DIE KRUPPS, SCHATTENMANN, JOHNNY TUPOLEV: Metal Machine Munich! - München
07.09.2025 | 01:0705.09.2025, Backstage
Zum 45-jährigen Jubiläum packen die Industrial- und EBM-Pioniere ein Best-Of-Feuerwerk aus!
Wir sind ein bisschen spät dran und fahren erst kurz vor Beginn der Veranstaltung auf den Parkplatz des Backstage, nur um festzustellen, dass er komplett voll ist. Zum Glück kann man auch hinter den Hallen noch parken, aber alles dauert etwas länger als geplant. Dazwischen: Gruppen viel zu stark geschminkter, junger Damen in Stöckelschuhen. Was ist denn hier los, das kenne ich vom Backstage sonst gar nicht, das ist ja der Aufmarsch der Dorfdisko-Schicksen in voller Kampfmontur! Dann sehe ich ein Plakat und erkenne, dass heute in der größten Halle YAKARY auftritt. Nein, nicht der gezeichnete amerikanische Ureinwohner, der heißt Jakari, sondern der Rapper. "Spielt" sage ich bewusst nicht, Rap ist für mich normalerweise das, was Leute machen, die kein Instrument ordentlich spielen können und stimmlich eingeschränkt sind. Manche von denen wären als Lyriker noch zu gebrauchen, wenn sie den ganzen fette-Ketten- und dicke-Hose-Klimbim ablegen könnten, leider gilt das für YAKARY nur bedingt. Ich habe mich mal schlau gemacht und reingehört. War ein Fehler, musikalisch eine Nullnummer und textlich waren drei der fünf Stücke völlig unterirdisch. Zum Glück dürfen wir in die Arme von JOHNNY TUPOLEV fliehen! Die Wuppertaler machen kernigen, gradlinigen Hardrock. Ich habe natürlich vorher mal geschaut, wer das so ist, und habe etwas von Elektro-Rock und Industrial gelesen. Bei aller Liebe, das höre ich live kaum, das macht aber nichts, stattdessen gibt es nämlich erdige Riffs des wohl Hauptverantwortlichen Tom Berger, der auch schön hardrockig über die grummelbrummelnden Basslinien von Jens Grebe singt. Dazu weniger Rhythmik vom Band als einen echten Schlagzeuger namens Dietmar Noack, und fertig ist etwa eine halbe Stunde guten, kopfnickfähigen, groovigen Rocks mit ein paar unterlegten Samples und Synthesizer-Sounds. Das ist zwar nichts völlig Ungewöhnliches, aber dieser Stil verfehlt bei mir seine Wirkung nie.
Die senkrechten Leuchtsäulen, quasi vertikal festgenagelte Laser-Breitschwerter, wie wir witzelnd feststellen, machen auch eine einfache, aber effektive Dekoration vor drei Aufstellern mit Abbildungen eines Astronauten, die ich etwas seltsam finde, sind doch auf dem aktuellen Debütalbum der Band drei Tiefseetaucher abgebildet. Das ist bestimmt total tiefsinnig und ich bin dafür einfach zu einfältig. Sieht aber gut aus. Beides. Mit Songtiteln kann ich nur bedingt dienen, ich weiß, dass 'Bomb Your Head' gespielt wird, dessen Groove und Refrain durchaus im Ohr bleibt, und ich meine, dass 'Balance Of Pain' im Programm war, außerdem wurde 'Welcome To The Deathparade' angesagt und ich glaube auch 'Obsession'. Auf jeden Fall ein schöner Auftakt, die Band sollte man im Auge behalten. (Ich bitte, die schlechten Fotos zu entschuldigen, es war sehr dunkel und die Band hatte meistens durch ihre Lichtstangen Beleuchtung von hinten.) Nach einer kurzen Umbaupause folgt der zweite Supportact, SCHATTENMANN. Hier muss ich erstmal zwei Dinge beichten. Zum Einen, dass ich die Band vor drei Wochen auf dem SUMMER BREEZE verpasst habe, weil sie einfach zu früh auf die Bühne musste. Das heißt, ich habe noch etwas aus der Ferne gehört, aber den Auftritt nicht gesehen. Und zum Anderen, dass ich bei dem Bandnamen immer sofort eine Melodie im Ohr habe, nämlich das großartige 'Shadowman' von Dan Swanös Band NIGHTINGALE. Das passt allerdings überhaupt nicht zum Sound von SCHATTENMANN, wie ich bei meinem ersten Sehen, zweiten Hören der Band natürlich bereits weiß.
