher kreischt als tief growlt. Um ehrlich zu sein, bin ich von Matts Stimme live leicht enttäuscht, auf "The Unspoken King" wirkt sie nicht ganz so hoch. Allerdings scheint Matt wirklich hochmotiviert zu sein und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass seine Stimme durch diese Übereifrigkeit noch mal einen Zacken höher klingt. Man darf also hoffen, dass sich dieser Minuspunkt bis zur Tour im November mit zunehmender Bühnenerfahrung beim neuen Arbeitgeber etwas relativiert. Vielleicht gewöhnt er sich dann auch ein wenig von seinem Posing ab, das mich schon fast an einschlägige Power-Metal-Bands erinnert. Immer wieder reißt Matt die Faust in die Luft und setzt den Blick einer deutschen Bulldogge auf. Das sieht weder böse noch furchteinflößend aus, sondern einfach nur lächerlich. Aber ich denke, man sollte Matt einfach den Frischlingsbonus noch zugute halten.

An der Rhythmusfraktion gibt es indes nichts zu meckern. Flo trommelt wie eh und je jenseits von Gut und Böse und erweckt den Eindruck, er zerlegt das Drumkit systematisch in seine Einzelteile - und das bis auf die letzte Schraube. Alex Auburn und Christian Donaldson wirken perfekt aufeinander abgestimmt und werfen sich im Wechsel die wahnwitzigen Gitarrenfrickeleien an den Kopf. Wir hören als einzigen neuen Song 'Worship Your Demons', sonst bekommt der geneigte Fan nur Perlen älteren Jahrgangs wie 'White Worms', 'Abigor' oder 'Cold Hate War' gereicht.

Stimmungstechnisch kommt das Publikum bei CRYPTOPSY nicht ganz so aus sich heraus wie bei UNMERCIFUL oder DECREPIT BIRTH. Ich kann nicht sagen, ob das am neuen Sänger liegt, oder weil einfach schon die Luft raus war (es war verdammt heiß unten im Nachtleben). Trotzdem ist der Auftritt der Kanadier gelungen, CRYPTOPSY zeigen eindrucksvoll, wie gut sie ihre Instrumente beherrschen. Schade ist nur, dass diese großartige Band in Frankfurt tatsächlich nur so wenige Fans anzieht. Ich drücke die Daumen, dass sich im November ein paar Leute mehr einfinden.

Redakteur:
Hagen Kempf

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