NOVA ROCK 2018 - Nickelsdorf, Österreich

07.07.2018 | 20:37

14.06.2018, Pannonia Fields II

Einhörner sind Metal!

Als erstes fällt positiv auf, dass sich das Wetter deutlich gebessert hat und an diesem Tag geradezu ideale Festival-Bedingungen herrschen. Es ist nicht zu heiß, bleibt aber den gesamten Tag über trocken. Dadurch nimmt auch der Matsch auf dem Gelände wieder zu größten Teilen einigermaßen festen Aggregatzustand an. Witzig ist jedoch immer wieder das Gefühl über einen "Schwamm" zu latschen, wenn man sich etwa auf den vielbegangenen Weg mit dem plakativen Namen "Highway To Hell" von der "Red Stage" zur "Blue Stage" oder zurück begibt.

Während unserer Ankunft ist bereits aus weiter Entfernung die Punk-Truppe ANTI-FLAG zu hören. Deren herbe, politisch engagierte und ambitionierte Mucke kommt ganz gut an und sorgt für entsprechende Stimmung. Die Ansagen jedoch dürfen - bei allem Respekt ob diverser Messages – durchaus überdacht werden, denn im inflationären Gebrauch mit dem "F-Wort" erweist sich selbst ein Alexi Laiho im Vergleich als Waisenknabe. Wesentlich mehr auf gepflegte Unterhaltung setzt da schon EISBRECHER-Sänger Alex Wesselsky. Der ist nun mal ein begnadeter Frontmann und versteht den groove-lastigen Mix der Band an vorderster Front auf charismatische Weise darzubieten. Bei 'Himmel, Arsch und Zwirn' und 'Eiszeit' tobt der Mob gewaltig und auch das am Schluss kredenzte MEGAHERZ-Cover 'Miststück' sorgt für beste Stimmung. Das tut zwar auch das davor integrierte 'Amadeus'-Cover, doch bei allem Respekt vor dieser FALCO-Hommage muss auch erwähnt werden, dass Tobias Sammet und EDGUY dabei eine wesentliche bessere Figur abgeben.

Da der deutschsprachige Rap/Hip-Hop der in Wien lebenden EBOW so gar nicht reingeht, kann in aller Ruhe die Verkaufsmeile abgegrast werden. Schon interessant, wie verhältnismäßig gering das Angebot an Merchandise (abgesehen vom durchaus imposanten festivaleigenen Stand) und Tonträgern (nur Napalm Records ist mit einem Stand vor Ort) im Vergleich zu wesentlich kleineren Festivals in Deutschland ausfällt. Das Angebot an Nahrung und Getränken ist dagegen mehr als nur üppig. Zur Auswahl stehen neben der obligatorischen Festival-Ernährung auch diverse Schmankerl, auf Intention der Veranstalter aus vorwiegend regionaler Herkunft. Nicht nur deshalb wird die "Genuß Arena Burgenland" bald zu einem immer wieder gerne besuchten Treffpunkt. Der teilüberdachte Bereich kann auch mit gemütlichen Sitzgelegenheiten für die ermüdeten Knochen und Tischen punkten. Doch lange hält es niemand dort, schließlich spielt die Musik doch woanders. Klar doch, auf den Bühnen.

Auf der "Blue" etwa bekommt man am Nachmittag eine geballte Ladung Crossover in zünftiger 90er-Machart von LIFE OF AGONY präsentiert. Das Quartett agiert nach wie vor höchst professionell, doch irgendwie will der Funke nicht so recht überspringen. Vielleicht liegt es daran, dass zahlreiche jüngere Besucher mit seinerzeitigen Hits wie 'Through And Through' nicht wirklich viel anfangen können. Scheinbar aber auch mit neuem Stoff der Ost-Küsten-Ikone nicht wirklich, denn auch 'Meet My Maker' vom 2017er Dreher "A Place Where There’s No More Pain“ erntet – außer bei den eingeschworenen Fans im "Pit", die sich zum Kollektivhopsen versammelt haben - kaum nennenswerte Regung im Publikum. An der Performance des "gemischten Doppels" liegt es jedenfalls nicht und auch am Engagement auf der Bühne gibt es nichts zu meckern. Allerdings muss man anmerken, dass Frau Caputo bei diesem Auftritt eine gewisse Unnahbarkeit ausstrahlt und offenbar zu sehr auf den Gesang selbst fokussiert ist. Einen Tagessieg fährt die Band aber dennoch ein, nämlich jenen des geilsten Sounds. Dieser Pokal geht zu einem Großteil auf die Kappe von Bassist Alan Robert, dessen Groove sich ohrwurmmäßig im Gedächtnis festsetzt.

