IGORRR und BIRDS IN A ROW - Leipzig
19.06.2024 | 22:2609.06.2024, Conne Island
Was für ein Fest! Beste Laune auf allen Seiten.
Sonntagabende verbringe ich normalerweise gern ruhig daheim, um halbwegs ausgeruht in die neue Woche starten zu können. Doch wenn IGORRR sozusagen gleich um die Ecke vorbeischaut, kann man nur schwerlich widerstehen. Und nachdem es auch noch heißt, dass es das einzige Konzert in Deutschland im Rahmen der "Spirituality And Distortion"-European Summer Tour 2024 sein wird, gibt es für mich kein Halten mehr. So verlasse ich frühzeitig die Geburtstagsfeier meines Bruders mit seiner Einwilligung und begebe mich mit meiner Begleitung rechtzeitig ins Conne Island in Leipzig. Schon auf dem Hinweg begegnen wir einem augenscheinlichen IGORRR-Fan, der freudestrahlend eine beim Merchstand ergatterte Vinyl zum Auto trägt. Problemlos und flink passieren wir den Einlass, um überrascht festzustellen, dass die Location für den Zeitpunkt bereits sehr gut gefüllt ist.
Als die Vorband BIRDS IN A ROW dann mit ihrem Set beginnt, ist die Halle auch schon voll. Obwohl mir der Bandname bereits untergekommen ist, meine ich, bisher noch nicht eine einzige Note dieser speziellen Mischung aus Hardcore, Punk und Post Metal vernommen zu haben. Eine Lücke, wie sich herausstellt, denn die drei Franzosen bieten in diesem Sektor ihre Songs in einer Qualität und Intensität dar, die schlichtweg mitreißend ist. Nicht nur ich lasse mich davon anstecken, in den Gesichtern der umstehenden Konzertbesucher zeichnet sich volle Zufriedenheit ab, andere lassen sich gar körperlich anstecken und verfallen in Bewegung. Ein sehr gelungenes Set, das sich hervorragend eignet, um die Stimmung der Anwesenden aufzuheizen, das vermutlich aber auch als für sich stehendes Einzelkonzert oder gegebenenfalls mit eigenem Support Act gut funktionieren würde.
Anschließend hat man ausreichend Gelegenheit, seine Notdurft zu verrichten, sich mit flüssigem Nachschub je nach Geschmack sowie bei Bedarf mit fester Nahrung zu versorgen. Natürlich kann man auch dem gut bestückten Merch-Stand einen Besuch abstatten oder draußen in einer Art Biergarten unter den alten Kastanien ein Weilchen frische Luft schnappen. Bei Rückkehr in die Halle fällt es nun schon deutlich schwerer, irgendwo noch eine Lücke zu entdecken, von der man mit zirka 1,65m Körpergröße noch einen Blick auf die Bühne erhaschen kann. Doch mit etwas Glück schaffen wir es, bis zu einem Punkt vorzudringen, von dem wir alle auf der Bühne agierenden Musiker im Auge behalten können und der sich später noch als Rand des Pits herausstellen soll. Dort angekommen werden bereits einige ungeduldige Rufe und Pfiffe laut, die den französischen Headliner wohl auf die Bühne locken sollen.
Es verstreichen jedoch noch einige Minuten, bevor der DJ als Erster seine erhöhte Stellung einnimmt und mit ersten anregenden Tönen einen Appetizer serviert. Währenddessen nimmt der Schlagzeuger Sylvain Bouvier seinen Platz ein und Projektgründer Gautier Serre greift zu seiner Gitarre. Kurz darauf stoßen denn auch Laurent Lunoir und Laure Le Prunenec hinzu. Ersterer, der hauptsächlich für die Growls verantwortlich zeichnet, ist aufgrund dunkler Gesichtsbemalung und Kleidung samt Kapuze kaum zu erkennen. Zweitere kommt mit fescher Frisur daher - dieses hochstehende Zöpflein scheint eine eigene Energie beim Mitwippen und -schwingen zu entwickeln - und bietet unter anderem Operngesang an, schweift mit ihrer Stimme aber auch gerne mal in experimentelle Gefilde ab.
