MITCH RYDER - Ulm

24.02.2025 | 11:31

22.02.2025, Roxy

(Beinahe) achtzig Jahre und kein bisschen leise!

Es ist dringend notwendig, dass wir mal wieder ein wenig in die Tiefen des Rock, in die Ursprünge zurückschauen. Mit schöner Regelmäßigkeit tourt Mitch Ryder in jedem Frühjahr durch unsere Clubs, aber irgendwie hat er bei uns noch keinen Platz gefunden. Das ändern wir jetzt, denn unser Magazin schaut ja gerne mal über den Tellerrand.

Eventuell muss ich ein paar Worte über Ryder, der eigentlich William S. Levise heißt, verlieren, möglicherweise ist er nicht jedem Leser hier bekannt. Seine Karriere begann in den frühen Sechziger Jahren in einer Schulband, wenige Jahre später gründete er MITCH RYDER AND THE DETROIT WHEELS und hatte große Charterfolge. Sein Betätigungsfeld war Blues, Soul und Rock, immer gut gerührt, nicht geschüttelt. Nach ein paar Jahren Auszeit startete er Ende der Siebziger wieder durch und hatte einen unerwartet großen Erfolg mit einer Rockpalast-Liveshow, die Stefan hier genauer betrachtet. Seitdem ist er in Europa und vor allem in Deutschland mindestens genauso bekannt wie in seiner Heimat und deswegen feiert er seinen Geburtstag, wie er später verschmitzt anmerkt, immer auf Frühjahrstournee in Deutschland.

Heute gastiert er im Roxy in Ulm, einem großartigen, soziokulturellen Zentrum mit über 300 Veranstaltungen pro Jahr in mehreren Hallen. Viel Comedy, Theater, aber auch Konzerte, die häufig in den Rock, gelegentlich ins Schwermetall umschlagen, wie in diesem Jahr noch mit NIGHTSTALKER, H-BLOCKX oder DORO. Mehr gibt es hier.

Aber zurück zu Mitch, der nächste Woche 80 Jahre alt wird. Als wir eintreffen, etwa dreißig Minuten vor Beginn, ist es noch recht leer. Einige Tische sind aufgestellt, der Altersdurchschnitt ist hoch, wird aber durch Katharina erheblich gesenkt. So langsam trudeln noch mehr Leute ein, ich schätze, am Ende werden es ungefähr einhundert Anwesende sein. Ryder hat vor kurzem seine komplette Band ausgewechselt, aus welchem Grund ist mir nicht klar. Darüber habe ich auch nichts gefunden, außer der Mutmaßung, dass die wieder mehr internationale Ausrichtung mit dem neuen Label Ruf Records eventuell der Grund dafür sein kann. Ich bin gespannt, mit der deutschen Band ENGERLING war Mitch ja jahrzehntelang unterwegs gewesen und der Wechsel ist auch nicht ganz unumstritten, da ENGERLING auch eine erhebliche Fanbasis hat.

Dann kommt Mitch, geführt von seine Ehefrau, während die Band bereits ihre Plätze einnimmt. Ja, natürlich, der Zahn der Zeit nagt, Mitch hat einen kleinen Tisch und ein i-Pad auf der Bühne und sitzt während der Performance auf einem Barstuhl, das Rocken muss die Band übernehmen. Aber der Star und Leader ist Mitch, er übernimmt alle Ansagen, die er mit kleinen Anekdoten zwischen den Liedern und Humor würzt, was den Clubgig-Charakter noch unterstreicht. Die Musiker sind nahbar, man genießt zusammen ein paar Stunden Musik und ich habe den Eindruck, dass auch die Band ihren Spaß hat.

Heute werden gleich fünf Stücke des aktuellen Albums "With Love" gespielt, hier tritt kein Musiker auf, der nur noch in seiner Vergangenheit lebt. Mit der neuen Single 'Lilly May' startet der Abend, dann aber folgt schon ein alter Klassiker, nämlich 'Ain't Nobody White', das eigentlich noch mit "(Can Sing The Blues)" weitergeht. Das Publikum freut sich, klar, man muss erst einmal warmgerockt werden. Das übernimmt spätestens eine ekstatische Version von 'Tough Kid', in der die beiden Gitarristen sich den Soloball hin- und herwerfen und die Saiten jaulen lassen. Das ist old school, das ist Bluesrock live, handgemacht und in einem kleinen Club, wenn auch in Ulm und nicht in Detroit.

Mitch erzählt zwischen den Stücken von einer Begegnung mit PRINCE, gibt seiner Abneigung gegen Waffenbesitz in den USA Ausdruck und berichtet von seiner verstorbenen Frau, für die er in Sorge um ihre Gesundheit ein Lied komponiert hatte, das sie leider nie gehört hat. Das Stück 'Do You Feel Alright?' ist ein ergreifend einfaches, gradliniges Lied zwischen Trauer und Hilflosigkeit in Bezug auf Drogensucht, doch mit dem neuen 'Oh What a Night' und dem alten 'War' bläst die Band mit ihrem Boss die Melancholie auch wieder fort. Bald schon ist es Zeit für das DOORS-Cover 'Soul Kitchen', das schon lange ein fester Bestandteil der Setliste des Meisters aus Michigan ist. Auch heute wird die Viertelstunde beinahe voll soliert, jeder darf einmal ran, Lea an den Keyboards genauso wie beide Gitarristen, von denen Laura Chavez auch auf dem aktuellen Album "With Love" mitgewirkt hat.

Als Abschluss des Sets spielt Mitch, nur begleitet durch das Keyboard, den Song 'The Artist', in dem er ein Gedicht seine Ehefrau vertont hat. Hier lohnt es sich, auf den Text zu hören, der tatsächlich sehr gelungen ist. Doch auf einer so melancholischen Note entlässt uns die Band natürlich nicht in die Nacht. Es folgt noch der große Hit aus dem Jahr 1966, 'Devil With a Blue Dress On', bevor sich der Konzertabend nach beinahe zwei Stunden dem Ende zu neigt und beweist, dass er zum einen immer noch gut bei Stimme ist und dass Bluesrock auch in Deutschlands kleinen Clubs ausgezeichnet funktioniert.

Setliste: Lilli May; Ain't Nobody White; All The Fools It Sees; Yeah, You Right; Tough Kid; Do You Feel Alright?; Oh What A Night; War; The Thrill Of It All; Fly; It Wasn't Me; Wrong Hands; Soul Kitchen; The Artist; Zugabe: Devil With A Blue Dress On

Fotocredit: Katharina Jäger

Redakteur:
Frank Jaeger

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