Nightwish - Karlsruhe
06.04.2009 | 17:2220.03.2009, Europahalle
Auch wenn dieses Konzert für NIGHTWISH letztlich ein Routine-Angelegenheit war - diesen Eindruck hatte sogar auch mein Bruder, der NIGHTWISH nie zuvor gesehen hatte – so konnten NIGHTWISH an diesem Abend durch ihre geschmackvolle mit vielen Pyros angereicherte Show und ihre musikalische Leistung wie immer überzeugen.
NIGHTWISH haben wirklich eine beeindruckende Entwicklung hinter sich. Schon deren erste Platte "Angels Fall First" konnte voll überzeugen. Von da an haben sie sich ständig weiterentwickelt und mich nie enttäuscht. Auch wenn ich manchmal dieses Unbekümmerte verbunden mit einer Prise Unschuld der Anfangstage vermisse, so ist mir diese Entwicklung doch lieber als ein musikalischer Stillstand wie er z. B. bei RUNNING WILD oder den Landsleuten von STRATOVARIUS im Laufe der Karriere eingetreten ist. Sogar den Sängerinnenwechsel haben NIGHTWISH nicht nur unbeschadet überstanden, sondern den Fankreis durch die etwas massengeschmackskompatiblere Klangfarbe der Stimme der neuen Sängerin verbunden mit den komplexen, aber doch eingängigen Kompositionen noch erweitern können.
So war die Europahalle in Karlsruhe so voll, dass man auch in den hinteren Reihen um einen Platz kämpfen musste. Wenn man bedenkt, dass hier im letzten Jahr bei einem Festival mit Größen wie HELLOWEEN, GAMMA RAY, PARADISE LOST und WITHIN TEMPTATION weniger Zuschauer waren, dann kann man den jetzigen Status von NIGHTWISH erahnen. Wenn ich jetzt dazu noch die Bilder des damaligen Konzerts aus meinem löchrigen Gehirn hervorkrame, als NIGHTWISH in der Offenbacher Hafenbahn im Vorprogramm von RAGE im Zuge der "Oceanborn"-Tour auftreten durften, kann ich dieser erarbeiteten Wahnsinnsentwicklung nur Respekt zollen.
Nun aber zum eigentlichen Konzert: Als wir um kurz nach 20.00 Uhr die Halle betraten, spielten die finnischen Mädels von INDICA schon. Sie füllten ihre Rolle als Anheizer perfekt aus. So sahen die Mädels nicht nur gut auf der Bühne aus, sondern wussten auch handwerklich zu überzeugen. Vor allem die Sängerin überzeugte sowohl mit rauer Stimmlage als auch mit toller, sehr nah am Original liegender Intonation des KATE BUSH-Covers 'Wuthering Heights'. Die eigenen puristisch präsentierten Stücke machten Laune und ließen so manches Bein im Publikum mitwippen. Nach etwas über zwanzig Minuten war dann aber auch Schluss, da ein knallharter Zeitplan einzuhalten war.
An diesen Zeitplan mussten sich dann auch PAIN mit einem über etwas über dreißig Minuten dauernden Set halten. Aber irgendwie war diese Spielzeit perfekt auf PAIN zugeschnitten, da diese mit ihren kurzen, sehr eingängigen und auf Disco-Hit getrimmten harten Songs eine kurze Spielzeit perfekt auszunutzen wussten. So wippten nicht nur die Beine in der Menge, sondern es flogen auch die Haare nicht nur auf der Bühne. Auch wenn die Herren um Peter Tägtgren (HYPOCRISY) eigentlich in viel härteren Gefilden zu Hause sind, so muss zugestanden werden, dass sie sich in ihren poppigen Songstrukturen sehr wohl zu fühlen scheinen. Besonders David Wallin drosch dermaßen auf sein Schlagzeug ein, dass er trotz der Samples ein mitreißendes Livefeeling erzeugen konnte. So wollte er am Ende des Sets gar nicht mehr aufhören zu spielen. Aber für mich war die gute halbe Stunde echt okay, da die Songs wie erwähnt ähnlich gestrickt sind und es bei mir nach einer halben Stunde auch mal etwas Anderes sein durfte.
