KAMELOT, REVAMP und TELLUS REQUIEM - München
21.11.2013 | 21:5819.11.2013, Backstage, Halle
Von Jongleuren und Spielmännern: KAMELOT ist live eine Macht!
Letztes Jahr im November war KAMELOT unterwegs, um das damals brandneue Album "Silverthorn" und den neuen Sänger Tommy Karevik zu präsentieren. Danach ging es nach Asien und die USA und nun kommt der "Silverthorn"-Tross noch ein weiteres Mal nach Europa. Ich freue mich also riesig auf eine voll eingespielte Band und darauf, einige Songs meines Lieblingsalbums 2012 endlich auch live erleben zu dürfen. Davor gibt es für zwei vielversprechende Bands, deren Namen ich vor dem Gig noch nicht gehört hatte, die Chance, ihr Können zu beweisen.
KAMELOT-Mastermind Thomas Youngblood hat ein Faible für norwegische Sänger und so verwundert es im Nachhinein nicht, dass mit TELLUS REQUIEM eine Band aus Norwegen eröffnen darf. Die Gruppe spielt breakdurchsetzten Progressive-Metal, der nach einer kurzen Gewöhnungsphase zu gefallen vermag. Leider ist es sehr laut und der klapprige Sound des sechsseitigen Basses kaut einem die Ohren ab, aber die Band zockt sich beeindruckend tight durch komplexeste Rhythmusverschiebungen. Dreh- und Angelpunkt ist Gitarrist und Bandkopf Stig Nergård, der sich als Shredder vor dem Herrn entpuppt und Gitarrensolonerds wie mir einiges bietet. Blass hingegen bleibt der Gesang, was auch daran liegen kann, dass er gegen die brachialen Sound kaum durchkommen kann. Andeutungsweise gibt es nämlich ein paar sehr schöne, auch mehrstimmige Melodien zu hören, die die harten Songs geschickt konterkarieren. Von den von der Band propagierten Einflüssen aus klassischer- und Film-Musik ist indes live wenig zu hören. Deshalb kann ich nur empfehlen, da mal in die Konserve reinzuhören. Lohnt sich!
Dem kann ich genau so beipflichten. Zwar höre ich als bekennender Banause das Bassproblem nicht, aber was mir fehlt sind die griffigen Melodien. Das ist alles nett, das hat Schmiss, aber wenn man die Songs erstmals hört, ist vielleicht eine CD besser als das Bühnenerlebnis. Dennoch: nicht schlecht.
REVAMP entpuppt sich dann als gar nicht so unbekannt. Die Frontdame ist nämlich Floor Jansen und die ist immerhin die neue Trällerliesel bei NIGHTWISH! Obendrein kollaborierte die Dame mit Arjen Lucassen (AYREON, STAR ONE) und war früher Sängerin der Prog/Symphonic-Metaller AFTER FOREVER. Auch RE-VAMP kennt keine Gnade mit malträtierten Ohren und schiebt modern-härtnerische Gitarrensalven aus den Boxen. Floor Jansen hat aber eine kräftigere Stimme als ihr männlicher Vorgänger von TELLUS REQUIEM und kann damit die Songs dominieren. Auch wenn sie mich an diesem Abend etwas stresst, muss ich ohne Argwohn anerkennen, dass Frau Jansen eine tolle Sängerin ist. Sie beherrscht von TARJA-mäßigem Sopran bis hin zu dämonischen Growls so ziemlich alles, was man von einer Metalsängerin heutzutage erwartet. Am liebsten ist sie mir aber als einfache Rocksängerin in normaler Tonlage. Floor ist eine charmante Frau, die in der Lage ist, die Show für das große Publikum zu machen und trotzdem durch ihre sympathische Art eine Nähe zu diesem aufzubauen. Ob sie nun bei REVAMP bleibt? Diese Band ist nämlich im Gegensatz zu NIGHTWISH keine allzu leichte Kost, ist im Riffing recht hart und modern a la NEVERMORE, kommt live roh und energetisch rüber und arbeitet bisweilen auch mit verzerrten elektronischen Sounds. Doch Floor kann immer wieder eine melodische Lücke schaffen und einen prägnanten Refrain draufpacken, wie z.B. bei 'Wolf & Dog', dem Raussschmeisser, der mich nach anfänglicher Skepsis gegenüber so einem Sound ziemlich überzeugt.
