Hütte Rockt Festival 4 - Georgsmarienhütte

19.09.2010 | 16:20

27.08.2010, Hütte-Rockt-Festivalgelände

Den Fluten trotzen mit guter Musik! Beim "Hütte Rockt Festival" war auch 2010 wieder feierfreudige Stimmung.



Das Programm des Samstags als langem Spieltag begann bereits zur Mittagszeit und in bester Laune, denn nicht nur blieb es vorerst zumindest von oben trocken, nein, auch die Wolkendecke war inzwischen weit aufgrerissen. Gummistiefel waren aufgrund des zertretenen Bodens zwar nach wie vor das wichtigste Accessoire des im Trend liegenden Festivalgängers von Welt, doch hatte das gute Wetter nun auch mehrere Familien angelockt. Zwei Geschwisterchen von zusammen unter zwei Metern Gesamtlänge sollten im Laufe des Tages immer wieder für Amüsement sorgen, da sie in der hiesigen Matschlache den wohl schönsten Spielplatz von ganz Georgsmarienhütte gefunden hatten und wilder umeinanderliefen, öfter umfielen und schneller aufstanden als so mancher hartgesottene Moshpit- und Circle-Pit-Veteran. Ja, die Stimmung bei "Hütte Rockt" war am Samstag so gut, dass selbst spätere Schauer ihr nicht das Geringste mehr anhaben konnten. Sie nach einer für viele klammen Nacht wieder anzufachen, war die Aufgabe der ersten Band des Tages. Als die Jungs von FRED GORDON die Schlammschlacht vor der Bühne samstagmittags (wieder-)eröffneten, taten sie dies in strahlendem Sonnenschein. Die Band verstand zu rocken und stellte mit einer wirklich durchweg soliden Show ihre Anheizerqualitäten unter Beweis. In einigen Momenten erinnerte ihr treibendes Spiel gar an die Niederländer von PETER PAN SPEEDROCK. 

Derben Hardrock mit kaputter, aber uriger Stimme boten FOOL 44 und traf damit den Nerv des Publikums. Sänger Fabian wirkte ziemlich lässig und doch wie eine echte Rampensau, ganz so, als sei die Bühne sein Zuhause, und wirkte aufgrund seiner eigenwilligen Gestik mitunter wie eine entspanntere Version des jungen Joe Cocker. Apropos Bühnenpräsenz: Überhaupt klangen FOOL 44 als seien sämtliche ihrer Songs direkt für die Bühne geschrieben worden. Ob sie auch aus der Konserve funktionieren, ist fast schon wieder egal, wenn das Publikum sich auch noch eine zweite Zugabe wünscht. Doch beim "Hütte Rockt Festival" setzt man auf einen dichten Zeitplan und dessen Einhaltung, zumal wenn wie an diesem Samstag noch fünf weitere Bands ihren Auftritt erwarten. Und so räumten FOOL 44 auf dem Höhepunkt der Stimmung die Bühne. Wenn es am schönsten ist, soll man gehen.

Matsch, Metal, Moshen. Es war Zeit für das SLAYENSEMBLE. Auf diese Band hatten augenscheinlich einige nur gewartet. Die Meute ging von Anfang an ab und gab alles. Auch die Band schritt engagiert, wenn auch fast schon etwas zu routiniert zu Werke. Musikalisch war das, was hier geboten wurde, soweit ich als etwas SLAYER-ferner Zuhörer das beurteilen kann, alles andere als schlecht - jedenfalls konnte ich nirgendwo einen Makel entdecken -, doch Sänger Aloha Monov agierte nicht so (bewegungs-)enthusiastisch, wie man das von einem Frontmann erwarten könnte. Musste er zwar auch nicht, denn was ihm an Bühnendynamik abging, machten die Metalfans vor der Bühne weitgehend wieder wett. Ein Festivalgänger in Hörreichweite jedoch äußerte sich eher dahingehend, SLAYER gebe ihm ja ohnehin nichts, der Frontmann aber habe zudem auch noch wie eine Couch-Potatoe gewirkt, die nach anstrengender Nachtschicht endlich zu Hause angekommen noch kurz ungelenkig und völlig übermüdet SLAYER per Guitar-Hero aufleben lässt, bevor er auf dem Sofa endgültig wegtritt. Ganz so arg empfand ich es zwar nicht, lasse das jetzt aber trotzdem mal so stehen. Klanglich hingegen ging es gut ab.