Bereits im vorangegangenen Jahr konnte ich mich in Berlin davon überzeugen, wie genial die Musiker es schaffen, ihr Publikum auf packende Art und Weise in Verzückung zu versetzen, als sie nach HANGMAN'S CHAIR, DER WEG EINER FREIHEIT und AMENRA die Bühne stürmten und stimmungsvoll den Abend abrundeten. Auch heute Abend verwandelt sich das Konzert zu einer ausgewachsenen Party deluxe. Der Gitarrist beschreibt selbst am besten das Dargebotene: "Es ist ein buntes Potpourri – aus Barockmusik, Klassik, Black und Death Metal, Balkanmusik, einigen indischen Einsprengseln und Musetten. Ich würde sagen, es ist mein persönliches Musikideal – es ist weniger ein Genre, vielmehr mein persönlicher Geschmack." (Quelle: Eventbeschreibung unter TixforGigs).
Die mitunter schon fast infantile Spielfreude und lebhafte Energie der Band überträgt sich schlagartig auf die Menge. Arme recken sich nach oben und die Leute bewegen sich im Takt, manche tanzen sogar mit. Es dauert nicht allzu lange und in der Mitte bildet sich ein Pit heraus. Kurz entsteht ein Strom aus denjenigen, die diesem entfliehen wollen, und anderen, die sich mitten hinein werfen wollen. Als jeder seinen Platz gefunden hat, hat wieder jeder Besucher sichtlich seinen Spaß. Die Aktiveren toben sich im Pit und tanzend vor der Bühne aus, alle Übrigen können ihre Augen an der Bühnenshow ergötzen. Allen gemein ist der Genuss des Gehörten. Ein wahrer Ohrenschmaus!
In einer wilden Mischung trägt IGORRR seine Gäste mit Tracks wie 'Nervous Waltz', 'Downgrade Desert' und 'Camel Dancefloor' durch den Abend. Das herrliche 'Himalaya Massive Ritual' findet ebenfalls seinen Platz in der Setlist. Doch auch Songs, die nicht auf dem letzten Album "Spirituality And Distortion" vertreten sind, werden gespielt. Als Beispiele hierfür sollen an dieser Stelle 'Viande' und 'Opus Brain' dienen. Persönlich fehlen mir lediglich 'Lost In Introspection', 'Barocco Santini' und mein Lieblingsstück 'Kung-Fu Chèvre', welches mir immer spätestens mit dem plötzlichen Auftauchen eines Ziegengemeckers ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Aber man soll ja nicht unersättlich sein und der Abend ist mir auch so ein Fest!
Nach Erfüllung der lautstark geäußerten Wünsche nach Zugabe, verlässt die Band bis auf den DJ unter andauerndem Applaus die Bühne, nur um kurz darauf wiederzukommen, um mit dem Publikum zu den basslastigen Klängen des DJs abtanzend den Abend zu beenden. Der Gitarrist lässt sich sogar zu einem Stagedive hinreißen, worauf die Konzertbesucher begeistert reagieren. Heftiger Applaus und laute Rufe flammen auf, sobald der letzte Ton verklingt. Höchstzufrieden über einen perfekt gelungenen Konzertabend können sich alle auf den Heimweg sowie die Bands sich in den "Feierabend" und später zur Ruhe begeben. Ich jedenfalls kann beide Acts nur jedermann bei Interesse weiterempfehlen, sollte sich künftig in Deutschland oder in einem Nachbarland wieder die Möglichkeit dazu bieten. Den aktuellen Tourplan von IGORRR kann man auf der Webseite der Band einsehen. Lasst euch diese Art Metalorgie nicht entgehen!
Fotos: Florian J. Rosenlehner (1&2), Susanne Schaarschmidt (3&4)
- Redakteur:
- Susanne Schaarschmidt