M'era Luna 2008 - Hildesheim

25.08.2008 | 20:33

09.08.2008, Flugplatz

Bereits seit Ende der Neunziger zählt Hildesheim zu einem der wichtigsten Wallfahrtsorte für dunkle Gemüter. Ursprünglich noch unter dem Banner "Zillo Festival" gestartet, etablierte sich Anfang des dritten Jahrtausends das Happening unter dem Namen M'era Luna. Stars wie MARILYN MANSON, PLACEBO oder auch NIGHTWISH garantierten jedes Jahr ein volles Haus. Auch in diesem Jahr zieht das Line-up weit mehr als 20 000 Besucher nach Niedersachsen. Da darf POWERMETAL.de natürlich nicht fehlen.

Nach einer Vollsperrung auf der Autobahn und einem mittelgroßen Stau wurde aus geplanten zweieinhalb Stunden Fahrt doch mal eben das doppelte – na toll. Als wir den Flugplatz endlich erreichen, erblicken wir das gewohnte Bild. Autos hier, Zelte dort – ach nö. Also heißt es Taschen packen und einmal quer über den Zeltplatz laufen, um irgendwo Platz für zwei Zelte zu ergattern. Kein leichtes Unterfangen, denn es herrscht bereits buntes Treiben. Geschätzte neunzig Prozent aller Festivalbesucher sind anscheinend schon anwesend. Also wird kurzerhand der Weg etwas verkleinert und das Absperrband samt Pflock um einige Meter zur Seite verschoben. Man muss sich eben nur zu helfen wissen. Leider war guter Rat bei unserem aufblasbaren Bett teurer, denn meinem treuen Festivalbegleiter ging im wahrsten Sinne des Wortes die Luft aus. Mach's gut, mein Freund. Hallo Auto! Schnell noch mal kurz auf den Vorplatz geschaut, wo sich das Volk bei gewohnt düsterer Musik die Nacht um die Fledermausohren schlägt, dann ist es Zeit für das Bett – genauer: die Rückbank. Gute Nacht!

Samstag, 09.08.2008

Statt des Kopfes schmerzt dieses Mal der Rücken. Man wird eben nicht jünger. Aber man will ja nicht meckern, denn immerhin weckt uns die liebe Sonne mit einem strahlenden Gesicht. Der Himmel ist wolkenlos – im Gegensatz zu den Toiletten. Gut, keine Wolken, aber Hunderte von putzmunteren Schwarzkitteln mit Badelatschen warten sich ein Loch in den Bauch, um eine feste Morgentoilette zu erhaschen. Der Hahn hat gerade erst gekräht, da beginnt auf der Hauptbühne schon die Musik. Nein, keine Band, sondern eine Art Soundcheck. Dabei dudelt immer und immer wieder das gleiche Lied über den Flugplatz. Früher erklangen einmal THE EAGLES mit 'Hotel California', heute wird uns SEAL präsentiert. Habe ich schon erzählt, dass früher alles besser war? Aber lassen wir das.

Nach einem schnellen Happen geht es auf ins Infield, wo schon DELAIN für Ohrenklingeln sorgen. Bei der gemeinsamen Tour mit WITHIN TEMPTATION konnten sie sich einen Namen machen, was auch das für diese Zeit prima gefüllte Feld vor der Bühne beweist. Die Band rund um den ehemaligen WITHIN TEMPTATION-Keyboarder hat jedoch nur zwanzig Minuten Zeit, um sich dem Publikum zu präsentieren. Charlotte wackelt mit ihrem Köpfchen in ihrer fliederfarbenen Kittelschürze, während der Rest der Niederländer die Meute mit krachendem Symphonic Metal verwöhnt. Warum die Veranstalter als nächsten Act gleich wieder diesen Musikstil auf die Bretter holen, ist fraglich.

ELIS schippern im gleichen Meer und ziehen mit ihrem symphonischen Metal die nächsten Pommesgabeln in den Himmel. Leider versagt zunächst das Mikro, und Sängerin Sandra ist nicht zu hören. Zum Glück bekommt sie es frühzeitig mit, und so macht sie sich einen Spaß daraus. Schnell wird ein neues gereicht. Dumm nur, dass dies ebenfalls nicht funktionieren möchte. Selbst ist die Frau. So vertreibt sie Basser Tom und trällert in dessen Mikrofon – endlich kommen wir in den Genuss der engelsgleichen Stimme. Sandra und Konsorten haben sichtlich Spaß an ihrem Auftritt, die Fans bei Songs wie 'Lost Souls', 'Der letzte Tag' oder 'Phoenix From The Ashes' auch. Zur Abkühlung kommt der Eismann wie gerufen – lecker! Zum Abschluss widmen sie mit 'The Burning' einen Song ihrer verstorbenen Sängerin Sabine Dünser. Schöne Geste, die mit viel Applaus honoriert wird und einen überzeugenden Auftritt der Liechtensteiner Truppe abrundet.

