KEEP IT TRUE XXII - Lauda-Königshofen
12.05.2019 | 17:1126.04.2019, Tauberfrankenhalle
Das traditionelle Wochenende mit Urlaub im Metal-Untergrund hatte einige musikalische Überraschungen parat, leider nicht nur positive.
Das sind wir alle wieder, wie jedes Jahr, auf einer Veranstaltung, die genauso viel Metal-Festival ist wie Klassentreffen. Schon am Donnerstag, abgesehen vom Metal-Döner immer noch der traditionelle Ruhetag der Gastronomie in Königshofen, sodass wir nach Lauda fahren müssen, um etwas zu essen zu bekommen, gibt es die ersten Begrüßungen und Runden zum Fachsimpeln. In diesem Jahr fällt es mir aber deutlich schwerer, Pausen für Nahrungsaufnahme und Schnack zu finden, da das Billing mir anno 2019 besonders gut gefällt. Was mir allerdings den Beginn etwas verleidet, ist die freitägliche Schlange am Einlass. Da ich sowieso erst zu JUGGERNAUT arbeiten muss, überlasse ich die ersten beiden Bands den Kollegen und ziehe mich nochmal auf einen weiteren Kaffee zurück. Später ist der Einlass völlig unproblematisch, aber zu Beginn der Veranstaltung gibt es noch Verbesserungsmöglichkeiten. Aber wir haben ja auch junge, enthusiastische Journalisten in der Redaktion, die sich gleich mal auf die Opener stürzen.
[Frank Jäger]
Opener am "Keep It True"-Festival sind ja immer relativ frische Bands. Das gilt auch für SABIRE, einer Truppe aus Kanada, die heute den Einheizer geben darf. Dabei fällt vor allem der schräge Fronter Scarlett Monastyrski auf, der durch sein Stageacting ordentlich Betrieb macht und auch klasse singen kann. Er zieht alle Blicke auf sich und lässt uns etwas vergessen, dass da kein Solokünstler auf der Bühne ist, sondern eine durchaus tighte Band, die die Songs von der "Gates Ajar"-EP und vier weitere, mir unbekannte Titel präsentiert (von einem hoffentlich kommenden Album?). Der Sound ist klar zwischen traditionellem Heavy Metal der Marke ENFORCER und dem Hair Metal der Achtziger plaziert und reißt schon mit. Als Opener ist eine Stimmungs-Truppe wie SABIRE halt wirklich perfekt und obwohl viele die Songs noch nicht kennen, werden die Jungs ordentlich abgefeiert. Dass "Gates Ajar" danach sowohl auf Vinyl als auch als CD ordentlich über die Händlertheken wandert, darf ja als größte Auszeichnung für die jungen Wilden angesehen werden. Der Start ins Festival ist auf jeden Fall gelungen!
Setliste: One for the Road; Rip You to Shreds; Cut Me Down; Black Widow; Bad Boy for Love; Daemons Calling; Don't Talk to Me; Slave to the Whip; I'm a Rock; Make Me Shiver; Rise to the Top
[Jonathan Walzer]
TRAVELER kommt zu 'Behind the Iron' nach und nach auf die Bühne, dann stürmt Jean-Pierre Abboud herbei und hampelt sich direkt in die Herzen der Zuschauer. Der Typ hat definitiv einen an der Klatsche, was er in seinen zahlreichen, hochgradig bekloppten Zwischenansagen und mit seinem Gehopse und Gepose auch genügend zur Schau stellt. Und genau das macht ihn so verdammt sympathisch. Das, und dass er ein grandioser Sänger ist, der die acht dargebotenen Songs auch live absolut genial rüberbringt. Die zu diesem frühen Zeitpunkt schon gut gefüllte Halle goutiert die Show der kanadisch-US-amerikanischen Kollaboration jedenfalls durch eifriges Fistraisen, Headbangen und Mitsingen. Der vorherige Auftritt von SABIRE hat die Messlatte ja schon nicht gerade tief gelegt, hier kommt aber nochmal eine gute Portion Stimmung oben drauf! Bei Krachern wie 'Speed Queen' oder 'Fallen Heroes' (mit dem ausdrücklich nicht Mark Shelton gemeint ist, dem natürlich dennoch gedacht wird) kein Wunder. Die Band hat sichtbar großen Spaß und so etwas überträgt sich eben auch aufs Publikum! Leider sind die Gitarren unterschiedlich laut, der sonstige Klang ist aber okay. Das IRON MAIDEN-Cover 'Be Quick Or Be Dead' ist eine ungewöhnliche Wahl. Abwechslung in allen Ehren, da hätte ich mir aber ein anderes Lied der Briten gewünscht. Aber das ist alles vergessen, als die ersten Takte von 'Starbreaker' ertönen: Der mit einem HELLOWEEN-Shirt bekleidete Frontmann moscht grinsend vor sich hin und beginnt dann eine gesangliche Glanzleistung. Dazu gesellen sich die allerfeinsten und superb umgesetzten Zwillingsgitarren aus Ironmaidenhausen. Die Anwesenden freut es, wer's verpasst hat, kann einem Leid tun. Definitiv eine verdammt knackige Live-Band, der man gerne zuhört und -schaut!
