KATATONIA, SOLSTAFIR und SOM - München

12.02.2023 | 18:33

01.02.2023, Backstage Werk

Ich sage zwei alten Freunden guten Tag.

Wie sich die Zeiten ändern! Als ich KATATONIA zu Ostern 2003 auf der Tour zu "Viva Emptiness" ein paar Gigs lang von Deutschland durch die Schweiz nach Italien gefolgt war, tingelte die Band noch durch die kleinsten Clubs. Damals waren auch noch die Norrman-Brüder im Line-up, erinnert sich noch einer an die? Fredrik und Mattias, ganz bescheidene Menschen, vielleicht nicht die größten Techniker, aber Musiker mit Gefühl. Es ging familiär zu bei den KATAs, auch zwischen Band und Fans.

Mann, das ist jetzt 20 Jahre her. Heute sind die KATAs nicht mehr bei Peaceville, sondern bei Napalm Records und spielen im proppenvollen Backstage Werk (die größte der drei Backstage-Venues in München) und vieles wirkt auf mich anders als damals. Ich habe die Band ein wenig aus den Augen verloren, als der Stil immer modern-proggiger, urbaner wurde. Nicht mehr ganz so heimelig. Doch trotzdem habe ich mich im Vorfeld gefreut, wieder Kontakt aufzunehmen, reinzuschnuppern, was denn so geht bei Blakkheim und Co.

SOLSTAFIR, München. BackstageLeider sind wir einmal mehr zu spät dran, um den Support-Act SOM zu erleben. Verpasst haben wir Hörproben zur Folge luftigen Post Rock mit Emo-Touch. Typischer Stoff von Pelagic Records, von Mitgliedern der Szenegrößen CASPIAN, CONSTANTS und JUNIUS. Das ist aber schon lang vorbei und wir können gerade noch rechtzeitig unsere Jacken abgeben, um die ersten Töne von SOLSTAFIR nicht zu verpassen.

Die isländischen Charakterköpfe sind nämlich Co-Headliner auf der Tour, die sich laut Vorab-Info die Spielzeit mit den KATAs brüderlich teilen. So gibt es - ich nehme es vorweg - 75 Minuten lang hervorragendes Musikkino. Ich mag die Band ja schon seit langem und durfte auch schon einige Mal für unser Magazin von ihr berichten. Das ist aber auch schon eine Ewigkeit her und schnell werde ich mir bewusst, dass ich heute nicht nur einen, sondern zwei alte Freunde besuche. 'Nattmal' von meinem Lieblingssalbum "Otta" nimmt ganz behutsam Fahrt auf und die Vocals bereiten sogar eine kleine Gänsehaut. Oh, hallo SOLSTAFIR! Lang nix gehört, aber so schön, dich zu sehen! Auch der nächste Song ist bekannt, nämlich 'Köld' vom gleichnamigen Album, das gar noch ein wenig Schwarzmetall-Ingredienzien aufweist.

SOLSTAFIR, München. BackstageLeider passiert in der Folge etwas mit dem Sound, vor allem die Vocals sind nicht mehr so prägnant wahrnehmbar und das Schlagzeug hat irgendwie nur ganz wenig Wumms. Bei den lauten Passagen verwaschen die Gitarren auch zu sehr. Das sind Umstände, die beim härtesten Track 'Bloodsoaked Velvet' und dem folgenden 'Rökkur', bei dem der Gesang in der Studioversion große Gefühlsspagate macht, etwas die Stimmung trüben. Auf Menschen, die SOLSTAFIR gar nicht kennen, wirkt das hier Gebotene seltsam und schwer zu fassen.

Doch für mich persönlich dreht SOLSTAFIR den Spieß wieder, spätestens mit dem Hit 'Fjara', dessen Melodie mir seitdem tagelang nicht mehr aus dem Kopf gehen will. 'Otta' ist auch ganz wundervoll und beim abschließenden 'Goddess Of The Ages' wirkt das Bier so richtig und ich lasse mich voll in die Orgie aus flirrenden Gitarren und flatternden Drums fallen und verwandle mich in Zappelphilipp.

Setliste: Náttmál; Köld; Melrakkablús; Bloodsoaked Velvet; Rökkur; Fjara; Ótta; Goddess Of The Ages

KATATONIA, Jonas Renkse, Backstage München 2023Ich war erstaunt, dass ich bei SOLSTAFIR fast jeden Song kannte und erfreut, dass die Band auch ihre alten Alben nicht vergessen hat. Bei KATATONIA dufte man sich aber schon 2003 keine Hoffnungen mehr machen, Lieder aus der doomigen Anfangszeit zu hören. Doch was ist mit den Hits "meiner" Zeit? 'Teargas, Sweet Nurse, 'I Am Nothing', 'For My Demons' oder 'Evidence'?

Nun, logischerweise steht die Setliste heute erstmal im Zeichen des neuen Albums "Sky Void Of Stars". Auch ich finde unseren aktuellen Soundchecksieger (zur Gruppentherapie) bei den ersten Spins ziemlich ansprechend, und dennoch funkt es in der Live-Situation nicht mehr so sehr wie früher. Die Musik ist einfach nicht mehr so klar, die Takte einen Tick zu verschachtelt, die Stimme einen Tick zu spacig. Ich gebe zu, dass die Band heute sicher tighter, professioneller, spielerisch stärker ist als damals, allerdings verspüre ich dadurch irgendwie auch eine Distanz zwischen der Musik und meinem Ohr.

Aber wir kommen uns bei 'Deliberaton' dann doch wieder ziemlich schnell näher und diesen Supersong höre ich im Nachgang mit großer Freude wieder. 'Birds' ist einer der ganz neuen Songs, der die Jahre auch überleben könnte. Und es ist eben doch nicht alles anders als früher. Jonas Renkse versteckt sich immer noch hinter seiner langen schwarzen Haarpracht und Blakkheim (Anders Nyström) ist immer noch ein Aktivposten der Band, aber nicht mehr der einzige. Auch Gitarrist Roger Öjersson und Bassist Niklas Sandin gäben ein paar coole Rockerfotos her, wenn die Band denn nicht wieder fast völlig im Dunkeln spielen würde. Das ist ein seltsamer Trend, der mich schon ein paar Mal verblüfft hat. Was ist so schlimm mit ein ein bisschen Licht auf die Musiker?

KATATONIA, Backstage München 2023Sei's drum, im Vergleich zu SOLSTAFIR ist der Sound jetzt wirklich gut und so langsam fühle ich mich danach, meinen alten Freund zu umarmen. Vor allem 'My Twin' - laut Renkse der einzige Hit, den KATATONIA je hatte - sorgt für euphorische Gefühle und mit 'Evidence' gibt es dann ganz am Schluss ein paar Erinnerungen an die alten Tage. Wer allerdings "Last Fair Deal Gone Down" verehrt, der geht heute leer aus. Diese Zeit ist definitiv vorbei. Doch für KATATONIA leicht zu verkraften, denn die Band ist so populär wie nie zuvor. Ganz heimlich freut mich das auch für sie.

Setliste: Austerity; Colossal Shade; Lethean; Deliberation; Birds; Behind The Blood; Forsaker; Opaline; Buildings; My Twin; Atrium; Old Heart Falls; Untrodden

Zugaben: July; Evidence

Fotos: Nives Ivic

Redakteur:
Thomas Becker
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