Popkomm - Berlin
28.10.2004 | 03:5430.09.2004,
ALARM!!! Die Popkomm gastiert zum ersten Mal in Berlin, Ausnahmezustand zwischen dem 29. September und dem 1. Oktober. Insgesamt sind alleine 15.400 Fachbesucher da, dazu 663 Aussteller aus insgesamt 41 Ländern. Wo tagsüber gefachsimpelt wird, steigen abends in der Hauptstadt selbst in den kleinsten Kabuffs tolle Konzerte und Partys. Zum Beispiel im "K17", wo sich gut 200 Leute drängen. Der Club macht zwar nicht offiziell bei der Popkomm mit, trotzdem lassen es sich KATATONIA nicht nehmen, ihre einzige diesjährige Clubshow in Deutschland gerade hier in Berlin abzuziehen - genug internationale und nationale Presse ist schließlich in der Stadt. Doch vor den Schweden dürfen zwei Berliner Bands ran: Erst SEQUENCE, dann SPLINTER. Welche der beiden Truppen langweiliger ist, lässt sich auch Wochen später nicht gänzlich feststellen.
SEQUENCE "begeistern" mit einem kleinen stämmigen Sänger samt Brille und längeren Locken; und sie produzieren dabei viel Gefietsche. Der Rest ist eine Art möchtegernprogressiver Alternative-Kram, der auch schon mal an PEARL JAM erinnnert und dazu einen Schuss Gothic enthält. Die Reaktionen im Publikum bleiben aus, die vier Typen auf der Bühne spielen für sich alleine. Sonst passiert nichts. Ein passender Witz eines Kumpels: "Wenn du einen Metaller schlägst, dann haut der zurück. Schägst du einen Gothic, dann schreibt er ein Gedicht." Diese Weisheit bildet auch die perfekte Überleitung zu SPLINTER, die den akustischen Trauerzug des Abends fortsetzen. Die fünf Jungs und ihre obligatorische Keyboarderin haben nicht nur wegen des beschissenen Sounds einen schweren Stand. Auch hier halten sich die Emotionen im Publikum im Gefrierfachbereich. Woran liegt's? An dem THE CURE-Einschlag, der so gar nicht zum Publikum im "K17" passen will? Oder an dem Sänger in weißem Hemd und Wrack? Oder einfach an seiner grausamen Stimme? Egal wie, Gothic Rock dieser Art ist und bleibt schlicht überflüssig, ob nun Trend oder nicht.
Zum Glück verschonen KATATONIA die Fans mit einer weiteren Vorband der unfeinen Art und kommen nach langer Wartezeit endlich selbst auf die Bühne. Diese Jungs verbreiten wahrhaft klischeefreie Kitschromantik, hier wirkt nichts aufgesetzt, hier stimmt jeder Ton, hier regiert pure Schönheit ohne Pomp, diese Schweden sind schlicht voller Stil und Würde. Von ihren Black-Metal-Roots sind KATATONIA inzwischen gleichwohl meilenweit entfernt, nur der nietenbewehrte Gitarrengurt des Bassisten erinnert an die wilden Zeiten eines Albums wie "Brave Murder Day". Auch Jonas Renkse selbst ist im Vergleich zu den glorreichen Tagen Anfang bis Mitte der 90er eher in die Breite gegangen und hat deutlich an Masse zugelegt. Generell wirken KATATONIA anno 2004 optisch kaum noch wie eine Metalband, sondern eher wie eine Studentenkombo. Doch musikalisch bleiben sie Götter, Heilige des langsamen Gothic Rock, des melancholischen Dark Metal. 'Black Session' vom 99er-Album "Tonight's Decision" oder 'Sweet Nurse' vom zwei Jahre darauf erschienenen Nachfolger "Last Fair Deal Gone Down" sind zeitlos schöne Düsterperlen, herrlich umrahmt von einer tollen Lichtshow, ausgefüllt von der magischen Joans Renkse-Stimme. Sie spielen nur neuere, ruhigere Sachen, diese Schweden, es wird aber dennoch an keinem Punkt eintönig, die Melodien fräsen sich geradezu ins Hirn. Das Publikum tanzt, Frauen und Männer mit geschlossenen Augen und verzauberten Lächeln. Ganz am Schluss, nach mehr als einer Stunde endloser Musik und herrlichem Seelenschmerz, ganz am Ende dann kommt doch noch ein Song für Nostalgiker. 'Murder' vom "Brave Murder Day"-Hit - 'Murder' endlich bringt den noch vermissten Mini-Mosh für den Abend und beißt nach der ruhigen Melancholie der restlichen KATATONIA-Songs kraftvoll ein Stückchen Trommelfell aus dem Ohr heraus. Schön, wenn sich die akustische Pein so wohlig-lieblich ins Fleisch schneidet.