Setliste: Behind The Iron; Street Machine; Mindless Maze; Speed Queen; Up To You; Fallen Heroes; Be Quick Or Be Dead (IRON MAIDEN-Cover); Starbreaker
[Jakob Schnapp]
Etwas ganz Besonderes ist der Auftritt von JUGGERNAUT für mich, habe ich doch in den Achtzigern das Album "Baptism Under Fire" vor allem wegen seiner rüden Art und ungewöhnlichen Thrash-Darbietung geliebt. Ich wusste ja nicht mal, dass es die Kapelle noch gibt, und jetzt darf ich das Ganze sogar live erleben! Also, nichts wie die Lauscher aufgesperrt, hier kommt möglicherweise bereits mein Highlight des Freitags. Tatsächlich legen die Amerikaner los wie die Feuerwehr und feuern 'Impaler' und 'Slow Death' in den Saal. Fein, aggressiv und mit viel Energie vorgetragen nimmt der Vierer die Menge locker mit. Natürlich ist nicht jeder mit dem Material vertraut und die allgemeine Beteiligung erstreckt sich vor allem auf Kopfnicken und weniger auf Mitgrölen, aber die ersten Reihen sind schon heftig dabei. Sänger Steve Cooper, der 2006 leider verstorben ist, wird würdig vertreten. Auch wenn ich den Herren am Mikrophon nicht kenne, er schafft es, die Lieder so umzusetzen, dass man tatsächlich an Cooper erinnert wird. Etwas obskur ist dann allerdings die Einlage mit einem Bierseidel. Sein Vater wäre ein großer Fan Deutschlands gewesen, also hätte er ihn mitgebracht, sagt er, woraufhin er etwas aus dem Bierkrug auf Bühne und über dem Fotograben auskippt und verstreut. Er wird doch nicht wirklich...? Bevor irgendjemand ihn verknackt, weil er hier wahlweise die Totenruhe stört oder einen Beitrag zur Umweltverschmutzung liefert – in Deutschland darf man nicht einfach Asche von Toten irgendwo verstreuen, auch nicht auf der KIT-Bühne – macht die Band mit einer weiteren Portion Thrash weiter. Die kurzen Songs sind alle knackig und auf den Punkt, JUGGERNAUT schafft es, in der Spielzeit zwölf Lieder unterzubringen. Allerdings bin ich ob der Songauswahl überrascht. Es gibt tatsächlich kein einziges Lied von der zweiten Scheibe "Trouble Within", dafür aber noch die SEX PISTOLS-Coverversion "Holidays In The Sun". Zwischendurch wedelt man noch aus unerfindlichen Gründen mit einer Flagge herum, ich meine, es wäre die Flagge Puerto Ricos gewesen, aber das kann mich nur kurz bremsen. Ja, das war ein starker Auftritt, souverän, musikalisch überzeugend und was der kleine, großartige Gitarrist da abzieht, ist beeindruckend, und damit auch ganz sicher ein echtes Highlight des Freitags. Ich habe noch eine ganze Weile 'Slow Death' im Kopf und singe vor mich hin.
