DYNAMO OPEN AIR 1995 - Eindhoven

12.04.2020 | 16:04

02.06.1995, Vliegbasis Welschap

In den Neunzigern war das in Eindhoven stattfindende Festival das Maß aller Dinge im Metalbereich. 1995 gab es dann den Höhepunkt zum zehnjährigen Bestehen mit beinahe 120000 Besuchern bei typisch mäßigem niederländischen Wetter!

Freitag, 2. Juni 1995

Es sollte mein dritter Besuch in Eindhoven werden, dementsprechend vertraut mit den Gegebenheiten des Festivals machten wir uns Freitag vormittags auf den Weg, nicht zu früh, denn aus meiner Heimatstadt Braunschweig sind es nur etwas mehr als vier Stunden bis zur Vliegbasis Welschap bei Eindhoven. Dass wir nicht zu spät losfuhren, sollte sich noch als Glücksfall herausstellen, denn absolut niemand hatte mit diesem Massenandrang gerechnet! Im Vorjahr waren es noch 70000 Metalfans gewesen, was schon zu einem ungeahnten Stau geführt hatte und dafür sorgte, dass wir uns in diesem Jahr etwas mehr Zeit nahmen, aber diese Menge an feierwütigen Musikfans zeigte dann schnell die Grenzen der Belastbarkeit auf.

Dabei war das Dynamo eigentlich ein tolles Festival. Es war familiär, da wiesen Rentnerinnen Fahrzeuge mit wild bangenden Insassen auf den Zeltplatz ein und Wolken aus in Deutschland schwer erhältlichen Rauchwaren waberten über den Flugplatz. Mit 25 holländischen Gulden war es auch durchaus erschwinglich. Auch wir standen erst einmal eine Weile im Stau, aber wir hatten ja aus dem Vorjahr gelernt, sodass wir erst im Laufe des ersten Abends das ganze Chaos erfassten. Wann? Als wir zum Ende des ersten Tages aus dem Zelt kamen, in dem das Programm des Freitags stattfand, und die Schlange an Fahrzeugen, die auf das Gelände wollte, in den letzten acht Stunden nicht kürzer geworden war!

Damals war ich für ein Stadtmagazin aus Braunschweig, dem SUBWAY, unterwegs und hatte eine Presseakkreditierung. Das war klasse, denn damit kam man auch in einen Backstage-Bereich, in dem Plattenfirmen anwesend waren und ein Bierzelt für Musiker und Journalisten aufgebaut war, in dem sich auch Musiker ein Stelldichein gaben, die überhaupt nicht auf dem Billing standen, so war zum Beispiel VENOM da. Auch war die Toilettensituation dort entspannt, etwas, dass man von dem restlichen Gelände nicht behaupten konnte.

Aber zurück zum zeitlichen Ablauf. Also, Zelt aufbauen, mit diversen Death-Metal-Freunden und -Musikern aus den Niederlanden das Wiedersehen feiern und natürlich darauf anstoßen und dann ab zur Musik. Im Zelt lief schon seit geraumer Zeit Live-Musik, aber die ersten Bands verpassten wir und bei einigen anderen, namentlich SHIHAD, SUN und MARY BEATS JANE war noch Begrüßungsritual angesagt, obwohl dass Zelt schon beachtlich voll war, sodass ich mich an nichts erinnere. Erst mit SKYCLAD ging es für uns los, denn die Band um den lyrikgewaltigen Martin Walkyier, mit langen Haaren und Lederweste, gehörte in den Neunzigern zu den besten Bands der Metalszene. Das Album "The Silent Whales Of Lunar Sea" war ein absoluter Höhepunkt in der Bandhistorie und dominierte die Setliste. Leider spielte SKYCLAD nur etwas mehr als eine halbe Stunde, zumindest wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, in jedem Fall war es viel zu kurz. Die Band wurde mächtig gefeiert.

Doch nachhaltig denkwürdig wurde der Tag durch die beiden Headliner des Warm-Up-Tages. Zuerst kam MY DYING BRIDE. Ihr drittes Album "The Angel And The Dark River" ist wahrlich ein Downer, besonders nach den fröhlich-folkigen Klängen SKYCLADs. Sechs lange Lieder brachte die Band unter in einem Set, das durch eine wenig hektische Beleuchtung, kaum Ansagen und tieftraurige Musik mit dem leidenden Violinensound gekennzeichnet war. Die Titel allein zeugen bereits vom Tenor des Gigs: 'A Cry Of Mankind', 'A Sea To Suffer In' und 'Your Shameful Heaven' deuten an, dass jedes Lächeln hier fehl am Platz gewesen ist. Irritiert waren wir etwas, dass es selbst bei MY DYING BRIDE Crowdsurfer gab. Aber, hey, das Dynamo war schon immer ein Platz für alle und jeden und damals sicher das coolste Festival des Kontinents.

Danach folgte noch TIAMAT. Das aktuelle Album war "Wildhoney". Wer es gehört hat, und ich hoffe, das hat  jeder, es ist nämlich wirklich großartig, wird bestätigen, dass es auch nicht gerade das lebenslustigste Album unter unserer Sonne ist. Die Band befand sich gerade auf dem Weg hinaus aus dem Death Metal, zu meiner Freude und der Enttäuschung ihrer niederländischen Anhängerschaft, aber live machte das Album, aus dem fast die gesamte Setliste bestand, einen unglaublich intensiven Eindruck. Kaum Ansagen, eine PINK FLOYD-Coverversion und eine zeitweise langsame, hypnotische Lichtshow mit einer langsam drehenden Disco-Kugel machten mächtig Eindruck und nahmen die Gefühlslage, die Dank MY DYING BRIDE sowieso zwischen Niedergeschlagenheit und Weltschmerz schwankte, auf und verstärkten sie noch. Ich bin niemals zuvor oder danach so bedrückt aus einem Konzert gekommen. Das gesamte Publikum war ein Fall für die Suizid-Hotline!

Und noch immer kamen weitere Metalfans an, obwohl es weit nach Mitternacht war.

 

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Redakteur:
Frank Jaeger

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