Die seelisch-körperliche Erholung dauert nur kurz. Eigentlich soll es am nächsten Tag zu SUSPERIA und MORTIIS gehen, sie sollen im "Asgard" spielen, dass sich irgendwo im Arsch von Berlin, also ganz weit draußen in Marzahn befindet. Anruf im Club, dort die Mitteilung: Die Bands spielen nicht. Die Technik im Club ist wohl zu schlecht für die Jungs, kein Wunder, soll das "Asgard" soll doch auch 'ne Bruchbude sein. Schade. Das Beispiel zeigt aber gut, was Bands so auf sich nehmen um bei der Popkomm zu spielen und die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen. SUSPERIA und MORTIIS hätten wohl ein Jahr eher in Berlin buchen sollen... Schade.
Doch in solchen popkommerziellen Zeiten gibt es genug Entschädigung, so geht es frohen Mutes in die "Garage" in Richtung Pankow. Dort spielen vor rund 100 bis 150 Leuten SECRETS OF THE MOON, THE VISION BLEAK und AUTUMNBLAZE - alle drei Gruppen kommen aus dem Labelstall von Prophecy Records. Wer von den Zuschauern überhaupt zahlt, bleibt unklar. Bei dem Aufgebot an Label- und Magazin-Leuten ist das Verhältnis Gästelistenplatz zu zahlender Gast rund 50 zu 50. Eine Theorie drängt sich ob solcher Zustände auf: Irgendwann wird die Metalszene implodieren, weil alle nur noch drüber schreiben und jeder auf den Gästelisten der Republik steht. AUTUMNBLAZE sind solche kommerziellen Erwägungen wohl eher fremd, kommen sie doch auf der Bühne als Künstler durch und durch herüber. AUTUMNBLAZE spielen eine Art von Sound, wie ihn zum Beispiel heutzutage auch ANATHEMA zaubern. Sehr gediegen flattern wunderschöne Melodien durch den Raum, die Musik bewirkt mehr Chill als Thrill. Immer wieder drängen sich dabei kleine Drum'n'Bass- sowie Trip-Hop-Experimente in die AUTUMNBLAZEsche Klangwelt aus tausendundeiner melancholischen Feder. Dazu ertönt die wunderbare Stimme von Sänger Markus B.. Das Resultat dieser Verschmelzung von sanftmütiger Weltentraurigkeit und musikalischem Genius klingt dennoch rockbar, die Musiker vergessen vor lauter Begeisterung über ihre Talente nicht, dass sie auch echte Songs schreiben müssen. Als ob das nicht schon genug wäre, bekommen die zahlreichen Mädels im Club mit Markus einen Val Kilmer Part II mit eng geschnittenem weinroten Hemd und einem kurzen braunen Zopf vor die Augen. Eine edle Band...