Setlist:
I'm Going In
End Of The Line
Zombie Slam
Just Hate Me
Same Old Song
Monkey Business
Shut Your Mouth
Nach einer diesmal etwas längeren, aber im Vergleich zu anderen großen Acts mit einer halben Stunde nicht überlangen Wartezeit betraten die unumstrittenen Hauptpersonen des Abends die Bühne. Nach einem gewohnt orchestralen Intro vom Band eröffnete der hervorragende Drummer Jukka die Live-Performance mit einem treibenden Beat, bevor dann Keyboarder Tuomas, Hauptsongschreiber und Kopf von NIGHTWISH, mit den Melodien von '7 Days To The Wolves' einstieg. Danach folgten die anderen Bandmitglieder. Wo allerdings die beiden ersten noch mit eigenem Szenenapplaus begrüßt werden konnten, stand die mittlerweile nicht mehr ganz so neue Sängerin Anette Olzon auf einmal unvermittelt schon relativ lange vor ihrem Gesangseinsatz auf der Bühne neben dem Bassisten Marco. Zuerst hatte ich den Eindruck, dass NIGHTWISH wohl jetzt mit einer Backgroundsängerin arbeiten, da ich Anette mit blondem zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haar gar nicht erkannt hatte. Zwar wurde ich ab dem Gesangseinsatz eines Besseren belehrt, aber ich denke dennoch, etwas mehr Raum zur Selbstinszenierung dürften NIGHTWISH ihrer Sängerin trotz der schlechten Erfahrungen der Vergangenheit zugestehen.
Auch wenn es grundsätzlich sehr schwer ist, Gesang gut verständlich und die Musik trotzdem druckvoll zu mischen, so hätte ich mir ihren Gesang doch einen Tick lauter gewünscht. Bis auf diese Kleinigkeit war der Sound an sich wie bei NIGHTWISH eigentlich fast immer sehr gut.
Schon bei der Eröffnung der Show hatte ich das Gefühl, dass NIGHTWISH die Toureinnahmen, die diesmal bei ausverkauften Hallen und Ticketpreisen von ca. vierzig Euro nicht unbedingt mickrig ausfallen dürften, in ihre Show reinvestieren. So wurde mit Feuerwerk aller Art während der ganzen Show nicht gegeizt. Die Bühne war geschmackvoll in Meeresblau gehalten. Es wurden ab und zu auf den rechts und links etwas unterhalb des Schlagzeugpodests stehenden Leinwänden u. a. Bilder von Meereswellen gezeigt, und die Lichtshow war entsprechend darauf abgestimmt. Dazu kam noch, dass Tuomas seine Keyboards im vorderen Bereich eines altertümlichen Bootes bediente. So war einiges fürs Auge geboten.
Trotz des Atmosphäre erzeugenden Hintergrunds hätte ich mir noch gewünscht, dass die Musiker selbst mehr im Vordergrund stehen, da man den statischen Hintergrund irgendwann verinnerlicht hatte. Wenn z. B. Jukka mit vollem Elan auf sein Schlagzeug hämmert, möchte ich auch in den hinteren Reihen manchmal seine lustigen Grimassen sehen können. Da drei Fünftel von NIGHTWISH aus musikalischen Gründen für die meiste Zeit des Konzerts auf ihre feste Position angewiesen sind, so bot sich eigentlich nur für Emppu und Anette die Möglichkeit, den Aktionsradius zu erweitern. Hier hätte ich mir speziell von Anette einen etwas größeren Radius oder zumindest ein sichereres Auftreten gewünscht. So wusste sie nicht immer, was sie in den instrumentalen Passagen mit sich anfangen soll. Das kam bei mir so an, als wäre sie in den Momenten nicht voll in der Musik drin und müsste überlegen, wie sie sich als nächstes bewegt. Dabei hat sie es drauf, davon bin ich fest überzeugt. Bei 'Sahara' bewies sie z. B., dass sie mit allen Gefühlen in der Musik sein und trotzdem währenddessen mit dem Publikum interagieren kann. So konnte sie eine Textzeile beim Augenkontakt mit den in der ersten Reihe stehenden von Konzert zu Konzert mitreisenden Mädels lachend meistern. Emotionen, die im Austausch mit dem Publikum entstehen, sind genau das, was ich bei einem Livekonzert erleben will. Das ist letztlich das, was mitreißt, sofern natürlich die Begleitumstände Songmaterial und Sound stimmen. Außer dieser einen Szene konnten Emotionsausbrüche während des Konzerts leider nicht all zu oft erlebt werden.
Daher wünsche ich mir von der nächsten NIGHTWISH-Tour wieder eine etwas mehr auf die sehr fotogenen Bandmitglieder zugeschnittene Bühnenshow, in der die Späße untereinander und mit dem Publikum etwas besser zur Geltung kommen. Von Anette wünsche ich mir das Bewusstsein, dass sie als Sängerin letztlich das Verbindungsglied zum Publikum ist und nicht nur die Sängerin, die die Songs des Keyboarders intoniert. Dazu gehören einfach noch mehr Emotionen, mehr Selbstbewusstsein und: warum nicht etwas mehr Selbstinszenierung? Bei ihrer offenen sympathischen Art mache ich mir wirklich keine Gedanken, dass sie dieselben Fehler innerhalb der Band machen könnte wie Tarja.
