DEEP PURPLE und JEFFERSON STARSHIP - Erfurt

05.11.2024 | 12:38

20.10.2024, Messehalle

War es wirklich das letzte Mal?

Irgendwie ist man ja schon ein gebranntes Kind und bekommt bei einer Ankündigung einer Abschiedstour akute Unlust sich damit auseinanderzusetzen. Über die Jahre und Jahrzehnte hat sich die eintretende Panik, gekoppelt mit einem sofortigen Sprint zum Ticketschalter, zu einem Achselzucken und einem müden Gähnen gewandelt. Viel zu oft dauern solche Tourneen dann plötzlich länger als ganze Karrieren anderer Bands oder sind nur das notwendige Übel für die Comeback-Tour in drei Jahren. Das ist bitterböses Geschäftsgebaren und spielt mit den Urängsten der Fans vor den berüchtigten "Fear Of Missing Out". Nun soll es also DEEP PURPLE betreffen. Oder zumindest die DEEP PURPLE-Konzerte auf deutschen Boden. Da ihr diese Zeilen lest, dürfte klar sein, dass ich mich trotz Skepsis dazu entschieden habe der Ankündigung zu vertrauen, um diese Hard Rock-Legende noch ein letztes Mal live zu bewundern. Zwar hatte ich sie bereits zuvor drei Mal in verschiedensten Konstellationen gesehen, aber bei so vielen potenziellen Hits im Gepäck, nehme ich das Tour-Motto "One More Time" wörtlich und freue mich auf einen wunderbaren Abend in Erfurt.

Neben der Prämisse, dass es das vielleicht letzte Mal sein könnte einen Klassiker wie 'Black Night' zu hören, war es insbesondere die Tatsache, dass JEFFERSON STARSHIP den Support für die europäischen Konzerte außerhalb der UK übernommen hat. Die US-amerikanische Rockband, welche in diversen Inkarnationen bereits unter JEFFERSON AIRPLANE (Gründungszeit) und STARSHIP firmierte hat eine Besetzungshistorie, welche der Komplexität vom Silmarillion in nichts nachsteht. Aktuell ist David Freiberg mit seinen 86 Jahren das Urgestein der Band und zeigt auch heute Abend, dass Alter womöglich auch nur eine Zahl ist. Das ist weit von der Region Fremdschämen entfernt und zeigt einen Mann, welcher nicht nur immer noch voll im Saft steht, sondern selbst die Doppelbelastung Gitarre und Lead-Vocals einwandfrei umsetzt. Ich bin tief beeindruckt und merke, dass auch das Publikum sich teilweise ungläubig die Augen reibt. Das Durchschnittsalter der Messehalle dürfte heute auch schon bei Anfang 60 liegen und ich glaube, dass einige aufgrund der Vitalität von DEEP PURPLE (Durchschnittsalter Mitte 70) und insbesondere diesem Haudegen ihren eigenen Fitness-Zustand kritisch hinterfragen. Ebenfalls erstaunt und begeistert reagieren die Zuhörer auf die schiere Anzahl an bekannten Songs und Ohrwürmern, welche die Band am Start hat.

Ordnungsgemäß gibt es das volle Best-Of Programm und neben 1980ern Gassenhauern wie 'Nothing’s Gonna Stop Us Now' und 'We Built This City' und fast schon klebrigen Pop-Sünden wie 'Sara', dürfen auch die psychedelischen "Surrealistic Pillow"-Göttergaben 'Somebody to Love' und 'White Rabbit' nicht fehlen. Besonders die Tatsache, einmal im Leben den weißen Hasen gehört zu haben, kommt in die ewige Erinnerungskiste. Da insbesondere Cathy Richardson auch stimmlich die diversen Tracks einwandfrei umsetzt und man nie das Gefühl hat, man würde einer besseren Coverband lauschen, bin ich vom gesamten Auftritt sehr angetan. Ich bin mir nicht sicher, ob JEFFERSON STARSHIP mir noch einmal über den Weg läuft, aber wenn, dann würde ich mich auf jeden Fall sehr darüber freuen. Sehr starker Gig.

Setliste: Find Your Way Back; Stranger; Sara; Nothing’s Gonna Stop Us Now; Miracles; White Rabbit; We Built This City; Jane; Somebody To Love

Im Gegensatz zum JEFFERSON STARSHIP-Jubiläum sind die Songs bei DEEP PURPLE (bis auf ein paar Ausnahmen) gar nicht so klar, welche man denn heute hören würde. Versteht die Band es tatsächlich als letztes Kapitel und setzt ausschließlich oder zumindest vom Schwerpunkt her auf Klassiker oder ist es doch die Tour zum nagelneuen Album "=1"? Die Jungs haben in der Vergangenheit schon häufiger bewiesen, dass Konzerte zu einem bestimmten Album auch bedeuten, dass mindestens eine Handvoll aktueller Kracher ins Set integriert werden. Ich kann mit beiden Ergebnissen gut leben, da ich auch den aktuellen Langdreher wieder absolut gelungen finde. Das ist so weit weg von obsoletem Songmaterial, wie Manchester United vom nächsten Premier League-Titel.

Den Anfang macht erstmal 'Highway Star' und die Halle geht direkt steil. Es ist ja wirklich nervig immer wieder auf dem Alter herumzureiten, aber was soll man denn machen, wenn uns Ian Gillian mit stolzen 79 Jahren einen solchen Proto-Metal-Song um die Ohren brettert und später bei 'Into The Fire' sogar noch echte Screams raushaut. Das ist bockstark. Auch ich bin traurig, dass man Lieder wie zum Beispiel 'Child In Time' nicht mehr von ihm hören wird, aber er ist sich seiner Stärken und Schwächen zu hundert Prozent bewusst und singt das, was er noch kann. Das dann aber auch mit voller Inbrunst und erstaunlicher Präzision. Immer noch eine absolute Instanz.