THE VISION BLEAK können dieses Niveau nicht halten. Weißgesichtig entern sie die Bühne, als Ausrüstung ihre Instrumente in der Hand und altmodisch anmutende Piratenklamotten am Leibe. Der Sound ist gut, die Mugge eigentlich nicht so. Mensch, Meister Schwadorf, bei EMPYRIUM ging das doch noch richtig gut. Aber hier hast du mit Frontmann Allen voll in die Kloschüssel gelangt. Denn seine Stimme macht diese Mugge metallischer Gothic-Prägung definitiv nicht auf Dauer genießbar, das betont düstere Organ nervt nach spätestens Song Numero drei total. Dabei ist die Instrumentierung von THE VISION BLEAK zum Teil wirklich bombastisch und rockig. Doch der Rest passt einfach nicht, auch wenn das Horror-Metal-Konzept der Band angeblich noch so nett und innovativ wirken soll. Vielmehr sind THE VISION BLEAK in erster Linie langweilig, kompositorisch vorhersehbar und total überbewertet. Ein Mädel kommt nach der Hälfte des Gigs auf den Hof der Garage und sagt: "Ich war früher mal EMPYRIUM-Fan und vergöttere diese Band. Aber was die dort drin machen, das ist nicht Schwadorf!" Recht hat sie.
Nun ist es eben an SECRETS OF THE MOON, den Abend für das Gästelistenvolk wieder komplett erträglich zu gestalten. Die Utensilien für den Gig sehen schon einmal vielversprechend aus. Eine kleine Maria steht dort, winzig und verlassen unter den blassweiß geschminkten vier Musikern von SECRETS OF THE MOON. Die Jungs krachen von Anfang an los, ihre Musik ähnelt klassischen norwegischen Hymnen an die aggressive Seite des Black Metal, fast schon perfekt orientieren sie sich schon jetzt an Über-Kapellen wie EMPEROR oder SATYRICON. Bei soviel Spirit verlischt im Kopf auch langsam das Bild von dem Typen, der vor dem Gig auf der Bühne Eisenketten verteilt hat - aus einer profanen Edeka-Tüte... Doch während des Black-Metal-Ausnahmezustands, den SECRETS OF THE MOON in den Raum zaubern, da sind solche Erinnerungen Schnee von gestern. Jetzt zählt die musikalische Genialität dieser Ausnahmetruppe aus deutschen Landen - selten schaffen es Bands von hier, solch maßlos übersteigerte Elite-Musik zu kreieren und soviel kratziges DARKTHRONE-Stimmen-Feeling zu verbreiten. Diese Jungs werden noch ganz groß rauskommen.
Tag zwei ist damit überstanden... Doch nicht ganz, eine Nach-der-Show-Party wartet auf trinkwillige Besucher. Wir kommen!
Tag drei. Die Glieder werden langsam schlaff wie Pudding, das Hirn streikt. Passend dazu kommt noch ein Metalcore-Marathon wie das Hellfire-Fest im "SO36" in Kreuzberg. ALITIA und DEADSOIL fallen erst einmal der unmenschlichen Anfangszeit zum Opfer - wann soll man sonst seine politisch korrekte vegetarische Pizza essen, wenn nicht gegen 18 Uhr?! Die Frage leitet automatisch zur Metalcore-Bewegung über, die beim Hellfire-Fest überproportional vertreten ist. Das RockHard widmete den Bands dieses Styles vor kurzem sogar seine Titelgeschichte, ein paar Jahre nach der ersten KILLSWITCH ENGAGE-Platte. Warum also dieser angebliche Trend? In der aggressiven Mugge scheinen sich all die wiederzufinden, denen Nu Metal zu kommerziell, Death Metal zu krass und klassischer Metal zu ausgelutscht ist. Außerdem scheint das betonte Straight Edge-Denken einiger dieser Bands noch ein paar Fans mehr anzuziehen.
Wie auch immer, DESTINY sind als dritte Gruppe des Abends dran und bringen genau das, was die Gemeinde in der völlig ausverkauften Halle hören will: druckvollen und groovigen Metalcore, gespielt von Kurzhaarbubies. Ein paar Diver sind auch schon unterwegs, ein Wunder, dass niemand in das Soundmischpult in der rechten Saalmitte kracht. CARARACT klingen danach einen Tick mehr nach Hardcore. Dazu kommt ein Song gegen Nazis - ein NPD-Stand würde an diesem Tag maximal zwei Sekunden ohne Beschädigungen vorm SO36 stehen, die Metalcore-Szene ist eineindeutig linksdrehend orientiert. Zurück zu CATARACT: Dort steigen während des Gigs viele weitere Typen in die Luft, die sich durch den Saal tragen lassen. Und nach dem Auftritt? Da bedanken sich CARARACT ganz höflich, die fünf Jungs sind sichtlich begeistert von den Reaktionen des Publikums. Wir lernen: Metalcorebands sind trotz Metal und Core eigentlich furchtbar liebe Gesellen.
