Nasum - Berlin

28.10.2004 | 03:57

20.10.2004, Knaack

"Wir wollten einen Titel für die neue Scheibe, der vieles auf einmal beschreibt. 'Shift' eben einmal als Arbeitsschicht, aber eben auch 'Shift' als Umwälzung innerhalb der Band" Jonas Lindqvist, neuer Basser und zweite Growl-Stimme bei den schwedischen Grindcore-Kamikaze-Piloten von NASUM über deren jüngst erschiene Platte. Jon, wie ihn seine Kumpels kurz nennen, Jon sitzt in einer Ecke der Kneipe im "Knaack"-Club, eine halbe Stunde vorher stand er noch auf der Bühne. Er trägt eine dicke Brille und eine enganliegende schwarze Wollmütze, darunter lugen strähnige, mittelkurze Haare heraus. Sein Stoppel-Bart ist seit Tagen nicht rasiert. Außerdem trägt Jon Krücken: "Ich versuche zu laufen, es tut sehr weh". Den Beinbruch mit mehrfacher Vernagelung des Knochens zog sich Jon beim "Wrestling" mit einem Kumpel zu, die Tour mit NASUM hat sich der Schwede trotzdem nicht versauen lassen. Prädikat: Alles richtig gemacht.

Dabei fängt der Abend im "Knaack" am Fuße des Prenzlauer Bergs in Berlin gar nicht so mitreißend an. Schon vor Beginn ist klar, dass die beiden Bands nur bis elf Uhr auf der Bühne stehen dürfen, clubinterne Gründe... Außerdem krachen OAK ab rund 9 Uhr so, wie eine Gruppe mit solch einem eichernen Namen eben klingt: Ziemlich nichtssagend. Die Jungs stammen aus Karlsruhe. Ob sich der Trip in die Hauptstadt gelohnt hat, bleibt nach dem Auftritt fraglich. Nur einer der rund 70 bis zu diesem Zeitpunkt anwesenden Gäste bewegt sich, versucht sich im krampfhaften Zucken mit breiter, grüner Kaki-Hose und darüber hervorquellenden blauen Boxershorts. Die restlichen Leute im Publikum zeigen gelangweilte Anteilnahme und überlegen vielleicht, welche ironischen Attributen zu so einer Band passen könnten: Total außergewöhnlicher Sound? Eigenständigkeit? Nur in der Ironiewelt. In Wirklichkeit spielen OAK ziemlich langweiligen Metalcore mit einigen groovigen Stoner-Parts. Dazu kommen im "Knaack" noch kleinere technische Probleme. Nee, heute will hier niemand auch nur einen Funken von solch normaler musikalischer Extremität hören - das kurzhaarige Quartett geht eben längst nicht so kompromisslos vor wie eben NASUM. Da kann auch der bullige OAK-Shouter Martin am Mikro nichts ändern, der mit seinem Deadguy-Shirt und dem rabenschwarzen Stoppel-Schnitt samt Kehrleisten trotzdem recht bedrohlich wirkt. Doch vor NASUM gleicht so eine unerfahrene Newcomer-Band einfachem Kanonenfutter.

