Obscene Extreme - Trutnov (CZ)
29.07.2005 | 20:2001.01.2000, Stadtpark
Freitag, 8. Juli 2005
Der Freitag beginnt so, wie der Donnerstag endete: mit Gambrinus. Vom letzten Jahr noch bekannt ist die bayerische Bruderschaft um Artur, Patte und Thomas Kessel. Unbekannt für mich ist Arturs Bruder Peter, der den drei anderen Chaoten jedoch in nichts nachsteht. Natürlich treffe ich sie im Bierzelt, wo die Jungs sich schon eine Weile rumtreiben.
Plötzlich entdecken wir einen Typen, der aussieht wie Chris Barnes vor zehn oder elf Jahren: ein netter Franzose, der uns versichert, ständig mit irgendwelchen Musikern verwechselt zu werden. Gegen Mittag gibt es in der Innenstadt leckeres Essen und kühlen Gerstensaft für wenig Geld.
(Falk Schweigert)
"We support animal rights!" – auch wenn man diese Einstellung des Veranstalters Curby akzeptieren kann, bringen die Portion Blumenkohl mit Pommes und ihre vegetarischen Kochtopf-Freunde auf dem Festivalgelände einen ausgewachsenen Carnivoren nicht mal an den Rand des Sättigungsgefühls. Aber zum Glück liegen gastronomische Kleinode nicht weit vom Stadtpark entfernt und laden mit kulinarischen regionalen Ergüssen zum Fleischverzehr ein.
Weil nur die wenigsten an den Tischen mit den schmutzigen Gästen der tschechischen Verständigung mächtig sind und "jedno pivo, prosím" nicht satt macht, gibt's das komplette magenfüllende Programm noch auf Deutsch übersetzt. "Brennender Attila" und "Rübezahls Feuer" schmecken genau so wie sie heißen und fordern ein neues "jedno pivo, prosím", was die Oraltemperatur auf ein erträgliches Maß sinken lässt. Aber mit vollem Bauch zurück zum Ort des musikalischen Geschehens:
(Thomas Fritzsch)
Wir sind rechtzeitig genug für die erste Band zurück. PATHOLOGICUM stammen aus Polen, eröffnen das 2005er Obscene Extreme und das leider nicht sonderlich originell. Doch die Tatsache, dass beim Obscene nicht alle Bands Kracher sind, ist noch vom letzten Jahr bekannt. Zugegebenermaßen ist der Porn (?) Grind der Polen an manchen Stellen recht rockig, jedoch allerhöchstens durchschnittlich. Gleich zu Beginn fällt auf, dass sich alle Bands strikt an die zeitlichen Vorgaben halten und so werden wir nach 20 Minuten schon wieder erlöst. Wäre ja auch noch schöner, wenn bei 19 (Freitag) beziehungsweise 27 Bands (Samstag) die Opener schon überziehen.
Zehn Minuten später stehen MALKAVIAN aus Italien auf der Bühne und müssen dem einsetzenden Regen Tribut zollen. Auch wir entfernen uns von der Bühne und schlendern über den Metal-Markt, der dieses Jahr kleiner scheint. Trotzdem zeichnet sich schon jetzt der ein oder andere Schnäppchenkauf ab, denn auch die deutschen Händler scheinen ihre Preise ein wenig dem tschechischen Niveau angepasst zu haben. Die erste Band haben wir also schon mal verpasst – nicht die letzte, wie mir schwant. Anwesende beurteilen MALKAVIAN mit "laut und gut", was ich gerne unkommentiert hier stehen lassen möchte.
Da es sich langsam einregnet (ein Umstand, der sich bis in den späten Abend hinein nicht ändern wird) und ich keine Lust habe, eine Erkältung wegen ein paar Grindcore-Bands zu riskieren, verziehe ich mich zu den Bayern (nein, es sind keine Österreicher) ins Bierzelt und gelange zu der sagenhaften Erkenntnis, dass vegane Burger gar nicht mal so schlecht schmecken, wie man vielleicht annehmen könnte, was mir von Thomas Kessel auch prompt bestätigt wird.
