Obscene Extreme - Trutnov (CZ)
29.07.2005 | 20:2001.01.2000, Stadtpark
Samstag, 9. Juli 2005
Samstags heißt es in Trutnov immer frühzeitig aufzustehen, denn bereits um 10 Uhr wird der zweite Teil des Spektakels eingeläutet. In diesem Fall nennt sich die Band PROFESSOR LEFEBVRE. Ich muss den Tschechen bescheinigen, die undankbare Position des Openers zu einer noch undankbareren Zeit ganz ordentlich gemeistert zu haben, immerhin können sie mit zweistimmigem Grindcore aufwarten. Sie haben zwar im Gitarrenbereich noch etwas Nachholbedarf, denn hin und wieder klingen die Rifffolgen ein wenig konstruiert.
Außerdem haben sie einen offensichtlich extrem schüchternen Bassisten, der während des Gigs kein einziges Mal einen Blick in Richtung Publikum wirft und sich gerne mal hinter den Boxen versteckt.
Wir beschließen kurzerhand, unsere inneren Biervorräte wieder aufzufüllen und machen einen Abstecher ins Bierzelt, welches um die Uhrzeit schon wieder gut besucht ist. Eine Stunde dauert der Ausflug etwa, das sind umgerechnet drei Biere oder auch zwei Bands.
Die nächste, die wir dann wieder zu Gehör bekommen sind EXHALE – ebenfalls aus Tschechien – welche sich durch den mit Abstand kleinsten Sänger des Festivals auszeichnen. Ungelogen – ich dachte, dass es sich bei dem Knaben um eins von Curbys Kindern handelt, welches samstags die Bands ankündigen darf. Nachher schnappte sich der Bursche aber doch das Mikro und brüllte sich durch das zwanzigminütige Set voll von durchschnittlichem Death-Grind, der nur wieder mein Vorurteil bestätigt, dass es hier nicht tragisch ist, die ersten Bands zu verpassen.
So, in zweieinhalb Stunden spielen die isländischen FORGARDUR HELVITIS Zeit für einen Abstecher nach Trutnov, um sich an herrlichem Essen zu laben. Leider entscheiden wir uns nicht gerade für das schnellste Restaurant und so zieht sich der kurze Abstecher mal eben geschlagene drei Stunden hin, so dass wir von den Isländern leider nichts zu sehen bekommen. Schade, ich hatte mich echt darauf gefreut. (Falk Schweigert) Ätsch!
Wer bei Island an Rauschebärte, Methörner und zäh fließende Lava denkt, den grinden FORGARDUR HELVITIS gleich von Beginn an ordentlich nieder. Basser Maddi verbringt die Flitterwochen zum Obscene Extreme mit seinen Bandkumpels, ob die nach alter Pagan-Tradition getraute Anna dabei ist, wurde nicht verraten. Die Anreise bezahlt die Stadt Reykjavík aus dem Topf für Bands die im Ausland spielen möchten – durchaus nachahmenswert.
Musikalisch geht’s ordentlich in die Fresse, da werden auch gleich ein paar Songs vom neuen Album am Stück angesagt. Zwischen den Grindhackern schleichen sich jedoch gelegentlich crustige und midtempolastige Passagen auflockernd ein und lassen einen beim letzten Song 'A Beautiful Day' einen bejahenden Schluck aus dem Bierbecher nehmen. (Thomas Fritzsch)
DEATH REALITY bekommen wir dann aber zu sehen. Die deutschen Death Metaller sollten den meisten eigentlich bekannt sein, konnten sie sich doch auch in der jüngeren Vergangenheit auf diversen Festivals und Konzerten einen guten Ruf erspielen. Die auf den Alben noch stark vereinzelt auszumachenden Grind-Elemente verschwinden auf der Bühne komplett. Leider sind auch einige Gäste verschwunden, denn die kleine Meute vor der Bühne wird einer solchen Band nicht gerecht. Vielleicht haben sich die Meldungen über die sehr gute Arbeit der Band noch nicht bis nach Tschechien herumgesprochen.
