Fuck The Commerce VII - Luckau
09.06.2004 | 11:3019.05.2004, Mehrzweckanlage
Das Fuck The Commerce in diesem Jahr: Nicht ins Wasser gefallen, aber mit viel vom Himmel fallendem Wasser. Häh? Ein Fragezeichen stand fies-böse grinsend über dem Festival und das rund zwei Wochen vor dem eigentlichen Beginn. Findet es nun statt oder nicht und wo? Die Bands waren schon samt und sonders gebucht, die Flugtickets bezahlt. Und dann das: Das kultige Gelände auf der Neidener Motocross-Strecke sollte unbefleckt von dreckigen Metal-Heads bleiben. Der Platz als solches ist so oder so pleite und der Verwalter des Grundstücks Klaus-Peter Wöhlermann hatte die Schnauze voll vom FTC. Eine der Begründungen in der ortsansässigen Torgauer Zeitung las sich besonders geil: Die Vereine auf dem Gelände seien gegen das FTC. "Es gebe einfach keine Akzeptanz für diese Art von Musik - jedenfalls derzeit nicht." So habe der Schützenverein einen bitterbösen Brief an den Klaus-Peter geschrieben: "Man sei ein 'anständiges Vereinsdorf' sei die einhellige Meinung der Vereine, die das ehemalige NVA-Gelände nutzten, und daher wollten sie kein Festival." Also machten all die braven Bürger mit Klaus-Peter an der Spitze den FTC-Veranstaltern von Bruchstein Records einen gehörigen Strich durch die Death-Metal-Rechnung. Vierzehn Tage vor Beginn erging das endgültige Gerichtsurteil: Dieses Jahr kein FTC in Neiden, ab mit euch. Doch zum Glück gibt es da einen Ex-Flugplatz mit dem klangvollen Namen "Mehrzweck-Anlage" Luckau, mitten in der brandenburgischen Pampa bei Cottbus. Dort also sollte der Kommerz ein Wochenende lang gepiesackt werden. Unsere Powermetal.de-Korrespondenten
Michael John,
Ralf Scheidler und
Falk Schweigert
feierten drei Tage ein unterirdisches Fest, dazu stießen in der kalten Nacht des Freitags
Wiebke Rost und
ich.
Parallel dazu sah Dirk Wettlaufer alle Bands, mit deutlich kritischerem Blick. Aber egal: Wir alle berichten live und ausnahmslos unter dem Einfluß legaler Drogen - let's rock!!! Der Falk gibt einen ersten Überblick.
(Henri Kramer)
Vor dem live gucken heißt es erst einmal Gelände finden, was angesichts der gewohnt spartanischen Wegbeschreibung nicht nur mir schwer zu fallen scheint. Ralf und Micha nutzen die freie Zeit um lauwarmes Bier aus Plasteflaschen zu verköstigen. Nun doch endlich angekommen suchen wir uns einen genehmen Zeltplatz, öffnen ein Döschen und bauen das Zelt auf. Ein Bier später stehen alle Zelte am richtigen Platz und der Trupp könnte sich in Erwartung fröhlichen Bangens in Richtung Bühne bewegen, wenn denn nicht schon wieder das Bier alle wäre. Endlich das Reich des Lärms erreicht, kommen wir zu dem traurigen Schluss DEATH REALITY, DEFLORACE und MALEDICTIVE PIGS verpasst zu haben. Schnell heitern sich unsere Gesichter jedoch anhand des ungezwungenen Sets von JACK SLATER wieder auf. Die Deutschen bieten geile Riffs, die sie mit einer rockigen Attitüde daherbretzeln, begleitet von unaufdringlichem Geballer - ja das macht Spaß, obwohl ich keines der Lieder kenne. Danach spielen HOMO IRATUS, was für mich bedeutet den Weg zum Metstand anzutreten. Allerdings muss ich noch so weit zurechnungsfähig bleiben, um SKIT SYSTEM, die Band wegen der ich all diese Strapazen auf mich nehme, zu sehen. Was mir auch recht gut gelungen