No Mercy 2003 - Leipzig
23.04.2003 | 14:4818.04.2003, Hellraiser
Die diesjährigen No Mercy-Festivals verfielen mit acht Bands und einer Bandbreite von Thrash über Death und Black Metal bis hin zu Hardcore ein wenig dem Gigantismus. Dafür wurde mit 30 Euro Eintritt aber ein durchaus vertretbarer Preis verlangt. Dennoch ist diese Entwicklung irgendwo ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite hat man ein tolles Billing mit vielen absoluten Topacts zusammengestellt, auf der anderen Seite ist die Abkehr von einem reinen Death und Black Metal-Event sicherlich auch mit einem kritischen Auge zu beurteilen, da das No Mercy damit ja bereits einen festen Platz im alljährlichen Konzertkalender inne hatte. Bei mir überwog allerdings ganz klar die Vorfreude, denn man konnte bei so vielen erstklassigen Bands sicherlich ein grandioses Konzert erwarten und das wurde es dann erwartungsgemäß auch mit dem absoluten Höhepunkt in Form der TESTAMENT-Show. Aber gehen wir erstmal der Reihe nach.
Ich muss gestehen, dass ich von DARKANE nur noch die letzten beiden Songs mitbekommen habe, entsprechend kurz muss ich mich hier halten. Immerhin reichte das aus, um zu sehen, dass die Schweden-Thrasher astrein zur Sache gingen und ordentlich abräumten. Es war natürlich undankbar, so zeitig ranzumüssen und bei der Fülle an Bands hatte wohl jeder Anwesende andere persönliche Favoriten, deren Auftritt er/sie entgegen fieberte. Allerdings war es nicht zu übersehen, dass denen, die bereits da waren, der DARKANE-Auftritt gut gefiel und ich bin mir mittlerweile sicher, dass dieser Band die Zukunft gehört.
Als nächstes stiegen MALEVOLENT CREATION auf die Bretter und ließen dort die brutale Death Metal-Keule kreiseln. Die sehr begabte Band ging absolut aggressiv zu Werke, wobei das Gebolze nie langweilig wurde. Da die Amis einfach wissen, worauf es ankommt, ergab das Ganze eine halbe Stunde lang erstklassiges Gemetzel. Neben dem neuen Album "The Will To Kill" ('Rebirth Of Terror') wurde auch die erstklassige "Fine Art Of Murder"-Scheibe ('Manic Demise', 'To Die Is At Hand') ausgiebig berücksichtigt und selbst alte Sachen wie 'Infernal Desire' kamen zum Zuge. Eines ist klar, diese etwas unterbewertete Truppe hat durchaus das Potenzial, auch etabliertere Bands an die Wand zu spielen, aber bei dem heutigen Billing war man nun mal (vorher wie nach dem Auftritt) lediglich unter "ferner liefen" einzuordnen. Dennoch konnten MALEVOLENT CREATION weitestgehend überzeugen und lieferten eine gnadenlose Show ab.
Nun kam die Reihe an die Old School-Thrash-Kapelle NUCLEAR ASSAULT. Der Sänger dieser durchgeknallten Truppe, John Connelly, mischte sich erstmal schnurstracks unter's Volk, um zu einigen der Songs mitten im Publikum zu klampfen und zu trällern. Auch Bassist Danny Lilker (ex-ANTHRAX) sang zwei oder drei Songs, beim Rest begnügte er sich mit Backing-Vocals. Man ließ es sich natürlich nicht nehmen, die beiden mit Abstand besten Alben der Bandgeschichte "Game Over" ('Sin') und "Handle With Care" ('The New Song') zu präsentieren. Ich muss allerdings zugeben, dass mir die Band beim letztjährigen Auftritt in Wacken noch ein bisschen besser gefiel, gerade der Gesang schien mir diesmal etwas neben der Spur zu liegen. Aber bei NUCLEAR ASSAULT geht es auch gar nicht so sehr um spielerische Raffinessen. Es gibt sicherlich einige Thrash-Bands, die bessere Songs schreiben als die New Yorker, aber diese sind dafür eine endgeile und sehr spontane Liveband, die irgendwie das Achtziger-Feeling authentisch rüberbringt. Der Funke sprang jedenfalls auf's Publikum über und so hatten sowohl die Jungs auf als auch die vor der Bühne viel Spaß. Am Ende, als sich ein Stagediver eine etwas wenig bevölkerte Stelle für seinen Kopfsprung aussuchte und sich mit blutigem Gesicht am Boden wieder fand, riss sich John sofort seine Klampfe vom Leib, sprang herbei, erkundigte sich nach seinem Befinden und schaffte ihn anschließend backstage zur weiteren Versorgung (welche Medizin da wohl gereicht wurde?). Das nenne ich bodenständig. Als er wieder kam, war der letzte Song gerade vorbei und NUCLEAR ASSAULT bekamen viel Applaus für ihre 40-minütige Vorstellung. Das war absolutes Old School-Gebretter und ihre lustige und unverkrampfte Art machte einfach Laune.
