Metal Mania Festival - Budapest
11.03.2006 | 02:1102.03.2006, Petôfi Csarnok
Es gibt Festivalgeheimtipps im Osten, die man sich nicht entgehen lassen sollte - und wenn schon mal Bands wie ANATHEMA, NEVERMORE, MOONSPELL oder THERION gemeinsam auf der Bühne stehen, dann tritt man auch gerne die weite Reise nach Budapest an. Eine abgespeckte Metal Mania-Version sollte am Tag darauf die Tschechischen Metalheads erfreuen, während am Samstag in Polen ein noch üppigeres Metal Mania-Programm geboten wird. Doch da Budapest nun mal am einfachsten zu erreichen ist, beschließe ich zusammen mit einer kleinen Fahrgemeinschaft die ungarische Hauptstadt unsicher zu machen. Nach einmal Verfahren und Stau im Budapester Stadtverkehr nähern wir uns langsam der Petöfi-Halle, die mitten in einem Park im schönsten Viertel der Stadt steht. Nobelhotels, schicke Villen, beeindruckende Prachtbauten und Monumente sowie verschiedene Botschaften verschaffen uns einen beeindruckenden Empfang und auch die Halle selbst ist fast schon luxuriös. Eine riesige Bühne, zahlreiche Getränke- und Merchstände, eine abseits gelegene Bar, eine zweite kleine Bühne für lokale Bands, feinste Licht- und Soundanlagen und eine angenehme Gasthausatmosphäre im mit Tischen und Bänken ausgestattetem Vorraum lassen mich erstmal staunen. Ungarische Klischees erfüllen sich dann beim günstigen Bierpreis von unter 2 Euro pro Becher und beim Backstage-Essen, wo deftiges Gulasch serviert wird, natürlich alles bestens für anspruchsvolle Gaumen geeignet! Einziger Kritikpunkt ist das One-Way-Ticket, das die Metalheads zwingt, in der Location zu bleiben. Doch diese ist zum Glück groß genug und bestens belüftet, so dass sich keiner großartig drüber beschwert und alle gut gelaunt sind.
Als ich endlich die Halle erreiche rocken gerade STEREOCHRIST das Publikum, das aus erstaunlich vielen Frauen besteht. Die Leute sind gut drauf und extrem freundlich, man quatscht gern mal ein paar Worte mit Fremden oder freut sich einfach gemeinsam über die gute Musik. Diese freundliche, warme Stimmung überträgt sich schnell auf die Atmosphäre des Festivals, das sehr friedlich abläuft. Die Securities im Graben haben nicht wirklich viel zu tun und auch die Anzahl der Crowdsurfer bleibt erstaunlich gering.
CHARON
Der weibliche Anteil in der ersten Reihe steigt vor allem dann rasant an, als die Finnen CHARON die Bühne entern. Lang ist's her seitdem ich die Jungs das letzte Mal live gesehen hab, und seit damals hab ich die Entwicklung der Band auch aus den Augen verloren. Die Finnenrocker wirken anfangs schüchtern, doch die Berührungsangst legt sich schnell: Trotz der frühen Nachmittagsstunde an einem Wochentag sind zahlreiche Fans anwesend und lassen ihrer Begeisterung freien Lauf. CHARON treffen zwar immer noch nicht meinen Musikgeschmack und sind mir zu sehr am SENTENCED-Sound orientiert, doch rocken sie heute eindeutig mehr als noch vor einigen Jahren und die Show ist solide und überzeugend. Nach einer Stunde Spielzeit und einer langen Setliste aus alten und neuen Songs verabschieden sich CHARON, um einer völlig anderen Musikrichtung Platz zu machen.