Noch besser kam heute vor Einbruch der Dunkelheit nur ONKEL TOM ANGELRIPPER mit seiner Band an, und bei diesen Musikern merkte man auch jederzeit, dass sie ebenso gerne wie oft auf der Bühne stehen. Mit jeder Faser seines Metalveteranenkörpers präsent, brachte SODOM-Fronter Tom Angelripper nicht nur die Masse in Wallung, sondern vereinnahmt die Bühne, als wäre sie sein Balkon und er gerade nach Hause gekommen, wo er sich zur Krönung des Tages erstmal ein Bier aufmacht. Bier ist dann auch das Motto des Gigs, denn außer Saufliedern mit unglaublich stumpfen Texten gab es hier nichts zu hören. Wenn man bedenkt, dass Alkohol mehr Opfer fordert als jede andere Droge, ist die Verherrlichung, mit der hier selbst Frustsauftexte launig ins Volk geschmettert wurden, mehr als nur grenzwertig. Selbst die Sauffreunde der FROG BOG DOSENBAND hatten bei "Hütte Rockt" im Vorjahr hin und wieder auch noch andere Texte am Start und stellten das Ganze eher in einen Nonsens-Kontext. Hier hingegen beschleicht mich das Gefühl, die konstante Drogenverherrlichung sei ernsthaft oder zumindest authentisch programmatisch gemeint.

Die teils kaum oder nicht mal volljährigen Fans in den ersten Reihen feierten das begeistert ab, und ich bin mir alles andere als sicher, ob das nun an der - im Übrigen wirklich astreinen und im traditionellen Rahmen auch abwechslungsreichen! - Bühnen- und Instrumentaldarbietung lag oder nicht doch eher an der gemeinsam leidenschaftlich gepflegten Bierlaune der Anwesenden. Zwischen der perfekt gezockten Musik zu Texten wie "Auf nach Wacken! Kopp in'n Nacken!" und "In München steht ein Hofbräuhaus" fanden allerlei pubertäre Späße wie Bierschaum-Erguss aus einer im Schritt aufgerichteten Flasche ihren Weg ins Publikum, aber auch diverse Paraphernalia wie Drumsticks, Plektren und über die Bühnenabsperrung gereichte Biere. Zudem gab der gut gelaunt und publikumsnah wirkende Onkel Tom noch bekannt, dass demnächst ein neues Album von DIE KNAPPEN ansteht.

Bühnen-Highlight des Tages für mich war zweifellos der Auftritt von SERUM 114. Und augenscheinlich stand ich mit dieser Ansicht auch nicht alleine da. Bereits im Vorjahr hatten die Jungs derbe gerockt und ihre mal rotzig-hymnischen, mal zynischen Songs äußerst energetisch und mit dynamischer Bühnenshow unters Volk gebracht. Gerade Sänger Esche brachte auch dieses Jahr wieder vollen Körpereinsatz. Statt Stage- gab es Muddiving, und selbst nach dem gepflegten Gesuhle mit Gitarre hatte Esche noch nicht genug von seinem Bad in der Menge, sondern mischte im Getümmel vor der Bühne noch ordentlich mit. Das nennt man wohl mit gutem Beispiel vorangehen. Und die Hütteraner gingen mit! Nicht nur im Pit war das Publikum empfänglich für den rauen Sound und das Agieren der Musiker - und das völlig zu Recht, denn die Wirbelwinde aus Hessen spielten Punkrock bis zum Anschlag. Auf dem Weg zurück zur Bühne kniete sich Esche noch einmal richtig rein - in sein Gitarrenspiel, aber auch in den Matsch des Fotograbens. Natürlich durften auch bei diesem Gig solche Livehits wie der Magersuchtsklopper 'Du bist zu fett', das exzessive 'Las Vegas' und 'Lass uns Feinde sein' nicht fehlen. Fett! SERUM 114 gilt es unbedingt anzuchecken, wenn ein Festival- oder Clubgig in eurer Nähe ansteht. Das ist alles andere als 08/15-Punk, und selbst falls die Musik nicht hundertprozentig die eure sein sollte, ist eines doch sicher: Stimmung.