Setliste: Impaler; Slow Death; Vengeance; Wake Island; Rains Of Death; In The Blood Of Virgins; No Prisoners; Cast The First Stone; Blizzards; Cut Throat; All Hallow's Eve; Holidays In The Sun
Eine Band, auf die ich mich an diesem Wochenende ganz besonders gefreut habe, ist CITIES. Das Quartett aus New York hat mich 1985 mit seiner "Annihilation Absolute" EP komplett aus den Latschen gekegelt und der Longplayer im nachfolgenden Jahr konnte dann mit ein paar neuen Nummern und AJ Pero von TWISTED SISTER am Schlagzeug nochmal für Begeisterung sorgen. Leider ist die Band danach in einem schwarzen Loch abgetaucht und erst als Basser Sal vor einigen Jahren bei ANVIL wieder im aktiven Musikbusiness aufgetaucht ist, habe ich überhaupt auf einen Auftritt von CITIES zu hoffen gewagt. Nun ist es soweit und gleich der Opener 'In The Still Of The Night' zeigt, dass die Truppe auch in anderer Formation wunderbar funktioniert. Der wirklich sehr gute Klang setzt den kraftvollen US Metal der Jungs sehr gut in Szene. Mit dem flotten 'Stop The Race' und dem hymnischen 'Fight For Your Life' geht die wilde Fahrt voran und bereits hier hat die Band das Publikum am Haken. Nicht wenige Zuschauer singen den Chorus begeistert mit und zaubern den Musikern ein fröhliches Lachen auf die Mundwinkel. Neben Original-Basser Sal Mayn hören wir Drummer John Besser, Gitarrist Anthony Gonzales und ein Stimmwunder namens Michael Powers. Unglaublich, dass man von diesem Sänger noch nichts gehört hat, denn er begeistert ganz offenbar nicht nur mich und meine Truppe. Seine kraftvolle und gleichzeitig melodische Stimme passt ganz ausgezeichnet zu den tollen Songs von CITIES. Ganz besonders gut heraus zu hören bei einem meiner beiden alten Favoriten: 'Not Alone In The Dark'. Diese Nummer hat auch über 30 Jahre später nichts von seiner Energie verloren und ihn nun hier live und in dieser Qualität hören zu können, lässt dann in nordisch atypischer Euphorie gleich beide Füße wippen. Gerade so schön im Flow knallen die Jungs mir mit 'Cruel Sea' auch noch ihren epischen Entenpeller hinterher. Fantastisch! Nach 'Innocent Victims' gibt es dann ein Stück Musik, welches die Halle sofort in Ekstase versetzt: 'Heaven & Hell' ist eben zeitlos. Klar, originell geht anders, aber mit dieser Klasse kann man das schon machen. Sehen alle Anwesenden wohl auch so, denn hier steppt mächtig der Karaoke-Bär. Wie ich hinterher erfahren habe, singt Michael nebenbei auch noch in einer DIO-Tribut-Band. Würde ich gern mal sehen. Lieber als so eine Wendy-Cash-In-On-Holograms-Geschichte. Aber zurück zum Thema: 'Shades Of Black' und das rasante 'Deceiver' leiten über zum All-Time-Classic namens 'Burn Forever'. So geht Power Metal, ihr jungen Hippies! Ohne 180 Spuren Orchester aus der Dose. Einfach die Gitarre eingestöpselt, Double Bass und ein pumpender Bass und ab geht die Luzie. Ich hatte danach ein leichtes Kratzen im Hals und verspürte ein unwillkürliches Gelüst auf Bier. Guter Heavy Metal macht durstig. Ich hatte einen mächtigen Brand! War wohl toll!