Die Band hat sich für erstaunlich viel old-school-Material entschieden. Neben zwei Nummern von "In Rock" sind es insgesamt fünf Nummern vom Überalbum "Machine Head". Wer also die kleine Befürchtung hatte, dass es zu bluesig, jazzig oder zu soft werden könnte, der kann entspannt aufatmen. DEEP PURPLE rockt, und zwar gewaltig. Auch Gründungsmitglied Ian Paice trommelt sich grade bei diesen Nummern in eine persönliche Zeitmaschine und beamt sich 50 Jahre zurück. Das gleiche gilt für den Bassisten Roger Glover. Dieser ominöse Jungbrunnen muss irgendwo in der Nähe von London liegen. Es ist im höchsten Maße beeindruckend, wie tight eine solche Band agiert und nicht nur die in die DNA übergegangenen Altlasten zockt, sondern wie fantastisch auch die neueren Nummern funktionieren. Gleich sechs Lieder haben es von "=1" ins Set geschafft und integrieren sich absolut harmonisch in den Hit-Reigen. Eine Nummer wie 'Old-Fangeld Thing' schafft es sogar in den Zugabenblock.

So ein Selbstbewusstsein muss man sich erstmal antrainieren. Mein Highlight ist aber, wie auch schon auf Platte, 'Portable Door'. Was für ein fantastischer Rock Song und mit wieviel Charme und Esprit Ian Gillian uns den Chorus serviert ist absolute Königsklasse. Doch die Band ist nun mal nicht nur für prägnante Riffs und tolle Blues-Nummern bekannt, sondern auch für Ausflüge in den progressiven Rock, elegante Verschmelzungen von Rockmusik und Klassik und fantastischen Improvisationen. Doch keine Bange, auch diese Facette des ureigenen Sounds wird nicht vernachlässigt. Keyboard-Gigant Don Airey darf neben diversen kleineren Eskapaden auch gleich zweimal komplett im Zentrum stehen. Einmal in einem sehr von der Klassik inspiriertem Solo-Part gegen Ende des Sets und einmal in einem wilden, progressiven, psychedelischen Wahnsinn der sicherlich Jon Lord mit Stolz erfüllt hätte.  

Wenn man sich die Rezensionen zu einzelnen Auftritten mal zu Gemüte führt, dann liest man auch wie unterschiedlich diese einzelnen Teile für die jeweiligen Veranstaltungsorte ausgeschmückt wurden. Das ist ganz großes Ohren-Kino. Auf der anderen Seite steht natürlich Simon McBride und das obligatorische, fast schon essentielle, Gitarren-Solo im Fokus. Die Fußabdrücke seiner Vorgänger Steve Morse, Ritchie Blackmore oder Joe Satriani sind sicherlich keine kleinen, aber der Jungspund macht seine Sache augenscheinlich wirklich gut. Zumindest feiert ihn die Halle entsprechend ab. Ob das auch ein DEEP PURPLE Hardcore-Fan oder Gitarren-Geek so sieht, kann ich nicht beurteilen. Mich holt seine Performance jedoch auch komplett ab und setzt ein weiteres Highlight eines an Höhepunkten nicht armen Sets.

Das Ende der regulären Spielzeit gehört dann den unsterblichen Hymnen 'Space Truckin' und 'Smoke On The Water' und auch wenn an diesem Abend diese Songs erneut die lautstärksten Resonanzen einfahren, ist es trotzdem eine Wonne Teil eines Publikums aus echten DEEP PURPLE-Fans zu sein und nicht zwischen Festival-Gelegenheitshörern stillschweigend auf eben diese Hits zu warten. So beschert mir auch dieses ikonische Riff wieder eine meterdicke Gänsehaut. Doch ohne Zugabe dürfen auch diese Herren nicht von der Bühne. Nach dem überraschenden 'Old‐Fangled Thing' biegt die Band wieder zurück in die Evergreen-Avenue und lässt einen beeindruckenden Abend mit 'Hush' und 'Black Night' (unkaputtbar wie eh und je) kongenial ausklingen.

Was für ein fantastischer Abend. Auch wenn viele, viele Songperlen fehlen, so kann ich für mich festhalten, dass DEEP PURPLE mit dieser Mischung aus Alt und Neu vieles richtig gemacht hat und sich auch auf den letzten Metern nicht auf eine Coverband der eigenen Hits reduziert. Sollte das tatsächlich der letzte Berührungspunkt mit dieser Jahrhundertband gewesen sein, dann behalte ich sie zumindest in einer ihrer stärksten Verfassungen in Erinnerung. Das ist doch das, was schlussendlich zählt. Lieder wie 'Strange Kind Of Woman', 'Perfect Strangers' oder 'My Woman From Tokyo' kann ich auch noch später auf Platte hören.

Setliste: Higway Star; A Bit On The Side; Into The Fire; Guitar Solo; Uncommon Man; Lazy Sod; Now You’re Talkin; Keyboard Solo; Lazy; When A Blind Man Cries; Portable Door; Anya; Keyboard Solo; Bleeding Obvious; Space Truckin'; Smoke On The Water; Zugaben: Old-Fangled Thing; Hush; Black Night


Fotocredits: Norman Wernicke

 

 

 

 


Redakteur:
Stefan Rosenthal

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