Stimmungshits der etwas anderen Art brachten die MONSTERS OF LIEDERMACHING zu ihrer Akustikshow mit, und dass die Gruppe damit tatsächlich ankam auf einem Festival, das sich sonst ganz dem derben Rock in unterschiedlichen Spielarten verschrieben hat, ist beachtlich. Das hatte allerdings seinen ganz eigenen Charme, wie die Gruppenmitglieder da, Hühnern auf der Stange gleich, auf der Vorderbühne saßen, ihre Instrumente stimmten, plauderten und herumblödelten, bis jeweils der nächste einen Song vorstellte, bei dem ihn die anderen durch Begleitung unterstützten. So wurden in familiärer Stimmung Stücke voller Anzüglichkeiten, Ironie, Wortspielereien, Nonsens und Momenten der Interaktion mit dem Publikum zum Besten gegeben.
[Eike Schmitz]

Dabei wirkten die MONSTERS wie eine Maschine, die, vorausgesetzt sie erhält immer genügend Bier und Kippen als Input, scheinbar endlosen Blödelspaß als Output liefert. Die MONSTERS feierten auf der Bühne ihre eigene Party, an der sie das ganze Publikum teilhaben ließen. Leider nutzt sich das bewährte, aber wenig neue Programm mit der Zeit doch stark ab, so dass man sich sicherlich irgendwann einmal an den MONSTERS sattgesehen hat. Nichtsdestotrotz waren die MONSTERS OF LIEDERMACHING dem fröhlichen Kichern und Glucksen im Publikum nach zu urteilen sicherlich für die Eine oder den Anderen die unerwartete Neuentdeckung des Tages.
[Sascha Lutters]

Gespickt war das Ganze an diesem Samstag immer wieder mit Hinweisen auf die im Anschluss spielende SONDASCHULE - ganz so, als hätten die MONSTERS das Publikum nicht ohnehin schon auf ihrer Seite gehabt. Da es sich hier jedoch um einen Festivalgig mit begrenzter Spielzeit handelte, war viel früher Schluss, als auch die MONSTERS selbst sich das gewünscht hätten, doch für mehrstündige Gigs, was für MONSTERS-Gigs gerne mal üblich sein soll, war hier einfach keine Zeit. Schließlich musste vor dem Auftritt von SONDASCHULE auch noch die Bühne wieder umgebaut werden.

Längst hatte sich das Festivalgelände, und zwar das ganze Festivalgelände, unter den alles zu Brei matschenden Tritten von über 1.500 überwiegend begummistiefelten Besuchern in einen einzigen Morast verwandelt. Die in vorbildlicher Sorge von den Ausrichtern gegrabenen Entwässerungsrinnen ("Hütte Rockt River - kein Trinkwasser!") führten trotz weitgehend niederschlagsfreier Witterung noch immer konstant Wasser, doch ändern konnten sie jetzt auch nicht mehr viel - außer vielleicht bewirken, dass der Schlammtümpel seine über weite Strecken eher quutschende als schlabbrige Konsistenz behielt.

Das seit Anfang der Woche vollgesogene Erdreich glich nicht mehr einem Schwamm, sondern war um Bühne und Ausgang herum zu einer mittlerweile nahezu homogenen Brühe geworden, in der allenfalls gelegentlich noch der ein oder andere längst verlorgen geglaubte Schuh auftauchte. Selbst der zuvor noch einem "Rettungsweg" gleichende, längs durch den tiefen Schlamm in der Mitte des Moshpits über die Kabelabdeckung zwischen Bühne und Technikzelt gelegte Pfad aus Gummimatten ließ sich durch den seit geraumer Zeit immer wieder darüber geschwappten Morast eher erahnen als mit dem Fuß ertasten, bot aber immerhin etwas mehr Halt für die letzten Hüpffreudigen. Über weite Strecken hinweg bestand der Boden des Festivalgeländes jedoch nur mehr aus Schlick und darin verloren gegangenen Gegenständen.