Setliste: In The Still Of The Night; Stop The Race; Fight For Your Life; Not Alone In The Dark; Cruel Sea; Innocent Victim; Heaven And Hell; Shades Of Black; Deceiver; Burn Forever
[Holger Andrae]
Eine weitere Band, die ich gerne einmal sehen wollte, ist ANTHEM. Nachdem nun Nuclear Blast der Band mit einer neu aufgenommenen Best-Of-Scheibe zu einer nie dagewesenen Bekanntheit verholfen hat – ja, genau, vorher war sie quasi bei Null – spielen die Japaner nun sogar live auf der KIT-Bühne. Organisator Oliver Weinsheimer hat aktuell seine Fühler gen Osten ausgestreckt und das Land der aufgehenden Sonne metallisch erkundet, was die vielen japanischen Bands im kommenden Jahr erklärt. Wahrscheinlich hat er da auch ANTHEM zum KIT gelockt, die in ihrer Heimat bereits seit Mitte der Achtziger und unterbrochen durch eine mehrjährige Ruhephase in den Neunzigern, als klassischer Metal eine Durststrecke durchlief, auch mit regelmäßigen Studioalben aktiv sind. 16 Alben, diverse EPs, Zusammenstellungen und Live-Scheiben hat ANTHEM veröffentlicht und ist damit in der Heimat eine Metal-Legende. Die Band konnte für das NB-Album "Nucleus" also aus den Vollen schöpfen. Was kann da live schiefgehen? Richtig, Nichts. Die vier Japaner, darunter Gründungsmitglied Naoto Shibata am Bass und am Mikrophon Yukio Morikawa, der bereits von 1988 bis zur Bandauflösung bei ANTHEM gesungen hat und nun auch schon wieder seit fünf Jahren das Mikro schwingt, starten gleich energisch in den Set. Was dabei sofort auffällt, ist die Professionalität der Musiker. Die Band ist tight, Yukio post und wird dabei von dem jüngeren Gitarristen Akio Shimizu, der mich mit seinem Hut beim Fotografieren fast zur Verzweiflung bringt, unterstützt. Musikalisch started man mit 'Bound To Break' und 'Empty Eyes', die erstaunlicherweise beide nicht auf "Nucleus" zu finden sind. Ich hatte erwartet, dass ANTHEM jetzt vor allem dieses Album bewerben würde, doch falsch gedacht! Gerade einmal vier Stücke des Neuaufnahmen-Rundlings finden sich in der Setliste, stattdessen wühlen die Metal-Samurai tief in der Mottenkiste und gehen zurück in die Achtziger, indem sie von den ersten vier Alben sechs Lieder spielen! Da hat sich jemand mit dem Festival beschäftigt und eine passende Setliste zusammengestellt. Schade nur, dass naturgemäß nicht so viele mitsingen können, da die Alben in Europa nur recht teuer zu erstehen, manche sogar überhaupt nicht ohne Kenntnisse der japanischen Sprache über entfernte Online-Shops zu bestellen sind. Früher, ja, da war die Band mal für ein paar Alben auf Music For Nations, was sicherlich auch die Setliste nachhaltig beeinflusst hat. Danach folgt dann ein Block aus "Nucleus", der sich von 2002 bis 2008 erstreckt, dann geht es wieder zurück in der Bandhistorie. ANTHEM ist ein echter Gewinner des Tages, auch wenn man die Lieder nicht kennt, reißt die Performance mit und der zeitlose Metal mit dem kraftvollen Sänger Yukio sorgt zunehmend für Begeisterung. Die Spielzeit vergeht wie im Fluge und ich freue mich, diese große, japanische Metalband mal gesehen zu haben. Jetzt müsste Nuclear Blast nur noch den Backkatalog der Band in Europa veröffentlichen, dann wäre ich glücklich. Na okay, und dann vielleicht noch eine fette Headliner-Show auf dem "Bang Your Head!!!"-Festival. So leicht bin ich dann wohl doch nicht zufrieden zu stellen!
Setliste: Bound to Break; Empty Eyes; Immortal Bind; Overload; Black Empire; Gypsy Ways; Awake; Hunting Time; Venom Strike; Headstrong; Wild Anthem