Was soll’s? Sänger Jürgen kümmert es offensichtlich nicht so sehr wie mich, denn er hat sich augenscheinlich vorgenommen, gute Laune zu verbreiten. Na ja, der Auftritt selbst war auf jeden Fall in Ordnung. (Falk Schweigert)
Bei DEATH REALITY wird auch das Geheimnis des Obscene Extreme-Sounds geknackt: Ein leichter Hall-Effekt lässt den Sound voller und härter klingen.
Die Niederländer COLLISION jagen zunächst blasphemischerweise Britpop durch die Grindverstärker, bevor sie postwendend zu aggressivem Grind mit pointierten Kreischern übergehen. Zwei Sänger mühen sich redlich, das "New Age Of Stupidity" zu verfluchen, welches nach einem schön groovigen Death-Metal-Einstieg volles Tempo auf die Omme ballert, um gleich darauf die "New Era Of Stupidity" zu besingen. Um welche COLLISION-Songs es sich dabei wirklich handelt, bleibt deren Geheimnis.
Hautsache "goin' nuts"!
Gegen Ende ihres Gigs beeindrucken die darauf folgenden MINDSNARE aus Italien mit äußerst gut abgestimmten Gitarrenspiel bei 'You Are My Enemy'. War dies der Vorlauf zum SLAYER-Cover 'Raining Blood'? Eine absolut tight gespielte Version lässt es vermuten. "So macht man kleine Jungs glücklich", seufzt ein Umstehender.
Drei Glatzköpfe und ein langhaariger Bassist, das sind die Briten SCREAMIN' DAEMON, die rhythmischen und gitarrenlastigen Grind in Death-Richtung darbieten, wobei vor allem die Refrains grindig rausgerotzt werden. Dass es sich hierbei nicht um eine Verlegenheitslösung handelt, die musikalisches Unvermögen couvrieren soll, beweisen die dicht ineinander verwobenen, flirrenden Gitarren. Sänger Reverend Trudgill bedauert zwar, dass es nicht mehr regnet, weil er "wanted to see us wet". Das hält ihn aber nicht davon ab, mit "wet London streets" Geschichtenerzähler-Stimmung zu verbreiten, bevor einer der Massenmördersongs des bislang einzigen SCREAMIN' DAEMON-Albums "The Decline Of The English Murder" angestimmt wird.
Von der Band selbst als Blackened Murder Metal bezeichnet, hat diese explosive Grind-Mischung aber auch gar nichts mit Halbgaren wie MACANRE zu tun, auch wenn das Themen-Spektrum sich auf das gleiche Sujet beschränkt. Der musikalische Umgang mit Metal-Klischees hat das Kindergarten-Niveau nämlich weit hinter sich gelassen, so dass auch Death Metal mit Black-Metal-Gesang stimmig ins Halbrund geschmettert wird. Darüber, ob das Propagieren von Mord an sich legitim sei, darf an anderer Stelle disputiert werden – lustig klingt es schon, wenn das Lied über Dennis Wilson, der im London des 17. Jahrhunderts 15 Homosexuelle getötet hat, als 'Dennis Was A Homosexual Menace' angesagt wird.
Nachdem zwei weitere Serienmörder verarztet wurden, stellt sich die Frage 'What Shall We Do With The Evil Doctor?' und zwar zur Melodie – nicht dem Tempo – von 'What Shall We Do With Drunken Sailor'. Weiter geht’s im Text: "Hooray, get up, she rises early in the chapel". Kurzweilig sind sie, SCREAMIN’ DAEMON.
Crust bieten STOMA feil. Zwei Sänger teilen sich basisdemokratisch das, was es zu kreischen und zu grunzen gibt. Bisweilen scheint Death Metal mit deftigen Blastpart-Passagen durch. Bevor es "one about final ejaculation" gibt, fliegt eine schwarze Plastikkatze mit aufgestelltem Schwanz, die vorher auf einem Hut gewohnt hat, meterhoch über den Moshpit, um vor der Ladung die Flugbahn der Stagediver zu kreuzen. Das NAPALM DEATH-Cover 'From Enslavement To Obliteration' beschließt den Gig der Niederländer. (Gretha Breuer)
Erneut im Bierzelt angekommen, legt mir Patte nahe, den Auftritt von STOMA auf keinen Fall an mir vorbeiziehen zu lassen. Natürlich folge ich dem Rat des weisen Mannes, und was ich zu sehen bekomme, ist schon wahnsinnig beeindruckend. Durch die Mischung aus hardcore-beeinflusstem Grindcore und Death Metal gelingt es den Holländern, die Massen das erste Mal am heutigen Tag so richtig in Bewegung zu setzen, soll heißen, dass sich vor der Bühne mehr als ein Moshpit bildet.
