KNORKATOR - Bremen
16.11.2022 | 21:3029.10.2022, Aladin
Wut und Witz und ganz viel Scheiße.
Neues Album - neue Tour, das ist vernünftig. Und so feiert der "Sieg der Vernunft" folgerichtig seine "Tour der Vernunft" und beschert uns einen Start im Norden Deutschlands. Nach dem ersten Abend in Kiel hält die (nicht mehr so ganz) Boygroup namens KNORKATOR in Bremen. Nachdem die Berliner während der letzten Tourneen immer im Schlachthof am Hauptbahnhof einkehrten, steht nun die von außen durchaus weniger hübsche, aber von innen dann doch anregende Aladin Music Hall auf dem Plakat. Nach schnellem Einlass fallen zunächst die hohen Merchpreise ins Auge und dann die lange Schlange am Tresen. Der komplett bargeldlosen Lokalität ist leider das Bezahlsystem ausgefallen. Das kommt beim durstigen Publikum weniger gut an. Nach schier endloser Wartezeit von bestimmt fast zehn Minuten kommt Abhilfe: Bargeldkasse. Tja, so weit ist man in Deutschland halt noch nicht! Schnell ein Bier geschnappt und dann geht's auch schon los.
Während der Wartezeit zwischen Einlass und erstem Ton läuft auf einer Leinwand eine Kochshow mit einigen KNORKATORen und Evil Jared. So ganz nachzuvollziehen war das nicht, weil der Ton wohl nicht an die Aladin-Anlage angeschlossen wurde und so im allgemeinen Gemurmel untergeht. Egal, denn Punkt acht Uhr geht das Licht aus und die Leinwand wird abgetragen. Wie gewohnt ohne Vorband betritt Deutschlands meiste Band der Welt das hübsch hergerichtete Parkett. Vor dem schönen Backdrop stehen nämlich nicht nur Schlagzeug, Verstärker, Mikrofon und zwei Keyboards, sondern auch ein Campingtisch mit zwei passenden Stühlen. Man wird eben nicht jünger.
Dass sich dann zuerst mal Stumpens eher jugendliche Tochter Agnetha mit Buch und Desinteresse an den Tisch setzt, geschenkt. Passt ja auch irgendwie. Die alten Männer auf der Bühne jedenfalls geben mit dem titelgebenden Song direkt Vollgas. Der schon beim Kopfhörerhören erhoffte Effekt, eine ganze Halle "Rache", "Töten" und "Vernichtung" bölken zu hören, stellt sich dann auch direkt ein. Unangenehme Gänsehaut schon gleich am Anfang, sehr schön. 'Kurz und klein' peitscht die aggressive Meute direkt weiter an. Stumpen und Alf Ator steht die vom Publikum überschwappende Begeisterung direkt ins Gesicht geschrieben, der Rest der Band, allen voran Bühnenstoiker Buzz Dee, lässt sich nichts anmerken.
Agnetha ist natürlich nicht aus Dekorationszwecken mit auf der Bühne. Schon in der Vergangenheit veredelte ihre Stimme einige Songs auf mehreren Alben und auch Bühnenerfahrung wurde in den letzten Jahren vermehrt gesammelt. Ist ja auch nicht so ganz verkehrt, wenn sich der zappelnde Akrobatikstumpen so etwas Auszeit verschaffen kann. Denn Frau Tochter macht das echt stark. Anfangs noch sichtlich und hörbar nervös, findet sie irgendwann die richtige Tonlage und macht einen richtig guten Job. Als zweite Gesangsentlastung greift der stets feinst frisierte Alf Ator immer öfter zum Mikrofon. Diese Entwicklung lässt sich ja auch anhand der Alben gut nachvollziehen. Und so darf unser Alf nicht nur wie immer den Klassiker 'Böse' und die immer mal wieder eingestreute Kapitalismuskritik mit Pop-Appeal 'Eigentum' intonieren, sondern krallt sich auch bei den neuen Songs 'Hofstaat' und 'Es lebe der Tod' den Schallaufnehmer.
Generell ist festzustellen, dass viele der neuen Stücke Platz in der heutigen Setliste gefunden haben. Man merkt KNORKATOR an, dass man zurecht stolz ist auf das neue Werk. Ganze sieben Vernunftskompositionen werden der versammelten Schar dargeboten. Als besonderer Höhepunkt erscheint darunter 'Die Welt wird nie wieder so, wie sie vorher war', welches die gesamte Halle zu wiederholten "Scheiße!"-Rufen animiert, was dem Tasten-Alf ein diebisches Grinsen ins Gesicht zaubert. Dabei bestätigt sich aber auch der Eindruck der Politisierung. Mehr noch, eingebettet in diesen zwar nicht neuen, aber im neuen Material deutlicher hervorgetretenen Aspekt entfaltet sich auch bei älteren Stücken wie 'Wir werden alle sterben' oder 'Der ultimative Mann' eine neue Betrachtungsebene. Sehr spannend.
Da auch immer mindestens zwei Cover gespielt werden, gibt es neben dem immer grandiosen Anheizer 'Ma Baker' auch BLONDIEs 'One Way Or Another' auf die Ohren, eher ein Stimmungsabfall. Kochen tut der Saal hingegen bei 'Ich lass mich klonen' mit fantastischer Headbangeinlage von Agnetha und dem feinfühligen 'Ding inne Schnauze'. Anmutig bezaubernd leuchten der 'Weg nach unten' und die 'Hymne'. Für jede Gefühlslage hat KNORKATOR also etwas dabei. Nach zwei Stunden Spielzeit inklusive Zugabe entlässt das Berliner Gespann die Anwesenden in die Bremer Nachtluft. Die Band ist noch bis März in Deutschland unterwegs, ich kann einen Besuch nur wärmstens empfehlen.
- Redakteur:
- Marius Luehring