Enslaved - Leipzig

10.12.2008 | 11:21

06.12.2008, Hellraiser

ENSLAVED in der Messestadt - ein grandioser Genuss mit tollen Vorbands. Und einem Besucher, der schon 1997 dabei war.

Wo die Welt gerade noch von paganesken Klängen verzaubert wird, tritt plötzlich höllischer Schwefel hervor. Mitten im so schönen Leipzig-Konzert von ENSLAVED stinkt auf einmal ein Furz durch den Raum, dass die Luft zum Atmen übel riecht. Doch obwohl die Realität so brutal Einzug hält, wirkt der Gig der Norweger so dicht, dass der teuflische Pups schnell vorbeizieht. Denn ein fantastisches 'As Fire Swept Clean the Earth' fordert jedes Quäntchen Aufmerksamkeit. Frontmann Grutle schreit, zwischen seinen Kreischern ertönt im Hintergrund des Infernos eine Melodie, schön wie eine Eisblume im Schneesturm.

Der Abend im Hellraiser-Club beginnt freilich ohne Geruchsbelästigung. Knapp 150 Leute sind gekommen, etwas mehr als im Tourdurchschnitt. Das geringe Interesse ist nicht so recht einleuchtend. Denn zwar mag die Wahl der Vorbands ungewöhnlich erscheinen, ihre Musik klingt aber über alle Nörgelzweifel erhaben. So KRAKOW, die wie alle drei Bands des Abends aus dem wunderschönen Bergen stammen, direkt von der norwegischen Seeküste. Die Musiker in dieser Stadt mögen ungewöhnliche Stil-Mixe. KRAKOW wildern beispielsweise im Stoner-Rock-Garten, im Doom-Schuppen, selbst im Postcore-Laden. Ihre Songs kennen dabei lange Harmonien, viele Melodien und jede Menge Abwechslung, die durch zweistimmigen Gröl-Klar-Gesang noch verstärkt wird. Dazu spielt die Band ihre Songs nicht nur stur herunter, sondern versucht die Leute vor der Bühne mitzureißen. Nur klappt das nicht. Zumindest bleibt die Frage "How are you doing?", die Gitarrist und Sänger René Misje dem Publikum stellt, weitgehend unbeantwortet.

AUDREY HORNE bekommen ein wenig mehr Reaktionen, obwohl hier während des Gigs eine ganze Menge Zuschauer den kleinen Saal des Hellraisers verlassen. Nicht jeder Fan extremer Klänge mag solchen progressiven Rock 'n' Roll, wie ihn die Jungs um Sänger Toschie zelebrieren. Was eigentlich schade ist. Denn AUDREY HORNE besitzen Charisma, für das vor allem ihr Frontmann sorgt. Während er mit großer Geste und aufgerissenen Augen über die Bühne läuft, lässt er seine geniale Stimme brillieren, sie klingt klar, nicht zu hoch, voller Kraft. Seine Bandkollegen - unter anderem Gitarrist Ice Dale von ENSLAVED - stehen ihm in nichts nach. Voller Spielfreude stehen und sitzen sie an ihren Instrumenten, lächeln immerzu, verbreiten viel Wärme und hypnotische Freude an originellen Melodien. Kein Wunder, dass AUDREY HORNE mit Songs à la 'Threshold' auch in Norwegen für Furore sorgen und dort bereits erste Preise einheimsen. Und noch etwas ist auffällig: Auf dieser Tour scheinen die Musiker sich jeweils gegenseitig unglaublich zu schätzen, sie bewerben sich gegenseitig - AUDREY HORNE-Toschie trägt zum Beispiel ein KRAKOW-Shirt. Sympathisch.

Mit ENSLAVED stehen schließlich die lang erwarteten Helden des Abends auf der Bühne. Wie bei ihnen zu erwarten, verlaufen die folgenden 75 Minuten als Film großer Qualität. Es ist ein Genuss, eine solch grandiose Mischung aus Viking Metal, PINK FLOYD und hundert Prozent Norwegen zu hören. Dazu wirkt die Band trotz ihres Alters - siebzehn Jahre sind sie schon dabei - immer noch jung und frisch. Die meisten Blicke ziehen dabei Sänger Grutle und Gitarrist Ice Dale auf sich. Grutle sieht wie immer wild aus, seine blonde Mähne könnte aus einem Shampoo-Katalog stammen; Ice Dale gibt die Poser-Rampensau im positiven Sinne, für den Gig spielt er mit freiem Oberkörper. Die Mädels im Saal können sich an seinem Waschbrettbauch ergötzen.

Die Songs zum Live-Theater reichen von 'Fusion Of Sense And Earth' von "Ruun" über 'To The Coast' von "Vertebrae", vornehmlich also neuere Sachen. Doch zwischendrin fragt Grutle auch, wer im Publikum bereits 1997 ENSLAVED an selber Stelle gesehen hat. Einer. Er bekommt 'Eld/Fire' geschenkt, ein Klassiker der Raserei. Und sogar 'Allfadr Odin' von der ersten EP packen ENSLAVED noch aus. Ein Drumsolo und das klirrende Sahnehäubchen 'Isa' beenden das beeindruckende Schauspiel. Der Abtritt in eine kalte Nacht fällt nach so viel Herzenswärme einfach.

Redakteur:
Henri Kramer

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