ist, denn kurz nach halb acht betreten die schwedischen Crust-Götter die Bühne und leiden von Beginn an unter schlechtem Sound. Okay, Punk Rock muss dreckig und roh sein, aber ich wette, Tompa (Ist er es überhaupt? Hat er jetzt dunkle Haare?) ist es schon lieber, wenn man hört, was er singt. Das Set ist unglaublich intensiv, ich stehe mit fettem Grinsen vor der Bühne und nehme um mich herum kaum noch etwas wahr. Obwohl nur sehr wenige Leute vor der Bühne sind, geht der Großteil schön ordentlich mit und lässt sich eine Überdosis derbsten Punk Grind vor den Latz knallen. Nach dem Gig muss ich erst mal meine Batterien wieder aufladen und Micha reicht mir dementsprechend eine Flasche Rum Cola. Leider verpasse ich dieses Umstands wegen BRODEQUIN, was mich wirklich ärgert. Allen, die die Amis nicht kennen, sei gesagt, dass BRODEQIUN wohl zu den extremsten, tiefsten, brutalsten und präzisesten Bands dieses Erdenrundes zählen, welche sich kein Mitglied unser Community entgehen lassen sollte. Ach, und lasst euch beim Kauf nicht von dem gothicmäßigen Schriftzug abhalten.
Der Freitag beginnt mit IODINE. Die Dänen bilden für FTC-Verhältnisse einen recht gemäßigten Auftakt und buhlen mit einer Mischung aus MACHINE HEAD, BOLT THROWER und CROWBAR um die Gunst des deutschen Publikums, vor dem sie sich das erste Mal live präsentieren. Hier und da mischt sich dann doch ein Blast Beat unter das Dargebotene und bereitet so auf das noch folgende vor.
Henri hat mir 70 Hiebe mit seinem Stock angedroht, falls ich es wagen sollte, NEGLIGENT COLLATERAL COLLAPSE zu verreißen. Eine ernstzunehmende Drohung, wenn ihr a) Henri kennt und b) ich die Band nicht kenne. Doch die Tschechen erlösen mich aus dieser Zwickmühle, indem sie einfach freitags nicht an- und erst am nächsten Tag auftreten - ohne mich. Die entstehende Pause nutzen die Veranstalter dem Himmel sei Dank, um das Festival komplett ins Zelt zu verlegen, denn aus selbigem Himmel schüttet es unverdrossen. Solch eine Pause lässt sich prima zum Batterieaufladen nutzen. Kurz nach VISCERAL BLEEDING entschließe ich mich dazu, mich eine halbe Stunde ins Zelt zu legen um im neuesten, eben erstandenen Necromaniac-Zine zu schmökern. Dies hat zur Folge, dass ich einerseits ziemlich lange von der Bildfläche verschwinde und andererseits GENERAL SURGERY verpasse, worüber ich mich sehr ärgere. DIVINE EMPIRE bieten wohl den schwächsten Auftritt des ganzen Festivals. Ich bin mir zwar sicher, dass mich jetzt halb Metalistan für diese Aussage steinigen wird, aber mir erscheint es eben so. Okay, der raue Death Metal der Amis ist für sich nicht schlecht, aber meiner Meinung nach zu weit vorne im Billing. Meinen Eindruck bestätigt auch die Tatsache, dass verhältnismäßig wenig Zuschauer vor der Bühne stehen.
Die einzige Combo, die mir für Samstag zugewiesen ist, sind die Schweden BIRDFLESH. Ein sehr kranker Haufen, daher auch schade, dass sie nicht spielen können.
Bleibt mir Zeit für ein kurzes Fazit: Selten werden so viele Menschen auf ihre Urinstinkte reduziert wie beim Fuck The Commerce: Nahrung (meist flüssig) und Überleben. Letzten Endes haben wir es alle geschafft und ich habe selbst nach einem Tag immer noch das Gefühl nicht vollständig gereinigt zu sein. Woher kommen bloß die Narben an meinen Knien?
