Motörhead - Berlin
04.12.2007 | 14:3803.12.2007, Columbia-Halle
Es ist Zeit für 'Ace Of Spades': Ich will nicht ewig leben - "I don’t wanna live forever" - singt Lemmy. Bezöge er die berüchtigte Textzeile allerdings auf sich, straft ihn die Realität Lügen. Denn so, wie er sich an diesem Montag in der Berliner Columbia-Halle präsentiert, ist er unsterblich: Der 61-Jährige rockt als Verkörperung von MOTÖRHEAD immer noch, als könne ihm das Alter niemals mehr etwas anhaben, der Tod sowieso nicht. Tausende Fans sind gekommen, sich dieses Phänomen anzuschauen, die Show ist ausverkauft, die Massen drängen sich. Als Vorbands sind schon OVERKILL, SKEW SISKIN und VALIENT THORR aufgetreten, allesamt gute Kost, besonders OVERKILL werden von ihren Fans ob ihrer unverbrauchten Frische gerühmt. Doch gegen eine Legende wie MOTÖRHEAD können sie alle einpacken.
Dabei macht Mr. Lemmy Kilmister eigentlich gar nichts mehr. Sein Bewegungsradius während des Konzerts beträgt geschätzte zwei Meter, die er stets im gemächlichen Tempo zurücklegt. Auch die Ansagen versprühen alles andere als ungebremste Energie, klingen eher genuschelt. Doch Lemmy braucht solche Sachen eben nicht mehr: Er wirkt eben allein durch seine Persönlichkeit, seine mit eisernen Kreuzen bestickten Stiefel und seinen Bass. Und durch seine Songs: Wenn als eins der ersten Stücke des Abends gleich 'Metropolis' durch die Boxen wabert, kann schon nichts mehr schief gehen. Und die Fans, die würden an diesem Abend sowieso alles bejubeln.
Der Blick in die Massen offenbart eine weitere Besonderheit, die das Phänomen MOTÖRHEAD inzwischen ausmacht: Die Musiker haben es geschafft, eine Band für jede Generation zu sein und so den demographischen Kampf der Alten gegen die Jungen zumindest für ein paar Stunden obsolet werden zu lassen. So stehen gestandene Rocker ab Mitte 40 mit ihren Bierbäuchen neben 30-jährigen Verkäuferinnen mit blondierten Haaren neben Jungspunden, deren MOTÖRHEAD-Shirt direkt von H&M gekauft ist - selbst in dieser so trendigen Modekette gibt es ja inzwischen solche Klamotten. Die originale Textilware gibt aber nur beim Konzert, allerdings zu gepfefferten Preisen: 30 Euro muss für ein Shirt zur aktuellen Tour gelöhnt werden. Doch Lemmy und sein Trupp können es sich leisten: Trotz seiner Gesundheit kann es schließlich für jeden Fan immer das letzte MOTÖRHEAD-Konzert gewesen sein, falls dann doch irgendwann das Herz zu schlagen aufhört - und da möchte man als Fanat ja schließlich wenigstens ein Shirt der letzten Tour besitzen ...
Dass aber Lemmy und Tod glücklicherweise zurzeit offenbar weit auseinander leben, zeigt das Konzert eindrucksvoll. 'Over The Top' ist einer der Hits, 'Born To Raise Hell' ein anderer - und hier darf sogar SKEW SISKIN-Sängerin Nina mitröhren. Von solchen Überraschungen abgesehen, verläuft der Gig standardmäßig: Unter anderem darf Mikkey Dee wie immer ein langes Drum-Solo spielen und dabei zeigen, was für ein abartig geiler Trommler er ist. Ein paar Fans tanzen selbst dazu. Später, kurz vor den Zugaben, wird es Zeit für die Klassiker á la 'Iron Fist' oder 'Killed By Death'. Wie taufrische Sound-Perlen krachen sie in die Massen, lassen keinen Raum für Zweifel. Es sind solche Songs, die MOTÖRHEAD auch noch in hundert Jahren berühmt machen werden. Nach dem ersten Abgang von der Bühne folgt eine zweite Überraschung: 'Whorehouse Blues', das langsam-melancholische Blues-Stück der "Inferno"-Scheibe, wird regelrecht zelebriert - inklusive einem Mundharmonika-Solo von Lemmy himself. Hernach braust mit 'Ace Of Spades' das MOTÖRHEAD-Stück überhaupt in die austickenden Massen. Und schließlich ist noch die obligatorische Vorstellung aller Bandmitglieder dran, bevor 'Overkill' den viel umjubelten Schlusspunkt setzt. Inzwischen hat sich denn auch eine Theorie entwickelt, warum ein älterer Mann, der nicht ewig leben will, immer noch große Hallen bis zum Anschlag füllen kann. Vielleicht liegt es eben an diesem Nicht-Von-Der-Bühne-Gehen-Wollen, dass an Lemmy und seinen Mitstreitern so fasziniert. Und daran, dass gerade der MOTÖRHEAD-Frontmann in seinem Leben wohl schon alles an Drogen konsumiert hat, was geht - und immer noch steht. So werden (wenn auch nicht jugendschützlerisch angelegte) Vorbilder geboren. Und so entsteht Bewunderung für einen Mann, der scheinbar den Tod austricksen kann.
- Redakteur:
- Henri Kramer