Long Distance Calling - Köln

08.03.2011 | 00:08

19.02.2011, Underground

Wenig Worte, viele Emotionen.

Die Ankündigung einer LONG DISTANCE CALLING-Headliner-Tour hat bei mir schon lange im Vorfeld des Konzertes für freudige Erwartung gesorgt, habe ich die Münsteraner bisher doch nur als Suppport-Act oder auf Festivals bestaunen dürfen. Anlass zu dieser Kurzreise durch Deutschland war das einen Tag zuvor erschienene, selbstbetitelte Album. Dazu wurde mit dem Underground in Köln eine sehr kuschelige Location ausgesucht, die den passenden Rahmen für das Konzert bieten sollte. Dafür sorgten darüber hinaus auch die vielen Besucher, so dass eine Woche vor dem Konzert "Ausverkauft!" gemeldet werden konnte.

Als Vorband geht MAYBESHEWILL aus dem Vereinigten Königreich an den Start. Im Gegensatz zu mir ist die Band vielen scheinbar bestens bekannt, so dass alle pünktlich zu Beginn im Konzertsaal sein wollten. Und so kommt es, dass ich zum ersten Mal vor dem Underground in einer Schlange auf den Einlass warten muss (wo ich für diese Art von Konzert auffallend viele Metal-Fans wahrnehme). Daher bin ich umso gespannter, was mich erwartet.

Und was soll ich sagen? Selten hat mich eine mir unbekannte Vorband so mitgerissen, wie MAYBESHEWILL es an diesem Abend getan haben. Zwar hat die Band anfangs ein wenig mit dem Sound zu kämpfen (für mein Empfinden ist der Bass viel zu laut), aber nach einigen Liedern entfaltet sich dieser bunte Blumenstrauß an Instrumentalmusik so wunderbar, dass mir nun fast die Worte fehlen. Tsunami-artige Wellen treffen auf ruhige See, elektronische Elemente auf organisch-rockige Passagen und die Frage nach dem Sinn der Musik, der Zeit und des Lebens werden aufgeworfen, förmlich apokalyptisch ausgemalt, und sogar beantwortet; doch kurz bevor man sich in dieser Woge des Glücks sicher zu meinen fühlt, wurde jene Antwort in der Luft zerrissen. Keine Sicherheit, dafür eine Menge Lebendigkeit. Ja, das ist wohl die deutlichste Botschaft, die an diesem Abend transportiert wird.

Dabei ist die Performance keineswegs so ernst wie die Musik es suggerieren könnte. MAYBESHEWILL kommen ehrlich und mit viel Spaß an ihrer Sache daher. Als der Band während einer Pause der etwas willkürliche Kommentar "Deine Mutter!" entgegen geworfen wird, weiß die Band nach kurzer Beratung mit einem augenzwinkernden "Meine Mutter?" in bestem Oxford-Englisch zu antworten. Sympathiepunkte auch hierfür.

Im Laufe des circa 40-minütigen Sets verliere ich mich irgendwann so sehr, dass ich gar nicht mehr genau weiß, warum ich eigentlich noch mal nach Köln gekommen bin. Und damit bin ich nicht alleine, denn für eine Instrumental- und Vorband ist hier eine große Party am Laufen, bei der extrem viele mitgehen. LONG DISTANCE CALLING sind für einen Moment komplett aus dem Sinn. Ich denke, dass ich einer mir bis dato nicht vertrauten Band kein größeres Kompliment machen kann. Großartig.

Nachdem die relativ kurze Umbaupause zu LONG DISTANCE CALLING von 15 Minuten hauptsächlich damit verbracht wird, wieder in die Realität zurückzukehren, stellt man wenig später fest, dass dieser Prozess weitestgehend umsonst gewesen ist. Der Fünfer aus Münster legt gleich mit zwei neuen Tracks los; auf 'Into The Black Wide Open', der anfangs sehr basslastig und später seinem Titel entsprechend ausufernd, träumerisch und dennoch rockig ist, folgt 'The Figrin D'an Boogie', welcher in weiten Teilen in bester Stoner-Manier mit psychedelischen Ausuferungen daherkommt. Die für die allermeisten Ohren frischen Songs werden äußerst positiv aufgenommen; das Publikum ist ab der ersten Note dabei und feiert die Band wie alteingesessene Lokalhelden ab.

Aber eigentlich ist es egal, für welche ihrer durch die Bank fantastischen Songs die Band sich an diesem Abend entscheidet. Die aktuellen Stücke der selbstbetitelten Platte kommen genauso gut an wie jene von der Demo. Und wenn man sich einmal vor Augen hält, dass die Demo (!) der Band aus dem Jahre 2006 (!!) stammt, dann ist das, was an diesem Abend im Underground abgeht, noch höher einzuschätzen. Aber man kann auch einfach nicht anders, als sich von LONG DISTANCE CALLING mitreißen zu lassen. Diese Geschichten über Sehnsucht, Schönheit und Fernweh bedürfen keiner Worte. Es ist eine diffuse Reise, auf die einen das Münsteraner Quintett schickt. Aber man reist gerne mit ihnen.

Und allem Anschein nach reisen die Jungs mindestens genauso gerne mit dem Publikum. Die Band ist von den Reaktionen absolut überwältigt und hat so etwas außerhalb ihrer Heimatstadt wohl auch nicht erwartet. So verwundert es wohl niemanden, dass die Band vor Spielfreude förmlich explodiert. So etwas weiß das kunterbunte Publikum, in dem sich sehr alte und ganz junge, total liebe und furchtbar böse sowie absolut normale und völlig durchgedrehte Typen vereinen, auch entsprechend zu würdigen. Und ob man das nun Post-Rock, Post-Metal, Post-Post oder Postbote nennt, interessiert auch keinen so wirklich.

Doch auch die schönsten Abende müssen irgendwann ein Ende finden. Nachdem LONG DISTANCE CALLING all ihre Veröffentlichungen bedacht haben, verlassen sie nach 'Metulsky Curse Revisited' die Bühne, nur um das Underground ein letztes Mal mit ihrem (aus meiner Sicht) Übersong 'Black Paper Planes' zu beglücken. Der anschließende Sturm auf den Merchstand, bei dem die Band unzählige (vor allem neue) Tonträger absetzt, ist der beste Beweis für das, was hier fast 90 Minuten lang zelebriert wurde: Instrumentalmusik in Perfektion.


Setlist:

Into The Black Wide Open
The Figrin D'an Boogie
Fire in the Mountain
Invisible Giants
Timebends
Aurora
Arecibo
Beyond the Void
I Know You, Stanley Milgram!
Metulsky Curse Revisited
________________________
Black Paper Planes

Redakteur:
Oliver Paßgang

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