Dass der Auftritt von AGENT STEEL nicht unter einem guten Stern stehen sollte, mancher mag es schon geahnt haben. Dritter Anlauf also, Herrn Cyriis und seine Version der Stahlagenten erstmals in der metallischen Neuzeit auf eine deutsche Bühne zu bringen. Anno 2011 wurde der Versuch sowohl in Königshofen unternommen als auch in Hörnerkirchen; das Ende vom Lied war, dass beim "Keep It True" die Herren Garcia, Versailles & Co. samt Stahlprophet Mythiasin unter dem Namen MASTERS OF METAL antraten und beim "Headbangers" Herr Cyriis höchstselbst nebst Begleitband als S.E.T.I. Die cyriis'schen Stahlagenten dann also heute, acht Jahre später... endlich! Wirklich? Nun, nicht wenige sind skeptisch, als sie die Halle betreten, denn Unkenrufe aus der kalifornischen Heimat sorgten im Vorfeld ebenso für Bedenken wie diverse Konzertabsagen in den Wochen vor dem KIT. In der Halle angekommen erfahren wir nun erst einmal, dass der Zeitplan sich verzögert, weil das UFO-Kommando im Stau stehe. Die Gerüchteküche brodelt, Räuberpistolen machen die Runde, von denen offenbar nur die Hälfte wahr sein kann, und nach gut einer Stunde des Wartens hoffen immer mehr Leute, dass John Cyriis am besten gar nimmer kommen möge, damit der Abend nicht unendlich lang werde und die Headliner nicht auch noch in Mitleidenschaft gezogen würden. Doch stets, wenn man glaubt, es ginge nicht mehr, dann kommt von irgendwo der Suchscheinwerfer einer Untertasse her: John Cyriis landet, entert mit adretter Kopfsocke die Bühne und rattert in knapp dreißig Minuten durch ein Set mit sechs Songs, Klassikern immerhin. Die Band ist gelinde gesagt eher untight, der Sound ist undifferenziert und auch als Laie erkennt man, dass Band und Sänger nicht sonderlich aufeinander eingespielt sind. Ja, das ist es dann auch schon im Wesentlichen gewesen. So kurz wie der Auftritt ist, so wenig gibt es dazu auch zu sagen. John kann noch immer sehr hoch und schrill singen, und wenn man das Gefühl hätte, dass er und seine Mitmusiker harmonieren würden und es wirklich wissen wollten, dann könnte das schon noch was werden. Heute aber ist das Ergebnis eher ernüchternd, da gehetzt, unsauber herunter gerattert, augenscheinlich auch lustlos bis angespannt. Immerhin signiert der Meister danach noch ein paar Scheiben und kündet von weiteren großen Taten, die da noch kommen mögen. Wir sind indes nur sehr gebremst optimistisch, denn die für die Folgetage angesetzten Shows fanden dann wieder überhaupt nicht statt. Dennoch, schön, den unkonventionellen Herren mit der Sirene mal wieder gesehen und gehört zu haben. Die KIT-Geschichte ist damit um einige Anekdoten reicher und wir sind gespannt, wer es als nächstes wagen wird, John Cyriis für ein Festival zu buchen.
Setliste: Unstoppable Force, Taken By Force, Rager, Bleed For The Godz, Guilty As Charged, Agents Of Steel
[Rüdiger Stehle]
Die überraschende Bestätigung des russischen Heavy-Metal-Flaggschiffes ARIA fürs heurige "Keep It True" hat meinem Umfeld in den letzten Monaten allerlei Beschwörungsrituale eingebracht, dass sich doch bitte keiner diesen Auftritt entgehen lassen möge, ganz gleich ob er bisher mit der Band warm geworden ist oder nicht. Warum? Nun, Kollege Frank Jäger und ich gehören zu den Privilegierten, die schon das Vergnügen mit ARIA hatten, und zwar bei einem der seltenen Clubgigs im Westen, als die Band 2012 in Stuttgart vor einem fast ausschließlich russischstämmigen Publikum gespielt hat. Und was soll ich sagen? In meinem Leben habe ich sehr selten eine so perfekt eingespielte, professionelle und mitreißende Liveband gesehen wie eben ARIA. Zudem ist es tatsächlich ein Privileg, eine solche Band im selbst beim KIT doch verhältnismäßig kleinen Rahmen zu sehen, denn im heimischen Russland füllt das stählerne Urgestein problemlos große Stadien und gönnt sich Bühnenaufbauten und Lightshows, wie man sie sonst nur von Größen wie IRON MAIDEN, AC/DC oder den SCORPIONS gewohnt ist. Heute also als Co-Headliner in Königshofen, vor zweieinhalbtausend Nasen, und ja, ich habe den Eindruck, dass die Leute es zu schätzen wissen, einem solchen seltenen Ereignis beiwohnen zu dürfen. Jedenfalls ist die Halle gut gefüllt und es bleiben auch zahlreiche Leute bei der Stange, die ich nun nicht als die größten Fans des osteuropäischen Metals notiert hatte.
