LEPROUS, THE OCEAN und PORT NOIR - München
26.11.2019 | 19:2619.11.2019, Freiheiz
Von Dunkelwesen und Lichtgestalten.
Das Freiheiz unter der Donnersberger Brücke war früher ein Turbinenwerk für die Stromerzeugung der Bahn. Heute ist es ein schöner Ort für allerlei kulturelle Veranstaltungen. Leider habe ich bislang nur wenige Konzerte hier besucht, vor allem Metal-Veranstaltungen scheinen hier nicht allzu oft stattzufinden. Doch die Norweger LEPROUS sind wohl "artsy enough", um in dieser Kulturstätte aufzutreten. Das ist schön, denn die geziegelte Halle hat ein sehr gute Akustik, was immer die halbe Miete für einen gelungenen Konzertabend ist.
Zunächst geben sich aber die Schweden PORT NOIR die Ehre. Die Altena-Proggies geistern schon seit einer Weile durch die Szene, man tourte mit IN FLAMES, KARNIVOOL und PAIN OF SALVATION und veröffentlichte dieses Jahr das dritte Album ("The New Routine"). Ich erinnere mich sogar noch dunkel an einen Auftritt beim Euroblast-Festival. Der tight gespielte, relativ basslastige Modern-Prog geht mir die halbe Stunde auch über ganz gut ins Ohr, ohne allerdings besondere Wünsche nach mehr Musik zu wecken. Denn das Songwriting finde ich einfach nicht allzu spektakulär. Auffälligster Mann ist Sänger und Bassist Love Andersson, der sich mit Looper-Technik geschickt seiner Aufgaben am Bass entledigt, um mehr Fokus auf den Gesang legen zu können. Diese hohen, klaren Vocals sind allerdings auch sehr genretypisch, so dass ich nicht weiß, ob ich Herrn Andersson später mal wieder erkennen würde.
Und nun zu THE OCEAN: Ich kenne die Berliner schon seit ihren Anfängen. Das Make-My-Day-Records-Debüt "Fogdiver" wurde mir damals persönlich von einem der ehemaligen Mitglieder in die Hand gedrückt und lief darauf in Dauerrotation. Ebenso der Nachfolger "Fluxion". Die Doppel-CD "Precambrian" war dann so ein dicker Brocken, dass er mich für Jahre mit THE OCEAN-Musik gesättigt hat. Danach habe ich den Anschluß ein wenig verloren, doch die Erinnerungen an großartige Auftritte im Berliner Knaack-Club kommen hoch, als die ersten Nebelschwaden auf die Bühne ziehen. Früher war die Band um Kopf Robin Staps (auch Gründer des feinen Labels Pelagic Records) ja noch als Kollektiv unterwegs und konnte sogar an zwei Stätten gleichzeitig spielen. Heute ist aber eine "richtige" Band daraus erwachsen und sogar die langezeit nur durch wechselnde Gäste besetzte Position am Mikro ist nun konstant.
Die Stimme von Loïc Rossetti ist dann auch die Komponente im THE OCEAN-Sound, an die ich mich mich heute am längsten gewöhnen muss. Auch weil sie scheinbar aus dem Nichts zu kommen scheint. Der dürre Mann ist meist in Nebelwolken versteckt, zudem mag THE OCEAN die Dunkelheit auf der Bühne; und wenn es hell wird, dann sind es meist Stroboskoplichter. Das ist zwar ein Horror für Fotographen, in Kombination mit der Musik wirkt diese Show aber mit jeder Minute mehr auf mich. THE OCEAN ist nach wie vor völlig eigen, eine komplexe Mischung aus Prog Metal, Post Metal, Metalcore-Eruptionen, Art- und sogar Gothic Rock schmettert hier auf mich ein. Dazu passt dann irgendwann auch Loïcs etwas nasale und effektbeladene Klarstimme. Auch wenn ich seine gigantischen Brüll-Growls deutlich beeindruckender finde. Ja, die harten Passagen werden immer noch so gewaltig druckvoll und ekstatisch vorgetragen wie damals und der tolle und niemals zu laute Sound im Freiheiz tut sein übriges, um die sieben Longtracks vollauf zum Genuss werden zu lassen. Klar, aus der Frühphase der Band gibt es nichts zu hören und mit 'Isla Del Sol' habe ich nicht wirklich gerechnet. Doch das Gehörte macht große Lust auf "Pelagial" und "Phanerozoic I: Paleazoic", die Alben, von denen die heutigen Songs gewählt wurden. Höhepunkt der Show ist, als Loïc sich von der Menge in die Mitte des Raumes tragen lässt und sich dort den Leib aus der Seele brüllt, während sich auf der Bühne ein weiteres Instrumentalgewitter entlädt. Und als am Ende doch noch ein älterer Song gespielt wird, herrscht Zufriedenheit allüberall.