Der ist nämlich heftiger, zählt man die Band doch eigentlich in die Schublade Neue Deutsche Härte. Allerdings mit sehr eingängigen Refrains, was die durchaus zahlreichen Mitsänger im Publikum erklärt. Überhaupt, es sind einige Merchandise-Artikel der Nürnberger zu sehen, man hat seinen eigenen Fanclub dabei. Los geht es mit zwei Liedern vom aktuellen Album "Dia de Muertos", 'Jeder ist schlecht' und 'Menschenhasser', aber zuerst bin ich abgelenkt von Gitarrist Jan Suk, der sich als Zebra verkleidet hat. Wirklich, schau dir das Bild an!
Das wirkt natürlich super, zumal er im Schwarzlicht sogar leuchtet, die anderen übrigens auch, in der Galerie gibt es ein Foto davon. Dazu steht auf dieser Tour nicht der angestammte Bassist Luke Shook auf der Bühne, der muss nämlich krankheitsbedingt passen. Als Ersatz springt heute die Füchsin von den fränkischen Gossenpoeten ein, aber weniger auf Trinkrituale eingestellt, als passend in Schwarz. Ob eine getönte Pilotenbrille jetzt als NDH-Requisit gilt, weiß ich nicht, aber es wird sich noch herausstellen, dass es nicht die dunkelsten Gläser des Abends sein sollen.
Sänger Frank Herzig, den man in der Szene bereits von seiner Arbeit mit STAHLMANN kennt, ist der Mittelpunkt des Geschehens, soweit man seine Augen von dem, wie Alex in "Madagaskar" sagen würde, monochromen Freund auf der rechten Bühnenseite wenden kann. Er steigt immer wieder auf ein Podest, redet direkt mit den Fans vor ihm, animiert die Menge und erntet dafür mehr als nur höflichen Applaus. Schon früh im Set gibt es den absoluten Hit derBand, das lange und recht plakativ, aber originell und unterhaltsam angekündigte 'Generation Sex', die allererste Single aus dem Jahr 2018, bei dem vor allem ein paar alte Fans der Franken abgehen wie ein Zäpfchen. War das Pärchen neben mir schon die ganze Zeit intensiv dabei, rasten sie von nun an völlig aus.
Vor dem Stück 'Spring' vom zweiten Werk gibt es ein neues Stück des kommenden Albums "Endgegner" mit dem Titel 'Kein Kommando', das sich gut in den Auftritt einfügt. Für Fans ist klar, die Jungs bleiben sich treu, was sicherlich dafür sorgen wird, dass am 26. März 2026 einige der Anwesenden wieder im Backstage stehen werden, dann wird SCHATTENMANN erneut, aber diesmal als Headliner, in München spielen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Band dafür auch die "Halle" genannte, zweitgrößte Location des Backstage benötigen wird, dem "Club" ist sie sicherlich längst entwachsen.
Während mich die Musik der Band in der ersten Hälfte immer wieder an EISBRECHER erinnert, gibt es aberauch eine andere Seite SCHATTENMANNs, die durchaus nah am Pop gebaut ist, ja sogar in den Schlager abdriftet. Gibt es Hard Schlager? Das fällt speziell bei dem ultraeingängigen 'Komet' auf, das aber tatsächlich eine Coverversion des nordischen Barden Udo Lindenberg ist. Hier beweist man, dass man keine Berührungsängste hat, und da Frank weniger nuschelt als Udo versteht man diesmal auch den gesamten Text. Aber auch 'Dia de Muertos' könnte fast auf Bayern 1 oder ähnlichen Sendern für Publikum kurz vor dem betreuten Wohnen laufen. Ich bin nicht überrascht, als ich mich beim Schreiben dieses Reviews schlau mache und auf Spotify feststelle, dass dieses Stück zu den meistgestreamten der Band gehört.