Wenig überraschend liefert die Band sodann auch nach allen Regeln der Kunst ab. Divenhaftes, verärgertes Verhalten, weil man wegen Herrn Cyriis' Missgeschicken viel später auf die Bühne darf als ursprünglich geplant? Fehlanzeige. Unmotivierte Pflichterfüllung, weil man sonst eher vor zehnmal so vielen Leuten spielt? Nicht die Spur hiervon. Die Russen zeigen zahllosen kultigen Konkurrenten und verhinderten Rockstars aus der westlichen Szene, was eine professionelle Band ist und wie man den Leuten genau das auftischt, was jene sich erhofft und auch verdient haben. Neben dem Einstieg mit dem brandneuen Kracher 'Gonka Za Slavoy' vom aktuellen Album, das kurz darauf nochmals mit 'Era Lucifera' gewürdigt wird, haben die Russen uns eine perfekt ausgesuchte Klassikersetliste kredenzt, die mit Ausnahme von "S Kem Ty?" jedes der ersten neun Studioalben der Jahre 1985 bis 2003 mit mindestens einem Song bedenkt und dabei ihren Schwerpunkt auf "Geroy Asfalta" legt. Die Urgesteine Vladimir Kholstinin (Gitarre), Vitaly Dubinin (Bass) und Maxim Udalov (Drums), die seit den Mittachtzigern mit ARIA am Start sind, sowie der zweite Gitarrist Sergey Popov (seit 2002 bei der Band) bilden dabei ein musikalisches Rückgrat der Extraklasse, das in Sachen Tightness, Spielfreude und Bühnenpräsenz seinesgleichen sucht und das zugleich seinem mit vierzig Lenzen vergleichsweise jungen Sänger Mikhail Zhitnyakov die perfekte Basis bietet, um glänzen zu können. Auch wenn Zhitnyakov als Nachfolger von Legenden wie Valery Kipelov und Artur Berkut sehr große Schuhe zu füllen hat, gelingt ihm diese Aufgabe jederzeit mit Bravour. Der Mann hat eine große Stimme, eine tolle und sympathische Präsenz sowie die Fähigkeit die Leute mitzureißen, selbst solche, die nicht allzu gut mit dem Material vertraut sind. Ja, Leute, so präsentiert sich eine Legende, eine wahrhaft große Band, und sie hier beim KIT sehen zu dürfen, ist in etwa so als trete IRON MAIDEN in Moskau in einer kleinen Turnhalle auf. Es ist uns in jedem Falle eine Ehre und wir hoffen, dass auch die Herren aus Moskau heute spüren, dass die Reise gen Westen sich lohnt, weil auch hier schon viele ARIA-Fans sind, aber noch mehr Leute, die welche werden möchten, denn: Fan oder nicht Fan, es ist nach dem Verklingen des Outros rundum Freude spürbar und nirgendwo Kritik zu hören. Auch zahlreiche Skeptiker attestieren ARIA einen bärenstarken Auftritt und der Verfasser dieser Zeilen kann es gar nicht erwarten, die Band wieder sehen zu können. [Eine Anmerkung möchte ich noch hinzufügen: Beim nächsten Mal würde ich mich freuen, wenn die Band auch ein paar ihrer CDs zum Verkauf stellen würde und nicht nur die aktuelle Scheibe auf Vinyl für happige 45 Euro. Ich hätte gerne Geld für den Backkatalog ausgegeben - Frank Jaeger]
Setliste: Gonka Za Slavoy, Raskachayem Etot Mir, Era Lucifera, Obman, Kolizey, Antichrist, Na Sluzhbe Sili Zla, Torero, Kreshchenye Ognyom, Shtil, Noch Koroche Dnya, Geroy Asfalta, Ulitsa Ros, Outro (Mania Velichia)
[Rüdiger Stehle]
Das "Keep It True" und die Band MANILLA ROAD sind für immer miteinander verbunden, hat doch die Band nicht weniger als dreimal auf dem Festival gespielt. Als Mark Shelton, der Kopf der Band, letztes Jahr verstarb, war das ein großer Schock für den schwermetallischen Untergrund und Anlass genug, dem Epic Metaller, dessen Kunst uns allen auf vielen unsterblichen Alben weiterhin begleiten wird, einen musikalischen Abschied zu bereiten. So stehen heute verschiedene Musiker aus der Historie MANILLA ROADs wie auch stilistisch ähnlich gearteter Bands in wechselnder Zusammenstellung auf der Bühne, um nicht weniger als 24 Lieder der US-amerikanischen Epiker darzubieten, wozu nicht weniger als zwei-einhalb Stunden im Spielplan bereit gestellt wurden, durch die Bryan "Hellroadie" Patrick führen wird und bei der Leif Edling von CANDLEMASS und Kalli Coldsmith von MASTERS OF DISGUISE das Gerüst der Backingband bilden werden.
