ProgPower Europe 2005 - Baarlo (NL)
22.10.2005 | 19:0601.10.2005, JC Sjiwa
Raaah!
Samstag, 01.10.
DISILLUSION
In der unangenehmen Position das Festival eröffnen zu dürfen befanden sich unsere Leipziger Lieblinge von DISILLUSION - leider nur in der mageren Dreierbesetzung, wie gehabt ohne Basser und schon gar nicht mit Keyboarder. Da macht es die Tatsache, dass beide Instrumente vom Band kamen, nur marginal besser. Schade, denn so lässt sich ein Überwerk wie "Back To Times Of Splendor" eben nur in einem Bruchteil seiner wahren Größe wiedergeben. Sei's drum, Vurtox und seine Mannen legten mit zwei älteren Stücken furios los, wobei gleich mal negativ ins Gewicht fiel, dass die Vocals im Vergleich zu den restlichen Instrumenten viel zu laut abgemischt waren. Zusammen mit der vurtox'schen Eigenart, livehaftig immer etwas mit dem Gesang variieren zu wollen, ergab das hin und wieder eine etwas komische Kombination. Schade, denn den bärenstarken Eindruck vom Summer Breeze im letzten Jahr (gut, mit idealer Vollbesetzung) konnte das Dreigestirn so zumindest bei mir nicht bestätigen. Aber auch mit kleinen Versingern waren Stücke wie eben 'Back To Times Of Splendor' oder das überragende 'Alone I Stand In Fires' noch wunderbar anzuhören, und die beachtlich gefüllte Halle - welche sich bis in die späten Abendstunden nicht wieder derart füllen sollte - spendete begeisterten Applaus. Zu Recht, auch wenn sich DISILLUSION hier meiner Meinung nach deutlich unter Wert verkauft haben. Die sehr ordentliche Spielzeit von 55 Minuten verging auf jeden Fall viel zu schnell. Ach, und '...And The Mirror Cracked' hätte ich gerne noch gehört. Schade.
Deshalb plädiere ich an dieser Stelle für eine Fusion von DISILLUSION und den DARK SUNS - da haben definitv beide Bands etwas von. DISILLUSION endlich 'nen festen und guten Basser sowie einen sehr bangaktiven Keyboarder, und DARK SUNS-Niko freut sich bestimmt, wenn er beim Stöckchenschwingen nicht auch noch singen muss. Zur Not kann man ja mit zwei Schlagzeugen agieren, und vier Klampfen ließen selbst IRON MAIDEN verblassen. Lediglich über den Namen müsste man sich noch einigen. Na?
(Rouven Dorn)
Setlist:
In Vengeful Embrace
Expired
Back To Times Of Splendor
Alone I Stand In Fires
The Sleep Of Restless Hours
ANUBIS GATE
ANUBIS GATE wurden kurzfristig als Ersatz von NOVEMBERS DOOM engagiert, und diese Chance wollten sie sich nicht entgehen lassen. Daran änderte auch die Tatsache, dass Sänger Torben Askholm ausfiel nix. Bassist Henrik Fevre, der sonst eher für Backingvocals zuständig ist, übernahm kurzerhand das Kommando und versuchte sich als Frontmann. Leider verlor der gute, wenn auch nicht besonders kreative, Metal in der Schnittmenge von Prog und Power damit etwas an Qualität. Ganz einfach, weil Henriks etwas kraftlose Stimme nicht für den Posten als Frontmann geeignet ist. Dummerweise wurde der Gesang auch noch deutlich in den Vordergrund gemischt, was wahrscheinlich mehr Druck in die Stimmbänder bringen sollte, doch die Rechnung des Soundmanns ging nicht auf.
Dennoch waren ANUBIS GATE dank überdurchschnittlicher Leistung an den Geräten und meist gutklassigem Songwriting immer noch unterhaltsam. Vor allem Songs vom aktuellen Album "A Perfect Forever" wie 'Children Of The Pauper King' oder 'Approaching Inner Circle' konnten punkten. Das Publikum sah das offensichtlich ähnlich und zollte der Band zumindest verstärkten Höflichkeitsapplaus. Und hätten ANUBIS GATE während des Gigs auch nur mit einer Silbe erwähnt, dass ihr Frontmann krank zu Hause liegt, hätten sie sich sicher nicht nur den Respekt von Kennern der Band erarbeitet, sondern auch den aller Unwissenden. Zumindest den haben sich die Dänen redlich verdient.
(Peter Kubaschk)
THROES OF DAWN
Nach den gehandicapten ANUBIS GATE war dann finnische Trauerweidenmucke angesagt - Bühne frei für THROES OF DAWN. Der Suomi-Fünfer dürfte so einige Anwesende mit seiner doch recht brachialen musikalischen Ausrichtung verschreckt haben, und so mancher mag sich gefragt haben, was in aller Welt an der hochmelodisch riffenden Truppe denn bitteschön so progressiv sein soll. Das ist das Quintett im erweiterten Sinne, so wie es durchaus auch AMORPHIS, KATATONIA, ANATHEMA oder MY DYING BRIDE sind. Und mit Ausnahme von ANATHEMA könnte man diese Bands durchaus auch als den Querschnitt beschreiben, den die Nordlichter durch die Anlage bliesen. Vermutlich würden AMORPHIS heutzutage sehr ähnlich klingen, wenn sie Wert auf eine Weiterführung der Growls und heftigen Riffs gehabt hätten.