Schade, hab ich beim Essen doch glatt die deutschen C.M.P. verpasst. Naja, CAEDERE schau ich mir dann wieder an. Die fünf Holländer sind die erste Death-Metal-Band, auch wenn sie noch einen leichten Grind-Touch haben und avancieren zum ersten kleinen Highlight des Festivals. Ein wenig erinnert die Musik an alte CANNIBAL CORPSE, mit mehr Variationen in der Geschwindigkeit. (Falk Schweigert)
Inmitten von plätscherndem, nicht enden wollenden und auch nicht enden werdendem Regen auf der überdachten Veranda hinter der Bühne klingen die Niederländer CAEDERE (lat. "töten") sehr satt. Die allein stehenden Growls fallen auf im teilweisen Wechsel zwischen Blastparts und schleppenden Passagen, die zumindest im Trockenen etwas von Marschrhythmus haben. Diese Wechsel scheinen mit der variierenden Regenintensität zu korrespondieren, auch wenn nicht abschließend geklärt werden kann, ob die Musik oder die Wetterunbill den Takt diktieren. (Gretha Breuer)
Mit BOMBSTRIKE spielt im Anschluss eine Kapelle auf, von der ich dummerweise noch nie etwas gehört habe. Die Bande ballert ein dermaßen amtliches Brett in den Stadtpark von Trutnov, dass mir hören und sehen vergeht. Wo kamen die noch her? Schweden? Stammen nicht auch SKIT SYSTEM und WOLFBRIGADE von da? Sicher, woher denn sonst. Egal ob du es Crustcore, Hardcore oder punkigen Metal nennen willst – unumstößlich steht für mich das erste echte Highlight des Festivals. Wer auf eben genannte Bands und Stilrichtungen steht, kann sich den Namen BOMBSTRIKE gleich mal auf seinen Wunschzettel für Weihnachten schreiben. (Falk Schweigert)
Vermutlich sind an diesem Tag alle Trutnover Lagerbestände an Survival-Regenbekleidung an schmutzige Festivalbesucher verkauft worden. Die Leute vor der Bühne bei BOMBSTRIKE sehen jedenfalls wie ein Vereinstreffen der Billy Boy-Laienspieltruppe aus. Aber es kommt Bewegung in die Plastikmenge. Auf die Schützlinge des Berliner Yellow Dog-Labels passt eben hundertprozentig das Label Schweden-Crust.
Dieser Spielart verpflichtet, gibt es einen fetten Gitarrensound zu abwechselnd schwedischen und englischen Texten ohne irgendwann merklich den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Mit 'Stay On The Cross' von der "Kaos Och Djävulscap"-CD wird ein Lied den Trägern von Immortal-Shirts gewidmet, selbst wenn diese gar nicht unter den lustigen Plastemänteln sichtbar sind.
(Thomas Fritzsch)
THIRD DEGREE können dagegen nur abstinken, obwohl ich sagen muss, dass die Polen wirklich bemüht sind, Abwechslung in ihre meist recht kurzen Songs zu bringen. Leider werden die vorhandenen guten Ansätze im Death Metal recht schnell zu Tode gegrindet. Was sich auf einem Tonträger noch gut anhört, muss nicht zwangsläufig auch auf der Bühne ankommen, obwohl sich ein größerer harter Kern wacker vor selbiger hält und die Band feiert.
Kurz vor dem Essen gehen DISKONTO anzusehen, stellt sich als weise Entscheidung heraus. Die Schweden (woher sonst?) entfesseln eine richtig geile Crustcore-Dampframme (was sonst?) mit starker Schlagseite in Richtung Punk, weg vom Metal. Was für ein Hammer! (Falk Schweigert)
Als "typical Swedish Punk" preisen DISKONTO aus Uppsala denn auch ihre Weisen an, die sie in eben jener Sprache darbieten. Kurze Lieder mit langen Pausen auf Grind-Basis punkig bis hardcorig dargeboten ergeben diesen knackigen Crust-Punk. "If you dont’t care, what I say, it’s okay", outet sich Sänger Steffe mit arschlangen Dreads, dicker Brille und zerrissenem T-Shirt als Vertreter der Fuck off-Mentalität. Mit dem Cover 'Misery' von BASTARD verabschieden sich DISKONTO nach einer in der Tat als zu kurz empfundenen halben Stunde. (Gretha Breuer)
Ich vergebe mal zwei Punkte extra, weil die im Vergleich zum bisherigen Rest wirklich originell sind. (Ralf Sauerbrei)
Wer mal ein Ohr riskieren will, sollte unbedingt mal bei der Band vorbei surfen, denn auf der Homepage gibt es komplette Alben im mp3-Format zum Herunterladen. Das nenn ich mal antikommerziell. So kann es sich auch einer der angereisten schwedischen Fans nicht nehmen lassen, mit heruntergelassenen Hosen auf der Bühne zu stehen und der Welt sein bestes Stück zu zeigen; ein Umstand, der Sänger Steffe nicht gerade die Freudentränen in die Augen treibt.
(Falk Schweigert)
Die Polen DEVILYN sollen laut pflichtbewusst vor jeder Band präsentem Bühnenansager außerplanmäßig am Sonnabend spielen, doch wahrgenommen werden sie auf jeden Fall am kommenden Tag nicht.
