KILLING JOKE - Köln
12.10.2010 | 15:1502.10.2010, Luxor
Sharp short sure shots.
Als nach dem daran anschließenden Umbau die Musiker von KILLING JOKE die Bühne betraten, pflanzten und ernteten sie von der ersten bis zur letzten Minute wohlverdiente Begeisterung. Charismatischer als diese Band auf kleiner Clubbühne kann ein Rock-Act bei einem Auftritt kaum wirken. Gerade Jaz Coleman zog die Blicke wie ein Magnet auf sich. Sein düster geschminkter, theatralischer Bühnenakt ist die perfekte Begleitung zu den nimmermüden, maschinell wirkenden, hypnotischen Riffs und Riffschleifen, mit denen KILLING JOKE die Hörer in den Bann schlägt und zum Tanzen animiert.
Jaz wirkte an dem Abend, als hätte man bei ihm einen Schalter umgelegt und damit ein sich selbst abspulendes und in den Wahnsinn treibendes Programm die Kontrolle übernehmen lassen. Mehrdeutig, wandelbar, ergreifend, bedrohlich, faszinierend, bizarr - das sind nur einige Assoziationen, die nicht annähernd einfangen können, wie Jaz' Live-Persona wirkt. Man weiß nie so recht, wen oder was er da verkörpert - wobei zumindest "verkörpert" den Kern der Sache trifft. Denn zum einen scheint dies mehr als nur Spiel zu sein, nämlich etwas, in dem der Frontmann voll und ganz aufgeht, zum anderen ist die pure körperliche Präsenz, mit der er dies auslebt, schier gewaltig und erdrückt einen fast mit ihrer Vielzahl möglicher Interpretationen und Anknüpfungspunkte. Das grotesk übertriebene, mechanisierte Pathos der Gestik, der kalte Wahn im stierenden Blick, die plötzlichen abgehackten Bewegungen, die kurzen und morbide wirkenden Momente der Starre dazwischen, die berechnende Unberechenbarkeit der Darbietung, das beschwörende Element in Mimik, Gestik und Akustik, dazwischen die kraftvollen Ausbrüche menschlicher, fast schon tierischer Rufe der Leidenschaft inmitten des großartigen Instrumentalgelärmes, das den Frontmann wie ein Stahlkorsett ummantelt, die Exzentrik und die Dominanz, die er ausstrahlt, die Entfremdung und eine wie zwanghaft unterdrückt wirkende, doch unter der Oberfläche brodelnde, primitive Wildheit, die bewusst und gezielt die Menschenmasse unter ihm ansteuert und aufputscht. In all dieser scharf konturierten Unbestimmtheit, Merk- und Fragwürdigkeit scheint diese doch so authentisch wirkende Kunstfigur sämtliche Widersprüche der Moderne in sich zu vereinen. Eine lebende Marionette, ein Soziopath, ein durchgeknallter Prediger, ein Prophet der Apokalypse, ein Replikant aus Ridley Scotts "Blade Runner", das psychopathische Oberhaupt einer postapokalyptischen Kannibalenhorde, eine chaplineske Persiflage auf Adolf Hitler, ein Cyberzombie, eine psychotische Wahnvorstellung? All das trifft es nicht ganz. Er bleibt unvorstellbar, unwirklich, unheimlich zwingend und nur darin konsequent.
Dahinter, davor, ringsum: ein Pandämonium industrieller, metallischer, surrender, pulsierender, lawinenartig voranrollender, stampfender, brodelnder, lavaheiß sich über das Publikum ergießender Sounds, dicke Brocken aus Wall of Sounds, die uns um die Ohren rauschen ohne Unterlass, full-on, hypnotisch, mystisch, rücksichtslos. Im völligen Kontrast dazu: Geordie an der Gitarre mit stoischem, in sich gekehrtem Blick und undefiniertem Soldatenkäppi, lässig und ruhig dastehend, eine an der Lippe klebende Kippe nach der anderen rauchend, präzise und gelassen und mit scheinbar resigniertem Gesichtsausdruck pflichtschuldig sein Scherflein zum klanglichen Unheil beitragend. Der perfekte Gegenpart zum wie durch ein holpriges, überspanntes Uhrwerk abdrehenden Jaz.
Reza Udhin, der Mann am Keyboard, blieb unauffällig, trotz des Make-ups und einer Frisur wie aus einem "Mad Max"-Film, stellte flächige und atmosphärische Klänge in den Raum, die im beständigen "chuggachugga" der Riffwalzen und Drumschläge freilich untergehen mussten.
Paul Ferguson am Schlagzeug leistete schweißtreibende Akkordarbeit ohne Unterlass, keine Pause ist vorgesehen im beharrlichen, niemals endenden Beat, während auch Youth am Bass vielmehr Schwungrad einer gut geölten Maschinerie als heraustretender Handarbeiter ist. Doch er schien sich gerade in dieser seiner Rolle als stetig von hinten drückender Motor zu gefallen und lieferte versonnen dreinblickend seinen hart rumorenden Stoff ab.
Überhaupt beruht die besondere Faszination KILLING JOKEs ja nicht zuletzt auf der zwingenden Eingängigkeit und Ruppigkeit Trance induzierender primitiver Strukturen, die in immer neuen Kombinationen dem unverkennbaren Stil der Band ihre Variation und Prägnanz abtrotzen. KILLING JOKE ist nahezu eine einzige überdimensionierte Rhythmusgruppe.
Kein Zweifel, dass dies das im Luxor versammelte Publikum zum Zucken, Drängeln, Schubsen, Tanzen brachte. Doch die Stimmung war nicht aggressiv, eher elektrisch, magnetisch, bisweilen ekstatisch. Wann sonst bekommt man eine lebende Legende geboten - in solch einem intimen Rahmen? KILLING JOKE ist (wieder) Underground, und der platzte hier aus allen Nähten. Zudem wirkt dieser Sound unweigerlich kathartisch.
Schade, dass nach kaum über einer Stunde und einer kurzen Zugabe schon Schluss war. Auf der am Bühnenboden klebenden Setlist standen für nach der Rückzugspause eigentlich fünf Songs, und an zu verhaltenem Applaus kann es nicht gelegen haben, dass uns der volle Nachschlag vorenthalten wurde. Also wird wohl der Clubbetreiber entsprechende Zeitvorgaben gemacht haben. Doch wer will schon Disko an einem Abend, an dem KILLING JOKE spielt? Wie auch immer: So viel Energie, wie hier über die Bühne ging, versprüht manche Band nicht in der doppelten Spielzeit. Von daher: ein mehr als gelungener Auftritt; mein CD-Regal lechzt jetzt nach weiterem KILLING JOKE-Material.
- Redakteur:
- Eike Schmitz