Traurig, verträumt, düster, leidend und dennoch aggressiv. Untermalt wurde der Auftritt von Video-Einspielungen auf den Hallen-Bildschirmen, die von abstoßend wirkenden Kriegs-Szenarien bis hin zu Klapsmühlen-Atmosphäre alles zu bieten hatten. Passte irgendwie gut zur Darbietung.
Diese Musik ist ganz klar stimmungsabhängig, und ich kann es niemandem verübeln, wenn er mit THROES OF DAWN an diesem Tag nicht warm geworden ist. Mir persönlich hat diese Stunde typisch finnischer Musik viel Freude bereitet, und ich gelobe hoch und heilig Besserung in Sachen Backkatalog. 'Blackened Rainbow' kannte ich immerhin, und bei den restlichen Songs - insbesondere von der aktuellen Scheibe "Quicksilver Clouds" - kann man den Jungs definitiv eine qualitative Steigerung attestieren. Auch wenn der Sound teilweise nicht prickelnd war, so würde ich den Gig doch als sehr gelungen bezeichnen. Macht Lust auf mehr, und ganz nebenbei gibt's noch den Preis für "Band mit den auffälligsten Outfits", welche der gute Mann am Bass eigentlich auch alleine hätte abstauben können. Schicke Frisur!
(Rouven Dorn)
ORPHANED LAND
"Lache in die Welt, und die Welt lacht zurück." Man mag von Sprichwörtern halten, was man will, aber an diesem ist definitiv etwas dran. Oder kann sich irgendjemand vorstellen, dass er ein Lächeln aus gleich sechs verschiedenen Gesichtern (na gut, mit Abstrichen - Bassist Uri muss noch etwas üben) nicht ebenso strahlend erwidern würde? ORPHANED LAND setzen langsam, aber sicher dazu an, die ganze Metal-Welt mit ihrem Charme zu erobern, und jeder blitzende Zahn, jedes funkelnde Auge wirken so echt und überzeugend, dass sich kaum jemand dieser "Ansteckungsgefahr" entziehen kann. Allein 70 verkaufte CDs plus etliche T-Shirts auf dem ProgPower sprechen eine mehr als deutliche Sprache.
Aber es ist nicht nur diese Lebensfreude, die die Israelis zu etwas Besonderem macht. Ihr einzigartiger musikalischen Cocktail aus Metal verschiedenster Schattierungen und orientalischen bis arabischen Elementen funktioniert live fast noch besser als auf Scheibe, und das, obwohl die folkloristischen Elemente leider gar nicht live sind - der Rest ist dafür jedoch umso perfekter. Sogar eine tolle Improvisation als instrumentales Zwischenstück schütteln sich ORPHANED LAND mittlerweile locker aus dem Handgelenk. Außerdem hat sich Sänger Kobi Farhi (wie immer anfangs mit einem traditionellen Gewand bekleidet) in rasender Geschwindigkeit zu einem begnadeten Entertainer entwickelt, wie er und seine Truppe überhaupt von Auftritt zu Auftritt noch besser werden. Die intime Club-Atmosphäre tat ihr übriges, weil sie einen direkten Kontakt zum Publikum ermöglichte, das dem charismatischen Fronter förmlich aus der Hand fraß. Besonders gelungen waren die beiden "Holland-Specials" in Form des Gastauftritts von THANATOS-Grunzer Paul bei 'Halo Dies' sowie der offensichtliche Käskopp-Hit 'Een Eigen Huis, Een Plek Onder De Zon' (was in etwa "Eigenheim und Sonnenschein" heißen dürfte), den Kobi und Keyboarder Eden Rabin tatsächlich komplett auf holländisch sangen und bei dem die ausländischen Gäste zwar recht ratlos dreinschauten, die Einheimischen jedoch umso lauter mitmachten. Aber auch ohne diese für alle Seiten sehr unterhaltsamen Zugeständnisse an die Gastgeber brodelte die Stimmung im Saal erstmals gewaltig und sollte auch bei den übrigen Bands des Tages nicht mehr gesteigert werden können. Nach zwei Runden "Norra El Norra" (beim zweiten Mal als spontane Zugabe) hatte nicht nur Redaktions-Kollege Peter hüpfenderweise seine Portion Sport für diesen Tag erledigt. Und POWERMETAL.de-intern herrschte Übereinstimmung: ORPHANED LAND waren die absoluten Gewinner des Festivals!
(Elke Huber)
Setlist:
Ocean Land
El Méod Naala
Call To Awake
The Kiss Of Babylon
Halo Dies
A Neverending Way
Birth Of The Three
Norra El Norra
Ornaments Of Gold
Een Eigen Huis, Een Plek Onder De Zon (Cover von Rene Froger)
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Norra El Norra
GREEN CARNATION
Raaah! Dass GREEN CARNATION live unglaublich gut sind, das wusste ich vorher. Dass sie auf der Bühne viel Spaß machen und haben, auch. Dass sie aber wie die Derwische abrocken können, in der Lage sind, komplett aus sich herauszugehen und ganz nebenbei eine richtige Rockstar-Show abzuziehen eher nicht.