Denn die Schweden machen von Beginn an klar, dass mit ihnen weder Geiselohren noch Verletzten-Trommelfelle gemacht werden können. Bei NASUM regiert der ungetrübte Aggressionswahnsinn einer entfesselten Vier-Mann-Truppe, die mit ihrem Sound akustische Flächenbrände zum totalen Welten-Inferno legen will. 150 Leute ticken aus, 150 Fans erleben Drummer und Bandmitbegründer Anders Jakobson, der mit seinem NAPALM DEATH-Shirt stilecht und präzise auf die Felle haut wie ein technisch unglaublich begabter Berserker. Doch das optische Higlight des Abends ist der Gegensatz zwischen dem zweiten verbliebenen Ur-Mitglied, Gitarrist und Frontmann Mieszko Talarczyk und Basser Jon, der seinen Kollegen immer wieder mit bärigen Growls unterstützt. Jon sind die Schmerzen des frisch genagelten Beins nicht anzumerken, geschickt verbirgt er die Pein hinter seiner völligen Hingabe zur Musik. Genauso leidenschaftlich kreischt Mieszko ins Mikro und sieht dabei doch völlig anders aus als sein von ihm rechts stehender Bassist. Denn Mieszko ist die Art von Grindcore-Typ, die immer wie aus dem Ei gepellt wirken - schwarzes Basecap, kurzärmliges schwarzes Hemd ohne Aufdruck, schwarze Hosen. Jon dagegen, Jon gibt die Rolle der asozialen Gegenvariante zu Mieszko perfekt: Egal ob die halbkurze, strähnige Unfrisur, die Stacheldrahtkette um seinen Hals oder die zahllosen Tattoos auf den hageren Armen - dieser Typ ist die Verkörperung des zügellosen Rocker-Lebenswandels. Dazu spuckt er während des Gigs in die Höhe und fängt die schleimigen Fladen mit Haar, Shirt oder Gesicht wieder auf. Zum Teil trieft ihm die Spucke aber auch einfach nur in langen Fäden vom Bart herunter. Kommentar von Jon beim späteren kurzen Interview: "Das kommt ganz natürlich, diese Reaktion habe ich bei Gigs immer. Das ist wohl so in mir drin. Man könnte sogar sagen, dass ein Konzert umso geiler ist, je mehr ich spucke." Das Konzert in Berlin genügt also höchsten Ansprüchen, Jons Rotze und der Schweiß des Publikums steigen in die Höhe und lassen den Raum bald zu einer kleinen gemütlichen Ekel-Sauna verkommen. NASUM steigen sofort mit dem neuen "Shift"-Werk in Form von 'Particles' und 'The Engine Of Death' ein, das Publikum tobt ob des derben Gebolzes. Nur der zweite und frische Gitarrero Urban Skytt wirkt in dem Höllenlärm manchmal etwas verloren, doch zu einem Midtempo-Bangen mit seiner langen blonden Mähne reicht es bei ihm trotzdem. Im Publikum gibt es nur einen Verhinderer für den gänzlich ungetrübten Pogo-Spaß: Der dicke Pfahl knapp vor der Bühne, darum tanzen und moshen Rastakunden, Glatzen und Mähnen, sie alle klatschen dabei auch schon ein- oder zweimal an den Hindernispfosten, alles inmitten des NASUMschen Grindcore-Gewitters. Dabei vergessen die Skandinavier auch nicht ihre alten Hits von Gewaltbrechern wie "Human 2.0" - von diesem Werk gibt's unter anderem die Esakalationsgaranten 'Shadows' und 'Doombringer'. Sowieso sind sie nicht vergesslich, Sänger Mieszko erinnert das Publikum: "We played our first gig in germany here in 1996!" NASUM klingen nicht erst seit damals so extrem in ihrem Stil, dass anno 2004 selbst langsam-groovendere und neue Stücke wie 'Wrath' die Freaks im "Knaack" ebenso zum Schwitzen bringen wie die obligatorischen 60-Sekunden-Metzler. Spätestens am 'Inhale/ Exhale'-Punkt werden auch die 15 Euro Eintritt langsam erklärbar, verständlich aber noch lange nicht. Denn leider ist nach 45 Minuten plus etlichen Zugaben der ultraheftigen Marke 'The Black Swarm' oder 'The Masked Face' schon Schluss, die Jungs müssen packen, die Fans kaufen dutzendfach die edlen Gatefold-Vinyl-Ausgaben des neuen "Shift"-Albums...

