Fuck The Commerce X - Altes Lager (Jüterbog)
01.06.2007 | 09:0017.05.2007, Flugplatz
Donnerstag, 17. Mai 2007
Wasserrauschen. Der Finger lässt den Abzug los, das Bedürfnis ist befriedigt, mögliche Sorgen darüber, jetzt vielleicht bald an Genitalkrätze zu leiden, kommen gar nicht erst auf. Es ist ein besonderes Geschenk, das die "Fuck The Commerce"-Macher in diesem zehnten Jahr des Open Airs ihren Gästen machen: Wassertoiletten, überall auf dem Festivalgelände. Doch nur knapp 1000 Fans können sich darüber freuen. Denn obwohl dieses FTC die wohl beste Organisation seines Bestehens erlebte, kommen im Vergleich zu früheren Zeiten mit bis zu zwei- oder dreitausend Maniacs nun mit 930 zahlenden Gästen deutlich weniger - die vergangenen Jahre und die dabei oft chaotischen Zustände haben dem Festival merklich geschadet. Doch dieses Jahr ist (fast) alles besser ... und treu bleibt sich das Open Air in seiner Ausrichtung: Konsequent haben die neuen Macher des Berliner Metal-Clubs K17 nur Kapellen eingeladen, die Krach machen, Death Metal der extremen Art. Das merken die Besucher schon am ersten Tag.
[Henri Kramer]
Doch noch einmal zum neuen Platz: Ursprünglich sollte er erst 2008 genutzt werden. Doch das Gelände des ehemaligen russischen Militärflugplatzes "Altes Lager" hat den K17ern offenbar so gut gefallen, dass das Jubiläums-Fuck schon 2007 hier stattfindet. Und: Alkoholkonsum bringt mitunter motorische Störungen mit sich. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der eine oder andere Besucher schon am frühen Donnerstagnachmittag in einer kleinen Lache aus Bier steht. Bei den Preisen für das kühle Nass kann man einen gewissen Schwund locker verschmerzen: 0,4 Liter Bier gehen hier für zwei Euro über den Tresen, das ist billiger als in den meisten Kneipen. Die anderen Preise sind ebenfalls auf gewohnt niedrigem Niveau, einzig das etwas dünn gesäte Angebot an fleischloser Kost lässt sich bemängeln.
[Thomas Mellenthin]
Doch es gibt auch einen Tag vor dem Donnerstag: Unverdrossene haben sich bereits am Mittwoch auf den Weg gemacht, um sich im kleinen Party-Zelt im wahrsten Sinne des Wortes aufzuwärmen - noch herrschen draußen Temperaturen von unter zehn Grad. Kaum wärmer ist es am Donnerstag um 13 Uhr, doch der FALLEN SAINTS-Sänger traut sich mit freiem Oberkörper auf die hohe Bühne. Diese rahmt ein Kiefernwald im weiten Halbrund ein, doch das schöne Festival-Gelände ist im Gegensatz zum Zeltplatz bislang nur spärlich gefüllt.
[Gretha Breuer]
Ein kurzer Plausch hier, ein neues Bier da und der Nachmittag verrinnt mit einmal mehr, einmal weniger spektakulären Lärmkommandos: Mit beispielsweise GODPHOBIA, der einzigen Schweden-Band auf dem diesjährigen FTC, und TOMBTHROAT, die noch als Verstärkung der gerade beendeten VITAL REMAINS-Tour am Start sind.
[Thomas Fritzsch]
TOMBTHROAT betreten also Bühne, um in einer halben Stunde den wenigen Gästen ihren "Extreme Death Metal" um die Ohren zu hauen. TOMBTHROAT sind das erste Mal "auf dem Fuck" und legen sich ordentlich ins Zeug. Positiv sticht Drummer Alexander heraus, der mit Geschwindigkeit und Präzision die Bass-Drum in die Ohren nagelt. Weniger rühmlich ist es dagegen um die Stimme von Mr. "Evil Ass" bestellt. Vom Gesang her etwas dünn, kann er kaum mit den anderen Krawallmachern an diesem Tag mithalten. Er versucht die leichten Defizite mit prolligem Humor und intensivem Zungenexhibitionismus wieder auszugleichen. Die Zwischenrufe aus dem Publikum, "Ihr müsst schneller spielen", würde ich in "Ihr müsst differenzierter spielen" ummünzen. Wer sich selbst ein Bild von TOMBTHROAT machen will, kann sich den gegen Ende des Gigs gespielten Track 'Terrorized' von der Bandhomepage runterladen.