Zu Beginn des Gigs die große Überraschung: Aus dem Sextett ist ein Septett geworden, mit Bjørn Harstad ist ein dritter Gitarrero an Bord. Außerdem kein Blondschopf am Bass, denn für den in Australien weilenden Stein Roger Sordal ist Ole Vistnes mit an Bord. Wunderbar, ein Paar lange Haare mehr zum Schütteln. Zu guter Letzt kommen die Norweger auch mit Neu-Drummer Tommy Jackson über die Nordsee geschippert. Ob die unbändige Energie und Spielfreude auf diese bandinternen Neuerungen zurückzuführen sind, sei mal dahingestellt, Fakt ist, dass GREEN CARNATION auf dem ProgPower den mit Abstand besten Gig ablieferten, den ich bis dato von ihnen erleben durfte. Was für eine Power! 'Crushed To Dust' war wörtlich zu nehmen und blies den versammelten ersten Reihen erst einmal das Haupthaar zurecht. Kjetil war bestens bei Stimme, doch die Rolle des Frontmanns spielte ein anderer: Klampfer Michael Krumins, sonst stets zurückhaltend und introvertiert auf den Brettern, scheint in den letzten Monaten zum Rockvieh mutiert zu sein, wirbelte auf der Bühne wie ein kleiner Orkan umher und zockte nebenbei Solo nach Solo runter und ließ etliche Showeinlagen nicht aus. Herrlich auch das kurze Gitarrensolo, welches Erinnerungen an Richie Blackmore aufkommen ließ - und auch DEEP PURPLE kamen kurz zu Ehren. Spontan. Verdammt gut. Klasse.
Die größte Überraschung hatten sich die Jungs aber für den Schluss aufgespart, und so kam die "A Blessing In Disguise"-Überballade 'Lullaby In Winter' mitsamt langem Jam-Part (ich meine, dort mal ein DREAM THEATER-Zitat erkannt zu haben) zum Zuge. Gänsehaut ohne Ende, Endorphinpegel nicht mehr messbar. Für mich zusammen mit ORPHANED LAND und THE AURORA PROJECT ganz klar die Band des Festivals - dass PAIN OF SALVATION klasse waren, muss man ja nicht extra erwähnen.
(Rouven Dorn)
Wobei ich doch wenigstens eine kurze Passage des genialen "Light Of Day, Day Of Darkness"-Epos' vermisst habe - schade, dass dieses Mammutwerk, das bei vergangenen Gigs immer irgendwie angerissen wurde und für mich stets einen Höhepunkt darstellte, mittlerweile aus der Setlist gerutscht ist.
(Elke Huber)
Setlist:
Crushed To Dust
Just When You Think It's Safe
The Quiet Offspring
Into Deep
The Boy In The Attic
Dead Or Dreaming
Purple Door Pitch Black
Lullaby In Winter
EPICA
EPICA genossen so etwas wie den Holländer-Bonus, denn unsere tulpenzüchtenden Nachbarn haben (wie wir in einer unfreiwillig langen Umbaupause am nächsten Tag zur Genüge bestätigt bekamen) eine gewisse Vorliebe für Bombast-Metalbands mit Sopranistin und vereinzelten Grunzparts, von denen einige (WITHIN TEMPTATION und AFTER FOREVER zum Beispiel) auch hierzulande mehr oder weniger große Erfolge verbuchen können, während EPICA selbst eher noch ein kleines Licht bei uns sind. Die Band um Rotschopf Simone Simons zog allerdings ein nahezu komplett anderes Publikum als beispielsweise die Headliner des zweiten Tages und passte daher nicht so ganz ins Billing. Reichlich samtgewandete Goten bevölkerten die ersten Reihen und jubelten der hübschen Frontdame zu. Die Artverwandschaft zu AFTER FOREVER kommt dabei nicht von ungefähr, denn Bandgründer und Teilzeitgrunzer Mark Jansen ist AF-Sängerin Flor Jansens Bruder. Allerdings konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass man nicht nur musikalisch, sondern auch optisch etwas zu sehr bei den schon etwas erfolgreicheren Kollegen abkupfert - oder wer hat die Idee, sämtliche Langhaarigen der Band (natürlich allen voran die Sängerin) von großen Ventilatoren anpusten zu lassen, bei wem geklaut? Sah hübsch aus, gab tolle Fotos, war aber trotzdem irgendwie peinlich. EPICA lieferten dabei qualitativ durchaus ansprechende Musik, trafen jedoch kaum den Geschmack der Redaktion. Aber auch während unserer Rückfahrt nach Aachen dürfte die Halle noch ausreichend gefüllt gewesen sein, denn wie gesagt - in Holland sind sie schon recht groß, und vermutlich bald auch bei uns.
(Elke Huber)
- Redakteur:
- Rouven Dorn