30 Minuten später erzählt Jon von der Tour: "Der Hamburg-Gig war bisher am besten, aber wir sind auch erst vier Tage unterwegs und die Reise dauert noch vier Wochen." Doch weg vom Tourleben, wie würde Mister Lindqvist denn die neue Scheibe nun den Fans beschreiben? "Sie ist sehr brutal, hart auf den Punkt gespielt und zeigt den typischen Stil von NASUM im Jahre 2004. Die Musik liegt nah bei der vergangenen 'Helvete'-Platte, die Songs sind aber neu und besser. Wir wollten nicht viel ändern, das ist NASUM, wie NASUM jetzt eben ist." Also mit "Shift" keine Revolution im Sound von NASUM, nur die neuen Musiker mit Urban und Jon?! "Die Umwälzung gab es wirklich, da bei NASUM mit Urban und mir nun zwei neue Songwriter mitmachen", erklärt Jon. Das Schreiben der Stücke läuft dabei nicht wie bei anderen Bands, wo alle Musiker Ideen zusammentragen. NASUM schreiben ihre Tracks und die dazugehörigen Texte seperat. "Ein Song kommt von Urban, je zehn Stück von Anders und Miezko und drei von mir." So kann Jon nur für sich sprechen, wenn er berichtet, dass er beim Schreiben von Stücken schlicht und einfach langsame und schnelle Parts zusammenschweißt und abwartet, was daraus wird. Da sind die Ausführungen zu seinen eigenen Lyrics deutlich ergiebiger: "Es geht um die Seite in mir, die zu Selbstmord neigt. Gleichzeitig verarbeite ich damit Depressionen und Enttäuschungen. Du fragst, von was ich enttäuscht bin?! Die Texte drehen sich vor allem um das schwedische Heilsystem für mental gestörte Leute. Dabei spielen auch meine eigenen Erfahrungen eine Rolle. Und 'The Deepest Hole' und 'Closer To The End' spielen nicht nur vom Titel her auf Suizid an..."

Nach "Helvete" ging "Shift" für NASUM-Verhältnisse recht flott, ein anderthalbes Jahr ist nur vergangen. Lag es auch am Wechsel von Relapse Records zu Burning Heart? "Auch. Mit den amerikanischen Relapse Records lief unser Vertrag aus und wir wollten ein europäisches Label. Burning Heart arbeiten sehr professionell, wir sind unglaublich zufrieden. Sie wollten, dass wir gleich eine CD rausbringen. Wir hatten dagegen eigentlich nur eine Mini-CD geplant. Aber mit zwei neuen Leuten an Bord - alle waren gespannt, wie das im Studio so klappt. Insgesamt schrieben und arbeiteten wir an den 24 Songs nur zwei Monate, inklusive Aufnahme. So etwas schweißt zusammen. Ich glaube nicht, dass es jetzt noch Wechsel in der Band geben wird: Die Besetzung ist jetzt endgültig - we will life and die with NASUM!" Gleich in dieser Konstellation ist jetzt auch das erste Video der Truppe erschienen, 'Wrath' mit Namen. Das Filmchen gibt es auf der Homepage als Download-Version. "Die Idee mit den Gasmasken hatte Mieszko", erzählt Jon. Außerdem hat er noch folgende Grußbotschaft an die Fans: "Haut die amerikanischen Truppen aus Deutschland raus." Mit NASUM als Anheizer-Band könnte es klappen...

Setlist NASUM

Particles
The Engines Of Death
Twinkle, Twinkle Little Scar
Shadows
A Welcome Breeze Of Stinking Air
Fatal Search
Circle Of Defeat
Little Cattle
Scoop
Bullshit
Relics
Tested
Closer To The End
Wrath
The Deepest Role
Löpandebandsprincipien
I Hate People
Doombringer
Ust Another Hog
Inhale/ Exhale

The Black Swarm
Multinational Murderers Network
Parting Is Such Sweet Sorrow
This Is...
The Masked Face
Darkness Falls
End

Redakteur:
Henri Kramer

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