Dream Theater - Offenbach
03.11.2002 | 06:2301.11.2002, Stadthalle
Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr beehrten uns die Könige des Prog-Metals in Deutschland. Same procedure as every year ? Weit gefehlt... Ohne Vorgruppe, dafür mit zwei Sets bewaffnet, schickten sich die Amis an, Offenbach zu zeigen, wo der Prog-Hammer hängt. Die Stadthalle war dem Bekanntheitsgrad der Band entsprechend gut gefüllt.
Kurz nach acht Uhr war es dann soweit: Unter enormen Jubel betraten DREAM THEATER majestätisch die Bühne und legten gleich mit "New Millennium" vom umstrittenen "Falling Into Infinity"-Album los. Ein überraschender Anfang, der zudem mit Referenzen auf TOOL's "Triad" gespickt war. Nach diesem kleinen Epos war es Zeit für ein paar nette Worte an die Audienz. Und als James LaBrie mit bedeutungsschwangerer Stimme verkündete, man würde nun die nächsten Stunden miteinander verbringen, wurde wohl jeder Fan in die Situation eines kleinen Kindes versetzt, das vor einem Weihnachtbaum voller Geschenke sitzt, auf denen alle der eigene Name steht.
Wurde "New Millenium" eher kritisch aufgenommen, so sorgte der darauffolgende Nackenbrecher "The Mirror" für die nötige Aufheizstimmung, die mit Songs wie "Erotomania" oder "Voices" weitergetragen wurde. LaBrie zeigte sich in exzellenter Stimmung, auch wenn gerade live immer wieder klar wird, dass er seine Stärken eher in den mittleren, als in den höheren Tonlagen hat. Doch wer nach dem wunderschön vorgetragenen "Surrounded", das einem fast die Tränen in die Augen trieb, immer noch James LaBrie als schwächstes Glied in der Kette bezeichnet gehört nach allen Regeln der Kunst im 7/8tel Takt ausgepeitscht.
Nach dem 13-minütigen "Home", ging es schnurstracks zu dem absoluten Höhepunkt des Abends: Hierbei handelte es sich um ein schätzungsweise 30- bis 40-minütiges rein instrumentales Medley aus "The Dance Of Eternity", "Metropolis Part 1", "Ytse Jam", sowie diversen LIQUID TENSION EXPERIMENT-Einlagen wie "Universal Mind" und "Paradigm Shift". Was hier geboten wurde, lässt sich mit Worten alleine nicht beschreiben. Egal, wie oft man DREAM THEATER bereits live erlebt hat. Egal, wie hoch man die ständig wachsenden Ansprüche stellt: Vor solchen überwältigenden Darbietungen und partiellen Entgleisungen der eigenen Gesichtszüge ist man nie gefeit. Wären nach diesem gottgleichen Werk alle "Jetzt könnte ich sterben"-Gedankengänge in Erfüllung gegangen, so wäre die Offenbacher Stadthalle zu einem enormen Massengrab verkommen... Eine Steigerung war hier selbstverständlich nicht mehr möglich, doch mit der Ballade "The Spirit Carries On" vom 2000er Album "Scenes From A Memory" wurde ein krönender Abschluss der ersten Halbzeit gefunden. DREAM THEATER gönnten sich an dieser Stelle eine ca. 20-minütige Pause, bevor das zweite Set beginnen würde.
Wie es fast schon zu erwarten war (und in mehreren Interviews direkt oder indirekt angesprochen wurde), bestand das zweite Set aus der zweiten CD des aktuellen Albums "Six Degrees Of Inner Turbulence", das komplett an einem Stück dargeboten wurde. Die Overture kam hierbei vom Band; die Bühne war durch einen riesigen, halbdurchsichtigen Vorhang verhüllt, auf dem diverse Lichtspiele einstimmten, bevor sich der Vorhang öffnete und DREAM THEATER zum zweiten Mal die Bühne in Anspruch nahmen. Die folgenden 40 Minuten eröffnetem jedem Zuschauer den Zugang zu einem kleinen Paradies und nahmen ihn gekonnt auf eine magische Weise gefangen. Jegliche Kontrolle über die eigenen Sinne wurde von der Band an sich gerissen, und während die Augen hektisch von einem Musiker zum nächsten wanderten, während die Beine leicht zu zittern anfingen, wurde eine Show dargeboten, die ihresgleichen sucht. Mal starrte man mit offenem Mund auf John Myung, der hochkonzentriert, und ohne jemals den Blick von seinem Bass zu lassen, die höchsten Frickelorgien abliess... Mal hing man wie verzaubert an den Lippen von James LaBrie, der hier eine Vorstellung gab, die jeden Kritiker schwungvoll den Boden unter den Füssen wegriss... Dann wanderten die reizüberfluteten Augen zu Mike Portnoy, der mit einem Drumset aufwartete, das mit drei Bassdrums, unzähligen Becken und Toms, einem riesigen Gong und allen Schikanen, die man sich überhaupt vorstellen konnte, fast eine eigene Bühne für sich beanspruchte... Weiter ging es mit dem inzwischen kurzhaarigen John Petrucci, dessen hochkomplexes, zugleich lässiges Gitarrenspiel immer wieder die Einzigartigkeit dieses Musikers unter Beweis stellt, nur um schließlich bei Jordan Rudess zu landen, der sich mit seinem Keyboard auf einer Drehscheibe plaziert hatte, und diese Bewegungsfreiheit sichtlich genoss... Kurzum: Das zweite Set war mit einer Reise in eine andere, bessere Welt vergleichbar.
"Six Degrees Of Inner Turbulence" stellte zugleich das offizielle Ende der zweiten Setliste dar. Dass man eine Band wie DREAM THEATER auch nach zwei Sets nicht von der Bühne lässt ist selbstverständlich, und so musste man die Jungs auch nicht lange bitten, um noch eine Zugabe zu geben. Als große Überraschung erreichte die Zuschauer hier ein erstklassiges Cover des IRON MAIDEN-Klassikers "Number Of The Beast", bei dem eine Welle der Begeisterung durch die Halle ging. Überzeugend konnte hier übrigens nicht nur die Musikerfront, sondern auch Sänger LaBrie, der ein hervorragendes Wechselspiel zwischen sich selbst und dem Publikum inszenierte. Das anschließende "Learning To Live" stellte den endgültigen Schlußpunkt eines Konzertes dar, das wohl für eine nicht überschaubare Zeit in den Köpfen der vielen Zuschauer eingebrannt bleiben wird. DREAM THEATER liessen sich zum Abschied heldenhaft feiern, als hätten sie an diesem Abend für den Weltfrieden gesorgt.
Fazit: Wer dieses Konzert verpasst hat, darf sich getrost in den Allerwertesten beissen. DREAM THEATER haben sich selbst übertroffen, und waren mit einer Spielzeit von ca. drei Stunden jeden einzelnen Cent wert. Der Thron des Prog-Metals wurde erfolgreich verteidigt und bleibt auch in näherer Zukunft unantastbar. Es bleibt mir an dieser Stelle nicht mehr übrig, als den ohnehin schon vorhandenen Gottstatus dieser Band dick und fett zu unterstreichen.
- Redakteur:
- Christian Debes