KREATOR, ANTHRAX und TESTAMENT - Frankfurt/Höchst
19.12.2024 | 12:3713.12.2024, Jahrhunderthalle
Tripple Threat des Thrash Metals in Frankfurt.
Freitag, der 13. Ein mächtiges Unwetter in Frankfurt zieht auf. Im Auge des Sturms steht die altehrwürdige Jahrhunderthalle inklusive gut 5.000 fast ausnahmslos in schwarz gekleideten Menschen, die dreier Bands huldigen, die nur knapp am Olymp der Hochgeschwindigkeit vorbeigeschrammt sind. Was für ein Tour-Paket! Eine Rundreise, die nicht nur eingefleischte Fans vom Glühweinstand zerrt, sondern auch in die Jahre gekommene Headbanger von der Couch holt, die vielleicht gar bereits nach "Practice", "Euphoria" und "Coma Of Souls" die metallische Flinte zumindest teilweise ins Korn geworfen haben. Allein die Nennung des Dreigestirns mit KREATOR, ANTHRAX und TESTAMENT wirft meine persönliche Zeitmaschine an und katapultiert mich in eine Zeit, in der wir alle gemeinsam zu 'Over The Wall', 'Among The Living' und 'Extreme Aggressions' über den Schulhof gepogt sind. Herrliches Klassentreffen.
Mir steht tatsächlich TESTAMENT musikalisch am Nächsten. Leider konnte mich die Band in den vergangenen Jahren live nie wirklich überzeugen, denn entweder war ihre musikalische Leistung indiskutabel oder der Sound sorgte für ungläubige Schnappatmung und frustrierten Abbruch des Konzertbesuchs. Entsprechend betrete ich den Ort des Geschehens mit mulmigem Gefühl – und keine Sekunde zu früh, denn die Bay-Area-Könige feuern pünktlich um 18:30 Uhr mit 'D.N.R.' den ersten Thrashbrocken in ein zu diesem Zeitpunkt bereits ordentlich gefülltes Rund.
Zwei Dinge kann ich direkt festhalten: die Musiker sind tight und der Sound kracht amtlich. Die Gitarren sind schön laut, das gefällt dem Papa sehr. Eric Peterson rifft wie ein Weltmeister, während Alex Skolnick erwartungsgemäß fiedelt wie ein Gitarrenheld eben so fiedelt. Ganz groß. Bassist Steve Di Giorgio und Schlagzeuger Chris Dovas bilden das präzise Fundament, während Fronthüne Chuck Billy nicht nur gut zu hören ist (war nicht immer der Fall), sondern auch brüllt wie in jungen Jahren. Diese einzigartige Mischung aus kraftvollem Singen, tiefem, aber immer dicken Gebrüll und einer Tonlage, die nie nervt, lässt mein Herz vor Freude springen. Alles Tutti paletti also? Nicht ganz. Ich weiß, dass ist Jammern auf sehr hohem Niveau, aber die sehr statische Bühnenshow transportiert die mächtige Soundwand nur bedingt. Und da das Auge bekanntermaßen ja auch mitisst, fehlen hier die finalen Prozentpünktchen, um meinem Körper in hemmungsloser Ekstase freien Lauf zu lassen. Dann müssen wir natürlich auch noch über die Setliste reden.