MAROON sind als nächstes dran. Irgendwie macht sich nun so langsam das Gefühl breit, dass über das Phänomen Metalcore in der späteren Rockgeschichtsschreibung nicht soviel erzählt werden wird wie etwa über Black Metal aus Norwegen. Dazu klingen viele Bands einfach zu gleich, zu austauschbar. Sicher, MAROON sind eine richtig gute Live-Band, der Groove stimmt, die Refrains ebenso. Doch insgesamt klingt das Quintett auch nicht viel anders als die Truppen danach und davor, manche Riffs und Songsstrukturen der Metalcorer untereinander gleichen sich frapierend. Trotzdem, die Fan-Gemeinde scheint zur Zeit noch nicht genug zu bekommen und weiter ständig anzuwachsen - besonders die Frauenquote ist frappierend hoch, Mädels soweit das Auge reicht. Das Wachstum der Fanschar bemerkt auch der Sänger von BORN FROM PAIN. Dreimal waren die Jungs aus Holland schon in Berlin und jedesmal war das Publikum größer, so ruft Frontmann Ché ins Mikro, "größer und größer, besser und besser". Der Rest ihrer Musik bleibt vergleichbar, hart und derb dreschen BORN FROM PAIN hardcorelastig in ihre Saiten. Das Basecap des Gitaristen wippt dazu im Takt, die Fans rasten immer noch aus.
Nur wenig anders stellen sich MOST PRECIOUS BLOOD dem Publikum vor. Sie fügen dem aggressiven Sound von BORN FROM PAIN noch eine Spur RAGE AGAINST THE MACHINE hinzu. Außerdem kommen erstaunlich wenig Ansagen gegen George W. Bush aus dem Mund von Frontmann Rob Fusco. Ansonsten fehlt weiter die Abwechslung. Die nächste Erkenntnis des Abends ist somit, dass Metalcore an sich stilistisch viel limitierter erscheint als andere Metal-Styles, auch artverwandte Ableger wie MOST PRECIOUS BLOOD, die es immerhin zu Roadrunner geschafft haben, bieten musikalisch nicht viel Neues. Es ist eben ein Trend und manche Bands werden ihn nach dem jetzigen Boom und der abzusehenden Kill-Phase überleben. Zu diesen Elite-Ausnahmen gehören definitiv die Headliner des Abends, die Thüringer von HEAVEN SHALL BURN. Hier brummt und kracht es endlich wieder richtig im Saal, die zwischenzeitlich etwas ermüdete Fanschar lässt sich von Sänger Marcus und seinen vier Mitstreitern noch einmal gern zu einem Blaue-Flecken-Moshpit überreden. Enorm präzise und straight kloppen sie Songs von Klassealben wie "Whatever It May Take" in die Menge, auch der neue Klopper "Antigone" darf nicht fehlen. Dabei vereinen die Jungs nocheinmal alle Metalcore-Eigenschaften geradezu plakativ: Frontmann Marcus lädt die Fans zur Anti-Nazi-Demo nach Leipzig am nächsten Tag ein und die Band bekennt sich auf ihrer Homepage offen zum Veganertum; dazu klingen HEAVEN SHALL BURN schlichtweg irre brutal rockbar.
Danach ist der Rücken zwar im Arsch, die Laune dafür im Oberboden. Da lohnt noch ein Besuch im K17, dann ist das Weekend wieder dort angelangt, wo es begann. Fazit: Die Popkomm ist eigentlich kein Pop mehr, eine Trendsetter-Börse sowieso nicht. Dafür ist das Popkomm-Metal-Rundumprogramm nach einem langen Festival-Sommer noch einmal mehr gut geplanter Selbstmord am Leber- und Nackenmuskel (Du hast Muskeln in deiner Leber? Jetzt wundert mich gar nichts mehr. - irritierte Anm. d. Lektors).
- Redakteur:
- Henri Kramer