Mit Songtiteln wie 'Sodomized At The Gay Parade', 'Kaviar Schlampe' oder 'Feasting On A Vegan Cadaver' wird es den echt sympathischen Jungs sicherlich innerhalb kürzester Zeit gelingen, sich in die Herzen von Millionen Menschen zu spielen.
(Falk Schweigert)
Die Hannoveraner Death-Grind-Punks von [AUDIO KOLLAPS] http://www.audiokollaps.de/ schleudern am späten Nachmittag ihre wütenden P.C. Botschaften in den Trutnover Stadtpark. Es geht gegen Krieg und ihn unterstützende Regierungen, ok. Aber was ist gegen Arbeit einzuwenden? "Fuck off working, live your lives!" Musikalisch extrem, aber diese plakativ aufgesetzte Polit-Attitüte wirkt mit der Zeit reichlich abgenutzt. (Thomas Fritzsch)
Ich kann mich noch gut erinnern, als ich die Band das erste Mal live in Jena sah. Da gingen mir die eigentlich recht umgänglichen Hannoveraner tierisch auf die Nerven mit ihren Ansagen und auch der Botschaft der Texte. Mittlerweile hat sich mein Ärger jedoch gelegt, und ich lasse mich nicht von früheren Gedanken bei meiner Beurteilung leiten. Wenn man fünf Leute fragt, wie die Musik von AUDIO KOLLAPS klingt, bekommt man wahrscheinlich sechs Antworten.
Ich bemühe mal den Deathcrust im Stile der frühen NAPALM DEATH- und E.N.T.-Scheiben. Meinetwegen kannst du es auch einfach nur Grind nennen. Auf jeden Fall gehen sie ganz gut ab und bereiten die Anwesenden optimal auf das nun Folgende vor.
SAYYADINA haben sich angekündigt und zerbersten mit ihrem Fastcore alles, was nicht festgewachsen ist. Eigentlich verwende ich diesen Begriff ja nicht so gerne, aber Grind und Crust sind heute schon so oft gefallen. Bei SAYYADINA singt der ehemalige Bassist von NASUM, am Schlagzeug sitzt der Drummer von BIRDFLESH sowie GENERAL SURGERY und die Band lässt keinen Zweifel aufkommen, dass sie in den Disziplinen Brutalität und Tightness heute sicher als Sieger das Schlachtfeld verlassen wird. (Falk Schweigert)
Die Schweden zaubern tatsächlich mit ihrer grindlastigen Crustmischung wieder den Regen herbei, es fehlte ja schon fast was. Demzufolge wird in schneidigen Regencapes gemosht und gedived, zur Not auch in rosa Leggins – autsch fürs Auge. Klingt absolut kurzweilig, was SAYYADINA auf der Bühne zocken, und das nicht nur aufgrund der Songkürze.
(Thomas Fritzsch)
So jetzt gibt’s erst mal wieder was zu futtern, diesmal aber nur eben in die Kneipe nebenan, denn da ist es zwar nicht besonders lecker dafür vergleichsweise teuer, aber die Mädels sind schneller. Trotzdem verpassen wir zwei Bands und finden uns während des Auftritts von AVULSED am Bierstand ein, der sich weit oberhalb der Bühne befindet. Die Spanier konnten mich noch nie so richtig fesseln. Sicher können die Jungs spielen und gute, schnelle Songs schreiben, allerdings habe ich nicht wirklich große Unterschiede zu anderen Death-Metal-Bands ausmachen können.
