No Mercy-Festival - Münster/Breitefeld

20.04.2004 | 08:21

09.04.2004, Live Arena

Zwei Jahre waren vergangen, seit das "No Mercy" das letzte Mal in Hessen Station machte. Manch legendärer Gig war anno dazumal in der Offenbacher Hafenbahn zu sehen: HYPOCRISY, AMON AMARTH, MORTICIAN, VADER, MARDUK... Ich kann mich noch gut erinnern, wie IMMORTALs Abbath beim Feuerspucken mich in der ersten Reihe angrinste, als wolle er mich gleich rösten. Genug in Erinnerungen geschwelgt. Das "No Mercy" kam wieder nach Hessen und legte – heftiger als je zuvor – einen Zwischenhalt in der "Live Arena" ein. Also rasch mein Auto mit Freunden voll gepackt und wie gut 800 andere Metalheads ab nach Münster bei Darmstadt. Vor Ort angekommen, verschwand ich zunächst im Backstage-Bereich, um KATAKLYSM und NATTEFROST zu interviewen. Also gebe ich nach der (vermeintlich) ersten Band zunächst an einen Freund ab, unseren Gastautor (inzwischen auch freier Mitarbeiter) Tolga Karabagli.

PREJUDICE
Standen zwar auf dem Plakat, aber laut Spielplan anscheinend nicht auf der Bühne. Pech gehabt.

SPAWN OF POSSESSION
Direkt nach Eintreffen an der "Live Arena" bin ich rein, und SPAWN OF POSSESSION sind schon mächtig am Schrubben. Sie selbst bezeichnen sich als Technical Metal, und meiner Meinung nach ähneln sie von den Soloeinlagen her eher an DEATH in ihrer Spätphase. Die "Live Arena" ist gut drei Viertel gefüllt und sowohl der Bewegungsradius der Band als auch des Publikums hält sich in Grenzen. Nach dem fünften Song 'Hidden In Flesh' haben sie sich warm gespielt, doch auch der freundliche Verweis des gedreadlockten Sängers zum Merchandisestand mit den Worten "We´re so poor" hat nicht sonderlich zu höheren Absatzzahlen geführt. Nach 25 Minuten und 'Church Of Deviance' war hier Ende Gelände. Für die "Live Arena" zu jazzig angehaucht, doch ansonsten haben die fünf Schweden ihr Handwerk gut beherrscht. Sollte man im Auge behalten.

EXHUMED
Nach knapp zehnminütiger Umbaupause waren EXHUMED angetreten, um mit ihrem thrashlastigen Death a bisserl Arsch zu treten. Und im direkten Vergleich zu SPAWN OF POSSESSION ging's schon mehr ab. Vor allem die an SLAYER angelehnten Midtempoparts konnten überzeugen und gaben der nach simplem Death/Thrash dürstenden Menge den nötigen Bangstoff. Der Sänger (im prolligen, weißen Muscle-Shirt – Anm. v. Carsten) klang leicht nach Zetro von EXODUS und beim letztem Lied 'Open The Absurd' wurde sogar schon ein bisschen gepogt. Auch hier war nach 25 Minuten Schicht in der Sauna. Ansonsten gutes Geknüppel und als Vorband goldrichtig.

VOMITORY
Nach einer etwas längeren Umbaupause von 20 Minuten wurden VOMITORY aus Schweden schon beim Intro mit einem schon fast frenetischen Beifall (na ja – Anm. v. Carsten) begrüßt. Im Vergleich zu EXHUMED ging das Publikum etwas mehr ab und pogte von Beginn an. Der geradlinige Death ging voll auf die Glocke und erinnerte etwas an alte ENTOMBED. Vor allem Drummer Tobias Gustafsson gab alles und setzte mit seinem Doublebase erste Glanzpunkte. Ab dem sechsten Lied habe ich schon die ersten Crowdsurfer gesichtet, die jedoch von der zu dem Zeitpunkt zwei Mann Starken Security rüde von der Bühne gedrängt wurden, oder beim Stagediven brutal runtergeschubst wurden. VOMITORY mussten nach knapp 27 Minuten von der Bühne und haben beim Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlassen. O-Ton von einem Kumpel: "Die Ballern alles weg. Wollt mich eigentlich zurückhalten."