Ich hatte ja bereits angedeutet, dass sich gefühlt der Großteil aus nostalgischen Alt-Herren/Damen-Thrashern zusammensetzt, die zu einer Einzelshow einer der Bands nicht gegangen wären, im Paket sich aber einen Abend ihrer Jugend zurückholen möchten. Das bedeutet auch, dass sich viele Menschen eben eher eine Retro-Setlist aller drei Bands wünschen. Diesen Gefallen tut TESTAMENT ihnen nicht. In der ersten Hälfte der gut sechzig Minuten setzen Chuck und Kollegen auf eine Songauswahl jenseits der Jahrtausendwende. '3 Days In Darkness', 'WWIII', 'Children Of The Next Level', 'More Than Meets The Eye' und 'The Formation Of Damnation' sind wahrlich keine schlechten Songs, aber eben keine Klassiker im Stile von 'Over The Wall', 'Disciples Of The Watch' oder 'Practice What You Preach'. Nach der überraschenden Ballade 'Return To Serenity' wenden sie sich ja dann doch den Frühwerken zu, picken sich aber eher lange nicht mehr gespielte Songs heraus, wie beispielsweise 'Electric Crown', 'Eerie Inhabitants' oder 'Low'. Für Die-Hard-Fans ein Geschenk, für die breite Masse eher suboptimal. Zur ganzen Wahrheit gehört natürlich auch, dass die Amerikaner im Sommer bereits eine Rundreise gespielt haben, bei der sie ausschließlich Songs der ersten beiden Alben gespielt haben. Eine Änderung aus Sicht der Band ergibt da natürlich Sinn, ist aber in meinen Augen am heutigen Abend nicht im Geiste der Tour. Das abschließende 'Into The Pit' versöhnt dann zumindest in diesem Sinne noch einmal gewaltig. Trotzdem: Da ich mit allen Phasen der Band etwas anfangen kann, ist das für mich ein starker Einstieg in den Abend mit einigen Abzügen in der B-Note. Darauf erst einmal ein Bier (mit Cola).
Die Schlange am Bierstand ist lang. Kurz noch ein paar Freunde am Merch-Stand begrüßt und schon hurtig auf die Plätze zurück, denn ANTHRAX feiert sich mehr als pünktlich quasi selbst. Zu Beginn wird ein Video abgespielt, in dem viele Größen der Film- und Musikwelt den New Yorkern huldigen. Coole Idee, wenn auch etwas zu lang. Im Gegensatz zu TESTAMENT haben Scott Ian und seine Mannen die Zeichen der Zeit erkannt und feuern direkt mit 'A.I.R.' ein regelrechtes Hitfeuerwerk ab. Klar, sie feiern 40jähriges Bestehen – was eigentlich für alle drei Bands zumindest so ungefähr zutrifft -, aber diese 80er-Setlist hat es in sich. 'Caught In A Mosh', 'Medusa', 'Metal Thrashin‘ Mad', 'I Am The Law', 'Got The Time', 'Be All, End All', 'Antisocial' und 'Madhouse' verwandeln die Jahrhunderthalle in ein eben solches, ein Tollhaus. Hier stimmt auch der Bewegungsradius und die Energie, die sich von der Bühne aufs Publikum überträgt. Sänger Joey Belladonna flitzt ständig umher, ist dadurch gelegentlich etwas kurzatmig, und auch Bassist Frank Bello verbiegt sich wie eh und je. Schön zu sehen. Einzig die beiden Chefs sind heute ungewohnt zurückhaltend. Der mächtig abgespeckte Schlagzeuger Charlie Benante, ich hätte ihn fast nicht wiedererkannt, vermöbelt sein Kit fast teilnahmslos, während Aushängeschild Scott Ian zwar gewohnt im Mittelpunkt steht, dafür aber wenig Akzente setzt. Selbst sein "Wardance" bleibt heuer in der Kiste. Gut, müssen wir jetzt über die unangenehme Wahrheit sprechen, dass wir alle älter werden und das nicht spurlos an uns vorübergeht?