(Falk Schweigert - www.silentium-noctis.de)
Tja, woher nur? Fragen über Fragen! Manche Fans werden sich dank der wenigen Informationen über geänderte Spielzeiten und Bandwechsel gefragt haben, ob BIRDFLESH und ABSCESS auf dem FTC gespielt haben. Antwort: Nein. Beide Bands kommen nicht in Luckau an, aber zumindest ABSCESS um Ex-AUTOPSY-Drummer Chris Reifert haben schon für nächstes Jahr wieder zugesagt. Dafür sind BENEDICTION endlich auf der FTC-Bühne. Und die und viele andere Bands sieht Ralf: Tata! (HK)
Wenn ihr jetzt ernsthaft glaubt, daß ich ein BENEDICTION Konzertreview verfasse: Abfahrt! Neunzig Prozent aller Death-Metal-Fans haben die Band schon mal gesehen und auch dieses Mal gab es nur das Eine: Vollbedienung auf der ganzen Linie, Moshen bis der Arzt kommt, keine Aussicht auf Besserung. Dazu saufen wir uns einen und dann frieren wir und verpassen NASUM. Prima. Doch ein Review geworden.
(Ralf Scheidler)
Weiter so, Ralf! Fundierte Auseinandersetzung! Was ist denn am Freitag so los?
(Henri Kramer)
Erster Tag und schwer am Trinken, und dann laden ALTAR zum Tanztee. Angeblich in christlichem Umfeld aufgewachsen, ist hier einfach mal der Hass zu Hause. Der haararme Sänger kotzt sich förmlich die Seele aus dem Leib, Menschen fliegen durch die Gegend und die Kapelle spielt dazu. Schöne Mischung aus Death Metal der flotteren Gangart und ein paar Grooveattacken. Da kann man sich gleich am ersten Tag gepflegt die Kackstelzen unterm Arsch wegbomben lassen. Ich bin angenehm überrascht und sage: "Prost Gemeinde!"
Ich geh jetzt mit dem Micha tanzen, harrrharrr...
(Ralf Scheidler)
Achja, Micha. Hier sein Fuck The Commerce - da geht einiges und einiges nicht mehr!
(Henri Kramer)
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Männer einen Tunnelblick haben. Soll heißen, bereits unsere Ahnen in grauer Vorzeit äumelten als angstlose Jäger in Horden durch die Botanik. Immer auf der Suche nach ihrer Beute. Egal ob nah oder fern, dem haarigen Geschlecht war kein Weg zu weit, kein Hindernis zu hoch um gewünschtes Getier zu erlegen. Einzig Szenarien, die sich unmittelbar neben, unter oder über ihr abspielten, konnte die verpeilte Urzeit-Nulpe nicht so recht fassen. Das heutige männliche Exemplar des Homo Metallicus hat mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen. Wo ist das kühle Blonde, wo die Grillwurst, ertönt es auch auf der Metallzusammenhortung mit dem schönen Namen "Fuck The Commerce". Die Suche nach dem geeigneten Supermarkt um die Bierpalette und die abgepackten Würste zum bestmöglichen Abgabepreis zu ersteigern, ist für den progressiv eingestellten Metalhead von heute kein Problem. Anders sieht es da schon aus, betritt er den verrucht-bösen Boden des 'Fuck-the'. Das Tunnel-Problem des Mannes stellt sich auf dem diesjährigen FTC gravierender denn je dar. Denn Scheuklappen werden dem geübten Veteran sicker Klänge im wahrsten Sinne des Wortes aufgesetzt, betritt er das schlauchförmige und immer-der-Nase-nach-geradeaus Gelände des diesjährigen Kommerz-is-ja-verdammt-blöd!-Fests. Anders als in Neiden stellt sich in Luckau jener Blick nicht erst nach dem Genuß von Alkoholischem ein, sondern ist durchaus von Anfang an omnipräsent.