CARPATHIAN FOREST
Um Punkt 20 Uhr kam Sänger Nattefrost auf die Bühne. Er wirkte bei den ersten beiden Songs etwas lustlos, was bei Kopfschmerzen und einem gebrochenen linken Schlüsselbein auch kein Wunder ist. Zum Ende hin wurde seine Form besser, jedoch nicht die des Publikums. Vom Sound her hatten CARPATHIAN FOREST aus Norwegen einen leichten CELTIC FROST- und VENOM-Einschlag. Passendes Ostermotto von 'nem Mädel: "Sex vor Nattefrost ist keine Sünde." Nach 40 Minuten war Schicht im Schacht und Nattefrost eilte beim Outro so schnell von der Bühne weg, wie er gekommen war. Trotzdem wurden erste Zugaberufe getätigt, obwohl das Publikum während des Konzerts eher verhalten reagiert hatte.

Danke Tolga. Nun bin ich wieder dran bei den einzigen Schwarzmetallern des Abends, die bei den vielen Todesjüngern natürlich einen schweren Stand hatten. Doch dafür, wie mitgenommen Nattefrost vorher im Tourbus wirkte, hat er sich recht wacker geschlagen. Ein Wunder, dass er nicht wie beim vergangenen Wacken die Bühne vollkotzte. Bis auf ein paar schwarze Striche verzichtete er zwar wie der Rest der Norweger auf Corpsepaint, kreischte aber immer besser auf die vorderen Reihen ein. Die gingen mit, und nach Nattefrosts deutschen "Eins, zwei, drei, vier!"-Anzählung hatte er noch ein paar weitere Reihen auf seiner Seite. Bestückt mit riesigen Killernieten, Handschellen und ein bisschen Eigenwerbung für sein Soloalbum auf dem T-Shirt, hielt Nattefrost ein invertiertes Kreuz hoch, nahm seinen Gitarrist andeutungsweise von hinten und mühte sich redlich. Nur Headbangen war mit einem in fünf Teile zerbrochenen Schlüsselbein natürlich nicht drin, dafür schüttelten die restlichen Bandmitglieder umso mehr die Köpfe. Ein kurzes "Skal" ans Publikum, eine kurze Diskussion, welcher Song spontan als Letzter gespielt wird – dann gaben Nattefrost und seine Nordmannen noch mal alles. "You're a fucking death machine!" röchelte der kleine Frontmann ins Mikro und verschwand anschließend völlig ausgepowert backstage.

KATAKLYSM
Während sich der neue Wunderdrummer Martin Maurais schon mal aufwärmte, wurden links und rechts von ihm zwei große, schwarze Fahnen mit dem Bandlogo aufgehängt, als seien KATAKLYSM die geheimen Headliner. Und als solche entpuppten sie sich auch. "...and there is only one guarantee – none of us will see heaven." Nach dem Intro rückte der Himmel tatsächlich in weite Ferne. Die Kanadier bolzten mit 'The Ambassador Of Pain' los und schoben gleich noch 'The Resurrected' von der neuen Scheibe "Serenity In Fire" hinterher. Der Sound war phänomenal, und KATAKLYSM walzten mit 'As I Slither' weiter, als wollten sie die Arena auseinander nehmen. Erstmals wurde es so richtig voll vor der Bühne, und mir wurde der wahre Zweck der beiden Fahnen bewusst: Bei jedem Crowdsurfer hüpfte urplötzlich die dahinter versteckte Security hervor. Sänger Maurizio Iocono hingegen blieb ganz cool, half den Stagedivern sogar auf die Bühne und posierte mit ihnen Arm in Arm. Beste Szene: Zwei Crowdsurfer schwimmen auf die Bühne zu, drei Securities warten angriffsbereit – und der kräftige Frontman steht dazwischen wie ein Fels in der Brandung. Maurizio bot eine gute Show, ging auf die Knie, schüttelte Hände und ließ sich vom Publikum frenetisch feiern. Und das, obwohl auch er zuvor im Tourbus einen erschöpften Eindruck gemacht hatte. Dann folgte, worauf alle Fans gewartet hatten: Martin legte ein langes Drumsolo hin, das natürlich nur in 'Blood On The Swans' münden konnte. Aber selbst der Klassiker 'The Awakener' war noch lange nicht der Höhepunkt. Die letzten zehn Minuten konnten die Kanadier für ihr Powerprogramm den krassesten Moshpit des Abends verzeichnen. Unser bereits erwähnter Freund hatte anschließend den gesamten Rücken mit dunkelroten Striemen übersäht. Wer KATAKLYSM immer noch für eine schlechte Liveband hält, der hat sie definitiv schon lange nicht mehr gesehen. Gibt's noch was hinzuzufügen, Tolga?

