Knorkator - Leipzig
18.01.2006 | 12:1813.01.2006, Anker
Anke soll auch da sein. Schreiben zumindest KNORKATOR zwei Tage vor ihrem Auftritt im Leipziger Anker im Tagebuch ihrer Homepage und schicken in ihrem unnachahmlichen Deutsch einen Gruß voraus: "Gutes wird mit Gutem b.loohnt, ha. Damit mein ich das Konzert. Damit meine ich unser Zusammentreffen. Damit mein ich eine viel zu seltene B.gegnung zwischen Menschen, die sich finden wolln..." Wer sich gefunden hat, ist nicht so klar nach den knapp zwei Stunden KNORKATOR, doch getroffen haben sich alle - beim Tanzen, Schreien und Lachen im Weißbrothagel.
Der Abend beginnt schon witzig - mit der längsten Zahl der Welt. [PI!] heißt die Band, Finnenrock ihr Auftrag. Oder wie sie selbst sagen: Brutal Finnish Porncore Music. So haben die Musiker, als sie die Bühne betreten, mit skandinavischer Kühlheit überhaupt nichts zu tun. Die zierliche Sängerin Claudia G. alias Womanman trägt auf dem hübschen Kopf einen Oktoberfesthut in Form einen blau-weißen Maßkruges. Auch ihre beiden Nebenleute an Bass und Gitarre könnten mit ihrem Aufzug wohl keinen Preis für außergewöhnlich schicke Mode gewinnen: Der schuhlose Gitarrist trägt ein hochgestecktes Zöpfchen und ultraweite Klamotten, der Bassist ein Holzfällerhemd. Auch blau-weiß. Warum die Dresdner sich bayrisch anziehen, lassen sie die Show über offen. Dafür konzentrieren sie sich auf ihre Rumgehampel, ihre Grimassen, ihre Blödeleien. Und ihre Musik. Ein wenig Metal, viel Rock, etwas Alternative, keine skandinavischen Melodien - so etwa klingen [PI!]. Sicherlich also nicht allzu spektakuläre Musik auf Platte, aber live wirkt der Sound ganz nett, erfrischend rockig. Im Gedächtnis bleibt vor allem die schöne Stimme der sehr natürlich wirkenden Sängerin, die später auch den albernen Hut von ihrem Kopf abwirft und mit normalen Klamotten recht adrett wirkt. Sprich: Sie ist süß und besitzt eine toll umherhampelnde Frechdachs-Aura. Was das alles aber mit [PI!] zu tun hat, weiß die Band wohl selbst nicht so recht - wahrscheinlich wollen sie wirklich einfach nur für gute Laune sorgen. Zumindest deuten darauf die alten eckig-bunten Rucksäcke hin, mit denen die Musiker nach dem Gig ihr Equipment einräumen. Laut Homepage wollen sie übrigens später einmal eine Wieselaufzuchtsfarm gründen. Solche Ziele sind immer begrüßenswert - viel Glück dabei.
Inzwischen hat sich der Anker gänzlich gefüllt, ohne dabei aber komplett aus allen Nähten zu platzen. Vor allem viele Fun-Shirts sind zum Konzert wieder aus den Schänken geholt worden: Favorit ist dabei der "Biertrinker gegen Alkopops"-Aufdruck auf dem Bauch eines jungen Mannes...
Die Herrschaften schauen alle gebannt nach vorn, als aus der Anlage laut ABBA erschallt - ein Stück der schwedischen Alltime-Star-Nerver muss erst einmal sein. Dann wird es ruhig und KNORKATOR-Keyboarder Alf Ator kommt herein. Er sagt, dass Sänger Stumpen heute nur singen wird und dafür auf seine Ansagen verzichtet - auf ausdrücklichen Wunsch der Band. Deswegen sei Stumpen auch eingeschnappt. Inzwischen steht der Angesprochene auf der Bühne und schaut ein wenig beleidigt drein. Doch kann er zum Glück besänftigt werden: Die Band lässt ihren Sänger per Helikopter aus angemalter Pappe einfliegen, der Rotor ist ein Schirm.
