PHIL CAMPBELL AND THE BASTARD SONS - Aachen

28.09.2023 | 14:21

25.09.2023, Musikbunker

Wer war jetzt eigentlich die Hauptgruppe?

Seit 2016 ist der frühere MOTÖRHEAD-Gitarrist mit seinen Söhnen als PHIL CAMPBELL AND THE BASTARD SONS aktiv. Kürzlich erschien das mittlerweile dritte Langeisen "Kings Of The Asylum". Derzeit ist die Band auf Tour, am 23. September stand der Gig im Aachener Musikbunker an.

Uff, das ist mein erstes Konzert, bei dem der Konzertbeginn vor dem Einlass liegt. Keine Ahnung, wie man so etwas hinkriegt, aber zum Zeitpunkt des angekündigten Veranstaltungsbeginns wartet eine Menschenschlange vor der verschlossenen Tür. Als diese irgendwann doch noch aufgemacht wird und man durch Treppen und Gänge endlich den Saal erreicht hat (Hinweis für Nicht-Öcher: Der Name Bunker ist keine Show, das ist ein echter Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg), ist die erste Gruppe TYLER LEADS mitten in ihrem Auftritt. Welche Musik die Recklinghäuser Band genau spielt, ist bei dem völlig übersteuerten Sound kaum auszumachen. Da sie schon beim drittletzten Stück ist, bleibt auch nicht mehr viel Zeit zur Klärung. Wenn in dem Soundmatsch aus schwammigen Riffs und knallenden Drums, Leadgitarren und teilweise mehrstimmiger Gesang zu erkennen sind, drängt sich die Vermutung auf, dass hier ein gut arrangierter, melodischer Metal vorliegt. Am Ende vermute ich, eine recht gute Band gesehen zu haben. Eine spätere YouTube-Recherche und Marcels lobende Rezension des Albums "Planetary Movement" bestätigen diese Vermutung.

 

Nach der Umbaupause betritt FURY aus dem UK die Bühne, ein Quintett mit vierzigprozentiger Frauenquote, bei dem sich ein weibliches und ein männliches Mitglied die Lead Vocals teilen. Hier ist ein rustikalerer Metal angesagt, soweit der grottige Sound diese Annahme zulässt. Gitarrensoli stehen dann an, wenn der Leadgitarrist die Finger einzeln statt in Griffen über den Hals sausen lässt. Zu hören sind sie nicht. Bemerkenswerterweise ist ausgerechnet der Bass das einzige Instrument, das gut und plastisch hörbar ist. Trotz dieser Widrigkeiten gewinnt die Gruppe mit Titeln wie 'It's Rock n' Roll' und 'Prince Of Darkness' allmählich das Publikum. Mit der Zeit verbessert sich der Sound ein wenig, und gegen Ende ist bei 'Road Warrior' sogar das Solo wahrnehmbar.

Als die Bühne für die Hauptgruppe bereitet ist, geht das Licht aus, und vom Band wird DEEP PURPLES 'Highway Star' gespielt. Von großem Jubel begrüßt, kommt PHIL CAMPBELL AND THE BASTARD SONS auf die mit einer walisischen Flagge geschmückten Bühne und legt mit dem MOTÖRHEAD-Klassiker 'Iron Fist' los. Es ist ein seit Jahrzehnten beobachtbares Phänomen, dass die Soundqualität sich schlagartig verbessert, wenn ein Hauptact von der Insel ihren Auftritt beginnt. Merkwürdig! Weiter geht es mit dem coolen 'Damage Case' und dem jüngeren Konzertfavoriten 'Rock Out'. Beim 90er-Jahre-Knaller 'Born To Raise Hell' initiiert Frontmann Joel Peters Wechselgesänge des Publikums. In der Bühnenmitte steht Ruhepol Tyla Campbell an der Bassgitarre, mit seinem dichten Vollbart sieht er aus, als hätte er für das Bandmaskottchen Modell gestanden. Nachdem Joel Peters das Aachener Publikum aufgefordert hat, den armen Tyla mit einem wohlbekannten F-Wort zu begrüßen, lässt dieser seinen Bass grollen, und das markiert den Einstieg in das frenetisch abgefeierte Lied vom Pik As.

Spätestens als dann auch noch die MOTÖRHEAD-Skurrilität 'R.A.M.O.N.E.S.' und HAWKWINDs 'Silver Machine' aus Lemmys Proto-Motorenkopf-Phase gespielt wird, fragt man sich, wann denn die Band gedenkt, eigenes Material vorzutragen. An dieser Stelle spoilere ich: Gar nicht. Nachdem wir, wie gehabt nach Brasilien gegangen sind, ist mein persönlicher MOTÖRHEAD-Favorit 'Killed By Death' an der Reihe, eine der ersten MOTÖRHEAD-Beteiligungen Phil Campbells. Vater Phil und Sohn Todd wechseln sich bei den Soli ab. Während der Senior sich nicht vom Fleck bewegt, ist der Junior, soweit es die beengte Bühne zulässt, unterwegs, kommt hin und wieder an den Bühnenrand und sucht den Kontakt zum Publikum.

Schließlich stellt Mr. Peters auch Schlagzeuger Dane Campbell vor, der es daraufhin in Philthy-Animal-Tradition mächtig kesseln lässt. Und wir düsen im Sturzflug in den 'Overkill', der wieder mal in einer überlangen, rauschhaften Fassung abgefeuert wird. Nach diesem Lied hat Lemmy immer Schluss gemacht, und so hält es auch PHIL CAMPBELL AND THE BASTARD SONS. Als sie nach knapp 60 Minuten die Bühne verlassen, erwartet natürlich jeder noch eine Zugabe. Aber als die Roadies die Anlage abbauen und schließlich das Licht angeht, wird klar: Das war's!

Uff, das war mein erstes Konzert, bei dem die Hauptgruppe nicht einmal eine Stunde gespielt und nicht ein einziges eigenes Lied dargeboten hat. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Rockmusik in eine neue Epoche eingetreten ist. Die Rockmusik, die Musiker und die Fans sind alt geworden. Früher war man jung, wild und hungrig auf Neues. Heute erfreut man sich am Gewohnten und hört, was man immer schon gehört hat. In der Warteschlange vor der verschlossenen Tür konnte man etliche ältere Semester mit MOTÖRHEAD-T-Shirts sehen, und deren Erwartungshaltung wurde vollumfänglich bedient. Ich will nicht meckern. Es war ein zwar kurzes, aber großartiges Konzert, und selbstverständlich habe auch ich die Klassiker-Setliste genossen. Aber auf der Bühne standen vier junge Leute, deren eigene Musik überhaupt nicht gespielt wurde, deren eigene Musik nicht einmal die Chance bekommt, Klassikerstatus zu erlangen, weil die Alten für einen Abend noch mal ihre Jugend nacherleben wollen.

Wer PHIL CAMPBELL AND THE BASTARD SONS live erleben möchte, hat im Rest des Jahres noch einige Gelegenheiten dazu.


Setliste: Iron Fist; Damage Case; Rock Out; Stay Clean; Born To Raise Hell; (We Are) The Road Crew; R.A.M.O.N.E.S.; Ace Of Spades; Silver Machine; Going To Brazil; Killed By Death; Overkill

Redakteur:
Stefan Kayser

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