Bei KATAKLYSM war pogo- und stagedivetechnisch die Hölle los. Sänger Maurizio hat Oberarme wie manch anderer Oberschenkel (Tolga selbst ist immerhin Bodybuilding-Trainer – Anm. v. Carsten), und dementsprechend souverän ging er mit den Stagedivern um. Selbst wenn die gesamte Live Arena in Schutt und Asche zusammengefallen wäre, hätte ihn das nicht wesentlich beeindruckt. Außerdem ist Drummer Martin hervorzuheben, der Unmenschliches geleistet hat und den Titel "Doublebase of No Mercy" wohl verdient hat.

HYPOCRISY
Da stimme ich Tolga zu. Das Publikum brauchte anschließend erst mal eine halbe Stunde Verschnaufpause. Kurz nach Zehn wurde die Bühne in dicksten Nebel getaucht und die ersten Töne von 'Born Dead Buried Alive' erklangen. In den gleißend angestrahlten Nebelschwaden waren die Schweden zunächst nur schemenhaft zu erkennen, was die wiedergewonnene Alien-Atmosphäre unterstrich. Nur der neue Schlagzeuger Horgh (Ex-IMMORTAL) war leider überhaupt nicht zu erkennen. Peter Tägtgren, Mikael und Andreas ließen indes gewohnt souverän die langen Haare kreisen, und auch die Fans "entspannten" nach dem vorigen Moshwahn bei 'Eraser' erst mal mit kollektivem Headbangen. Spätestens bei 'Turn The Page', dem einzigen Song von "Catch 22", brach aber doch wieder ein kleiner Pogotanz aus. Von der neuen Langrille "The Arrival" gab's noch 'Slave To The Parasite', das von den Fans begierig aufgenommen wurde und mir manch fremden Haarbüschel im Gesicht bescherte. Am meisten wurde natürlich 'Roswell 47' abgefeiert, ansonsten beglückten HYPOCRISY ihre Anhänger mit älterem und härterem Death-Metal-Material wie 'Necronomicon', 'God Is A Lie' oder 'Reborn'. Nur bei 'Fire In The Sky' fand ich den Gitarrensound etwas schlecht abgemischt. Zum Abschluss kam noch 'Dethrow (No Regrets)', und HYPOCRISY boten insgesamt die zu erwartende Qualität. Schade nur, dass eine Stunde viel zu kurz ist, um alle Klassiker, Hymnen und neuen Hits unterzubringen. So wartete ich vergeblich auf 'Apocalyse' oder 'Fractured Millennium'. Unserem Freund Jörg ging langsam die Puste aus, und mental befand er sich wohl schon hinter den sieben Bergen: "Zu was bin ich da eigentlich grad abgegangen?" "Zu HYPOCRISY!" "Na, dann hat es sich ja wenigstens gelohnt."