Ja, solche Details sind KNORKATOR in Reinkultur, dieser Band, die sich schon lange zum Ziel gesetzt hat, "Scheiße gesellschaftsfähig zu machen." Dem hochgesteckten Anspruch wird das Quartett in Leipzig voll gerecht. Und die Fans sind mehr als nur begeistert, sie johlen, sie tanzen, sie moshen zu einfach gestrickten Uffta-Uffta-Metalrock - oder werfen mit mitgebrachten Bonbons nach vorn. Da freut sich der Stumpen und hat schon nach fünf Minuten nur noch seine Boxer-Shorts an. Später entblößt er darunter noch einen Slip mit der Aufschrift "Kurz und Klein". Von nun an dürfen die Zuschauer noch sehr lange die komplett tätowierte Körperhälfte des Sängers bewundern, die wenigen nicht zugehackten Stellen leuchten fast neben den dunklen Tattoo-Flächen. Mit seiner glatzköpfigen Erscheinung sehen seine Späße noch abstruser aus: Mal fährt er sich lustvoll mit dem Zeigefinger in die Nase und stochert darin herum, dann wieder tänzelt er einfach mit irrem Blick umher. Trotz dieses Auftretens hat er Zeit zum klangvollen Singen, besonders gern mit seinem Kollegen Alf Ator im Falsett-Duett, händchenhaltend natürlich.
Doch nicht nur Friede ist bei KNORKATOR live: Stumpen beginnt bald die Bühne zu verwüsten. Erst trägt er in seinem Slip einen Berg Konfetti und verteilt die schillernden Plättchen mit seinen Händen über den Köpfen der Fans in den ersten Reihen. Später bringt er noch eine Kiste mit Grünkohlköpfen herein, wirft sie in zerfetzt in die Halle und spricht in dem Zusammenhang von "Arschsalat". Zum ABBA-Hit 'Ma Baker' kommt dann noch eine mit Weißbrot gefüllte Edeka-Plastetüte zum Einsatz, auch solche Scheiben eignen sich hervorragend als Wurfgeschosse - spätestens an diesem Punkt quillt der Boden von Saal und Bühne vor Müll über. Stumpen indes quatscht inzwischen doch nach jedem Song, erzählt etwa von seiner Kacke als "Leipziger Allerlei". Außerdem belehrt er eine "langhaarige Sau" vor der Bühne darüber, dass Achselhaare unerotisch sind. Die Musiktitel zu all solchem Firlefanz haben treffende Namen wie 'Ich will nur ficken' oder 'Schmutzfink' - und zwischendurch kommt Stumpen so gut in Form, dass an seinem Slip, aus dem er noch des öfteren Konfetti holt, auch eine deutliche Wölbung zu sehen ist. Dann ist die Zeit für das von Ulf Ator intonierte 'Böse' gekommen. Zum brutalen Sound des Kultsongs erscheint Stumpen plötzlich über der Bühne, wo sich im Anker eine Art Empore in drei bis vier Meter Höhe befindet. Der irre Sänger klettert über ihr Geländer, setzt zum Sprung an - und landet trotz seines Bierbauchs mit einer perfekten Abrolle. Mit dieser sportlichen Glanzleistung beginnt schon fast der umjubelte Zugabeteil, etwa mit der Psycho-Ballade 'Weg nach unten', dem Metal-Klopper 'Ich hasse Musik' und dem Ego-Macho-Stück 'Der ultimative Mann'. Danach sind endlich alle Papp-Keboards auf der Bühne zerstört, alles ist demoliert, Fans wie Band.
Ob es der von Stumpen erwähnten Anke auch so ging? Man weiß es nicht. Der Sänger zumindest hatte seinen Spaß, wie er am nächsten Tag auf der KNORKATOR-Website berichtet:
"Liebe Ornitologen und Floristinnen. Ich sizz zuhause, an einem Samstag Amd und irre mit meinen Geh Danken durch den Kopf. Das, was mich umgibt, ist Stille. Und die Tatsache, dass mich das gestrige Konzert im Leipziger Anker vor vielen Freunden und Tänzern noch einmal fröhlich macht. So, nu genug g.freut. Jez wirz ernst. Ernst Thälmann vielleicht. Und den kennen die finnischen Musikerkollegen ganz sicherlich auch noch... PI! waren gestern wieder mit am Start und tänzelten das Leipziger Allerlei warm, mit R.folg sozusagen supportetet. Euch dankend widme ich dem Knorkatorauditorium eines eurer wahrscheinlich erst vor kurzer Zeit entstandenen, Fragen umwobenen Geh Dichte:
Erogen in Norge
Behäbig sitzt der boreale Nadelwald
In schneebedeckten Endmoränen
Die Füße sind so bitterkalt
Schön ist das Land der Norweger und Dänen
Denn Dank dem weiten weißen Schnee
Sieht man, wohin die Hunde harnten
So das ich unbeirrten Weges geh
Zum Hang vor dem mich alle warnten
Unsicher ist meine Fahrt in der Loipe
Und oft werd ich überholt
Von Nordic-Walking-Omas, welche voller Freude
Würste essen, schwarz verkohlt."
Völlig krank...
- Redakteur:
- Henri Kramer