Die Ärzte/Village People - Berlin
10.08.2004 | 12:4918.06.2004, Wuhlheide
Die selbsternannte “beste Band der Welt”, die DIE ÄRZTE aus Berlin (aus Berlin) sind schon ein Phänomen für sich. Mal ganz abgesehen von den diversen Gimmicks in der Namensgebung (siehe vorheriger Satz) stellen sie nun schon die Soundtrack für die mindestens dritte Generation Teenagerrebellion zur Verfügung. Und nicht nur das, ihre Popularität scheint grenzenlos zu sein...
...die Berliner Wuhlheide an drei aufeinanderfolgenden Tagen auszuverkaufen ist das eine, etwas anderes ist es, aufgrund der grossen Nachfrage nochmal zwei Zusatztermine einrichten zu müssen, was alles in allem sicher mindestens 100000 verkauften DIE ÄRZTE-Karten in Berlin entspricht.
Was also macht diese Band zu etwas so besonderen, dass Leute, die milde lächeln oder auch böse spotten, wenn BLIND GUARDIAN ein Festival veranstaltet, um an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zwei verschiedene Sets zu spielen, in eine Konzertkasse stürmen, wo dann folgende Szene ablaufen könnte:
Fan: “Ich hätte gern drei Karten für die DIE ÄRZTE”
Verkäufer: “Für welchen Tag denn?”
Fan: “Für jeden Tag eine.”
Ich gebe zu, diese Szene ist aus der Luft gegriffen und unrealistisch, jedem Verkäufer wäre klar, dass der Fan alle drei Shows sehen will.
Warum also guckt sich ein denkender Mensch an drei aufeinanderfolgenden Tagen dieeselbe Band an, die höchstwahrscheinlich dasselbe -oder zumindest ein sehr ähnliches- Set spielen wird und die man ohnehin auf einem Sommerfestival noch einmal wiedersehen wird?
Warum denkt der Autor dieser Zeilen während des Zugabenblockes ernsthaft darüber nach, sich für den Folgetag (für BEIDE Folgetage!) Schwarzmarktkarten zu kaufen und lässt sich nur ob des Sziget-Gigs, der unmittelbar bevorsteht, davon abhalten?
Ganz einfach: Mögen ihre Platten auch nicht mehr so genial sein wir früher (auch wenn die DIE ÄRZTE wenn man seine verklärten Jugenderinnerungen überprüft noch nie ein durchgängig superbes Album abgeliefert haben), live sind die DIE ÄRZTE höchstwahrscheinlich eben das, was sie nach eigener Aussage sein wollen: Die beste Band der Welt.
Aber vor dieses Erlebnis hatten die Götter noch einige Hindernisse gestellt. Nachdem meine Begleitung (nennen wir sie im Folgenden “die Absagenvertretung”) und ich uns am Backstageeingang von unserem Fahrer getrennt hatten (merke: Pressefritzen kommen da auch nicht rein!) traf uns fast der Schlag: Eine sicherlich fünfhundertköpfige Schlange wartete vor dem Haupteingang auf Einlass. Selbst mit massivsten Drängeln, Überholen, Schieben usw. gelang es uns nicht, die Wartezeit am Einlass auf unter 30 Minuten zu verkürzen, was zu grosser Unmut bei der offenbar keine Festivals gewohnten Absagevertretung, bald aber auch beim Autor sorgte. Wenn nämlich die Personenkontrolle am Einlass bei ca. 23000 verkauften Karten mit nur vier Personen besetzt ist, dann ist das nicht weniger als fahrlässig schlechte Planung. Wenn man dann auch noch einen Teil der Vorband verpasst, wird es richtig ekelig, nicht zuletzt, da die DIE ÄRZTE eine absoluten Hammertruppe als Vorband verpflichten konnte.
Als wir dann schliesslich im Zuschauerraum wieder mit unseren Fahrer zusammentrafen, waren die VILLAGE PEOPLE schon mitten in ihrem Set. Ja, genau die VILLAGE PEOPLE, die sich mit Hits wie 'Macho Man', 'In The Navy' und natürlich 'YMCA' Ende der 70er nicht nur nach ganz oben in die Charts sondern auch zu unvergänglichen Gay Icons spielten.