Welch Herausforderung für unseren Homo Metallicus und alsbald Drunkus - schließlich ist das Feiern ein knallhartes Geschäft. Hat er erst einmal seine erste Plastikflasche Pils - igitt, was für eine abscheuliche kommerzielle Konsequenz des Dosenpfands - geöffnet, ist es auch schon um ihn geschehen. Auf der Suche nach seiner letzten Gerstenkaltschale irrt er umher und erlegt bei seinen Streifzügen durch die Gegend so einiges Hochprozentiges. Rum mit ein paar Spritzern Cola, Rotwein gemixt - natürlich nur aus verschiedenen Ländern, nicht aber verschiedene Rebsorten werden bei der diabolischen Mischung verwendet, schließlich ist Mann ja kein Assi - oder auch der gute alte Pfeffi werden dabei erbeutet. Der Tunnel des Homo Metallicus verengt sich damit zunehmend. Er, der Grottenolm, der zwischen Freuds Es und Ich herumfleucht, weiß, dass er wieder zu Hause ist. Da, wo er wahrlich hingehört: dem Fuck The Commerce. Evolution hin oder her, dieses Jahr evolutioniert der Freund brettharter Klänge bereits zum siebten Mal zurück zum Evil of Civilization. Homo Metallicus streckt seine Faust gen Himmel, schweinegeile kranke Mucke erwartend, dem Delirium mit Todesblick mutig entgegentretend.
Ein weiser Metallphilosoph und guter Freund sagte einmal, der Metal fußt auf drei entscheidenden Grundprinzipien: Mucke, Saufen und Ficken. Ob Letzteres auf dem diesjährigen Kommerz-Bumsen-Reigen auch zum Zuge kommt, sei mal dahingestellt. Die Mucke und das Saufen sind jedenfalls wie eh und je vom Feinsten auf dem Schlachtplattenfestl 2004. Weder das feuchtfröhliche Frühschoppen um sechs Uhr morgens im Metalzelt mit dem internationalen Stoßtrupp nach komatösen Schlaf, noch der obligatorische Filmriß und das Erwachen in einem komisch unvertrauten Heim, oder besser Zelt, werden ausgelassen. Und die gezogene Gerade vom Zeltplatz zur Bühne hat trotz des erwähnten Risikos eines potenzierten Tunnelblicks auch einen gewaltigen Vorteil für unseren Homo Metallicus: Selbst im LaLaLaune-Land findet er ab und an den Weg vor zur Bühne bzw. nach tropischen Regenergüssen vor zum Krawallzelt, wo er samt Sippschaft dann auch mal der einen oder anderen Band durch kräftiges Loden schütteln huldigen kann. Die Verwirklichung des eher unrealistischen Traums, beides, seine gewünschten Bands auch tatsächlich zu sehen und dennoch seinen Mann im Suff zu stehen, miteinander zu verbinden, macht das Wunder von Luckau aus.
(Michael John)
Okay, nach so viel intellektueller Auseinandersetzung mit dem Thema "Vollrausch - drei Tage lang" nun wieder die Konzertfront von und mit Ralf vor der Bühne, geordnet nach Tagen und mit seltsamen Überschriften...
(Henri Kramer)
Freitag:
"Das Vier-Bands-am-Stück-Feeling"
Ich hab keine Ahnung, warum ich Freitag um 12:00 Uhr vor der Bühne stehe. Ich weiß nicht mal, wo das Bier herkommt, welches ich in der Hand habe. IODINE werden's mir wohl nicht sagen können, aber das ist mir sowas von egal, das gibt's gar nicht. Der erste Song läuft keine halbe Minute - und ich fühl mich plötzlich wie ein Schneemann im Sommer, wenn er den Eisschrank findet. Hier treffen CROWBAR und BOLT THROWER aufeinander, verschmelzen zu einer alles vernichtenden Einheit und machen, dass Menschen ganz, ganz flach werden. 'Hexenblut' und ein paar andere Bleigewitter vollenden schließlich das Werk, welches dem dänischen Trio (!!!) ab sofort einen Platz in meinem Herzen verschafft. Und dabei sahen sie erst wie NASUM aus...