Demzufolge müssen nun KRONOS auf der Bühne stehen, die dort Grind-Geknüppel mit Death-Growls, getriggerter Drum und Gitarrensoli-Ausflügen intonieren, während Stagediver in olivgrünen Regenmänteln über Regenschirme fliegen. Sänger Kristof der einzigen französischen Band beim Obscene Extreme grüßt alle Franzosen vor Ort, was weniger interessiert als die musikalischen Qualitäten, die vor der Bühne zu Jubel und emporgereckten Armen hinreißen. "Fuck me, Jesus!" brüllt Kristof, doch dass er sich aus Versehen mit MARDUK verwechselt, ist auszuschließen, handelt es sich bei ihm doch um einen bekennenden Peter Tägtgren-Fan. Dem wird denn wohl mit dem folgenden Song, akzentuiertem Death Metal, Rechnung getragen.
Die Anzahl der Stagediver macht schließlich selbst die ansonsten souverän agierende Security am Bühnenrand nervös, deren Bewegungen immer fahriger werden. Kristof gefällt’s: "You’re amazing!" lobt er das Publikum französisch charmant. Den letzten Song gibt’s dann "for organisation, bands and guests" in Form von 'Collosal Titan Strife', Grind-Gepolter mit starken Groove-Anleihen beim Melodic Death Metal. Oder sollte der nach sieben Stunden Regen einverleibte heiße Honigschnaps für den Groove sorgen? Wohl nicht, denn (Gretha Breuer)
"Franzosen machen des sowieso immer bissl anders." (Thomas Fritzsch) "KRONOS"-Rufe fordern eindeutig eine Zugabe, die immer neue Grind-Gewitter zwischen nicht aufgesetzt wirkende Gitarrensoli bettet. Schön war’s!
Der darauf folgende Ami-Grind von AMOEBIC DYSENTERY, für den sich Sänger und Gitarrist passend zum Staubsaugergesang in Einweg-Staubschutzanzüge geworfen haben, ist schnell vorbei. Macht aber gar nix... (Gretha Breuer)
...denn auf INGROWING scheinen eh mehr der Leute gewartet zu haben. Nach einem Mal aussetzen dürfen die Tschechen vom hauseigenen Obscene-Label dieses Jahr wieder ran und bieten der grindgierigen Meute im Regen, was sie haben möchte. Kurze Death-Grind-Attacken, die zwischen den snarebetonten Blastparts auch vor eingängigeren Gitarrenläufen nicht zurückschreckt. Eigentlich die richtige Mucke für den Spätnachmittagsimbiss, aber die Aussicht auf regenverdünntes Gambrinus-Bier lockt nicht für lange Zeit vor die Bühne.
Nach einem NEUROSIS-artigen Intro steht ein bekanntes, bärtiges Gesicht auf der Bühne und es wird abermals Zeit für den gepflegten Schwedensound des Herrn Tompa Lindberg und DISFEAR. Die Regenschirme weichen vom ersten Song an einem Moshpit, der die Liaison aus Punk und Schweden-Death in ausgelassene Bewegung umsetzt. Und so schlagen in unregelmäßiger, aber kurzer Reihenfolge schlammige Stiefel, Hände, Gliedmaßen auf die ein, die ganz dicht vor der Bühne stehen. Und da dies einer der wenigen trockenen Orte zu sein scheint, halten sich nicht wenige Stagediver auch gern länger dort auf, was der orange leuchtenden Security wiederum gar nicht passt – und schupps, ab in den Schlamm. Mit 'Desperation' gibts noch den obligatorischen Rausschmeißer eines jeden DISFEAR-Gigs und dann darf sich wieder abgeputzt werden. (Thomas Fritzsch)
Da ich DISFEAR wegen eines Wechsels in der Running Order auf dem Fuck The Commerce nicht sehen konnte bin ich umso gespannter. Leider schüttet es immer noch, was aber die Meute nicht davon abbringt sich vor der Bühne zu versammeln und mal gehörig im Schlamm zu pogen. Mag sein, dass es ebenfalls am Regen gelegen hat, auf jeden Fall ist Tompas Vocal-Sound erschreckend leise.
Den Fans vor der Bühne scheint es egal zu sein, denn sie feiern mit ihren Helden, die sich einmal mehr in Höchstform präsentieren, die Crust-Party des Jahres, wie es scheint. Songs wie 'The Horns' oder 'Dead End Lives' vom aktuellen Album werden genauso frenetisch bejubelt wie ältere Songs. Tompa bedankt sich kurz vor Ende des Gigs artig bei den Anwesenden und drückt sein Mitleid denen aus, die heute noch im Schlamm zelten dürfen – und das sind nicht wenige.