Zwar war das Titellied des noch aktuellen Scheibchens als Zugabe angekündigt, doch folgt danach ein weiteres Stück, das in eine ähnliche Kerbe schlagende 'Cosima' vom 2021er "Chaos", danach beendet die Band trotz weiteren Zugabe-Rufen den Auftritt. Geehrt, aber natürlich gibt es für eine Vorband keine weitere Zugabe, meistert Sänger Herzig die Situation bravourös, indem er behauptet, er wolle wie alle anderen jetzt DIE KRUPPS sehen. Souverän wie die ganze Zeit schon, ein wirklich guter Frontmann.Aber er hat natürlich Recht, es ist Zeit für den Headliner. Seit fünfundvierzig Jahren lärmt Jürgen Engler jetzt schon unter dem Banner DIE KRUPPS durch die Musikgeschichte. Was mit dem Avantgarde-Projekt "Stahlwerksynfonie" begann, entwickelte sich zu einer Band, die als Pionier der Electronic Body Music gilt. Dabei wurden bald auch Metal-Einflüsse deutlich, denn Bandleader Engler gründete in den Achtzigern das deutsche Label Atom-H, auf dem er schwermetallische Sounds wie PROTECTOR, RUMBLE MILITIA, SHAH und ACCUSER veröffentlichte. Nach der METALLICA-Tribut-CD nahm die Band die Form an, für die sie fortan bekannt sein sollte. Wir feiern heute also das fünfundvierzigjährige Bestehen und werden Lieder aus sechsunddreißig Jahren Bandgeschichte hören. Beste Voraussetzungen für eine Party, oder?
Allerdings dauert es erstaunlich lange, bis der Auftritt beginnt. Normalerweise ist hier ja um 23 Uhr Schluss und der Diskobetrieb beginnt, heute natürlich mit Elektro, Industrial und EBM im Anschluss an das Konzert. Das wird an diesem Freitag aber nichts, denn die 'Nazis auf Speed' eröffnen den Gig erst um kurz nach 22 Uhr. Von zwei Musikern sieht man den ganzen Auftritt über nicht viel, Schlagzeuger Paul Keller und Mitbegründer Ralf Dörper sind weit im Hintergrund und überlassen die Aktion Fronter Jürgen Engler und dem neuen Gitarristen Dylan Smith, der mit weitgehend unbewegter Mimik spielt und während des gesamten Konzerts mehr oder weniger stoisch hinter Engler über die Bühne marschiert. Dazu trägt er eine schwarze Sonnenbrille, sodass er maschinenhaft wirkt und zur eigentlichen Show nur wenig beiträgt.
Es bleibt also Engler, der aber eine echte Rampensau ist und den Musikstil der KRUPPS großartig verkörpert, hier wird EBM zelebriert, tanzbar, elektrometallisch und mit den typischen Shouts, welche die ganze Halle zum mitbrüllen animieren. Nach der langen Zeit kann er auch aus einem Fundus an echten Hits und Hymnen schöpfen, gleich nach dem Opener geht es mit 'Isolation' zurück ins Jahr 1995. Das war erstaunlicherweise nie einer meiner Lieblingssongs von dem ansonsten härtesten Album der Band, "Odyssey Of The Mind", aber einen schlechten Track gibt es auf der Scheibe nicht.
Zu Beginn lässt Engler erst einmal ein paar neuere Lieder von der Leine, 'Schmutzfabrik' und das brandaktuelle 'Collision Course' von der exklusiven Tour-EP, das sich mit Dörpers Synthie-Sounds gut in der Schnittmenge aus 1982 und 2025 bewegt, werden durch die Coverversion 'Der Amboss', im Original von VISAGE, abgerundet. Die Halle, die zwar leider nicht ganz ausverkauft ist, dadurch aber allen genug Platz zum Tanzen lässt, feiert Band und Sänger, der sein Publikum immer wieder animiert und ihm keine Ruhepause gönnt. Dabei grinst Engler die ganze Zeit und erinnert mich dabei an eine andere Grinsekatze, Jeff Waters, beide scheinen einfach Spaß bei der Arbeit zu haben und zeigen dies auch. Dann aber geht es so langsam ins Eingemachte, die Begeisterung steigert sich nochmals, als es mit 'The Dawning Of Doom' ganz tief in die Bandhistorie geht.