Nicht nur ein Großteil des Publikums ist mittlerweile grau meliert und in die Jahre gekommen, sondern auch die Herrschaften auf der Bühne befinden sich überwiegend in ihren 60ern. Dass da nicht mehr jeder Beckenschlag, jedes Break körperlich mitgenommen werden kann, geschenkt. Auch das überwiegend nicht mehr vorhandene Haupthaar im flotten Takt zu bangen, verkommt eher zu einem souveränen Nicken. Selbst ich schaue den pogenden Massen, dem Moshpit oder der "Wall Of Death" mittlerweile eher aus sicherer Entfernung zu, als mich noch unerschrocken und ohne Rücksicht auf Verluste in die schäumende Meute zu schmeißen. Ist das noch Metal? Auf jeden Fall. Trotzdem fällt mir am heutigen Abend auf, dass gerade eine Musikrichtung wie Thrash Metal auch von Körperlichkeit und Energie lebt. Bei aller musikalischen Qualität, die hier trotz aller technischen Herausforderungen der Musiker nie im Vordergrund steht, ist es eher die Attitüde und das gemeinsame Loslassen von alltäglichen Konventionen, die diese Hochgeschwindigkeitsabende von jeher ausgemacht haben. Fehlt diese Komponente, ist es nicht mehr das Gleiche. Müssten dann im Umkehrschluss die ganzen neuen, jungen Thrash-Bands im Eiltempo am Thron der alten Helden sägen? Spinne ich? Bin ich zu verkopft? Brauche ich einfach nur mehr Bier? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Als ANTHRAX vorhersehbar mit 'Indians' und überraschenderweise mit 'N.F.L.' ihr Set beendet, sind das nur Gedankenspielchen, die versteckt in meinem Herzen gelegentlich gegen den Deckel der Schatzkiste trommeln. Alles in allem fühle ich mich nach 75 Minuten von den Mosh-Königen perfekt unterhalten. Unfassbar auch, wie textsicher wir alle noch sind. Obwohl die Alben nicht mehr regelmäßig laufen und ich schon lange kein Textblatt mehr in der Hand gehalten habe, schmettere ich gemeinsam mit meinen Mitstreitern und erhobener Faust fast jede Textzeile unters Hallendach. Tagessieger.
Und jetzt kommt der finale Abriss? Die Zeichen dafür stehen zumindest gut. Als Kopf der Bande hat KREATOR natürlich die volle Bühne zur Verfügung, die Aufbauten sind noch gewaltiger und auch der Sound schiebt amtlich. Mille und seine Mitstreiter setzen nicht wirklich auf ihre frühe Schaffensphase, sondern bieten einen exzellenten Querschnitt. Da mich die Band seit jeher zwar ständig begleitet hat, es aber nie so richtig zwischen uns funken wollte und ich die Essener erst ab "Coma Of Souls", aber vor allem ab "Violent Revolution" zu schätzen wusste, passt die Songauswahl für mich wie die Faust aufs Auge. Es sind auch hier eher die Post-2000er, die für mächtig Nackenbewegungen sorgen. 'Hate Über Alles', 'Enemy Of God', 'Hordes Of Chaos', 'Phantom Antichrist', 'Violent Revolution', 'Strongest Of The Strong', 'Satan Is Real', '666 – World Divided' oder 'Hail To The Hordes' präsentieren eine Band auf ihrem Zenit.
Vielleicht liegt es daran, dass ich das Quartett in den vergangenen Monaten schon häufiger gesehen habe, aber der Auftritt wirkt auf mich extrem routiniert. Manche nennen es eine perfekt geölte Maschine, eine Machtdemonstration an Präzision. Mich beschleicht jedoch ein bisschen das Gefühl, dass die Herrschaften einfach ihr Pensum abspulen, souverän und definitiv auf allerhöchstem Niveau, aber eben ohne den berühmten Funken, der die Jahrhunderthalle am heutigen Abend anzündet. Immerhin packt das deutsche Thrash-Urgestein mit 'Betrayer', 'Terrible Certainty' und 'Pleasure To Kill' noch drei alte Perlen mit in sein Set, die für reichlich Betrieb in den vorderen Reihen sorgen. Dagegen wollen die Versuche, eine "Wall Of Death" zu starten, heuer eher nur so semi funktionieren. Mille hat dagegen wieder einmal alles im Griff. Er keift und schreit sich wie gewohnt durch die gut neunzig Minuten als würde der Zahn der Zeit nicht auch an ihm nagen. Einzig auf das viel zu laute Delay bei seinen Ansagen sollten die Männer in Zukunft verzichten, denn das nervt bereits von Sekunde Eins an. Ich fühle mich enorm gut unterhalten und KREATOR hat klar unter Beweis gestellt, warum die Band zum Schluss des Abends spielen darf. Als wir uns beim Verlassen der Halle wie früher als Pubertierende ständig "pleasure ... to kill" entgegenschmettern, muss ich mir schmunzelnd eingestehen, dass sich vielleicht doch nicht so viel in den letzten vierzig Jahren verändert hat wie gedacht. Gerne mehr solcher Thrash-Allianzen.
Text: Chris Staubach
Fotocredit: Frank Hameister
- Redakteur:
- Chris Staubach