Immerhin sind wir nicht immer einer Meinung. Zwar ist es absolut korrekt, das Floor eine tolle Sängerin ist, die es wirklich drauf hat und von Operette zu Growls zu Rockröhre wechseln kann, aber leider ist das, was uns geboten wird, musikalisch nur auf Härte getrimmt und lässt griffige Melodien vermissen. Dass ich das einmal von Frau Jansen sagen würde, hätte ich nie gedacht. Aber momentan scheint sie ziemlich heftig drauf zu sein, sie bangt, was der Nacken hergibt, und animiert das Publikum sympathisch und erfolgreich, es ihr gleich zu tun. Einige der späteren Songs, vielleicht habe ich mich auch einfach nur daran gewöhnt, laufen mir dann besser rein und ich glaube fast, mitsingbare Refrains zu entdecken. Was wirklich im brachialen, lauten Sound nicht ganz einfach ist. Daher insgesamt ein Auftritt, der mich nicht mitreißen kann. Ich mag Floor trotzdem, und da ich nichts gegen Entwicklung habe, nehme ich REVAMP zur Kenntnis und warte mal ab, was da in Zukunft kommen wird.
Setlist REVAMP: The Anatomy of a Nervous Breakdown: On the Sideline,The Anatomy of a Nervous Breakdown: The Limbic System, Head Up High, Wild Card, Sweet Curse, In Sickness 'Till Death Do Us Part: Disdain, Precibus, In Sickness 'Till Death Do Us Part: Disgraced, Wolf and Dog
Wenn man an einem langen Wochentag nach anstregender Arbeit auf ein Konzert geht und um 22 Uhr nach zwei bei aller Klasse auch stressigen Vorbands kaum mehr Energie hat, die Vorfreue für den Hauptact aufrecht zu erhalten, muss dieser schon richtig gut sein, wenn er einen mitreißen will. Dass ich nach dem Gig so voller Energie bin, daß ich kaum einschlafen kann, spricht dann nur für die Klasse von KAMELOT. Würde man einen KAMELOT-Gig mit einem Film vergleichen, wäre er ein sauteuer produziertes, actiongeladenes Fantasy-Märchen mit allerlei Gimmicks, Special Effects und damit viel Unterhaltungswert. Popcorn-Kino deluxe sozusagen. KAMELOT holt aus der eher bescheidenen Location alles raus, was man mit Hilfe von Lightshow und Bühnenaction auffahren kann. Die Bühne hat eine Rampe, auf der die Musiker nach vorne treten und in den Focus der Aufmerksamkeit rücken können und diese nutzt Tommy Karevik ausgiebig. Tommy ist ein geborener Entertainer, agiert wie ein Hollywoodschauspieler, groß, in schwarzem Leder, gutaussehend und noch besser singend. Ein Showman, dem die Leute aus der Hand fressen. Mitsingspielchen gehören zu den Dingen, die die meisten Konzertgänger albern finden und die eher nerven, bei Karevik macht (fast) jeder mit!