Mit RABENSCHREY entert in der Folge eine Truppe die Mainstage, die sich selbst als "heidnischen Mittelalterfolk" bezeichnet. Da wissen wir doch gleich, wie der Hase läuft. Allerhand mittelalterliche Instrumente werden aufgefahren. Zeit für uns, die Zeitmaschine anzuwerfen und uns zurück in die Gegenwart und auf den Zeltplatz zu beamen. "Es ist Mitmachzeit", hört man "Donar von Rabenschrey" rufen, gefolgt von der typischen Fiedelei. Nach einer kleinen Stärkung soll es in den Hangar gehen. Die amerikanischen Death-Rocker von CINEMA STRANGE laden ein. Doch leider gibt es kein Durchkommen, und so bleibt der Flugzeughalle unsere Anwesenheit erspart.

Verärgert geht es zurück zur Hauptbühne, wo kurz darauf ORDO ROSARIUS EQULIBRIO beginnen. Was für ein Name, den der Schwede Tomas Pettersson seinem musikalischen Baby gegeben hat. Mit 'Hell Is Where The Heart Is - The Gospel Of Tomas' beginnt es dramatisch. Spärlich instrumentiert, aber dennoch wuchtig singt er "I am the alpha and the omega, I am the beginning and the end", und man will es ihm fast glauben. Im krassen Gegensatz zum Wetter wird ein Depri-Song nach dem nächsten ins traurige Publikum getragen. Nachdem ich das erste Mal gähnen muss, geht es ab in den Hangar. CINEMA STRANGE haben ihre Show beendet, und so strömt die Masse aus der Halle. Schnell in Deckung, bevor man noch umgetrampelt wird.

Jetzt aber rein zu CHRISTIAN DEATH. Vor wenigen Monaten gab es einen schlimmen Zwischenfall auf dem Wave-Gotik-Treffen, als Valor auf der Bühne angegriffen wurde und der alte Konflikt zwischen Valor- und Rozz-Fans neu aufflammte. Heute sollte alles rund über die Bühne gehen. Diese ist mit vielen Rosen geschmückt, aber wer romantische Stimmung erwartet, liegt hier falsch. Denn Romantik hat nichts mit schief singen zu tun. Zum Glück bessert sich Valors Leistung im Laufe der vierzigminütigen Show erheblich. Aber auch Gitarristin Maitri entwickelt sich - von einer Saitenzupferin über eine Sängerin bis hin zu einer astreinen Stripperin, die der versammelten Mannschaft ihr blankes Hinterteil zeigt. Mist, ich war zu diesem Zeitpunkt bereits außerhalb des Hangars – verflucht und zugenäht!

Die positivste Überraschung des Nachmittags folgt in Form von TANZWUT. Klar, jeder weiß, dass Teufel und seine Jungs live für mächtig Spaß sorgen, aber dass sie eine derartige Party veranstalten, hätte ich nicht geglaubt. Mit dem druckvollen 'Ihr wollt Spaß' treffen sie den Nagel auf den Kopf und versprühen mit ihrer Mischung aus mittelalterlichen Instrumenten und harten Gitarrenriffs den Nerv des Publikums. Die Drums rumpeln in der Brust (vor allem bei 'Meer'), und Teufel springt wie ein junger Hüpfer über die Bühne. RAMMSTEIN meet Mittelalter funktioniert scheinbar auch noch im Jahr 2008, und so feiern die Band und ihre Fans bei Songs wie 'Vulkan', 'Lügner' und dem ÄRZTE-Cover 'Bitte bitte' in purer Ekstase.

EPICA spielen schon, als wir wieder im Hangar sind. Toll, dass sich auch beim M'era Luna die Angewohnheit breitmacht, die Bands zu früh auf die Bühnen zu schicken. Daumen runter! Die Windmaschine läuft für Simone und ihre Jungs auf Hochtouren. Doch wo ist die hübsche Frau? Gitarrist Mark grunzt sich durch ein unglaubliches, fettes Brett, dass man vor lauter Bangen völlig die Orientierung verliert. Doch dann betritt Simone die Bühne, um dem jubelnden Publikum 'Cry For The Moon' vor den Latz zu jagen. Was ist besser als eine bildhübsche Sängerin? Genau, zwei! So kommen wir im Laufe der Show zu einem Wiedersehen mit Amanda Somerville, die uns eine Woche zuvor schon beim AVANTASIA-Gig in Wacken die Ohren verzaubert hat. Prima Show der Holländer, auch wenn die Qualität der Songs mittlerweile weit hinter der Faszination und den gesanglichen Qualitäten von Simone liegt.

