Edguy - New York
22.10.2008 | 12:5415.10.2008, B. B. King Blues Club
Es sollte ein Abend voller Überraschungen werden. Die erste: Entgegen der sonst superzuverlässigen Zeitangaben der hiesigen Veranstalter-Webseiten steht die erste Band bereits um 19.30 Uhr und nicht wie angekündigt eine halbe Stunde später auf der Bühne. Macht aber nichts, denn ich bin ja schon da.
Überraschung Nummer zwei: Gab es beim letzten EDGUY-Headliner-Gig im Big Apple vor fast auf den Tag genau einem Jahr noch einen US-typischen Genre-Mix in Form von vier äußerst unterschiedlichen Bands zu bewundern, steht heute ein nahezu reinrassiges Power-Metal-Paket auf dem Spielplan. Das ist in Deutschland zwar durchaus üblich, aber hier wird gerne mal Power mit Prog und Death Metal in einen Topf gesteckt, und keiner stört sich dran.
ARCTIC FLAME dürfen vor bereits gut gefüllten Reihen den Abend einläuten, aber können bestenfalls Achtungsapplaus für sich verbuchen. Denn vor allem beim Gesang gibt es noch erhebliche Defizite, und Sänger Dave Lowe täte gut daran, seine nur mäßig treffsicheren Stimmbänder nicht mit gar zu vielen hohen Screams zu belasten. Auch das Songwriting lässt zu wünschen übrig, denn eingängige Refrains, wie sie EDGUY wenig später zuhauf präsentieren, haben die Jungs aus New Jersey leider nicht im Repertoire.
Moment mal, warum eigentlich wenig später? Sollten EDGUY nicht headlinen? Falsch gedacht! Die zahlreichen KAMELOT-Shirts im Publikum hätten mich eigentlich vorwarnen sollen, aber so erwischt mich die dritte Überraschung des Abends - nämlich die Hessen bereits gegen halb neun auf der Bühne zu sehen - eiskalt. Dabei könnte ich heute noch schwören, auf den ursprünglichen Ankündigungen EDGUY an erster Stelle gelesen zu haben. Somit wird's auch nix mit einer erhofften Kostprobe vom kommenden "Tinnitus Sanctus"-Album, das in den USA sowieso erst Anfang 2009 in die Läden kommt. Stattdessen eröffnet 'Mysteria' eine mitreißende Best-of-Show des bis in die Haarspitzen gut gelaunten Quintetts. Apropos Haarspitzen: Wie JON BON JOVI sieht Tobias Sammet inzwischen nicht mehr aus. Eher wie eine deutlich jüngere Version von Thomas Gottschalk, welcher dank seiner Reich-Ranicki-Bändigung im Rahmen einer dieser überflüssigen Fernseh-Preisverleihungen gerade merklich an Achtung zurückgewonnen haben soll. Ehrenrettung haben Tobi und Co. hier und heute allerdings nicht nötig, denn New York nimmt die Jungs mit weit offenen Armen auf.
Nicht nur die (wenn auch um fünf Tracks kürzere, ansonsten identische) Setliste lässt selige Erinnerungen an den Gig am 16. September 2007 wach werden, denn Sammets Ansagen sind gespickt mit Referenzen an seinen letzten Besuch im BB King. Es gibt die gleichen Mitsingspielchen (rechts gegen links und umgekehrt, während die jeweils andere Seite die Gegner ausbuht), und eine Referenz an den von ihm letztes Mal viel zitierten "Anal-Sex" darf natürlich ebenfalls nicht fehlen. Und während Tobi in Deutschland kein Fußball-Fettnäpfchen auslässt, verkündet er in New York, wie großartig die Show in Boston doch gewesen sei (die beiden Städte sind nicht unbedingt dicke miteinander). Trotzdem strotzen EDGUY nur so vor Spielfreude, und von Routine kann kaum die Rede sein. Dafür von (wohlverdientem) Eigenlob bei der Ankündigung von 'Superheroes', welches als "unser Markenzeichen-Lied" angepriesen wird, ebenso wie von augenzwinkernden Vergleichen, wenn Tobi ausführt, dass man 'Vain Glory Opera' von "einer Band aus Europa" abgekupfert habe.
Was lernen wir noch? Tobi fällt es schwer, bis vier zu zählen, und würde nicht mit EUROPE ins Bett gehen. New Yorker klatschen völlig außer Takt. Zugaben sind ein abgekartetes Spiel, weil die Band auch ohne vorher darum gebeten zu werden noch einen Song spielen würde. Und wenn alle Anwesenden fünf T-Shirts (oder zumindest den kommenden Longplayer) kaufen, kommen EDGUY im September 2009 wieder in die Hudson-Metropole. Was eine Tradition wäre, die ich sehr begrüßen würde, denn Kracher der Sorte 'King Of Fools' oder 'Tears Of A Mandrake' höre ich mir gerne alle 365 Tage als Live-Version an.
Setliste:
Mysteria
Sacrifice
King Of Fools
Lavatory Love Machine
Tears Of A Mandrake
Superheroes
Vain Glory Opera
Die vierte und letzte Überraschung ist eher eine kleinere. KAMELOT sind nämlich abwechslungsreicher, als ich sie mir immer vorgestellt habe. Nix mit Melodic Power Metal vom Reißbrett - es wird auch mal modern-metallisch-düster oder episch-balladesk. Trotzdem kann mich der eher ernste Tenor der um eine Sängerin angereicherten US-Formation nicht lange bei der Stange halten (im Gegensatz zum sichtlich begeisterten Gros des Publikums). Eine dreiviertel Stunde hätte ich sie mir als zweiten Opener (wenn auch nur mäßig interessiert) reingezogen, aber nach der kompakten Ladung hessischen Humors können KAMELOT im Vergleich nur verlieren. Weshalb dieser Bericht auch die Überschrift "EDGUY" trägt - Headliner hin oder her.
- Redakteur:
- Elke Huber