(Falk Schweigert)
Als "best Grindcore band from Sweden" werden REGURGITATE angekündigt und der Ansager hat sich auch diesmal nicht geirrt. Das Intro mit gurgelndem Röcheln mündet in ein Feuerwerk gut einminütiger, von Death Metal beeinflusster Grind-Kracher, die sogar Songwriting erkennen lassen. Einer der Stagediver ist gar der Ansicht, seinen Sprung nur mit Gasmaske überstehen zu können, dabei ist die Schlammwüste nach einem Tag ohne Regen merklich abgetrocknet, auch wenn der lehmige Boden am Fuß des Riesengebirges noch lange keinerlei Anzeichen von Staub aufweist. 'Annihilation Meets Deprivation' heißt es nun, ein Song wie viele heute Abend vom "Deviant"-Album. Der abwechslungsreiche Grind mit Kreischstimme animiert zum Rumhopsen und der Sänger begeistert: "The audience is awesome tonight." Die Zeit vertreiben sich Andere anders, denn... (Gretha Breuer)
...REGURGITATE haben mich vor einigen Jahren auf dem Fuck The Commerce böse enttäuscht, weswegen ich vom Bierstand den Weg direkt ins Bierzelt antrete. Es macht auch wesentlich mehr Spaß, sich mit meinen bayerischen Freunden über Filme zu unterhalten. Hab ich "unterhalten" gesagt? Ach was! Thomas, Arthur und sein Bruder Peter spielen die Filme kurzerhand vor und laufen dabei zu schauspielerischer Höchstform auf. Egal ob "Yu On", "The Eye", "Saw" oder "Dark Waters", die drei Kuschelbären um ihren heimlichen Kuschelkönig Patte (sie wollen, dass ich das so schreibe) haben einfach zu jedem Film ein paar Szenen drauf und unterhalten damit sicher nicht nur mich, sondern auch andere Gäste des Zeltes.
Rechtzeitig zum Gig von HAEMORRHAGE sind wir aber wieder im Bühnenbereich. Ich mach mir jetzt nicht die Mühe, alle Eindrücke hier wiederzugeben, ich denke, die meisten wissen wie sich die Spanier live präsentieren – genau die richtige Musik für all die kaputten und abgedrehten da draußen. Auf jeden Fall ist es sehr souverän und fehlerlos. Leider enden an dieser Stelle seltsamerweise auch meine Notizen.
(Falk Schweigert)
Selbst nach HAEMORRHAGE sind die Leute noch begeisterungsfähig. ISACAARUM, auf jedem Obscene Festival zu Hause, treten zur Abwechslung mal ohne den vorherigen Griff in den Bluteimer auf. Sänger Chimus trägt heute ein Lackleibchen, dessen er sich später entledigt und Basser Jimmy neben Schweißerbrille ein schickes Netzhemd. Die tschechischen Sickos kommen auch ohne dieses am Wochenende oft gebrauchte Accessoire aus. Und eigentlich passt Blut ja nicht hundertprozentig zum selbst propagierten Sperm-Metal, oder? (Thomas Fritzsch)
Die folgenden obligatorischen tschechischen Grind-Bands für Liebhaber bleiben eben jenen vorbehalten, denn der komatöse Schlaf im Zelt übermannt selbst ohne Ohropax.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich sogar mit dem nahezu durchgängigen Regen am Freitag beinahe alle arrangieren – und sei es per Druckbetankung, was bei Bierpreisen von etwa 80 Cent nicht schwer fällt, von schlechter Laune jedenfalls keine Spur. Lediglich die Securities hinterlassen in ihren orangefarbenen T-Shirts – wenn auch nur ab und zu – einen relativ angepissten Eindruck. Allerdings dürfte ihr der Alkoholpegel bei weitem unter dem des internationalen Publikums liegen. Innerhalb von einer Stunde kann man mit Italienern, Polinnen, Griechen und Franzosen im Bierzelt plaudern, und selbst die zunächst mit Analakrobatik und Nudelsauce im Gesicht äußerst grenzwertig erscheinenden Schweden entpuppen sich im Gespräch als ganz normale Jungs. I'll be back!
(Gretha Breuer)
Es spielten mit:
Falk Schweigert – Deutsche Eiche and Grindo Bastardo from Silentium Noctis
Ralf Sauerbrei – Review Diktator from the Depths of Thüringer Wald
Thomas Fritzsch – Grindfucker of the Apocalypse and the Unholy Stadtpark
Gretha Breuer – Pippi Langstrumpf of Death Metal and Brünhild from Hell and Below
- Redakteur:
- Gretha Breuer