Nach einer kurzen Umbaupause entern die australischen Sickos BLÖOD DÜSTER die Bühne und liefern ebenfalls eine mehr als dynamische Show ab. Wirklich jeder einzelne Musiker ist permanent in Bewegung und ich frage mich, wie man da noch präzise ein Instrument bedienen kann. Der grindige Death Metal der Band sollte eigentlich jedem bekannt sein, falls nicht, solltet ihr das sehr schnell ändern, denn die Musik macht echt Spaß. Als dann der Sänger doch tatsächlich Curby, dem Veranstalter, der sich hinter der Bühne aufhält, zuruft "We need more blood", hat die Band bei mir vollends gewonnen. Curby wuselt tatsächlich auch gleich aufgescheucht los, schaut in sämtliche Flaschen, die hinter der Bühne so rumfliegen, kann aber nur Kirschlimonade entdecken, welche er sich nicht wirklich getraut anzubieten. Ein weiteres positives Ereignis: Es hat aufgehört zu regnen. (Falk Schweigert)
Dass Petrus dicht gemacht hat, ist schon erfreulich, doch der Rest? "We’ve come a long way to see fuckin’ European cunts!" BLÖOD DÜSTER lassen sich auch ansonsten nicht lumpen. Allesamt mit nackigem Oberkörper gibt’s "a song about Black Metal" vom Sänger mit Sonnenbrille, Piratentuch und umgedrehtem Kreuz um den Hals, schließlich ist man "the world police".
Euphorische Fans recken eine Australienflagge gen Bühne, die als BLÖOD DÜSTER-Beute auf der Bühne verbleibt. Der Wunsch "We want all the girls to show us their tits" geht nicht in Erfüllung, was wenig verwundert, da der Sänger Selbige – die "girls" mitsamt der "tits" – rabiat von der Bühne ins Publikum feuert. "Czech beer sucks. Czech beer is for homos." So setzt sich der aufgesetzte Provokationsfeldzug fort. Die kurz andauernde Aufregung im Publikum legt sich nach dem nächsten, Sekunden kurzen Grind-Song. Jetzt reicht es mit Prolo-Provokation und es bleibt nach dem schlammigen DISFEAR-Moshpit festzustellen: "Honey, I’m so dirty."
(Gretha Breuer)
Zum Abputzen taugt auch der Gig der österreichischen Freunde des kranken Humors von PUNGENT STENCH nicht. Beim Headliner des ersten Abends zeigt sich demzufolge wieder dichtes Gedränge vor der Bühne. Sänger und Gitarrist Martin Schirenc scheint es sichtlich Spaß zu bereiten und so werden die Klassiker vom "For God Your Soul...For Me Your Flesh"-Album gezockt. Dabei zeigen die drei Wiener ein Gespür für nackenbrechend eingängige Midtempoparts, eigentlich viel zu selten gehört auf diesem grindbetonten Festival. Und weil’s so schön auf der Headlinerposition ist, gibt’s als Zugabe noch einen Track aus den Annalen der Bandgeschichte. 'Molecular Disembowelment' von der 1989 erschienenen "Extreme Deformity" 7“ und die Nostalgiker bekommen nicht nur vom tiefen Blick in den Bierbecher feuchte Augen. (Thomas Fritzsch)
PUNGENT STENCH gewinnen das Publikum mit der Ansage, nur Songs von den beiden ersten Alben zu spielen, schließlich sei das hier ein Grindcore-Festival. Da erübrigt sich wohl jeder weitere Kommentar. Das zu toppen ist sowieso unmöglich, also falle ich in mein (trockenes) Zelt, obwohl noch einige Bands spielen werden, jedoch gehen die unzähligen Gambrinus zum Preis von knapp 0,80 Euro auch heute nicht spurlos vorüber.
(Falk Schweigert)
Doch ein Blick auf Purgatory wird noch riskiert. Schon weit nach Zwölf wird die intronale Präsentation der Rückenansicht von PURGATORY nach Augenzeugenberichten kurzerhand von einem Dreadlocks tragenden Gast zur Selbstdarstellung genutzt. Die verbliebenen Gäste finden’s lustig, die Musiker wirken etwas irritiert. Nach dem der blinde Passagier unter Jubelrufen von der Bühne transportiert wurde, konzentrieren sich die Sachsen auf ihren abwechslungsreichen Death Metal, so wie er auf der letzten CD "Luciferianism" eindrucksvoll dargeboten wurde.
(Thomas Fritzsch)
- Redakteur:
- Gretha Breuer