Bei der nächsten Band stand nun ein völlig anderes Publikum vor der Bühne, denn jetzt war es Zeit für die Hardcoreler von PRO-PAIN. Und bei denen gab es voll auf die Zwölf. Die Herren Klimchuck und Meskil machten die ganze Zeit böse Miene zum guten Spiel und wirkten damit fieser und böser als die meisten Black Metal-Bands. Das war eine richtig derbe Abfuhr und in punkto Intensität macht PRO-PAIN wohl niemand etwas vor. Mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit wurden von ihnen die messerschärfsten und fiesesten Riffs rausgehauen und auch wenn man etwas kürzer als geplant spielte, packte man dennoch einen lupenreinen Best of-Set in die halbe Stunde Spielzeit. Zu Beginn wurden mit 'No Way Out', 'The Shape Of Things To Come' (beide "Shreds Of Dignity") bzw. 'Fuck It' und 'Draw Blood' ("Round 6") eher die neueren Stücke gespielt, während dann im zweiten Teil ganz klar die ganz alten Schinken ('Shine', 'Make War Not Love', 'State Of Mind') dominierten. Es wurde ohne längere Ansage-Pausen durchgebolzt, sodass man insgesamt auf zehn, rüde herausgerotzte Songs kam. Eine sehr kompakte und unglaublich intensive Vorstellung und so wurden PRO-PAIN auch von einem Großteil der Metalcrowd gehörig abgefeiert (von den Hardcore-Fans ja sowieso). Auch wenn fast alle Songs sehr vorhersehbar aufgebaut sind, diese Bands versteht es einfach auf einzigartige Weise, Beine, Arsch und Nacken automatisch in Bewegung zu setzen.
Nun wurde ein stilistisch sehr weiter Sprung vollzogen und DIE APOKALYPTISCHEN REITER auf die Bühne gelassen. Die durften eine dreiviertel Stunde lang ihre einzigartige Mischung aus Death, Black, Thrash Metal, Grind, Popmusik und mittelalterlichen Klängen präsentieren. Los ging's mit dem Opener des formidablen aktuellen Albums "Have Nice Trip", nämlich 'Vier Reiter stehen bereit'. Besagte Scheibe kam mit 'Ride On', 'We Will Never Die' und 'Warum?' auch noch ein paar Mal zum Zuge, wie auch der Vorgänger "All You Need Is Love" mit der unumgänglichen 'Reitermania', 'Erhelle meine Seele' oder 'Unter der Asche' berücksichtigt wurde. Während das wilde Treiben auf der Bühne anfangs noch ein paar verblüffte Gesichter im Publikum verursachte, konnten die REITER schließlich immer mehr Leute in ihren Bann ziehen. Sänger Fuchs war sehr beweglich und hüpfte wie ein Flummi kreuz und quer über die Bühne. Zudem gab er sich sehr lustig und pushte das Publikum immer wieder auf, wobei er sogar mit den üblicherweise eher Gähnen verursachenden Hin-und-her-Singspielchen Erfolg hatte. DIE APOKALYPTISCHEN REITER kamen mit ihrer ungewöhnlichen Art von Musik sehr gut an und es herrschte eine ausgelassene Stimmung in den ersten Reihen. Als krönenden Abschluss gab es noch den uralten "Soft & Stronger"-Schinken 'Metal Will Never Die' auf die Lauscher und die vier Reiter galoppierten davon. Es ist einfach schön, dass es solche originellen Bands gibt, die mit so viel Energie und Spaß ihre Auftritte absolvieren und die Zuschauer so mitreißen können.