Damit so etwas aber auch gut geht, muß man mitreissende Musik auf das Parkett legen, doch mitreissende Musik ist das Trademark von KAMELOT. Egal oder neue Songs von "Silverthorn" oder ältere Kracher, jeder Ton sitzt. Ich habe das Münchener Publikum letztens öfter als lahm und müde gescholten, hier ist es fantastisch, macht jeden Blödsinn mit und feiert die Songs enthusiastisch ab. Als ganz besonders toll entpuppen sich die Speedkracher wie 'Center Of The Universe', 'When The Lights Are Down' oder 'Karma' mit herrlichen Refrains, meine persönlichen Highlights sind das gänsehäutende 'Song For Jolee' und 'My Confession'. Ich will nicht wissen, wieviele Stunden dieses Jahres mir diese beiden Songs im Ohr geklebt sind, aber ehrlich, bessere Ohrwürmer kann man nicht haben. Eine gute Figur macht auch Sängerin Alicia White-Gluz (THE AGONIST), die meist im Hintergrund - anfangs mit einer venezianischen Maske - das charmante Vamp gibt. Bei 'My Sacrimony (Angel Of Afterlife)' darf sie aber auch mal nach vorne und sich bejubeln lassen, verdient hat sie's. Leider schreckt KAMELOT nicht davor zurück, neben den oben erwähnten Oh-Oh-Oh-Singspielen auch Bierholpausen, ähem, ich meine Instrumental-Soli (Drums, Bass und Keyboard!) zwischen den Songs einzubauen. Doch auch das funktioniert! Erstens sind diese Einlagen kurz, zweitens spektakulär und arten drittens nicht in reine Technikdemonstationen aus. Wobei Drummer Casey Grillo sicher nicht an Gimmicks beim Schlagzeugspielen spart, es fliegen die Drumsticks, sie flutschen nur so durch die Finger. Jongleure und Spielmänner haben aber schon im Mittelalter das Volk fasziniert und wenn sie gut waren, konnten sie durchaus einen großen Status in der Gesellschaft erlangen. KAMELOT ist toll und ich wünsche mir, dass die Band in Zukunft noch bekannter wird. Sie gehört nämlich auf die richtig großen Bühnen. Beeindruckender Auftritt!
Irgendwie mache ich hier heute den Miesepeter, das liegt aber sicher einfach daran, dass Tommy so feiert. Es ist richtig, die Band reißt mit, Karevik macht seinen Job ganz großartig, und ich als großer Khan-Fan, der die Band mehrfach mit seinem Vorgänger live erlebt hat, muss zugeben, dass Roy selten so gut war wir der Neue es heute ist. So gesehen alles im grünen Bereich. Auch erwähnen möchte ich Basser Sean Tibbetts, der Hummeln im Hintern hat. Jetzt aber zum Motzen: KAMELOT ist zum zweiten Mal mit dem aktuellen Album auf Europatour. Da habe ich eigentlich gehofft, dass es mehr ein Klassikerset würde und nicht eine Art "Silverthorn und Gäste". Fünf Songs vom aktuellen Album, dass zwar gut ist, aber von dem man auch sagen muss, dass es insgesamt eher im Mittelfeld der Diskographie anzusiedeln ist, sind mir etwas viel. 'Song For Jolee' würde ich jederzeit gegen 'Don't You Cry' oder 'Wander' eintauschen, 'My Confession' muss ich schon auf der CD nicht immer haben, und dass es überhaupt nichts von der Zeit vor "Karma" gibt, finde ich mehr als schade. Ja, genau, kein 'Fourth Legacy', kein 'Nights Of Arabia', kein 'Call Of The Sea' und kein 'Expedition'. Und kein 'We Are Not Separate'! Klar, alles geht nicht, aber so ein, zwei Liedchen für die alten Fans hätten mir gut gefallen. Obendrein fehlt 'Memento Mori', für mich der größte KAMELOT-Song überhaupt. 'The Human Stain' beispielsweise gehörte dafür gestrichen. Zudem ist die Setlist nahezu identisch zu dem Abstecher vor fast exakt einem Jahr, und das mindestens enttäuscht auch ganz objektiv. Denn so mancher Fan der Band schaut sich vielleicht ein Jahr später erneut eine Show an, und wenn man dann aus zehn Alben fast die gleichen Songs spielt - 13 waren identisch! - finde ich das schon enttäuschend. Dafür stimme ich wieder zu, die Soloeinlagen waren weniger schlimm als ich befürchtet hatte.
Setlist KAMELOT: Torn, Ghost Opera, The Great Pandemonium, Veritas, Center of the Universe, Soul Society, Song for Jolee, Rule the World, Drum Solo, When the Lights are Down, Sacrimony (Angel of Afterlife), The Human Stain, My Confession, Keyboard Solo, Forever; Encore: The Haunting (Somewhere in Time), Karma, March of Mephisto
- Redakteur:
- Thomas Becker