CANNIBAL CORPSE
Eine halbe Stunde später wirkte es etwas leerer in der Arena. Einige hatten schon den Heimweg angetreten, und draußen auf der Wiese lagen bereits die ersten Alkoholleichen – einer mit offenem Hosenstall, da beim Pinkeln umgekippt. Die verbliebenen Harten wussten indes die leeren Plätze beim Moshen bestens zu füllen. CANNIBAL CORPSE haben einfach Kultstatus, und dem entsprechend ging das Publikum auch ab. Lautstark ertönten 'Hammer Smashed Face'-Rufe. "No, no, don't you know this song is bad for you", tadelte Sänger George "Corpsegrinder" Fisher augenzwinkernd und grunzte stattdessen 'Stripped, Raped And Strangled'. Dank der deutschen Zensur {Nana, Zensur gibt es in der deutschen Gesetzgebung doch aber gar nicht, du Schelm. - Anm. d. Lekt.} dürfen die Kannibalen hierzulande ja keinen Song ihrer ersten drei Alben spielen. Als "Dankeschön" an die Jugendschützer gab's das neue 'They Deserve To Die', und die anwesenden Damen durften sich über das ihnen gewidmete 'Fucked With A Knife' freuen. Mit "buy it tomorrow, or I will kill you" bewarb der Corpsegrinder das neue Album "The Wretched Spawn", von dem die Amis sogleich 'Decency Defied' spielten. 'Gallery Of Suicide' wurde von den Fans ebenfalls bejubelt. Viele mögen immer noch Ex-Sänger Chris Barnes (SIX FEET UNDER) nachtrauern, aber George "Corpsegrinder" machte seine Sache ebenfalls recht gut und gebrauchte seine arschlangen Haare immer wieder als Propeller. Eigenartig nur, dass er bei jedem Stagediver erschrocken einen Meter zurücksprang. (Tolga: "Der Corpsegrinder ist voll das Weichei! Das sind Stagediver, die beißen nicht.") Nervig waren auch die minutenlagen Pausen, welche die CORPSE zwischen den Songs wortlos einlegten, nachdem sie beim ersten Stück Tonprobleme hatten. Dadurch wurde die eigentlich recht gute Stimmung immer wieder unterbrochen. Den Die-Hard-Fans war's egal, schließlich wurden sie mit einem gut anderthalb Stunden langen Gig beglückt. (Tolga: "Geiles Gegrunze, aber ich versteh trotzdem kein Wort.") Um ein Uhr Nachts war das musikalische Feuerwerk beendet, und kaum jemand dürfte unzufrieden nach Hause gefahren sein. Asche auf mein Haupt, dass nach HYPOCRISY der Akku meiner Digicam leer war.

Die Rückkehr der No-Mercy-Tour nach Hessen war tatsächlich besser als die Festivals, die ich früher in der Hafenbahn gesehen habe. Obwohl sich gegen Ende der Tour bei einigen schon Abnutzungserscheinungen breit machten, gaben sich die Bands noch mal richtig Mühe. Angesichts mehrerer guter Gigs haben Tolga und ich uns entschlossen, zum Abschluss mehrere Auszeichnungen zu vergeben:

1. Platz im Synchron-Headbangen und Nebelverbrauch:
HYPOCRISY

Überraschungssieger in den Kategorien Doublebase und Fannähe:
KATAKLYSM

Kult(ur)preis für entartete Kunst:
CANNIBAL CORPSE

Trostpreis fürs Durchhalten:
NATTEFROST


Kurzer Nachtrag: Ein Tag später, nach dem Eintracht-Spiel gegen Fastmeister Werder Bremen, auf dem Rückweg vom neuen Frankfurter Waldstadion.
Tolga: "Lass uns zu Fuß gehen."
Carsten: "Ne, lass uns die Bahn nehmen. Ich bin ausnahmsweise mal 'n Weichei."
Tolga: "Machste jetzt den Corpsegrinder, oder was?"

Redakteur:
Carsten Praeg

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