Den 50 Minuten LIFE OF AGONY fallen Visiten bei den Ska-Punks MAD CADDIES und dem Hip-Hopper JUGO ÜRDENS zum Opfer, ein klein wenig Erholung ist vor der anstehenden Urgewalt namens ARCH ENEMY aber ohnehin nicht schlecht. Dabei kommt die Musik (ganz groß: 'We Will Rise', aber auch 'War Eternal' und 'Ravenous' werden abgefeiert als gäbe es kein Morgen!) des Quintetts nicht zuletzt auf Grund des schlicht perfekten Zusammenspiels des Duos Amott und Loomis an den Sechssaitigen an sich überaus melodiebetont (und in diversen Solo-Passagen schwer MICHAEL SCHENKER-inspiriert, doch das dürfte kaum jemand realisiert haben...) daher. Doch sobald Sängerin Alissa White-Gluz ins Geschehen eingreift, geht es derbe zur Sache. Die junge Dame mag ein zierliches Erscheinungsbild abgeben, an Energie und Dynamik ist sie momentan wohl nur schwer zu übertreffen. Welcher Schalter in ihr sich auch immer umlegen mag, sobald Alissa eine Bühne betritt, scheint sie sich in eine Bestie zu verwandeln. Ihre Performance lässt einmal mehr daran denken, sie wäre unmittelbar zuvor in ein Wespennest geplumpst. Umwerfend! Doch selbst das ändert das nichts an der Tatsache, dass man sich an ihre brachialen Gesangsdarbietungen erst einmal gewöhnen muss und schlussendlich ihre Stimme allein den Grund für die immer noch polarisierenden Meinungen zu ARCH ENEMY darstellt.

Währenddessen animiert ALAZKA aus Recklinghausen mühelos sämtliche Schaulustigen vor der "Red Bull Stage" zum Mitmachen. Irgendwie hat man als Außenstehender zwar den Eindruck einer öffentlich angeleiteten Sport-Stunde mit musikalischer Untermalung beizuwohnen, doch der eigenwillige Mix aus unterschiedlichsten Zutaten (von Death Metal-Passagen über Metalcore-Breakdowns und Hardcore-Groove bis hin zu melodischen Einsprengseln und funkigen Jazz-Beats ist innerhalb weniger Minuten alles zu hören!) kommt gut an und veranlasst Sänger Tobias zu gar euphorischen Dankeskundgebungen, ehe die Band sich vom Acker macht.

Einen solchen gibt es generell zu queren, will man denn von einer Bühne zur anderen. Dieses Unterfangen fällt auf Grund der Trocknung des Untergrunds heute zwar wesentlich leichter als am Tag davor, der dabei entstehende, dezent moderige Geruch nimmt jedoch im Verlauf des Tages immer mehr zu. Den altgedienten Festival-Veteranen macht so etwas aber längst nichts aus. Im Gegenteil, mehrfach sind Kommentare wie "So etwas gehört zu einem Open Air einfach dazu!" zu vernehmen. Das "Nova Rock" bildet da keine Ausnahme. Aufgrund der Lage des Geländes mit Namen "Pannonia Fields II" am Rande eines Windparks im Flachland hat man zwar mit keinerlei Anstiegen oder dergleichen zu kämpfen, ist jedoch immer wieder mal dem Wind ausgeliefert. Dadurch ergibt es sich ab und an nämlich doch, dass sich die Sounds der an sich diesbezüglich günstig voneinander getrennt ausgerichteten Bühnen gewissermaßen überschneiden.

Vor allem in der "Genuß Arena" kann man dadurch den Klängen von der "Red Bull Stage" als auch jenen von der "Blue Stage" zeitgleich lauschen. Durchaus unterhaltsam, wenn JONATHAN DAVIS sein vergleichsweise experimentelles, von üppiger Streicher-Untermalung unterstütztes Solo-Programm zur Aufführung bringt, während CRAZY TOWN bestrebt ist, vielleicht irgendwann doch den Ruf eines "One Hit Wonders" abzulegen. Ob das mit dem inzwischen zwar durchaus als "zeitlos" zu betrachtendem Crossover/Nu Metal-Mix gelingen kann? Unwahrscheinlich, zumal der Großteil der Fans das erst als präsentierte 'Butterfly' von Beginn an lautstark fordert.

Eher entspannt geht es bei BAD RELIGION auf der "Red Stage" zu. Nicht unbedingt verwunderlich, sieht man doch reichlich Gesichter im Auditorium, deren Besitzer wohl schon vor mehreren Dekaden ihre Gliedmaßen bei Konzerten der Herrschaften in Bewegung gebracht haben. Der zeitlose Punkrock der Formation zieht aber nach wie vor und so sind auch vermeintlich "Spätgeborene" im Pulk vor der Bühne zu sehen, die unkaputtbare Genre-Klassiker wie 'American Jesus', '21st Century (Digital Boy)' sowie den 'Punk Rock Song' abfeiern. An der Intensität der BAD RELIGION-Songs hat sich seit Dekaden nichts verändert, ebenso wenig an Greg Graffin, der uns mehrfach seine Gedanken zur aktuellen Lage von "Mutter Erde" mitteilt und gesondert die Stromerzeugung durch Windenergie in ebensolchen Parks wie hier lobend erwähnt. Ein grundsolider, unterhaltsamer und – nicht zuletzt aufgrund der spürbaren Hingabe, mit der die in Würde gealterte Truppe ihre Tracks darbietet, - auch in allen Belangen überzeugender Aufritt!