Setlist:
Colder
Guilt On Skin
If
Bitter Joy
In Trust Of No One
Ride On Tears
Little Angel
4 Seasons Rush
Deep Water
House Of The Silent
SOILWORK
SOILWORK sind die nächsten auf dem Spielplan - und wer sich jetzt wundert, warum die Schweden, die vor nicht allzu langer Zeit eine Headliner-Tour spielten schon so früh (vor 18 Uhr) ran müssen, dem sei gesagt, dass im Osten wohl einiges anders läuft. Es wäre bei uns ziemlich seltsam Bands wie NEVERMORE oder SOILWORK vor ANATHEMA oder MOONSPELL spielen zu lassen, doch diese haben in Ungarn wohl einen anderen Status als hier (in Polen, der Türkei und Griechenland gibt es bei ANATHEMA übrigens ausverkaufte Hallen mit Besucherzahlen im vierstelligen Bereich!). SOILWORK mischen die Ungarn allerdings auch ordentlich auf, und als die Schweden loslegen kocht die Halle. Björn Strid heizt die Fans immer wieder an und ruft erfolgreich zu Moshpits auf. Bassist Ola übt sich wie immer in lustigen Posen und tänzelt ausgelassen über die große Bühne, während sich die Gitarrenfraktion eher im Hintergrund hält. Vor allem der neue Gitarrist, der als Ersatz für Peter einen super Job macht wirkt showtechnisch noch etwas schüchtern - aber ehrlich gesagt war Peter auch nie wirklich eine Bühnensau und so fällt der Tausch nicht negativ ins Gewicht. Vor allem Songs wie 'One With The Flies' vom neuen Album oder der "Figure Number Five"-Hit 'Rejection Role' entpuppen sich als wahre Moshpit-Garanten und SOILWORK hinterlassen am Ende ein überglückliches Publikum, das zu sämtlichen Krachern der Band ausgiebig gefeiert hat.
NEVERMORE
Die Umbaupausen werden immer länger, doch als NEVERMORE an der Reihe sind ist die Stimmung immer noch bestens und der Einstieg mit 'Acid Words' zeigt wieder eine Band in Bestform. Seitdem Warrel den Alkoholkonsum zurückgeschraubt (beziehungsweise abgestellt) hat, singt er besser als je zuvor und diese Erkenntnis ereilt mich bei jedem NEVERMORE Live-Erlebnis aufs Neue! Endlich traut sich auch Warrel mal wieder ordentlich die Matte zu schütteln, die er auf den letzten Gigs immer unter einer dicken Wollmütze versteckt hatte. Dabei scheint er heute generell mehr Wert auf sein Outfit zu legen, denn zahlreiche Krallenringe zieren seine Finger und mit diesem Schmuck spielt er gerne mal rum, zeigt seine Klauen und bewegt sich einfach mit vollem Einsatz und sichtbarer Freude über die Bühne. Unterstützt von den unglaublichen Soli seiner Gitarrengenies ist Warrel stets im Mittelpunkt der Show und heizt die Ungarn mit Leib und Seele an. Bei so viel Energie der gesamten Band bleibt einem schnell die Spucke weg, und die Fans sind schlichtweg begeistert von der Spielfreude und dem Können von NEVERMORE, die noch dazu eine mit Hits bespickte Setliste auspacken und vor allem mit Songs wie 'The River Dragon Has Come', 'Born' oder dem unumgänglichen Hit 'The Heart Collector' punkten können. Bei der NEVERMORE-Ballade schlechthin ist wieder die ganze Halle mit dabei und singt mit voller Kraft den 'Heart Collector'-Refrain mit. Am Ende des Songs klettert Warrel sogar von der hohen Bühne in den Fotograben und singt hautnah mit den Fans in der ersten Reihe mit, dafür gibt’s dicke Sympathiepunkte! Gitarrengott Jeff Loomis zaubert natürlich wieder das eine oder andere unglaublich geniale Solo aus dem Ärmel und beeindruckt damit auch die Kollegen von anderen Bands, die sich am Bühnenrand versammelt haben um dem Meister auf die Finger zu schauen und dabei große Augen zu machen. Vor allem die MOONSPELL-Gitarrenfraktion zeigt sich extrem beeindruckt von den Künsten des NEVERMORE-Saitenhexers, und auf meinen Kommentar "Der ist doch echt unglaublich, oder?" antwortet einer der Portugiesen ganz trocken: "Ich bin unglaublich, aber der ist einfach überirdisch". Überirdisch ist eigentlich die gesamte Performance der Band, die sich nach 'Enemies Of Reality' und 'Beyond Within' von den Ungarn verabschiedet. Mehr davon...ich bin NEVERMORE-süchtig!