Die VILLAGE PEOPLE also machten einen Job, der wirklich allerhöchsten Respekt einfordert. Konfrontiert mit einem Publikum, bei dem man davon ausgehen kann, dass die Jüngeren sie nicht kannten und die Älteren sie im besten Fall als Lachnummern aufnamen, zogen sie zunächst tapfer ihre Bühnenshow (in kompletter Kostümierung als Cowboy, Indianer, Bauarbeiter und so weiter) zum Halb- oder auch Vollplayback ab, moderierten ihre Songs artig an, teils sogar auf deutsch, bis sie bei 'In The Navy' tatsächlich die Wende geschafft hatten: Das Herz des Publikum auf einem PopPUNKkonzert war für 70s Disco gewonnen, die Masse ging mit und diejenigen, die nicht in der Werbung tätig sind, feierten die VILLAGE PEOPLE ganz ohne ironische Brechung ab, bei 'YMCA' (dem obligatorisch-vorhersehbar letztem Song) schliesslich machten fast alle Anwesenden diese albernen Y – M – C – A-Gesten mit. Somit begann der Abend mit einer Rezeption der Vorgruppe, mit der man nicht einmal in seinen positivsten Träumen hätte rechnen können. Als persönlicher Wehmutstropfen blieb einzig, dass 'Macho Man' bereits gegeben wurde, während ich noch auf den Einlass wartete.
Nach sehr ausführlicher Umbaupause (Bier? Ja klar, immer her damit!) dann schliesslich der Moment, auf den man gewartet hatte: Der mit einem “ä” mit drei Punkten bedruckte Vorhang fiel, die Show begann, die DIE ÄRZTE aus Berlin übernahmen die Macht.
Und wie! Sogar bei den Songs vom neuen Album hatten Belafarinrod die Meute voll im Griff und die Hits jeden Baujahres wurder vom Publikum ohnehin abgefeiert, wobei auffiel, dass nicht nur bei 'Schrei nach Liebe' sondern bei allen nicht-balladesken Stücken der gesamte Stehplatzbereich den wohl grössten Pit der Wuhlheiden-Geschichte tobte – Respekt an die, die es ausgehalten haben.
Respekt auch an die DIE ÄRZTE, die nicht nur nonstop 90 Minuten zockten, immer wieder spontane Anspielungen (nicht nur, aber auch) auf die sexuelle Ausrichtung der VILLAGE PEOPLE einbauten, improvisierten (es gehört einiges an Routine dazu, einfach mal nen Break in die zweite Strophe des ersten Songs reinzuhauen ohne das die Rest-Band aus dem Takt gerät), im Kreis grinsten und falsche Versprechungen machten: “Wenn alle mitsingen, ziehen Bela und Farin wieder nach Berlin” um dann nach einer Umbaupause (selbstverfänglich mit “Umbaupause... Umbaupause... viel zu lange Umbaupause...”-Einspieler) kamen die DIE ÄRZTE im feinstem fifties-Outfit wieder auf die Bühne, um ein Akustik-Set zu spielen, indem sie nicht nur “Teenagerliebe” auf berlinerisch Vortrugen, sondern, teils vor Lachen prustend, in fast alle Songs Einwürfe in brutalstmöglicher berliner Mundart einstreuten. Da zeigt sich, dass die Herren Urlaub und Felsenheimer, wenn auch inzwischen aus Berlin geflüchtet, ihre Wurzeln nicht vergessen haben und der Herr Gonzalez (Zugezogener!) sich inzwischen blendend eingelebt hat, spielte er doch früher bei einigen Kapellen in Hamburg mit
Nach dem Akustikblock gings dann nochmal weiter, bis nach über zwei Stunden schließlich mit 'Westerland' und 'Elke' der Abgesang gegeben wurde.
Die beste Band der Welt – bei aller Bescheidenheit!
- Redakteur:
- Philipp von dem Knesebeck