Der Holland-Fünfer von PLEURESY macht dort weiter, wo IODINE vor 15 Minuten aufgehört haben, ersetzen CROWBAR durch ASPHYX und fügen den ein oder anderen Blast hinzu. Das gibt der ganzen Mischung Feuer und ich weiß schon gar nicht mehr, wie ich das jetzt feiern soll. Es ist 14 Uhr, ich hab mich fast besiegt und rate euch einfach mal diesen Bands euer Ohr zu leihen. Definitiv ein Höhepunkt dieses Jahr!
VISCERAL BLEEDING sind danach im einsetzenden Regen die erste Band, die ich mir im Zelt gebe und vor meinen Augen entfaltet sich ein gar seltsames Szenario. Die recht schnelle, zerhackte Schwedenkost wird gekrönt von der guten Gurgelstimme eines Menschen, der einfach nur gehetzt durch die Kante starrt. Wohl die Nase wieder bis zum Anschlag reingesteckt? Vielleicht fühlt er sich auch von Soundproblemen verfolgt, denn das Mikro ist schon mal einfach so den halben Song lang stumm. Prinzipiell haben die Jungs das gleiche Problem, wie tags darauf ihre Landsmänner von SPAWN OF POSSESSION: Viel zu überladene Songs, die den teilweise aufblitzenden Killerriffs nicht einen Fußbreit zum Entfalten gönnen. Für Musiker wahrscheinlich beeindruckend, für mich unrockbar. Saufen.
Samstag:
"Am Geschmack erkannt?"
Aber hallo, um 15 Uhr wird zurückgeschlagen. Return of the CLITEATER. Der Sänger sieht irgendwie aus, wie ein großer, trainierter Peter Tägtgren und ist definitiv ein lustiges Tier. Hört sich auch an wie eins. Eins, das gaaanz langsam stirbt und ziemlich wütend darüber ist, dass es bis zur Hüfte im Fleischwolf steckt. Derbstes Geröchel. Das riecht nach Kräuterzigafluppe... Die nächste dreiviertel Stunde gibt's denn auch guten alten (und extrem präzisen!) Grindcore mit Liedern im Sekundentakt und Themen wie 'Hatred For Mankind', '4 Dollar Prostitute Disfigurement' und 'Kill That Asshole'. Glaub ich. Der Sound ist jedenfalls perfekt, die Konsumenten weiblicher Erogenzonen huppen rum wie aufgezogen und der Raum vor der Bühne ist erstaunlich voll. Zu allem Überfluss kommt die Sonne raus. Also nebenbei viel trinken. Das Schöne an kurzen Songs ist, dass man so viele spielen kann. Und da kann man dann ja auch mal ein paar Widmungen loswerden. So kommt's, dass am Ende des Gigs fast jeder der Anwesenden ein persönliches Ständchen verbuchen kann - That`s entertainment! Abschließend noch die Verbeugung vor S.O.D.: 'Eat Clit Or Die!' - ich sag mal "Dankeschön" für den gelungenen Nachmittag. Und hoffentlich bis nächstes Jahr.
"Wer ist eigentlich Paul?" - "Fuck it, baby: Paul Speckmann is MASTER!!!"
Haare bis zum Arsch und Bart bis an die Kniescheibe; da fragt man sich, wo der gute Mann all die Jahre war. Auf jeden Fall ist er nicht reich geworden, und so gibt's zwischen den musikalischen Darbietungen reichlich angepisste Kommentare zum Thema "Wie ich zwanzig Jahre meines Lebens im Underground verbrachte und dann merkte, dass ich kein Geld für den Frisör habe". Da möchte man dem armen Paule einfach mal nen Euro zustecken und ihm mit verschmitztem Augenaufschlag sagen, dass er sich doch ein Eis holen soll...