Setlist:
My Acid Words
Bittersweet Feast
The River Dragon Has Come
Final Product
The Heart Collector
The Seven Tongues of God
Inside Four Walls
This Godless Endeavor
Born
Never Purify
Enemies Of Reality
Beyond Within
MOONSPELL
Während NEVERMORE noch auf der Bühne stehen, geht ein sichtlich gut gelaunter und schon finster geschminkter Fernando Backstage auf und ab und macht sich bereit, mit den Ungarn den Wolf im Menschen zu wecken und den Mond anzuheulen. MOONSPELL lassen es düster werden - und das nicht nur musikalisch. Auch eine eher finstere Lichtshow und das gewohnt mitreißende Auftreten von Frontman Fernando tragen schnell zur Atmosphäre bei. Fernando wirbelt den Mikro-Ständer umher und wirkt in seinem blutroten Mantel wie ein Zauberer, der das Publikum beschwören will. Im Mittelpunkt der Show stehend dirigiert er die Fans von Song zu Song und präsentiert dabei auch einige neue Stücke. 'Finisterra' oder 'Blood Tells' vom neuen Album "Memorial" geben einen kleinen Einblick in die Richtung, die MOONSPELL gehen wollen und es hört sich eindeutig wieder nach härterer Kost an, sehr gut! Doch was ich an MOONSPELL am meisten schätze, sind ihre unvergänglichen Klassiker. Dass sich die Band schnell an den alten Stoff wagt und 'Wolfshade' oder den Hit 'Opium' spielt, ist fast etwas überraschend und lässt auf mehr hoffen! Dazwischen gibt es auch immer wieder neuere Songs, doch erstaunlicherweise - und zu meiner großen Freude - greifen MOONSPELL heute gerne ausgiebig auf die "guten alten Zeiten" zurück, wie Fernando es selbst nennt. Nach 'Vampiria' und 'Alma Mater' vom dunklen "Wolfheart"-Meisterwerk (welches mittlerweile auch schon mehr als zehn Jahre auf dem Buckel hat) gibt es eine echte Überraschung: Fernando kündigt den Klassiker 'Tenebrarum' vom "Under The Moonspell"-Album an: "We are going back to old happy times where there was no new metal" ... Na gut, also dann mal eine Runde Headbangen! Und als es zum Abschluss noch 'Fullmoon Madness' mit seiner wunderbaren Gänsehaut-Atmosphäre und den portugiesischen Textpassagen gibt, ist endgültig das MOONSPELL-Fieber ausgebrochen. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Band nicht nur in ihrer Setliste die Liebe zu den alten Werken wieder entdeckt hat, sondern diesen Einfluss auch aufs neue Album überträgt. Man darf gespannt sein!
Setlist:
Finisterra
In Memento
Wolfshade
Opium
Awake
Blood Tells
From Lowering Skies
Vampiria
Alma Mater
Tenebrarum
Fullmoon Madness
ANATHEMA
ANATHEMA sind danach die wohl ruhigste Band des Abends und scheinbar auch eine der Meistbegehrten. Die große Halle ist voll als das Streicherquartett, welches heute zur Untermalung der Songs auf der Bühne steht, mit einem klassischen Intro beginnt. Nach und nach kommen die Bandmitglieder unter lautem Beifall auf die Bühne und stimmen schließlich in eine extrem emotionale Version von 'Fragile Dreams' ein. Im Vordergrund stehen die Cavanagh-Brüder, einzig und alleine Bassist Jamie zieht sich ein wenig zurück und hinterlässt den Showteil seinem Zwillingsbruder Vincent am Mikro. Danny dirigiert dabei alle Musiker mit präzisen Gesten, schaut immer wieder mal auf die Streicher, mal auf seine Geschwister, mal auch zu Drummer John um die Einsätze zu koordinieren. Die Mühe lohnt sich, denn ANATHEMA legen einen fehlerfreien Auftritt hin und wirken mehr denn je wie ein eingespieltes Team. Nach einigen neueren Songs startet Danny eine Hommage an Ex-Bassist Duncan Patterson und spielt seine "Alternative 4"-Stücke 'Lost Control' (das besonders gut mit den Streichern harmoniert) und 'Empty'. Als dann noch Johns Schwester Lee Douglas auf die Bühne gebeten wird und den Titeltrack vom letzten Album, 'A Natural Disaster', singt, sind alle restlos begeistert und Vincent freut sich, als er ankündigt dass Lee in Zukunft mehr Gesangsparts bei ANATHEMA bekommt und jetzt fix zur Band gehört. Bei ihrer wunderschönen und vollen Stimme kann daraus nur eine gute Zusammenarbeit werden! Besonders emotional kommt wieder die Ballade 'One Last Goodbye' rüber, die zu Tränen rührt und einfach mitten ins Herz geht. Solche Songs zeigen die Größe und das Talent der Liverpooler, und es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, wie ANATHEMA diesen Song aus tiefster Seele spielen und gerade den langsamen Nummern ein besonderes Leben einhauchen. Nach der Hymne 'Flying' verschwindet die Band kurz und präsentiert den Ungarn dann eine besondere Überraschung. 'Violence' habe ich auch noch nie live gehört und das ist wahrlich nicht mein erster ANATHEMA-Gig! Der Song hypnotisiert und lässt einen in Traumwelten davon schweben. Je mehr sich die Musik steigert, desto mehr taucht man in die Faszination der ANATHEMA-Klangwelten ein. Geweckt wird man nur durch das traditionelle PINK FLOYD-Cover zum Abschluss, und so beenden ANATHEMA dieses Mal ein traumhaftes Konzert mit 'Comfortably Numb'.
