Gwar - Potsdam

11.04.2007 | 12:24

08.04.2007, Lindenpark

Eine Herde blutspritzender Verrückter: So lässt sich für Außenstehende in vier Worten die bizarre Show von GWAR beschreiben. Regelrecht erschrocken müssen solche Leute sein, die, ohne zu wissen was sie erwartet, an diesem frommen Ostersonntag in den Potsdamer Lindenpark gehen. Denn als die Zuschauer den Ort des Geschehens verlassen, hat sich auf dem Fußboden des Konzertsaals eine gut ein Zentimeter tiefe Pfütze gebildet, die aus einer wilden Mischung aus Kunstblut, Tinte und Wasser besteht. Einige Fans scheinen diesen appetitlichen Cocktail gleichzeitig in ihren T-Shirts komplett aufgesogen zu haben. Ein Schlachtfeld also.

Doch bevor es soweit ist, versuchen PRESIDENT EVIL als Vorband des Abends mit konventionellen musikalischen Waffen einen Mosh-Krieg auszulösen. Der Versuch gelingt allerdings nur bedingt, da sich bis zum Ende der Show nur rund 20 Fans vor der Bühne einfinden, weil der Rest des Publikums am Rande an den Bars sitzt und lieber trinkt. Dennoch lassen sich die Bremer Musikanten ihre gute Laune nicht verderben und breiten ein derbes Gemisch aus Hardcore und Thrash Metal aus, das nebenbei noch urigst drauflos rockt. "Trash 'n' Roll Assholeshow" nennen sie ja ihr Debüt-Album, ungefähr das trifft auch den Sound der fünfköpfigen Band. Auch die einzelnen Stücke haben schon allein mit ihren Titeln programmatischen Charakter: 'Deathcar Racer' oder 'Riot Generator' funktionieren als lupenreine Speedgranaten, die es einfach nur in sich haben. Beim letzten Song, 'Dead Man's Float', kommt sogar noch der Gitarrist von der Bühne gesprungen und rockt den wenigen Headbangern auf Augenhöhe die Seelen aus der Brust. Danach wünscht der sehr dynamisch wirkende Sänger Johnny Holze allen Anwesenden viel Spaß bei GWAR, die er als das "ultimative Blutbad" ankündigt. Wie recht er behalten wird ...

... denn GWAR besudeln nicht nur den grauen Teppich, der auf der Bühne ausgelegt wird. Ihr Ziel sind vielmehr die Fans, die sich vor der Bühne versammeln. Gut 200 sind es inzwischen, viele haben extra weiße Shirts aus den hintersten Kleiderschrank-Ecken gefischt. Eine Handvoll besonders abgespacter Typen sind sogar in einer Art Ganzkörperkondom angereist. Die regenfeste Kleidung ist von Beginn an nötig. Denn im Gegensatz zu anderen Bands spritzen GWAR nicht nur mit einer (Kunst-)Blutkonserve: Sie lassen das Zeug gleich literweise ins Publikum laufen. Die Anlässe zu solchen wilden Einlagen liefern ihre Spezialgäste, die nach jedem zweiten Songs die Bühne entern. In einer Art Pappmaschee-Kostüm kommen so unter anderem Hitler, der Papst (samt Hakenkreuz auf der roten Kopfbedeckung) oder Osama Bin Laden auf die Bühne. Dort stehen sie kurz herum, bekommen dann von einem der GWAR-Musikermonster ein Körperteil ab- oder aufgehackt und lassen von da an ihre mitgebrachten Körperflüssigkeiten regnen: Blut, Tinte, Wasser ... nach allen Seiten spritzen die Fontänen, meterweit. Musikalisch bieten GWAR - im Gegensatz zu früheren Zeiten - eine durchaus gefällige Mischung aus Hardcore, Punk und Thrash Metal, der zwar nicht so überragend abgeht wie PRESIDENT EVIL, aber dennoch ganz verdaulich klingt. Und wen interessiert denn eigentlich bei GWAR die Musik? Diese Band ist daraufhin ausgelegt, eine möglichst geschmacksfreie Show jenseits moralischer Grenzen zu zelebrieren. Welche Gruppe lässt schon auf ihrem Gig eine Hitlerfigur erst masturbieren, dann diese anhacken und ihr zum Schluss einen Pfahl in den Anus schieben, an dem sich das wild fuchtelnde Hitler-Imitat schließlich hinaustragen lässt?! GWAR haben solche Art von Späßen immer schon so aufgeführt: Die Band ist ein Experiment von Studenten der Virginia Commonwealth University in Richmond, Virginia und wurde 1985 gegründet. Seitdem treten sie bei Konzerten mit riesigen Monsterkostümen auf und lassen ihre Fans sich an künstlichem Blut und Sperma laben. Logisch, dass sie mit diesem Konzept die Sittenwächter der Welt verunsichern. Auch jetzt, mehr als 20 Jahre nach Bandgründung, gleichen sie immer noch einem Ereignis, gegen das die gehypten Monsterrocker von LORDI wie eine Faschingstruppe wirken. Ein Journalist der besseren der beiden Potsdamer Tageszeitungen stellt am nächsten Tag die richtigen Fragen: "Nach der Show schwirren viele Fragen im Kopf herum: Schließen sich "geschmacklos" und "unterhaltsam" prinzipiell aus? Was für Zeug schmeißen Gwar ein, wenn sie Konzert-Konzepte entwerfen? Bekomme ich das Kunstblut jemals aus der Jeans gewaschen? Kann ein Journalist Gefahrenzulage für die Berichterstattung eines Gwar-Konzertes verlangen? Wer muss die Sauerei jetzt aufwischen?" Ja, wer wohl? Der Chef des Lindenparks sagt hinterher auf die Frage, wie viel Aufräumpersonal eigentlich da ist: "Wohl nicht genug." Ohne Worte ...

Redakteur:
Henri Kramer

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