Eine Kleinigkeit muss ich bei dieser Gelegenheit doch noch erwähnen, auch wenn ich mich selbst immer darüber aufrege, wenn Menschen - meistens Frauen – zu dem Gefallen an einem Konzert befragt antworten, wie der und der ausgesehen hat und was wer angehabt hat, statt auf die Musik einzugehen. Bei dieser Kleinigkeit handelt es sich nämlich um Anettes Bühnenoutfit, welches sie leider nicht gerade zum Vorteil aussehen ließ. Dieses sah nämlich aus, als ob der Hersteller einen schwarzen zerknitterten Plastikmüllsack unterhalb des ebenfalls in schwarz gehaltenen, eigentlich ganz ansprechenden Stoff-Dekolletés angenäht und die Beine bis zum Kniebereich ausgeschnitten hätte. So sah die sympathische Anette von Kopf bis Brust sehr ansprechend aus, und über den unteren Teil hülle ich lieber den Mantel des Schweigens und hoffe, dass sie beim nächsten Mal irgend etwas anderes anzieht – egal was. Selbst wenn sie, wie sie während der Show erwähnte, vielleicht ein paar Kilos zugelegt hat, so kann das in keinem anderen Kleid so unvorteilhaft aussehen wie in diesem. Mit dieser Meinung stand ich nicht alleine.
Ich hoffe, dass diese Aussagen nicht als destruktive Lästerei aufgefasst werden. Um auch klarzustellen, dass es mir dabei nicht um Frontalkritik an der Sängerin geht: Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sich die Rückkehr von Tarja wünschen. Zwar gibt es nur wenige Sängerinnen, die Tarja gesanglich das Wasser reichen können, aber dafür hat Anettes Stimme eine tolle Klangfarbe, die besonders Popsongs wie z. B. 'Nemo' noch eingängiger klingen lässt. Dazu kommt noch der Effekt, dass Tarjas Gesang auf die Dauer für den Zuhörer auch anstrengender ist. Anette hat außer dem gesanglichen auch sonst viel Potential, das sie aber in Zukunft noch mehr einsetzen sollte, wobei ihr die Bandkollegen dabei hoffentlich nicht im Weg stehen werden.
Musikalisch gab es an diesem Abend wie immer bei NIGHTWISH nichts zu motzen. Diese Musiker sind über jeden Zweifel erhaben. Manche Abnutzungserscheinungen, z. B. von Marcos Stimmbändern bei den höheren Schreien, sind aufgrund der vielen Touren mehr als verständlich und auch okay.
Über die Songauswahl kann man sich streiten, da lediglich 'Dead Boy's Poem' aus der Anfangszeit und dafür die langen, kompositorisch hervorragenden Schinken der beiden letzten Platten wie z. B. 'The Poet And The Pendulum' oder 'Ghost Love Score' dargeboten wurden. Überraschend war zudem noch, dass nicht die starke Single 'Bye Bye Beautiful', sondern deren sogenannte B-Seite 'Escapist' gespielt wurde. Vielleicht kann das auf eine Besserung des Verhältnisses zu Tarja hindeuten.
NIGHTWISH werden es in Zukunft immer schwerer haben, mit der Songauswahl den Wünschen aller Fans gerecht zu werden. Ich denke, dass es langfristig darauf hinaus laufen wird, dass Anette wohl größtenteils nur noch die von ihr eingesungenen Songs live präsentieren wird, was auch durchaus okay ist, wenn NIGHTWISH ihren hohen Songwriting-Standard halten können.
Auch wenn dieses Konzert für NIGHTWISH letztlich eine Routine-Angelegenheit war - diesen Eindruck hatte sogar mein Bruder, der NIGHTWISH nie zuvor gesehen hatte –, so konnten NIGHTWISH an diesem Abend durch ihre geschmackvolle, mit vielen Pyros angereicherte Show und ihre musikalische Leistung wie immer überzeugen.
Setlist:
7 Days To The Wolves
Dead To The World
The Siren
Amaranth
Romanticide
Dead Boy's Poem
The Poet And The Pendulum
Nemo
Sahara
The Islander
Escapist
Dark Chest Of Wonders
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Ghost Love Score
Wish I Had An Angel
- Redakteur:
- Tilmann Ruby