PARADISE LOST, PALLBEARER und SINISTRO - Zagreb

27.10.2017 | 23:36

14.10.2017, Boogaloo Club

Gibt es auch die livehaftige Rückkehr zum Death-Doom?

In Kroatien scheinen die Uhren etwas anders zu ticken als bei uns. Wenn man in München zu spät dran ist, kann es sein, dass man die Vorband bereits verpasst hat. Hier hat der Boogaloo Club zur angekündigten Anfangszeit noch gar nicht geöffnet. So warten wir zu dritt bei angenehmen Temperaturen draußen und diskutieren über PARADISE LOST. Die Wiederbelebung des alten Death-Metal-Sounds inclusive Growls auf dem aktuellen Album "Medusa" hat uns allen nicht so sehr geschmeckt und wir hoffen sehr, dass das Konzert nicht allzu sehr von derartigen Songs geprägt wird.
Sinstro_Zagreb_2017Der Boogaloo Club ist drinnen sehr angenehm, es gibt kaum Wartezeiten bei den Getränken und schnell fließen die ersten Vodka Tonics die durstigen Kehlen runter. Los geht es mit SINISTRO aus Portugal. Die Band spielt einen schweren Doom-Metal-Sound mit gelegentlichen Ambient- und Post-Metal-Anleihen. Blickfang ist eindeutig Sängerin Patricia Andrade, und das gar nicht mal wegen ihres Aussehens, sondern eher ob des sehr eigenwilligen Stageactings. Offenbar spielt sie hier eine gepeinigte Seele und die Szene, in der sie sich fast selbst erwürgt, wirkte auf einige ziemlich verstörend. Ihre extravagante Stimme ist hierbei sicher Geschmacksache. In meinem Ohr schafft sie es ganz gut, die zähflüssige, bisweilen aber auch zerbrechliche Musik zu untermalen und interessanter zu machen, doch auf Dauer wirkt SINISTROs Musik auch zunehmend nervig, zumal auch der Sound viel zu laut und basslastig ist und mit der Zeit die Ohren ganz schön zermartert.


Pallbearer_Zagreb_2017


PALLBEARER habe ich vor dem Konzert ein paarmal angecheckt. Diese Art von Epic-Doom, bei der ein dünnes Stimmchen versucht, tonnenschwere Riffs mit langgezogenen, weinerlichen Melodien auszukleiden, funktioniert in meinem Ohr nur selten und bei PALLBEARER auf Konserve gleich gar nicht, zumal deren Musik eine seltsam beklemmende Stimmung durchzieht. Live ist der Eindruck aber deutlich besser. Die Amerikaner (optisch hätte ich schwören können, dass das Schweden sind) zeigen eine hohe Agilität auf der Bühne und die Musik hat deutlich mehr Drive und Energie als die von SINISTRO. Leider ist es nicht die Art von Energie, die einen zum Bewegen animiert, dazu ist die Musik von PALLBEARER über weite Strecken doch zu behäbig. Doch die Band verziert die Musik schön, mit für Doom-Verhältnisse auch ungewöhnlicher Melodik und spielt sich bei den meist überlangen Songs teilweise in einen echten (Lautstärke-)Rausch. Leider sind die Vocals für diesen Stil sehr generisch und selbst wenn drei Mannen gleichzeitig singen, kommen sie durch die Soundwall nicht durch. Doomer werden aber sicher sagen, das muss so sein. So ist mein Fazit "besser als erwartet" durchaus positiv zu sehen.

Nun aber endlich zu PARADISE LOST. Zu deren Live-Qualitäten gibt es ja durchaus kritische Stimmen. Zu statisch, zu blutleer heisst es. Allerdings ist eine meiner Begleiterinnen auch deswegen mitkommen, weil sie über PARADISE LOST on Stage nur Positives gehört hat. Sind wir hier vielleicht nur zu verwöhnt oder überkritisch?

Paradise_Lost_Zagreb_2017Für mich wird gleich nach den ersten Songs jedoch wieder klar: Nick Holmes ist weiterhin weit davon entfernt, ein charismatischer Frontmann zu sein. Das Live-Singen scheint einfach nicht sein Lieblings-Metier, es wirkt alles sehr pragmatisch und es kommen mir hier zu wenig Emotionen rüber. Dazu hört man seinen Gesang zunächst auch kaum, und insbesondere die Growls wirken blutleer. Hat er denn wirklich wieder Bock so zu singen? Man denke hier nur an Meister wie Mika Akerfeldt, wo einem immer noch das Blut in den Adern gefriert, wenn er zum Röhren ansetzt.

Paradise_Lost_Zagreb_2017Mit allem anderen jedoch bin ich so einigermaßen zufrieden. Gott sein Dank, hat man die Lautstärke etwas gedrosselt und die Band spielt sich routiniert und tight durch ein alles in allem recht kurzweiliges Set, das für Fans aller Phasen der Band etwas zu bieten hat. Natürlich haben die aktuellen Songs einen Extra-Platz (als Opener, in der Zugabe und dreimal zwischendrin), doch im Kontext einer Liveshow fügen sie sich recht homogen in das wechselhafte Oeuvre der Briten ein. Im direkten Vergleich mit 'Embers Fire', 'One Second', 'Tragic Idol' oder dem unverwüstlichen 'As I Die' haben sie in meinem Ohr allerdings keine Chance. Wie kann man sich auch freiwillig von der Möglichkeit trennen, seine Songs durch eine Gesangs-Melodie zu prägen? Und es ist mein Eindruck, dass nicht nur uns sondern auch vielen Zuschauern beim zähen
'Beneath Broken Earth' nach zwei Minuten die Füße einschlafen.  Doch wie sagt man so schön: "It’s all a matter of taste". Wir freuen uns jedenfalls riesig, dass PARADISE LOST diesem Abend tatsächlich mit dem besten Song beendet. Und das ist 'Say Just Words'. Hier kommt nochmal so richtig Bewegung in die Beine des Publikums (das sich überraschenderweise in punkto Enthusiasmus und Temperament kaum vom Münchner "Entertain-Us"-Publikum unterscheidet), das sich sicher noch ein paar mehr solcher flotten Rocker gewünscht hätte. Doch auch so kann ich für PARADISE LOST ein am Ende überzeugtes "besser als erwartet" als Fazit setzen. Leider klingeln die Ohren auch ein Tag nach dem Konzert noch und ich wiederhole es gerne wieder: So ein Lautstärke-Overkill muss doch einfach nicht sein!

Setliste: Gods of Ancient; Remembrance; From the Gallows; One Second; Tragic Idol; Medusa; Shadowkings; An Eternity of Lies; Faith Divides Us - Death Unites Us; Blood and Chaos; As I Die; Beneath Broken Earth; Embers Fire;
Zugaben: No Hope in Sight; The Longest Winter; Say Just Words;

Redakteur:
Thomas Becker

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