Setliste: Permian: The Great Dying; Mesopelagic: Into the Uncanny; Silurian: Age of Sea Scorpions; Bathyalpelagic I: Impasses; Bathyalpelagic II: The Wish in Dreams; Devonian: Nascent; Firmament
LEPROUS ist dann in vielerlei Hinsicht ein Kontrast zu THE OCEAN. Alles ist gezähmter und gesitteter, Sänger Einar Solberg erscheint sogar in Hemd und Krawatte; und es gibt viel mehr Licht auf der Bühne. Natürlich steht der Auftritt ganz im Zeichen des aktuelle Albums "Pitfalls", das für mich tatsächlich die erste intensive Beschäftigung mit den Norwegern darstellt. Und nach ein paar Durchläufen gefiel mir das Album, auf dem Solberg seine Depressionen und Ängst verarbeitet, wirklich gut.
Auch live lässt sich das gut an, die Band hat ein anregendes Bühnenbild, es gibt eine interessante Lightshow und der Sound ist klar und prägnant. Noch mehr als auf CD sticht Solbergs Gesang hervor. Er erzählt, dass er von einer Erkältung geplagt ist, spricht über seine Zweifel, dies anzusprechen und seinen klugen Schluss, dass es eine Win-Win-Situation sei, wenn das Publikum Bescheid wüsste: Bei guter Performance könne man noch mehr Eindruck schinden und bei schlechter gäbe es eine nachvollziehbare Entschuldigung.
Ich denke, seine Darbietung ist sehr fein, obwohl ich zugeben muß, dass ich phasenweise etwas mit seinem gewöhnungsbedürftigen Falsetto irgendwo zwischen A-HA und Thom Yorke zu kämpfen habe. Ein paar Momente sind mir hier einfach zu emo. Mit dem coolen MASSIVE-ATTACK-Cover ('Angel') zieht mich die Band dann aber doch auf ihre Seite. Man muss nur ein wenig vom Gesang loslassen und den anderen Musikern auf die Finger schauen. Vor allem Schlagzeuger Baard Kolstad entpuppt sich als heimlicher Star der Band. Sein kreatives Spiel fällt auf der Platte gar nicht so auf, live zieht er das Publikum, auch aufgrund seiner Gestik, in den Bann. Ein weiterer versteckter Blickfang ist Cellist Raphael Weinroth-Browne, optisch der einzige Metaller auf der Bühne heute. Er bedient sein Instrument nicht nur gestrichen, sondern auch gezupft und bekommt sogar einen kurzen Solo-Slot, in dem die Finger nur so übers Griffbrett fliegen. Und so vergeht die Zeit wie im Fluge, so dass man am Ende gar nicht merkt, dass schon 90 Minuten vergangen sind und die Band immer noch spielt. Das Schlusstriplet hat es dann auch noch mal in sich, eingeleitet vom hitverdächtigen und endlich mal etwas flotteren 'From The Flame', gefolgt von einer Prog-Metal-Breakorgie namens 'Third Law' und abgeschlossen vom skurrilsten Song des Abends. 'The Sky Is Red', der Rausschmeißer von "Pitfalls", fasst zunächst noch einmal zusammen, was musikalisch bei LEPROUS alles geboten wurde: eine Mischung aus feinem Art Rock, liebevoll zusammengeknobeltem Prog und kürzeren Lautstärke-Ausbrüchen. Doch wie schon auf Platte ist das Ende des Songs auch live so seltsam verstörend wie auch genial. Über schräge Cello-Klänge legen sich verzerrte elektronische RADIOHEAD-Beats, ein unrunder Takt unterlegt unheilvoll anschwellende Synthie-Schwaden und alles steigert sich zu einem beinahe kakophonischen Orkan. Avantgarde at its best. Ganz ehrlich, sowas würde ich gern öfter von LEPROUS hören.
Setliste: Below; I Lose Hope; Acquired Taste; Bonneville; The Cloak; Angel (MASSIVE ATTACK-cover); The Price; Observe the Train; Alleviate; Stuck; Distant Bells; From the Flame; Third Law; The Sky Is Red
Dank für die Fotos geht an Joe Bartho!
- Redakteur:
- Thomas Becker