Erneut einige Minuten zu früh betritt der Graf die Bühne. In seiner einzigartigen Art springt er nach dem Intro 'Vorhang auf' auf die Bühne des M'era Luna und legt mit 'Puppenspieler' auf die gewohnte Weise los. Wer UNHEILIG in diesem Sommer schon mehrmals gesehen hat, wird wissen, dass sich die Shows eigentlich wie ein Ei dem anderen gleichen. Erneut folgt 'Spiegelbild', erneut singt das Publikum lautstark mit, und erneut leidet keiner so schön auf der Bühne wie der Graf. Bei 'An deiner Seite' werden die Feuerzeuge geschwenkt, während mir mein Kopf bei 'Feuerengel' aus Versehen zum wilden Bangen ausrutscht. Oh nein, was sehen meine zarten Augen? Bei 'Lampenfieber' setzt der gute Mann tatsächlich dazu an, seinen kleinen Grafen auszupacken. Lass mal stecken, mein Lieber. Zum Glück hört er auf mich. Brav.

Mit den letzten Klängen im Ohr zieht es uns schnell in den Hangar. Die Schweizer Elektro-Metaller von SAMAEL haben bereits die Bühne betreten und knallen der fast vollen Halle den Opener und Titeltrack des letzten Albums "Solar Soul" entgegen. Der Sound ist überaus amtlich, trotzdem stößt einem der oft kritisierte Drumcomputer etwas auf. Mit 'On Earth' geht es rund um den Globus, während uns 'On The Rise' erneut zum aktuellen Album beamt. Die Stimmung ist ordentlich, aber nicht überschwänglich. Dafür sind einfach zu wenig Metaller am Start. Für pseudoalte Säcke wie mich gibt es mit 'Rain' sogar noch einen Track aus "Passage"-Zeiten. Toll!

So richtig kicken tut der Gig jedoch nicht, und so schauen wir mal, was ASP so auf der Hauptbühne treiben. Los geht es wie immer mit 'How Far Would You Go', gefolgt von 'Sing Child'. Leider wird mir jetzt schon klar, dass hier mal wieder ordentlich geknödelt wird, so dass die lyrischen Ergüsse kaum wahrnehmbar sind. Schade, denn textlich hat der schwarze Schmetterling einiges drauf. 'Sanctus Benedictus' und 'Ich bin ein wahrer Satan' sorgen dennoch für Stimmung.

Nach dem wunderschönen 'Und wir tanzten - ungeschickte Liebesbriefe' geht es zu MOONSPELL. Leute, Leute, hier ist man nur am Flitzen. Bekomme ich irgendwann Kilometergeld? Die erste Portugalfahne sticht mir schon vor Konzertbeginn ins Auge. Der Hangar ist bestens gefüllt. Offenbar hat sich herumgesprochen, dass das neue Werk der Südeuropäer, "Night Eternal", ein echtes Leckerli geworden ist. 'At Tragic Heights' knallt triumphal aus den Boxen und zeigt dem Publikum, dass hier für Weicheier kein Platz ist. Es wird hart. 'Night Eternal' folgt. Fernando faucht wie ein wildes Tier. Die Meute faucht zurück, und gemeinsam tragen sie die aufkommenden Schlechtwetterwolken nach Portugal. Mit 'Wolfheart' geht es zurück in die Vergangenheit, bevor uns Ex-THE GATHERING-Sängerin Anneke van Giersbergen mit dem Duett 'Scorpion Flower' in die Gegenwart zurückholt. Dort halten wir uns aber nicht lange auf, und so werden uns im Verlauf der überzeugenden Show neben neuen Songs auch immer wieder alte Klassiker wie 'Vampiria' und das abschließende 'Full Moon Madness' um die Ohren gehauen.

Vom ultimativen Headliner zum letzten Act der kleinen Bühne. So kann man die Karriere von PARADISE LOST auf dem M'era Luna beschreiben. Waren sie vor einigen Jahren noch das Zugpferd des Festivals, so müssen sie heute die zweite Geige spielen. Die Hauptbühne wird statt der Briten von FRONT 242 eingenommen, die mittels Computertechnik irgendwelche Töne aus den Boxen übertragen. So richtig viel besser machen es unsere ehemaligen Düstergötter auch nicht. Na klar sind Songs wie 'The Enemy', 'As I Die' oder 'One Second' absolute Granaten. Doch so richtig kicken sie das Publikum nicht mehr. Nicks gequälte Witze verpuffen bei 95 Prozent des Publikums, und die Songauswahl überzeugt auch weniger. Warum kommt kein 'Gothic'? Warum, warum, warum? Beim WGT war er noch Stimmungsmacher Nummer eins, heute lässt man diesen Übersong draußen. Was mir aber noch schlimmer aufstößt, ist die Tatsache, dass offenbar Crowdsurfen verboten ist. Während sich der Erste todesmutig über die Köpfe der Fans seinen Weg sucht, schreitet ein Security-Typ plötzlich ein und zieht den Kämpfer ziemlich drastisch auf den Boden der Tatsachen zurück. Was für ein absoluter Bockmist ist das denn? Wie immer endet ein PARADISE LOST-Auftritt mit 'Say Just Words'. Erneut zeigen uns die Engländer nur eine durchschnittliche Show. Da muss sich keiner wundern, wenn andere ihnen die Posten auf der Hauptbühne wegnehmen.

Redakteur:
Enrico Ahlig

Login

Neu registrieren