Setlist:
Fragile Dreams
Balance
Closer
Lost Control
Empty
A Natural Disaster
Judgement/Panic
Inner Silence
One Last Goodbye
Flying
Violence
Comortably Numb
THERION
Nach dieser Welle an Gefühlen kehrt erstmal etwas Ruhe ein. Die lange Umbaupause vor THERION ist für viele leider Grund genug, den Ort des Geschehens schon etwas früher zu verlassen, und so strömen immer mehr Besucher aus der Halle. Als THERION mit fast einer Stunde Verspätung gegen ein Uhr Morgens loslegen ist die Location zwar noch gut gefüllt, doch die Reihen sind eindeutig lichter geworden und auch im Foyer herrscht eher Stille. Die kleine Einkaufsmeile mit CD- und Klamotten-Ständen ist verschwunden und viele Bands packen schon ihr Merchandise ein. Unbeeindruckt von diesen Tatsachen und der späten Stunde starten THERION ein etwas anderes Set. Zwar findet man in der Setliste heute auch altbekannte Songs, doch die Fans, die jetzt noch alles geben, bekommen eine besondere Überraschung serviert. Nicht nur, dass man das traumhaft schöne 'The Siren Of The Woods' nach langer Zeit wieder live spielt, auch die Zusammenstellung auf der Bühne ist heute etwas anders. Da Sopranistin Karin Fjellander an diesem Tag aufgrund eines Vorsing-Termins an der Göteborger Oper verhindert ist, springt kurzerhand CRADLE OF FILTH-Sarah ein. Und auch Sänger Mats Leven ist leider nicht anwesend, da er einer befreundeten Band bei der Songcontest-Vorentscheidung stimmlich unter die Arme greifen muss. Immerhin zeigt uns das, dass THERION-Meisterhirn Christofer Johnsson sich seine Gastsänger sehr gut aussucht und nur die Besten der Besten mit auf die Bühne nimmt. Dafür darf heute Drummer Petter einige männliche Gesangsparts übernehmen, leider ersetzt das auch nicht die unverkenntliche Stimme von Mats, der mir persönlich auch aufgrund seiner energiegeladenen Performance fehlt. Als THERION nach einer wirklich schönen Setliste mit Klassikern wie 'Riders Of Theli', 'The Wine Aluqah' und 'To Mega Therion' (bei dem am Ende noch die letzten Reserven zum Bangen ausgeschöpft werden) die Bühne verlassen ist es schon sehr spät. Die Fans sind dennoch überglücklich und verlassen müde und erschöpft den Saal, der schnell von den Securities geräumt wird. Doch viel müssen diese nicht tun, denn die Ungarn sind auch jetzt noch sehr diszipliniert und gehen friedlich aus der Halle.
Setlist:
Ginnungagap
Son Of The Sun
Asgard
The Rise Of Sodom And Gomorrah
Typhon
The Siren Of The Woods
Baal Reginon
Riders Of Theli
Black Sun
The Wine Of Aluqah
Raven Of Dispersion
To Mega Therion
Melez
Bleibt nur noch zu erwähnen, dass auf der zweiten, sehr kleinen Bühne den ganzen Abend lang ungarische Bands lärmen dürfen. Publikum haben die Lokal-Heroen auf jeden Fall, doch leider schaffe ich es nicht, mir eine Band bis zum Ende anzusehen, da sich die Spielzeiten immer mit denen der großen Bands überschneiden.
Beim Verlassen der Halle empfängt einen die besondere Stimmung von Budapest wieder. Der Park, die mystisch beleuchteten Monumente und die Erkenntnis, dass man gerade eine Vollbedienung an guter Musik genießen durfte, lassen uns mit einem Lächeln den Weg nach Hause antreten.
- Redakteur:
- Caroline Traitler