Man hätte eigentlich meinen müssen, dass es für die nächste Band nun sehr schwer werden würde, wenn diese nicht ausgerechnet auf den Namen DEATH ANGEL gehört hätte. Die Thrasher, die sich gerade erst wieder reformiert haben, prägten damals die Bay Area maßgeblich mit, was also musikalisch schon mal auf TESTAMENT einstimmte. Ich weiß gar nicht, wann die das letzte Mal einen Auftritt in unseren Gefilden hatten, aber es war mit Sicherheit für viele (wie auch für mich) das erste DEATH ANGEL-Konzert. Und um es kurz zu machen, sie konnten von Beginn an voll überzeugen. Schreihals Mark Osegueda brüllte wie ein Berserker und manchmal regelrecht unmenschlich. Die Songauswahl überraschte mich ein wenig, da gleich vier Songs vom Debütalbum "The Ultra-Violence" ('Voracious Souls', 'Mistress Of Pain', 'Evil Priest' und das saugeile 'Kill As One') gespielt wurden, welchen nur jeweils zwei von den beiden nachfolgenden, eigentlich erfolgreicheren Alben "Frolic Through The Parc" ('3rd Floor', 'Bored') und "Act III" ('Seemingly Endless Time', 'Stagnant') entgegen standen. Man präsentierte sich arschtight und gut aufeinander eingespielt. Frontkeule Mark wirkte zunächst noch etwas angespannt, aber dieser Zustand hielt nicht lange an. Schließlich entledigte er sich auch noch seines T-Shirts und es war etwas lustig zu beobachten, wie er sein imposantes Tattoo auf seinem Kreuz (da steht in großen Lettern "Osegueda") zur Schau stellte, indem er erstmal eine Minute lang nur mit dem Rücken zum Publikum über die Bühne scharwenzelte und auch seine lange Mähne entsprechend nach vorne fallen ließ, damit der Blick auf das Tattoo nicht getrübt werden konnte. Mich beeindruckte aber das kompromisslose Thrash-Brett deutlich mehr. Zu den tierisch starken Songs kam als weiterer Pluspunkt noch hinzu, dass DEATH ANGEL einfach eine sehr sympathische Band sind. Sie stellten eindrucksvoll unter Beweis, dass sie sowohl musikalisch als auch von der Ausstrahlung her zur absoluten Speerspitze des Bay Area-Thrash gehören. Obwohl auch DIE APOKALYPTISCHEN REITER und PRO-PAIN eine fantastische Show geboten hatten, DEATH ANGEL waren einfach atemberaubend und konnten das Vorhergehende zumindest in meinen Augen locker toppen. Hoffentlich bleibt uns diese Band noch lange erhalten.
MARDUK erwiesen sich anschließend als Publikumsspalter, da sich viele nun erstmal eine Auszeit gönnten und schon mal auf TESTAMENT vorbereiteten, während die Black Metaller unter den Zuschauern natürlich schon viel zu lange auf ihre Helden hatten warten müssen. Die Schweden konnten zwar unter Beweis stellen, was für ein saustarkes Album "World Funeral" (Titeltrack, 'Bleached Bones') ist, aber irgendwie wurde ich ein zwiespältiges Gefühl nicht los, so nach dem Motto: Hat man MARDUK einmal live gesehen hat, dann hat man sie immer gesehen. Und da man ja süffisant sagen kann, dass MARDUK mit ihrer ausgiebigen Livepräsenz so etwas wie die VADER des Black Metal sind, ist dieser Umstand ein wenig schade. Jedenfalls waren sie spielerisch ohne Fehl und Tadel, gingen auch härtetechnisch die dreiviertel Stunde lang in die Vollen und ihre Fans fraßen ihnen natürlich aus der Hand. Und dennoch - es ist vielleicht eine etwas subjektive Einschätzung, aber nach so lockeren und sympathischen Bands wie DEATH ANGEL und den APOKALYPTISCHEN REITERN wirkten MARDUK irgendwie unnahbar und ein wenig unterkühlt. Man merkte ihnen ihre große Professionalität an, was für mich immer einen ziemlich negativen Aspekt darstellt. Musikalisch sind sie sicherlich eine herausragende, wenn nicht die beste Black Metal-Band, aber so richtig konnten sie diese Ausnahmestellung auf der Bühne nicht umsetzen. Man kann zwar auch nicht behaupten, dass sie ihr Programm unmotiviert oder lustlos herunter gespult hätten, jedoch war der ganze Auftritt wenig überraschend und auch im Stageacting etwas zu gleichförmig. Eingefleischte Black Metaller mögen das vielleicht anders sehen, aber ich kam zu dem Schluss, dass man MARDUK lediglich eine ordentliche und solide Vorstellung bescheinigen kann.