Wurscht, die Band ist gut aufgelegt und zockt sich souverän durch das, was man die technische Seite von MASTER nennen könnte, während das Auditorium geschlossen zum Schienbeintreten schreitet. Auf Nasenbeinhöhe gilt: Wer Matte trägt, bangt, die anderen haben zumindest Matte in der Fresse. Mit dem neu(nt)en Bier ist dann auch endlich Zeit zum Schwelgen: Diverse Brecher vom "On The Seventh Day..."-Album sorgen allerorten für angenehm-walzendes Breitwandkopfkino und ich preise flugs den Gott der elektrisch verstärkten Kammermusik. Gerade bei den schleppenderen Parts drückt die Mugge dermaßen nach vorne raus, das gibt Fönwelle bis in die letzte Reihe. Paul sieht das leider etwas anders und macht ein neues Faß auf: Der Sound ist scheiße. Sagt der Paul. Jetzt will er das letzte Hundertstel Brillianz rauskitzeln. Auf dem Fuck The Commerce, vor 1000 (freude-)trunkenen Metalmaniacs! - Uiuiui... ABER: So können sich die Inhaber technischer Spezialgeräte und/oder des perfekten Gehörs den Rest des zweifelsohne endgeilen Konzerts in DolbyDigital 62.5 reinziehen! Goil!!! Zum Abschluss gibt's dann noch einen neuen Song, der diesem Riesengig leider viel zu früh die Krone aufsetzt. Paule, ick liebe dir! Und lach mal wieder...
"Wie sag ich's nur Jamie?"
Wenn es einen Preis für sympathisches Auftreten auf dem Zeltgelände gäbe - ich würde ihn dem Gitarristen von LITURGY umgehend am Bande verleihen. Gibt's aber nicht. Und deswegen mach ich's kurz: Was die Jungens aus den Staaten hier fabrizieren, ist "technisch versierter Death Metal", und derartiges Griffbrettgewichse geht mir nur noch auf den Sack. Damit kann man vielleicht auf der Klassenfahrt nach Cryptopsonien Punkte sammeln, aber live ist es bestenfalls verwirrend, wenn Otto Normalbesaufer nach vier Breaks, sechs atonalen Fills und 23 disharmonisch synkopierten Zehnsekundenriffs realisiert, dass der eingängigste Song des Sets gerade zu Ende geht. Wer kann und will da bangen? Zudem ist der Sound des FTC für diese Art von Musik einfach zu undifferenziert, was dieses Jahr definitiv auch ein Verdienst des Windes war. Also saufen. Skol pa dig!
(Ralf Scheidler)
Wie ist es eigentlich für einen Neuling auf dem Fuck The Commerce. Das erklärt euch jetzt die Wiebke.