Direkt verglichen mit TOMBTHROAT kann ARS MORTIS mit einer wesentlich besseren Growlstimme aufwarten. Auch was den Humorquotienten angeht, schneiden ARS MORTIS um Längen besser ab. Sonne macht albern - und Sänger Tom muss eine ganze Menge davon abbekommen haben. Mit trockenen Sprüchen wie "Danke, Altes Lager" oder "Ihr seid ja ganz schön scheiße drauf!" erobert er die Herzen der Fans im Fluge. Einige sind so von seinem Charme angetan, dass sie sich ein Kind von ihm wünschen und diese Forderung mittels liebevoll selbst gemalten Plakaten zum Ausdruck bringen. Trotz - oder gerade wegen - des fehlenden Basses klingt ARS MORTIS sehr "rund" (fast schon rockig) und ziemlich voluminös. "Sind wir jetzt durch, ja?" Ja, leider, diese vergnügliche Musikantenformation ist viel zu schnell wieder von der Bühne verschwunden.
WOJCZECH sind anschließend die Intellektuellen unter den Krachmachern. Die fünf Rostocker legen einen melodiösen Rock 'n' Roll-Grindcore auf das Parkett, der sofort die Füße zucken lässt. Der Krawall wird mit einer Prise Humor und einem artigen "Merci" nach jedem Song kredenzt. Der Bass wurde scheinbar von SOULFLY ausgeborgt, zumindest optisch und akustisch hinterlässt der Herr am Viersaiter diesen Eindruck, fügt sich aber perfekt in den WOJCZECH-Sound ein. Dieser ist stilistisch breit gefächert: Musikalisch geht es in hoher Geschwindigkeit durch alle Gitarren-Genres. Dazu brüllt Sänger Danilo das Mikro mit einer Leidenschaft an, dass man spontan Mitleid mit eben jenem bekommt. Wozu die vielen Worte, "Reinhören" lautet die dringende Empfehlung.
Die Frage, welcher Krach uns danach von der Bühne entgegenweht, beantwortet der freundliche Mensch am Einlass mit leuchtenden Augen: "PUNISHED EARTH". Aus der Nähe betrachtet kann ich diese Euphorie jedoch nicht teilen. PUNISHED EARTH spielen schnell, aber fast ohne Melodie. Der Sänger kennt genau eine Tonlage, in der er brüllt, vor Humor sprüht er auch nicht gerade. Im Gegensatz zu den anderen Bandmitgliedern kann er wenigstens mit einer zeitgemäßen VoKuHiLa-Frisur aufwarten. Der Rest der Band geht scheinbar regelmäßig zum Haarestutzen, und so ist mangels Mosh-Masse keine wirklich gute Show möglich. Haarlänge ist nicht alles, aber wenn sich sonst nicht viel auf der Bühne tut, kann ein bisschen mit der Mähne zu wackeln den Abend retten. Vor der Bühne geht dafür umso mehr die Post ab, in der ersten Reihe sieht man nur fliegende Haare - PUNISHED EARTH scheinen beim Publikum super anzukommen. Sogar ein Herr mit einem Klappfahrrad schwenkt sein Gefährt begeistert über den Köpfen der anderen Konzertbesucher. Ich gehöre wohl zur Minderheit, die mit dieser Band leider nicht so viel anfangen kann.
[Thomas Mellenthin]
Anderen geht es da anders: Zu PUNISHED EARTHs Death-Metal-lastigem Grind mit Gurgel-Growls und Turbo-Gekreisch unterstützt sogar Gitarrist Ludo "Krovx" den Sänger. Stücke wie 'Flagellation' animieren Teile des Publikums offenbar zum Sport: Immer wieder eilen Mädchen-tragende Jungs am Rand des Publikums vorbei: Auf dem Grasstück dort schmerzen die unvermeidlichen Stürze nicht so sehr. 'Clash of the Brainless' lässt den PUNISHED EARTH-Sänger noch mal pumpend das Letzte aus sich herauskreischen.