Kommen wir also zum Headliner der ganzen Veranstaltung - zu den mächtigen TESTAMENT. Die avancierten ganz klar zum Gewinner des Abends. Zunächst einmal wurde man kräftig eingeräuchert und dann ging's endlich los. Hach, wie war das schön, Sir Chuck Billy wieder in Aktion zu sehen. Nach seiner schweren Krebserkrankung, die ihm sehr viel Anteilnahme von allen Seiten einbrachte, war es lange Zeit unklar, ob er überhaupt jemals wieder auf einer Bühne stehen würde, aber glücklicherweise hat er sich wieder ziemlich gut erholt und war bis auf die augenscheinliche Gewichtszunahme schon fast wieder der Alte. Selbst eine lange Mähne (hatte ja in Folge einer Chemotherapie seine Haare komplett verloren) konnte er schon wieder vorweisen. Wobei die mit Sicherheit nicht echt war, denn so schnell wachsen auch bei ihm die Haare nicht bis zum Arsch. Chuck war echt gut drauf und grinste in einer Tour, so sehr war er von den Zuschauerreaktionen beeindruckt. Er zog die Leute in seinen Bann und es war eindeutig sein Abend. Das Publikum nahm die TESTAMENT-Klassiker natürlich begeistert auf, wobei auffiel, dass mit insgesamt fünf Songs ('D.N.R.', 'Down For Life', 'True Believers', '3 Days In Darkness' und 'Eyes Of Wrath') der letzte Studio-Output "The Gathering" (1999) sehr reichlich gewürdigt wurde. Somit musste man auf die eine oder andere alte Perle leider verzichten, denn nach nur einer Stunde war der ganze Spaß nämlich schon wieder vorbei. Und es waren natürlich gerade die alten Sachen, die die Leute richtig ausrasten ließen - bei Stücken wie 'Burnt Offerings' oder 'Into The Pit' war die Hölle los. Immer wieder flogen Diver durch die Gegend und Chuck hatte seine Gefolgschaft fest im Griff. Granate folgte auf Granate, es war wie in den schönsten Träumen - ein Festschmaus für jeden Metaller. TESTAMENT spielten aggressiv und arschtight, kamen aber trotzdem unverkrampft und locker rüber. Sie bewiesen einmal mehr, dass sie eine der besten, wenn nicht sogar die beste Thrashband dieses Planeten sind. Nach den beiden Zugaben 'Dog Faced Gods' und 'Disciples Of The Watch' war dann (leider viel zu früh) Schluss und die Gefolgschaft konnte sich überglücklich zum Bier zurückziehen und die Wunden lecken.
Fazit: Mit einer solchen Latte an hervorragenden Bands konnte das No Mercy-Festival 2003 nur ein voller Erfolg werden und ich muss schon sehr lange zurückdenken, wann ich das letzte Mal so euphorisch nach dem Ende eines Konzerts durch die Kante gestürzt bin. Einfach bombastisch!
Setlist TESTAMENT:
D.N.R. (Do Not Resuscitate)
Down For Life
Low
Burnt Offerings
Into The Pit
Trial By Fire
True Believers
3 Days In Darkness
Eyes Of Wrath
Over The Wall
Dog Faced Gods (Zugabe)
Disciples Of The Watch (Zugabe)
- Redakteur:
- Stephan Voigtländer