(Henri Kramer)
Die schlimmsten Geschichten hatte man mir im Vorfeld zum FTC erzählt, von analen Schweinerein, Menschen, die im Kreis kotzen können und grottenschlechten Bands mit Ausnahme von zwei bis drei Highlights. Mit unterirdischen Erwartungen erreiche ich in der Freitag-Nacht den Allzweckboden in Luckau. Den letzten Kilometer legt man auf einer ehemaligen Flugzeuglandebahn zurück, der eine scharfe Linkskurve folgt. Nicht alle Festivalbesucher haben diese bemerkt. Der Graben fing sie auf. Das erste Ziel ist, erst einmal auf den Pegelstand der anderen Festivalbesucher zu kommen, eigentlich eine Unmöglichkeit, denn die haben ja schon mindestens zwei Tage Vorlauf. Also pack ich schnellstens vier Plastik-Flaschen mit Schlecht-Gerstenbräu in meine Taschen und steure den Met-Stand an. Bei 0°C hat man schließlich einen echten Grund dort ganz viel süßen Honigwein zu tanken. Danke an dieser Stelle den Bienchen für die Wärme! Es ist inzwischen 2 Uhr und der Pegel steigt. Endlich, es dämmert schon fast, stürmen die kleinwüchsigen Schweden von NASUM die Bühne und grinden die verbliebenen dreihundert Mann vor der Bühne zu Boden bis die Polizei kommt. Nach einer Stunde müssen sie das Konzert abbrechen. Ab jetzt schallt es nur noch aus dem Party-Zelt rüber zum Lagerfeuer. Inzwischen hat auch der letzte seine kurze Sommerhose gegen lange Hosenbeine eingetauscht. Richtung Osten geschaut frieren im Morgenrot die Pinkelstrahle am Bauzaun fest. Bei der Kälte kann man gar nicht richtig den Kopf verlieren. Da bleibt nur noch das Party-Zelt und Matte kreisen lassen bis zum Exitus. Für immerhin vier Stunden ist der Kopf weg, bis er sich zurückmeldet mit einem bestimmten Durstgefühl. Zu Bier und Met kommt nun noch die dritte Säule, welche Volltrunkenheit tragen kann: der Wein. So vergeht der Morgen zwischen Auto, Met- und Nudelstand.
Die erste Band, SEEDS OF SORROW, sind der Rede eh nicht wert, auch wenn sich, da ja nun doch schon Mittag ist, einiges Volk auf dem Konzertgelände herumtreibt. Angeregt vom Mittagsmahl, werden kleine Kreuze aus Hühnerbeinchen gebastelt. Von dem Grillhähnchenstand sind überall auf dem Festivalgelände Nahrungsspuren in Form von Fleisch und Knochen zu finden. Auf dem Zeltplatz wartet unterdessen die Vernichtung in Gestalt höchst zuvorkommender Metal-Fans. Sie nehmen jeden nichtsahnenden Spaziergänger in Beschlag und zwingen ihn auf die Knie. Was nun folgt, nennt der Mediziner Magenspülung. Der Patient bekommt per oral einen zirka 150 Zentimeter langen Schlauch eingeführt, an dessen Ende ein Trichter klemmt, der gut einen Liter Wein fast. Schluck oder stirb! Auf keinen Fall sollte man sich beim Trichtern verschlucken, so wie Henri. Der sieht plötzlich rot und in den blauen Himmel sprudelt eine Weinfontäne. Ist diese Behandlung überwunden, wartet schon die nächste Station. Gesucht wird der Gewinner nach Punkten in der Disziplin "Zelt-kaputt-springen". Für Saltos und Armbrechen gibt es Bonuspunkte. Für seine gestauchte Rippe erhält Henri einen Trostpreis: noch ein Bier! Das Ziel naht, nur noch zwei, drei Jungs zu Boden ringen, dann gibt es einen klaren Doppelkorn als Höhepunkt meiner nun schon 16 Stunden währenden Medikation. Die letzte verbliebene Weinflasche verhilft mir endlich zur Narkose. Ich verschlafe das ganze schöne Wetter und MEATKNIFE. Erst zu LITURGY treibt es mich wieder in die Welt hinaus. Im Publikum reckt mir ein Hardcore-Fan seinen nackten Popo entgegen. Ich gerate darüber ins Grübeln. Existentielle Fragen schwirren mir durch den watteweichen Kopf. Warum nur bin ich hier und nicht am