Der Beginn fällt ein wenig unbeholfen aus. Das Publikum soll 'Necropolis' mit anstimmen, doch das klappt nur nach und nach. Als dann der Song wirklich losrockt, sind die Fans in der Halle jedoch sofort dabei und bekommen gleich mehrere der größten Lieder Marks um die Ohren gehauen, denn besser als 'The Riddle Master' und 'The Veils Of Negative Existence' kann es ja kaum werden. Dass man danach aber auch in die Früphase der Band einsteigt, ist lobend zu erwähnen. Nur danach gibt es einen echten Stimmungskiller: Das Drumkit wird gewechselt. Es kommt Musik vom Band, der allseits bekannte und geliebte "Conan, der Barbar"-Soundtrack, der zum "Keep It True" gehört wie das weiterhin unterirdische lokale Bier, das nur als Radler zu genießen ist, um die insgesamt benötigten sechs Minuten zu überbrücken. Das ist allerdings für einige Anwesende, die nicht zu den echten MANILLA ROAD-Fans gehören, ein passender Anlass, den langen Tag zu beenden. Im hinteren Bereich der Halle, in den auch ich mich zurückgezogen habe, wird es merklich leerer und füllt sich auch nach einigen Minuten nicht mehr wie vor der Pause. Es war offensichtlich notwendig, sonst wäre es wohl nicht geschehen, aber ich bezweifle, dass diese Umbaupause eine gute Idee war.
Mit einem wirklich herzergreifenden Moment endet die Pause, als nämlich Marks Mutter auf die Bühne kommt und sich bedankt, dass an ihren Sohn so erinnert wird. Doch auch dann geht es noch eineinhalb Minuten lang nicht weiter, die Musiker klimpern vor sich hin, Jake Rogers muss auf die Bühe gerufen werden. Das alles wirkt improvisiert, was es sicher auch zu einem gewissen Grad ist, doch so liegen zwischen dem letzten Ton von 'Metal' und dem ersten von 'Mystification' über acht Minuten. Das ist natürlich ein Stimmungskiller und meine Füße merken nachdrücklich an, dass sie gerne mal hochgelegt werden möchten, zumal wir ja Dank UFO-Schrillologen Cyriis fast 90 Minuten hinter dem Zeitplan herhinken. Aber dann geht es weiter und fünf Lieder lang passt alles wieder. Natürlich wird auch hier immer wieder deutlich, dass Herzblut fehlende Eingespieltheit überbrücken muss, aber die Lieder sind einfach stark und die wechselnden Sänger wie Deathmaster von DOOMSWORD und Alexx Stahl interpretieren die Stücke mitreißend. Doch dann gibt es einen weiteren Umbau des Schlagzeugs, der wieder beinahe vier Minuten dauert. Wir reden hier ja nicht von Neil Peart und Alex Van Halen, wäre es wirklich nicht möglich gewesen, dass die Schlagzeuger auf dem gleichen Drumkit spielen? So kühlen sich die Gemüter erneut ab und selbst Fans runzeln die Stirn, während Gitarrist Kalli ein Solo spielt, dass in den Song 'Flaming Metal Systems' mündet, den CRYSTAL VIPERs Marta Gabriel brillant intoniert. Ja, so erzeugt man schnell wieder Stimmung und bekommt die Kurve, aber musste das wirklich sein?
Im Anschluss jagt ein MANILLA ROAD-Klassiker den anderen. Die zwischen den Liedern entstehenden Pausen sind zu verschmerzen und dass der gute Hellroadie kein Entertainer ist, ist für heute und diesen Anlass auch gleichgültig. Bis zum Abschlussdoppel 'Dreams Of Eschaton' und 'Heavy Metal To The World', bei dem alle Protagonisten nochmal auf die Bühne steigen, ist der Auftritt ein würdiges Memoriam an Mark Shelton, der uns allen ín Erinnerung bleiben wird und dem die Musiker metallisch gedachten. Gut gemacht!
Setliste: Necropolis; The Riddle Master; The Veils Of Negative Existence; Queen Of The Black Coast; Metal; Mystification; Dragon Star; The Ninth Wave; Into The Courts Of Chaos; The Prophecy; Flaming Metal Systems; Masque of Red Death; Death by the Hammer; Hammer of the Witches; Witches Brew; Road of Kings; Divine Victim; The Fires of Mars; Open the Gates; Astronomica; The Ram; Crystal Logic; Dreams of Eschaton; Heavy Metal to the World
- Redakteur:
- Frank Jaeger