Doch obwohl es eine Jubiläumstour ist, geht es nicht vollständig ohne Überraschungen ab. DIE KRUPPS geben uns noch eine weitere Coverversion, diesmal von einer unbekannteren Band namens S.Y.P.H., die mit Elektronik im ursprünglichen Erscheinungsjahr 1980 nichts am Hut hatte. Man darf dabei nicht vergessen, dass Jürgen Engler in den Siebzigern mit einer Punkband namens MALE lärmte. Der Punksong 'Industrie-Mädchen' wird aber in ein passendes EBM-Gewand gekleidet und harmoniert textlich wie auch stilistisch bestens mit dem Auftritt, der nun aber wirklich auf die Spur der großen Hits der Neunziger-Alben einbiegt. 'High Tech/Low Life', 'Black Beauty White Heat', leider das einzige Stück vom 1997er "Paradise Now", und der Hit 'Crossfire' sorgen für noch euphorischere Reaktionen als zuvor.
Jetzt hat auch Gitarrist Smith mehr zu tun. In der reinen Elektronikphase war er eigentlich nur Dekoration, jetzt aber darf er auch die Saiten qualmen lassen. Zwar gibt es nahezu keine Solopassagen für ihn, aber zumindest sind die Riffs prominent in der Musik, auch wenn er gegen den Sound Dörpers den ganzen Abend über den Kürzeren zieht. Noch einmal wird der Hitreigen unterbrochen, die Band fügt das neue Lied 'Will Nicht - Muss!' von der bereits erwähnten Tour-EP ein, bei dem die Stimmung keinesfalls sinkt. Dieser Song gefällt mir noch besser als das bereits gehörte 'Collision Course'. Klar, ein Exemplar der EP mit sechs Stücken nehme ich natürlich sowieso mit, ich habe übrigens Nummer 803 von 1000, aber ich prophezeie, dass 'Will Nicht - Muss!' ein Fanfavorit werden könnte.
Noch nicht erwähnt habe ich das besondere Engler'sche Instrument, das Stahlofon, das natürlich auch wieder auf der Bühne steht. Vier dicke Stahlrohre auf einem Metallgestell, geschlagen mit Metallstangen, die bereits zuvor ein, zweimal kurz genutzt wurden. Jetzt aber kommt 'Metal Machine Music' und Engler lässt die Rohren knallen! Es ist immer ein besonderes Show-Element, das seine Wirkung niemals verfehlt und den Industrialsound perfekt zusammenfasst. Jürgen Engler ist mittlerweile genauso durchgeschwitzt wie sein Publikum und Gitarrist Smith müsste langsam bei der Zwei-Kilometer-Marke angekommen sein, aber weitere Publikumsfavoriten folgen mit 'Fatherland', das leider nichts an seiner Aktualität verloren hat, und dem unfassbaren 'To The Hilt', das der Sänger im Refrain zusammen mit dem Publikum zelebriert. Auch in den neueren Alben verbergen sich Granaten, wie 'Robo Sapien', wieder zusammen mit dem Fans intoniert, beweist. Nach 'Bloodsuckers' ist dann allerdings kurz Schluss, aber mit dem alten 'Machineries of Joy' wird es noch einmal historisch, stammt das Stück doch aus den Achtzigern und damit aus der gitarrenlosen reinen Elektro-Phase der KRUPPS, wird aber wieder im Gegensatz zu der 1989er Originalversion durch das Stahlofon veredelt. Ich glaube nicht, dass es alle Anwesenden kennen, aber nach Aufforderung erschallt ein vielstimmiges 'Arbeit' im Chor und beendet ein tolles Jubiläumskonzert einer Musiklegende, zu dem ich ehrlich gesagt noch mehr Publikum erwartet habe. Wobei ich mir denke, dieses Jubiläum wäre doch eigentlich eine perfekte Gelegenheit für einen Auftritt auf verschiedenen Sommerfestivals 2026, oder? Ja, ich schaue zu dir, SUMMER BREEZE!
Setliste: Nazis auf Speed; Isolation; Schmutzfabrik; Der Amboss; On Collision Course; The Dawning of Doom; Industrie-Mädchen; High Tech/Low Life; Black Beauty White Heat; Crossfire; Will nicht - Muss!; Metal Machine Music; Fatherland; To the Hilt; Robo Sapien; Bloodsuckers; Zugabe: Machineries of Joy
- Redakteur:
- Frank Jaeger