Die Überraschung des Tages kommt in Form von VIRAL LOAD. Für groovenden, zerhackten Death Metal mit ziehenden Mittel-Parts brauchen die beiden Texaner keinen Bassisten. Der blasse, glatzköpfige Sänger und Gitarrist Shawn Whitaker hat sicher ungelöste Probleme. Aber 'Pusfilled Colostomy Bag' und 'Skill Sawdomy' provozieren den ersten kleinen Moshpit inklusive hochgehaltenem Klapprad. Auf seiner texanischen Herkunft reitet Mr. Whitaker ordentlich herum - auf den Band-T-Shirts machen dies Cowboyhut-tragende Metzler auf verhackstückten Frauen. "All Fans of Texas Death Metal" wird 'Beetlejuice Bukkake' gewidmet. Und VIRAL LOAD haben einiges getan, um die Fanschar zu vermehren: Die Meute vor der Bühne wächst und wird zunehmend agiler.
[Gretha Breuer]
VIRAL LOAD machen nach eigener Aussage "Texas Brutality Death Metal". Das Ganze klingt wie alte DEICIDE-Scheiben auf doppelter Geschwindigkeit, verschwurbelt mit einer blutigen Messerspitze MACABRE. Drummer James King von UNMERCIFUL, der für die Tour geborgt wurde (und voraussichtlich auf der nächste Langrille vertreten sein wird), knüppelt alles in Grund und Boden, während Gitarrero und Sänger Shawn Whitaker dazu einen ziemlich fetten Sound kreiert. Unglaublich: Dieses Duo macht Krach für fünf! Vor der Bühne formiert sich zum ersten Mal an diesem Tage ein wilder Popo-Mob. Shawn freut sich und bedankt sich artig nach jedem Song mit einem herzlichen "Fuck Yeah!". Überhaupt ist er die visuelle Ausnahmeerscheinung auf diesem Festival: Haarlos und angezogen wie Eminem, bearbeitet er wie besessen Mikro und Gitarre. Man kann den Eindruck bekommen, dass er den Weltrekord im Grimassenschneiden aufstellen möchte. Zu jeder Textzeile gibt es die passende Emotion in seinen Gesichtszügen. Er hat sichtlich Spaß an seinem "Fucking Texas Death Metal" und damit das Publikum voll angesteckt.
[Thomas Mellenthin]
Nach dieser Vorstellung fällt es dem heimlichen Headliner des Tages - DEVOURMENT - nicht schwer, den Moshpit am Laufen zu halten. Dabei legen die Texaner nicht nur Wert auf ungebremste Knüppelorgien, sondern glänzen auch, wenn sich Mike Majewskis Gurgeln in zäh fließenden Passagen über den Doublebass-Rhythmus legt. Recht eindeutig dagegen ist die lyrische Ausrichtung des Groove-Geschwaders: 'Masturbating At The Slab', 'Autoerotic Aspyxiation' oder die Zugabe 'Choking On Bile' fordern keine intellektuellen Interpretationsversuche.
DISBELIEF, die für DENIAL FIEND eingesprungenen Headliner, haben danach einen schwereren Stand, ist ihr Death Metal doch ein melodiöser Leuchtturm im Sturm der Grindbolz-Kapellen. Damit kommen die Hessen aber gut zurecht und überzeugen durch eine donnernde Gitarrenwand und Jaggers unverkennbar gequält schreiendes Organ. Und so harren doch noch mehr als eine Hand voll Unentwegter in der aufziehenden Nachtkälte aus und lassen sich von DISBELIEF in den Bann ziehen. Nachdem dann aber auch der letzte Ton von 'The Thought Product' ihrer neuen CD "Navigator" verklungen ist, laden wahlweise Party-Zelt, Lagerfeuer oder heißer Met zum Aufwärmen ein.
[Thomas Fritzsch]
Tag eins also überlebt. Die Rückschau lässt erneut ein kurzes Sinnieren über das neue FTC-Gelände zu. Viel Wald ist da, ein paar Weltkriegsbunker auch - früher war der Platz militärisches Sperrgebiet. Wer nüchtern genug ist, kann sogar auf einer angrenzenden Go-Kart-Bahn flitzen - oder gleich einen Paraglider mieten und sanft zu Boden gleiten. Klingt wie Urlaub? Ist es auch.
[Henri Kramer]
- Redakteur:
- Henri Kramer