Dennoch versuchte sich ein harter Kern von Ska-Punk-Fans während des Auftritts der Funtruppe SONDASCHULE immer wieder an dem, wofür diese Musik am besten geeignet ist: Tanzen - oder zumindest doch Zappeln. In Bewegung bleiben sollte man auch, denn sonst saugten sich die Stiefel im Schlamm fest. Schlamm-Fest, das ist es, wozu das "Hütte Rockt" 2010 geworden ist: Die Stimmung konnte besser kaum sein, und darüber schienen die aufspielenden Bands allemal noch verwunderter zu sein als wir Festivalgänger. Jedenfalls wurde selten einem Publikum so viel Lob zuteil wie den wackeren Hütteranern auf dieser ehemaligen Wiese. Auch SONDASCHULE-Sänger Costa Cannabis bedankte sich für die Wahnsinnsstimmung, indem er uns den Titel 'Dumm aber glücklich' widmete. Ansagen waren die einzigen Momente, in denen er einmal stillhielt. Ansonsten wurde gezappelt, was das Zeug hielt, und auch die übrigen Bandmitglieder wirbelten mitunter über die Bühne, dass man oft eine Karambolage fürchtete. Auf Platte müsste ich den mitunter schon ins schlagereske driftenden sowie in Studioversionen längst nicht so kraftvollen Sound von SONDASCHULE echt nicht haben, aber live macht die Band mächtig Laune. Die Posaunenklänge verleihen den Songs hier die für Spaßpunk so dringend nötige Energie, und die leicht chaotische, dafür aber ebenso mitreißende wie energetische Bühnenperformance tut ihr Übriges, um auch noch den letzten Bewegungslegastheniker in Wallung zu bringen.

Einen deutlich schwereren Stand hatten zunächst die Crossover-Veteranen von DOG EAT DOG. Vielen der jüngeren Anwesenden dürften sie vor dem Festival gar kein Begriff gewesen sein, und auch dem übrigen Publikum schien ihr Sound, von einigen textsicheren Ausnahmen abgesehen, mittlerweile altbacken zu klingen. Eine besonders traurige Gestalt in der ersten Reihe schien die Amis gar zum Feindbild erkoren zu haben; jedenfalls wusste er mit seiner Lebenszeit offenbar nichts Besseres anzufangen, als den gesamten Gig über mit erhobenem Mittelfinger am ausgestreckten Arm vor der Bühne zu verharren und sich allem Anschein nach mächtig zu langweilen, während die Band mit einem unerschütterlichen Optimismus aus der Situation das Beste zu machen und aus dem eher trägen Publikum das Äußerste herauszuholen versuchte.

Tatsächlich gelang es ihr, und das zu vorgerückter Stunde, die bei mittlerweile deutlich gesunkener Außentemperatur nach der letzten Umbaupause noch einmal aus dem Zeltdorf und von den Vergnügungsständen vor die Bühne gelockten Menschen langsam, aber sicher warmzuspielen und aus der mehr als nur anfänglichen Reserve zu locken. Zunächst noch zäh, im späteren Verlauf des Gigs jedoch immer steiler stieg die Stimmungskurve wie eine Parabel auf Durchhaltewillen,

Standfestigkeit und immer wieder Einsatz, Einsatz, Einsatz. Starke Leistung, wenn auch mit deutlichen Anfangsschwierigkeiten. Leider konnte das Saxophon in jüngeren Stücken wie 'MILF' nicht so sehr glänzen, und von den alten Hits hätte ich als Zugabe gerne 'In The Doghouse' noch einmal gehört, doch das sind Nebensächlichkeiten. Trotz des nicht immer gut gealterten, mittlerweile etwas überholt wirkenden Stils hat DOG EAT DOG die Hütte letztendlich gerockt, und das ist es, was zählt. Spätestens, als die Band zwei extra vom vorherigen Gig aus der Schweiz bis nach Georgsmarienhütte angereiste Fans mit auf die Bühne bat, war das Eis gebrochen. Auch SERUM 114-Schlagzeuger Nils durfte noch für einen Song hinter der Schießbude Platz nehmen, und bei 'No Fronts' schließlich ging in den ersten Reihen nahezu das gesamte Publikum begeistert mit. Nur ein armer Tropf reckte am Ende des Gigs noch immer einsam den Mittelfinger gen Bühne. Pünktlich um halb zwölf war auf der Bühne dann Schluss, doch auf dem "Hütte Rockt"-Gelände wurde weitergefeiert bis spät in die Nacht. Als wir gegen zwei Uhr das Festival verließen, lief im Discozelt gerade 'Painkiller'. Man soll gehen, wenn es am schönsten ist.

Redakteur:
Eike Schmitz

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