Met-Stand? Der wolkenbruchhaft einsetzende Regen bewegt mich zum Umdenken und treibt mich zum Zeltlager des Legacy-Vorauskommandos. Dort haben sich noch andere Menschen auf der Suche nach Schutz und verlorengegangenen Brieftaschen eingefunden. Es plaudert sich gemütlich, während von draußen Wassermassen auf das Zeltdach prasseln. Einer erzählt mir aus seinem Leben: "Wenn ich von der Arbeit heimkomme, sitze ich den restlichen Tag in meiner Wohnung, kiffe und schaue Splatter-Filme an". Wohl dadurch inspiriert dreht er unter dem Pseudonym "Henkerproductions" selbst Splatter-Movies, zum neusten Werk sollen sogar CUNTGRINDER den Soundtrack beisteuern. Er schafft es, wie so viele andere FTC-Besucher nicht mehr bis zu OBITUARY. Das Party-Zelt ist trotzdem halbwegs voll, als die Amis ihr Comeback geben. Ein ganz harter Kern schaut sich danach auch noch TOTENMOND an, deren Instrumentenlärm meine Schmerzgrenze ausreizt. Ganze drei Saiten zupft ihr Bassist. Über sein T-Shirt mit Osama-Bin-Laden-Aufdruck kann ich auch nur kurz schmunzeln, denn nach zwei Minuten verschwindet das gesamte Set im Nebel. Jeglicher optischer und akustischer Stimulation beraubt, verlasse ich das Party-Zelt und schwanke zum Met-Stand. Dort herrscht Frieden. Mir wird gegenwärtig, dass ich mitten in Brandenburg bin, dem Bundesland, aus dem der Mensch flieht, wenn er kann, und wohin der Wolf zurückkehrt. Wie schön, beim Fuck The Commerce würde er sich wohl fühlen. Hier darf man Tier sein!
(Wiebke Rost)
Bliebe noch zu klären, was ein echter Freund der härteren Gangart ist. Diese "Freunde" möchten die FTC-Macher schließlich ansprechen. Auf zur Kandidatensuche:
Kandidat 1: Der Bassist von NASUM, Jon "Elle" Lindqvist heißt der Junge. Diese Truppe ist ja schon so unendlich extrem durchgeknallt, wenn Sänger Mieszko etwa den Song 'Doombringer' ankündigt und trotzdem auf alle Fans um drei Uhr in der Nacht ein göttliches Grindcore-Gewitter aus Schweden niedergeht. Doch dieser Bassist, eben Jon, die "Elle", schlägt alles. Ständig springt er bei dem Auftritt vor und zurück und hoch und runter, reckt sein Köpfchen in die Höh, rotzt in die Luft und fängt den Fladen wieder mit seinem Bart auf. Was für ein krasser Freund der härteren Gang- und Spuckart. Grindcore lebt!
Kandidat 2: Singh, der einzige "Rentner"-Metalhead mit Turban und der unerschütterlichen Energie von 20 Jungspunden. Er bangt besonders aktiv, als OBITUARY zocken. Da hat Singh auch allen Grund zu, denn die Jungs aus Amiland haben zwar ein paar technische Probleme, doch das macht nichts. Zu fröhlich scheint das Publikum die alten Florida-Helden bei Hits wie 'Final Thoughts' anfeuern zu dürfen. Sänger John Tardy sieht mit seiner langen blonden Mähne aus wie früher und klingt immer noch wie ein wütender Wolfshund mit Kehlkopfproblemen. Zwei der Ur-Mitglieder haben zwar inzwischen Glatze - but who cares?! Am Ende kommt ein gottgleiches 'Slowly We Rot' und Singh grinst, als er seinen Turban wieder hoch- und runterschwingt. Cool!
Kandidaten 3-2500: Jeweils eine oder einer der rund 2500 Besoffenen oder Besoffeninnen, die mit eckigen Bewegungen über das Gelände peilen. Sie alle sind Freundinnen und Freunde der härteren Gangart in einem anderen Sinne - gezeichnet vom Alk, den es hier zuhauf gibt. Besonders der Stand mit dem heißen Honigwein hinterlässt Herden von hart laufenden Männern und Frauen, gemeinsam gehen sie trotz des kalten Wetters erbarmungslos ab und machen das Fuck The Commerce trotz aller Probleme auch in diesem Jahr zum gewohnt ultimativen Festivalauftakt.
(Henri Kramer)
- Redakteur:
- Henri Kramer