Dermaßen generationsübergreifend ist aber keineswegs alles, was es zu sehen gibt. Für große Verwunderung etwa sorgt bei der "Generation Ü40" der gewaltige Zuseherzustrom zu LEO MORACCHIOLI, der anschließend auf der "Red Bull Stage" zu sehen ist. Dass es sich bei diesem jungen Mann um einen Norweger handelt, der durch diverse Metal-Coverversionen auf "You Tube" längst zu einer ganz großen Nummer geworden ist, hat sich eben bislang nur in der entsprechenden Generation herumgesprochen. Da leider aufgrund des definitiv größten Andrangs vor dieser Bühne am gesamten Wochenendes von weiter hinten so gut wie nichts vom Geschehen auf der Bühne zu sehen ist, muss man sich eben auf das Gehörte verlassen. Und das ist dann schlussendlich der Grund, sich bald wieder in Richtung der "Blue Stage" (GENTLEMAN als Alternativ-Programm auf der "Red Stage" spricht meine Wenigkeit kein bisschen an) entfernen. Allein die müde klingende, durchwachsene Version von 'Ghostbusters' lässt mich plötzlich freudig auf AVENGED SEVENFOLD warten. Weshalb ist schnell erklärt: ich mag die schwer nach METALLICA klingenden Tracks der Amis wirklich gerne, noch mehr jedoch die Briten XENTRIX, denen man eine gewisse Affinität zu Hetfield und Co. immer schon nachsagte. Und zudem hatte die Zeit ihrer Existenz schwersten unterbewertete britische Formation anno 1990 einen formidablen Hit mit einer – auch heute noch – absolut überzeugenden Interpretation von 'Ghostbusters'.

Zurück zu den Amis, deren Headliner-Status im Vorfeld des Festivals für heftige Diskussion sorgt. Im Nachhinein betrachtet ist das zwar auch am verhältnismäßig überschaubaren Zuseherandrang nachzuvollziehen, an der Stimmung selbst jedoch keineswegs. Erst Recht nicht an der aufwändigen Bühnenshow der Jungs, die sich offenbar nur noch von den ganz großen Namen inspirieren lassen und ein echtes Spektakel inszenieren. Feuersäulen, Pyros unterschiedlicher Art und Weise und ein mehr als nur amtlich drückender Sound untermauern die Rolle als Headliner durchaus. Und auch der Einstieg ins Geschehen mit 'The Stage' und 'Afterlife' klappt gut. Leider aber verfeuert AVENGED SEVENFOLD danach vorschnell das Pulver. 'Hail To The King', das, ähem, 'Enter Sandman' der US-Boys, wäre wohl an letzter Stelle positioniert, zu einem perfekten Ende geworden und hätte den Gig trimuphal abgeschlossen. So aber ist - bei aller Klasse der Nummer und der Darbietung - danach irgendwie die Luft raus. Dass Gitarrero Synyster Gates ein begnadeter Saitendehner ist, weiß man, weshalb er aber im weiteren Verlauf des Sets dermaßen häufig den "Eddie Van Halen" mimen darf, weiß wohl nur er allein. Der Band tut er damit nicht wirklich einen Gefallen, ebenso wenig mit den zig Duellen mit seinem Kollegen Zak Vengeance, die allesamt sofort daran denken lassen, dass man am Sonntag endlich den "echten" MAIDEN beiwohnen darf. Zwar kann Sänger M. Shadows durch eine tadellose Gesangs-Performance in 'Nightmare' Akzente setzen, ansonsten aber agiert der Kerl als Frontmann viel zu unauffällig.

Die gegen Ende hin wieder deutlich erhöhte Anzahl an "Schaulustigen" (keine Ahnung, ob es am Ende des Sets des norwegischen "You Tube"-Helden, oder gar an THE PRODIGY liegt, die längst auf der "Red Stage" ihr Programm ge-fire-startet haben) wirkt aber dennoch merklich zufrieden und bekommt nach 'Bat Country' mit 'Shepherd Of Fire' eine letzte "schwarze" Packung mit auf den Heimweg. Den will das feierwütige Volk aber noch gar nicht antreten. Gut, dass man mit OTTO & DIE FRIESENJUNGS einen "Late Night Act“" verpflichtet hat, der weiß, wie man prächtige Festival-Stimmung aufrechterhält. Dabei verlässt sich OTTO aber keineswegs auf seine angestammte "Funktion" als Komiker, sondern hat eine überaus kompetente Begleitband mitgebracht. Die weiß in nahezu allen musikalischen Gangarten loszulegen und hat offenbar auch einen Vollprofi als Tontechniker mit. Dermaßen fett klangen die Gitarren an diesem Tag nämlich nur selten! Beim - aufgrund der inzwischen bereits erreichten Tageszeit – für viele Zuseher wohl programmatischen "Auf dem Heimweg wird’s hell" machen sich dann aber doch etliche Festival-Gäste vom Acker, um sich für den nächsten Tag zu erholen.

Hier geht es zum dritten Tag...

Redakteur:
Walter Scheurer

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